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“Il trittico (Il tabarro, Suor Angelica, Gianni Schicchi)” by Giacomo Puccini libretto (German)
Contents: Der Mantel; Schwester Angelica; Gianni Schicchi |
Personen Michele (auch Marcel) — Bariton Luigi (auch Henri) — Tenor Tinca (die "Schleie") — Tenor Talpa (der "Maulwurf") — Bass Giorgetta (auch Georgette) — Sopran Frugola (Frettchen) — Alt ein Liederverkäufer, ein Liebespaar, u. a. |
Ein Winkel der Seine, wo Micheles Schleppkahn vor Anker liegt. Der Kahn ist mit dem Kai durch einen Landesteg verbunden. Im Hintergrund die Silhouette der Pariser Altstadt und der majestätische Bau der Kirche Notre-Dame, abgehoben vom roten Abendhimmel. Ebenfalls im Hintergrund, rechts, die der Seine entlang errichteten Gebäude, davor hohe, reich belaubte Platanen. Der Kahn hat den Charakter der üblichen Frachtboote, wie sie die Seine befahren. Das Steuer ragt hoch über der Kabine empor. Die Kabine ist sauber und ansehnlich, mit grünen Fenstern, einem Kaminrohr und einem flachen Dach, das wie ein Altan aussieht, auf dem einige Töpfe mit Geranien aufgestellt sind. An einer Leine hängt Wäsche zum Trocknen. Über der Tür zur Kabine ein Käfig mit Kanarienvögeln. Sonnenuntergang. Am Ufer steht ein Pferdekarren, darauf angehäuft Zementsäcke. Die Löscher steigen aus dem Schiffsraum herauf, mit schweren Säcken beladen, die sie zum Karren bringen. Michele, mit erloschener Pfeife, steht regungslos am Steuer und betrachtet die untergehende Sonne. Giorgetta ist sehr beschäftigt: Sie nimmt verschiedene Waschestücke von der Leine, schöpft einen Eimer Wasser aus dem Fluß und begießt damit die Blumen, dann reinigt sie den Vogelkäfig. Man hört eine Schleppdampfersirene und eine Autohupe. |
GIORGETTA He, Michele! Michele! Hast du’s nicht satt, dich von der sinkenden Sonne blenden zu lassen? Findest du das Schauspiel so großartig? MICHELE O Ja! GIORGETTA Das seh’ ich; aus deiner Pfeife kommt kein weißer Rauch mehr! MICHELE (auf die Löscher weisend) Sind sie fertig da unten? GIORGETTA Soll ich hinuntergehen? MICHELE Nein. Bleib. Ich geh’ selbst. GIORGETTA Sie haben so schwer gearbeitet! Wie sie versprachen, der Kahn wird geleert, und morgen können wir wieder aufladen. LÖSCHER Ho! Hiev! Ho! |
GIORGETTA Wir müssen sie für ihre Mühe belohnen; was ZU trinken vielleicht! MICHELE Natürlich. Du denkst an alles, du gute Seele! LÖSCHER Ho! Hiev! Ho! Noch eine Runde! Wenn wir uns nicht anstrengen, liegen wir hier fest, und Margot geht mit einem andern aus. MICHELE Bring ihnen was ZU trinken. GIORGETTA Sie sind fast fertig; das wird ihnen Kraft geben. MICHELE Mein kleiner Wein löscht den Durst und erfrischt sie. LÖSCHER Ho! Hiev! Ho! Noch eine Runde! Nicht schwach werden, Schiffer, später kannst du dich ausruhen, und Margot wird sich freuen! MICHELE (nähert sich Giorgetta liebevoll) Und an mich denkst du gar nicht? |
GIORGETTA (etwas zurückweichend) An dich? Wieso? MICHELE (legt einen Arm um sie) Den Wein hab’ ich aufgegeben, aber wenn meine Pfeife erloschen ist, meine Liebe ist nicht erloschen. LÖSCHER Ho! Hiev! Ho! Noch eine Runde! Bald ist der Kahn geleert, der lange Tag vorüber, und Margot liebt dich heute nacht. MICHELE Gib mir einen Kuß, mein Liebling ... (Küßt sie; Giorgetta reicht ihm die Wange, nicht den Mund. Michele begibt sich zum Schiffsraum und steigt hinunter.) LUIGI (vom Kai zum Kahn kommend) Es ist zum Ersticken, Chefin! GIORGETTA Das dacht’ ich mir. Ich hab’, was ihr braucht. Probiert den Wein! (geht in die Kabine) STOCKFISCH (aus dem Schiffsraum kommend, einen Sack auf dem Rücken) |
Verdammte Säckel Verfluchte Welt! Beeil dich, Maulwurf! Zelt zum Essen! MAULWURF (steigt aus dem Schiffsraum herauf, ebenfalls beladen) Nicht so schnell! Hetz mich nicht! Ha, dieser Sack bricht mir noch das Kreuz! (schüttelt den Kopf und wischt sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn.) Gott, diese Hitze! He, Luigi, noch eine Runde! LUIGI Hier hast du die Runde! Trinkt, Jungens! Hier, alle schnell hierher! Schnell, macht schon! Im Wein finden wir Kraft zum Weitermachen! (Alle umringen Giorgetta, die Gläser austeilt.) GIORGETTA Wie gewählt er sich ausdrückt! Natürlich, Wein für alle! Hier, Maulwurf! Für Stockfisch! Für euch, nehmt! MAULWURF Wir trinken auf Ihr Wohl! |
Die Gläser hoch! Trinkt! Prost! Soviel Glück, wie der Wein Freude bringt! GIORGETTA Wenn ihr noch mehr wollt. MAULWURF Da sagt man nie nein! (Giorgetta schenkt Maulwurf nochmals ein.) GIORGETTA (zu den anderen) Gebt eure Gläser her! LUIGI (zeigt auf einen am Kai vorübergehenden Drehorgelspieler) Seht doch den Drehorgelmann! Der kommt zur rechten Zeit. STOCKFISCH In diesem Wein ersäuf’ ich meine traurigen Gedanken. Ich trink’ auf den Chef! Prost! (zu Giorgetta, die noch einmal einschenkt) Danke, danke. Mein einziges Vergnügen liegt hier in diesem Glas. LUIGI (zum Drehorgelmann) He, Professor! Hierher! (zu den anderen) Jetzt hört ihr einen Künstler! |
GIORGETTA (zu Luigi) Ich versteh’ nur eine Musik; die zum Tanzen reizt! STOCKFISCH (kommt vor) Aber klar! Immer zu Diensten, ich steh’ bereit! GIORGETTA Gut! Ich nehm’ dich beim Wort! STOCKFISCH Ich tanz’ mit der Chefin! (Stockfisch und Giorgetta tanzen; Luigi und Maulwurf halten sich beim Klang der verstimmten Drehorgel die Ohren zu. Stockfisch kann mit Giorgetta nicht den richtigen Schritt halten.) LUIGI Musik und Tanz passen zusammen! (zu Stockfisch) Du siehst aus, als ob du den Boden scheuerst! GIORGETTA Au! Er ist mir auf den Fuß getreten! LUIGI (stößt Stockfisch beiseite und nimmt seinen Platz ein) |
Laß sie los, ich bin dran. (Luigi tanzt mit Giorgetta; sie überläßt sich hingebungsvoll seiner Umarmung.) MAULWURF Jungens, da ist der Chef! (Michele kommt aus dem Schiffsraum. Die beiden hören auf zu tanzen; Luigi macht dem Drehorgelmann ein Zeichen aufzuhören und gibt ihm ein Geldstück; der Drehorgelmann geht ab. Luigi und die anderen Löscher steigen wieder in den Schiffsraum hinunter, während Michele sich Giorgetta nähert, die sich das Haar ordnet.) GIORGETTA (zu Michele) Na, was meinst du? Können wir nächste Woche abfahren? MICHELE Wir werden sehen. GIORGETTA Bleiben Maulwurf und Stockfisch? MICHELE Luigi bleibt auch. GIORGETTA Gestern wolltest du das nicht. MICHELE Und heute will ich. |
GIORGETTA Warum? EIN LIEDERVERKÄUFER Wer will das letzte Lied? MICHELE Weil ich nicht will, daß er vor Hunger krepiert. GIORGETTA So einer kommt immer durch. MICHELE Ich weiß, er kommt durch, das stimmt. DER LIEDERVERKÄUFER Wer will es? MICHELE Und deshalb bringt er nie was zu Ende. GIORGETTA Bei dir weiß man nie, wer’s richtig macht oder falsch. DER LIEDERVERKÄUFER Wer will es? MICHELE Wer arbeitet, bleibt auch. (Sirene eines Schleppdampfers in der Ferne.) |
GIORGETTA ES wird schon Abend. Oh, der rote Septembersonnenuntergang, ein Hauch vom Herbst! Sieht die Sonne nicht aus wie eine große Orange, wenn sie in der Seine untergeht? Sieh doch, da ist Frettchen! DER LIEDERVERKÄUFER Wer will es, mit Noten und Text? GIORGETTA Siehst du sie? Sie sucht ihren Mann und läßt ihn nicht in Ruhe. MICHELE Zu Recht; er trinkt zuviel. GIORGETTA Weißt du nicht, daß sie eifersüchtig ist? (Michele forschend anblickend.) Mein Lieber, du bist nicht gut gelaunt. Was hast du? Was schaust du so? Warum sagst du nichts? DER LIEDERVERKÄUFER Wer will das letzte Lied? (Der Liederverkäufer erscheint auf der Straße jenseits der Seine, gefolgt von einem Mann mit einer umgehängten kleinen Harfe. Einige |
Midinetten, die aus einem Modehaus kommen, umringen ihn.) MIDINETTEN Wie schön! O Ja! (Der Harfenspieler setzt sich auf einen kleinen tragbaren Schemel und bereitet sich zum Spielen.) MICHELE Hab' ich dir Je Szenen gemacht? GIORGETTA Ich weiß, du schlägst mich nie. DER LIEDERVERKÄUFER O Frühling, O Frühling, such nicht länger die zwei Liebenden ... MICHELE Was? Wäre dir das lieber? GIORGETTA Lieber als dein Schweigen wär mir's manchmal, wenn du mich grün und blau schlügst! DER LIEDERVERKÄUFER ... dort im Abendschatten! (Michele, ohne zu antworten, geht den Kahn entlang und macht sich daran, ein Anlegetau besser festzumachen.) |
O Frühling, O Frühling! Wer für die Liebe lebte, stirbt auch für die Liebe! Das ist die Geschichte von Mimi! (Die Mädchen kaufen das Lied.) GIORGETTA (die Michele gefolgt ist) Sag mir doch, was du hast. MICHELE Nichts, nichts. DER LIEDERVERKÄUFER Wer wissend den Tod erwartet, zählt die Tage nach Stunden mit den Schlägen seines Herzens ... GIORGETTA Wenn wir in Paris sind, fühl’ ich mich glücklich. MICHELE Natürlich. GIORGETTA Wieso? DER LIEDERVERKÄUFER ... zählt die Tage nach Stunden. Doch der Liebste kehrt nicht wieder, und so hört es auf zu schlagen, das Herz von Mimi. (Die Liederverkäufer geht ab, gefolgt vom |
Harfenspieler; die Mädchen entfernen sich, lesen die Blätter des gekauften Lieds und wiederholen die letzte Strophe.) MIDINETTEN Zählt die Tage nach Stunden, doch der Liebste kehrt nicht wieder, und so hört es auf zu schlagen, lara, lara, lara, das Herz von Mimi. (Frettchen erscheint auf dem Kai, überquert den Steg und kommt auf den Kahn. Sie trägt auf den Schultern einen Sack, angefüllt mit zusammengesuchtem Plunder.) FRETTCHEN Guten Abend, ihr ewigen Verliebten! GIORGETTA Guten Abend, Frettchen. (Michele begrüßt Frettchen mit einer Handbewegung und geht in die Kabine.) FRETTCHEN Ist mein Mann mit der Arbeit fertig? Heute morgen konnte er sich kaum bewegen vor Rückenschmerzen. Er tat mir wirklich leid. Aber ich hab’ ihn kuriert: eine gute Abreibung, und sein Rücken hat meinen Rum aufgesogen! (Wirft den Sack auf den Boden, wühlt darin |
herum und zieht mehrere Gegenstände daraus hervor.) Ach, Giorgetta, schau doch: ein nagelneuer Kamm! Wenn du willst, geb’ ich ihn dir; das ist mit das Beste, was ich heute gehamstert habe. GIORGETTA (nimmt den Kamm) Sie haben recht, wenn sie dich Frettchen nennen: Du durchsuchst alle Winkel und hast immer einen vollen Beutel. FRETTCHEN Wenn du wüßtest, was für feine Sachen in diesem Beutel enthalten sind! Schau her, schau her! Für dich ist dieser Federbusch. Spitze und Seide, Lumpen, Fläschchen; lauter tolle Sachen durcheinander! Seltsame Reliquien, die Zeugnisse von tausend Liebschaften! Freuden und Sorgen sammle ich hier, ohne zwischen reich und arm zu unterscheiden. GIORGETTA Und in der Tüte da? FRETTCHEN Rinderherz für den Caporale, meinen Kater mit dem fahlen Pelz und dem einmaligen komischen Blick! |
GIORGETTA Dein Kater wird ja ganz verwöhnt! FRETTCHEN Er verdient’s auch! Du solltest ihn sehen! Er ist der schönste Kater, mein schönster Liebhaber! Wenn mein Maulwurf nicht da ist, leistet er mir Gesellschaft. Und zusammen spinnen wir, spinnen von unseren Liebschaften, ohne Zank und ohne Eifersucht. Willst du seine Lebensweisheit hören? Schnurr, schnurr, schnurr: Besser Herr in einer Hütte als Diener in einem Palast! Schnurr, schnurr, schnurr, schnurr, schnurr: Besser zwei Stückchen Herz essen als sein eigenes in Liebe verzehren! MAULWURF (kommt aus dem Schiffsraum hervor, gefolgt von Luigi) Ei! Da ist ja meine Alte! Was erzählst du da? FRETTCHEN Ich sprech’ mit Giorgetta über unseren Kater. (Man hört aus der Ferne eine Autohupe.) |
MICHELE (kommt aus der Kabine) Luigi, morgen laden wir Elsen. Kommst du uns helfen? LUIGI Klar, Chef. (Stockfisch kommt aus dem Schiffsraum, gefolgt von anderen Löschern, die nach dem Kai hin abgehen, nachdem sie sich von Michele verabschiedet haben.) STOCKFISCH Gute Nacht allerseits. MAULWURF (zu Stockfisch) Hast du’s so eilig? FRETTCHEN Gehst du dich wieder besaufen? Na, wenn ich deine Frau wäre! STOCKFISCH Was würdest du tun? FRETTCHEN Ich würd’ dir zusetzen, bis es dir nicht mehr in den Sinn kommt, die Nächte in der Kneipe zu verbringen! Schämst du dich nicht? STOCKFISCH Nein, nein, nein! Der Wein tut gut! Darin ertränkt man alle Gedanken an Revolte! Wenn ich trink’, denk’ ich nicht nach, |
und wenn ich nachdenk’, lach’ ich nicht. Ha ha ha ha! (Macht sich lachend auf den Weg, während Michele in den Schiffsraum hinuntersteigt.) LUIGI (hält Stockfisch zurück) Da hast du recht, lieber nicht nachdenken, senk den Kopf und beug den Nacken! Für uns hat das Leben keinen Wert mehr, und alle Freuden werden zu Schmerzen. Den Sack auf den Buckel und den Blick zur Erde! Wenn du aufschaust, hüt’ dich vor der Peitsche! Dein Brot verdienst du dir im Schweiß, und die Stunde der Liebe wird geraubt. Geraubt in Elend und Angst, die das reinste Himmelsglück verdunkeln. Alles ist ein Kampf, alles wird uns genommen, der Tag ist schon am frühen Morgen düster. Du hast recht, lieber nicht nachdenken, senk den Kopf und beug den Nacken! STOCKFISCH Nimm dir ein Beispiel an mir: Trink! GIORGETTA Schluß Jetzt! STOCKFISCH Ich sag’ nichts mehr. |
Bis morgen, Kinder, und maeht’s gut! (Geht den Kai entlang und verschwindet.) MAULWURF (zu Frettchen) Gehen wir nicht auch? Ich bin todmüde. FRETTCHEN Ach, wann werden wir uns ein Häuschen kaufen können? Da ruhen wir uns dann aus. GIORGETTA Das ist wohl deine fixe Idee, das Landleben. FRETTCHEN Ich träume von einem Häuschen mit einem kleinen Garten: vier Wände, nett und sauber, und zwei Pinien für den Schatten. Mein Alter in der Sonne, Caporale zu meinen Füßen, so warten wir auf den Tod, das Heilmittel für alle Übel. GIORGETTA Mein Traum ist ganz anders! Ich bin in der Vorstadt geboren, und nur die Pariser Luft belebt mich, belebt und nährt mich! Wenn Michele nur eines Tages dieses elende Vagabundenleben beenden würde! Da drinnen kann man nicht leben, |
zwischen Bett und Herd. Du hättest das Zimmer sehen sollen, das ich früher hatte! FRETTCHEN Wo hast du gewohnt? GIORGETTA Weißt du das nicht? LUIGI In Belleville! GIORGETTA Luigi kennt es. LUIGI Ich bin auch da geboren. GIORGETTA Genau wie ich hat er’s im Blut. LUIGI Davon kommt man nicht los. GIORGETTA Das muß man erlebt haben. Belleville ist unsere Heimat, unsere Welt! Wir können auf dem Wasser nicht leben! Wir müssen Pflaster unter den Füßen haben! Da ist ein Haus, da sind unsere Freunde, Festlichkeiten und Kameradschaft. |
LUIGI Da kennen sich alle: Alle sind eine große Familie! GIORGETTA Am Morgen erwartet dich die Arbeit. Am Abend geht man gemeinsam nach Hause. Schaufenster sind erhellt von Lichtern und feinen Sachen, Kutschen fahren hin und her, die Sonntage sind voller Leben. Zu zweit macht man kleine Ausflüge in den Bois de Boulogne. Tänze im Freien, kleine Liebeleien. Es ist schwer auszudrücken, diese Unruhe, diese merkwürdige Sehnsucht. GIORGETTA, LUIGI Aber wer die Vorstadt verläßt, will zurück, und wer zurückkommt, kann davon nicht los! Da hinten liegt Paris und lockt uns mit tausend hellen Stimmen zu seinem unsterblichen Zauber! FRETTCHEN Jetzt versteh’ ich dich; Hier ist das Leben anders. |
MAULWURF Gehen wir jetzt essen? (zu Luigi) Was meinst du? LUIGI Ich bleib’ hier, ich muß mit dem Chef reden. MAULWURF Wenn das so ist, bis morgen. FRETTCHEN Gute Nacht, ihr Lieben! (geht Arm in Arm mit Maulwurf ab) FRETTCHEN, MAULWURF Ich träum’ von einem Häuschen mit einem kleinen Garten. Vier Wände, nett und sauber, und zwei Pinien für den Schatten. Mein Alter in der Sonne, Caporale zu meinen Füßen, so erwarten wir den Tod, das Heilmittel für alle Übel. (Gesang in der Ferne.) GIORGETTA O Luigi! Luigi! (Luigi geht auf sie zu, sie hält ihn durch eine Geste zurück.) Paß auf, er kann jeden Moment heraufkommen. |
Bleib da, weiter weg! LUIGI Warum machst du meine Qual noch schlimmer? Warum rufst du mich überhaupt? GIORGETTA Ich zittre, wenn ich an gestern abend denke, an die Glut deiner Küsse! LUIGI Du weißt, was diese Küsse sagen wollten. GIORGETTA Ja, mein Liebling, Ja, aber sei still. LUIGI Wieso auf einmal diese dumme Angst? GIORGETTA Wenn er uns entdeckt, bringt er uns um! LUIGI Lieber den Tod als das Schicksal, das dich gebunden hält! GIORGETTA Ach, wenn wir doch allein wären, weit weg! LUIGI Und für immer vereint! |
GIORGETTA Und für immer verliebt! Sag mir, daß du mich nie verläßt! LUIGI (will zu ihr gehen) Nie! GIORGETTA Paß auf! (Michele kommt aus dem Schiffsraum.) MICHELE (zu Luigi) Was? Du bist noch nicht weg? LUIGI Ich hab’ auf Sie gewartet, Chef, weil ich mit Ihnen allein sprechen wollte. Erst will ich mich bedanken, daß Sie mich behalten haben. Dann wollte ich Sie bitten, wenn Sie es einrichten können, mich nach Rouen mitzunehmen und mich da an Land zu lassen. MICHELE Nach Rouen? Bist du verrückt? Da gibt es nichts als Elend, da ging’s dir noch schlimmer. LUIGI Na gut, dann bleib’ ich hier. (Michele geht auf die Kabine zu.) |
GIORGETTA (zu Michele) WO gehst du hin? MICHELE Die Lichter besorgen. LUIGI Gute Nacht, Chef. MICHELE Gute Nacht. (geht in die Kabine) GIORGETTA Sag mir, warum hast du ihn gebeten, dich in Rouen abzusetzen? LUIGI Weil ich dich nicht mit ihm teilen kann! GIORGETTA Du hast recht, es ist eine Qual, ich leide auch, ich fühl’ sie auch, mehr als du, diese Kette! Du hast recht, es ist eine Qual, eine Folter, eine Strafe! Aber wenn du mich in deine Arme nimmst, wiegt das alles, alles wieder auf. LUIGI Es scheint, als ob wir dem Leben beide etwas stehlen. |
GIORGETTA Die Lust ist dafür umso größer! LUIGI Das ist die Freude, geraubt in Elend und Angst. GIORGETTA In einer ängstlichen Umarmung. LUIGI Unter erstickten Schreien und endlosen Küssen ... GIORGETTA ... und unterdrückten Worten ... LUIGI ... und endlosen Küssen! GIORGETTA Schwüre und Versprechungen ... LUIGI ... daß wir allein sein werden! GIORGETTA Allein, weit, weit fort! LUIGI Wir beide ganz allein, fern von der Welt! (zusammenfahrend) |
Kommt er? GIORGETTA Nein, noch nicht. Sag, daß du später wiederkommst! LUIGI Ja, in einer Stunde. GIORGETTA Hör zu: Wie gestern laß ich die Planke hier. Ich nehm’ sie sonst weg. Hast du die Leinenschuhe? LUIGI Ja, Gibst du das gleiche Signal? GIORGETTA Ja, ein brennendes Streichholz. Wie die kleine Flamme in meiner ausgestreckten Hand flackerte! Mir war, als hätt’ ich einen Stern angezündet, die Flamme unserer Liebe, einen Stern, der nie untergeht! LUIGI Ich will deinen Mund, ich will deine Zärtlichkeit! |
GIORGETTA DU fühlst es also auch, dieses wahnsinnige Begehren! LUIGI Die wahnsinnige Eifersucht! Ich will dich festhalten, als ob du mir gehörst! Ich will es nicht länger dulden, daß ein anderer dich berührt, und um allen anderen deinen göttlichen Körper ZU entreißen, schwör’ ich dir, ich schwöre, würd’ ich sogar das Messer nehmen und dir aus Blutstropfen ein Schmuckstück machen! (Luigi eilt schnell ab, von Giorgetta angetrieben.) GIORGETTA Wie schwer es ist, glücklich zu sein! (Michele kommt mit den brennenden Laternen aus der Kabine.) MICHELE Warum gehst du nicht schlafen? GIORGETTA Und du? MICHELE Nein, noch nicht. |
GIORGETTA Ich glaube, du hast recht getan, ihn zu behalten. MICHELE Wen? GIORGETTA Luigi. MICHELE Vielleicht war es ein Fehler. Zwei Männer sind genug; soviel Arbeit gibt’s nicht. GIORGETTA Dem Stockfisch könntest du kündigen - der trinkt immer. MICHELE Er besäuft sich, um seine Schmerzen zu betäuben. Seine Frau ist eine Schlampe! Er trinkt, um sie nicht zu töten. (Giorgetta ist verstört und nervös.) Was hast du? GIORGETTA All diese Geschichten interessieren mich gar nicht. MICHELE (nähert sich Giorgetta bewegt) Warum, warum liebst du mich nicht mehr? |
Warum? GIORGETTA Du irrst dich, ich liebe dich. Du bist gut und ehrlich. Jetzt laß uns schlafen gehen. MICHELE Du schläfst nicht. GIORGETTA Du weißt, warum ich nicht schlafe. Und außerdem erstick’ ich da drinnen. Ich kann nicht, ich kann nicht! MICHELE Jetzt sind die Nächte so kühl, und letztes Jahr, da in dem schwarzen Loch, da waren wir zu dritt, da stand die Wiege unseres Kleinen. GIORGETTA Unser Kleiner! Sei still, sei still! MICHELE Du strecktest die Hand aus und wiegtest ihn sanft, langsam, dann schliefst du in meinem Arm ein. GIORGETTA Ich fleh’ dich an, Michele, sprich nicht weiter! MICHELE Es waren Abende wie dieser, wenn der Wind blies, |
dann hüllte Ich euch beide In meinen Mantel, wie In einer Umarmung. Ich fühl’ noch an meinen Schultern eure beiden blonden Köpfe, ich fühle eure Lippen nah an meinen Lippen. Ich war so glücklich, ach, so glücklich! Jetzt, da es anders ist, kommen meine grauen Haare mir vor wie ein Hohn auf deine Jugend. GIORGETTA Ach, ich fleh’ dich an, Michele, sprich nicht weiter! Ah, nein! MICHELE Ach Ja, ein Hohn auf deine Jugend! GIORGETTA Nein, beruhige dich, Michele, ich bin müde, ich kann nicht mehr, komm. MICHELE Aber du kannst nicht schlafen! Du weißt, du darfst nicht einschlafen! GIORGETTA Warum sagst du mir das? |
MICHELE Ich weiß auch nicht. Aber ich weiß, daß du schon lange nicht mehr schläfst. (versucht, Giorgetta an sich zu ziehen) Bleib nah bei mir. Erinnerst du dich nicht an andere Nächte, andere Himmel und andere Monde? Warum verschließt du dein Herz? Erinnerst du dich an die Stunden, die auf diesem Kahn dahinflossen, von den Wellen getragen? GIORGETTA Nicht mehr dran denken! Es ist zu traurig heute. MICHELE Ach, sei wieder so wie früher, sei wieder mein, als du mich noch liebtest, und voller Leidenschaft zu mir kamst und mich küßtest! Als du mich noch liebtest! Bleib nah bei mir! Die Nacht ist schön! GIORGETTA Was willst du! Man wird älter! ich bin nicht mehr dieselbe. Du hast dich auch verändert. Du traust mir nicht, was denkst du? MICHELE ich weiß es selbst nicht. (Glockenschläge einer fernen Kirchturmuhr.) |
GIORGETTA Gute Nacht, Michele. Ich falle um vor Müdigkeit. MICHELE Dann geh nur, ich komme bald. (Giorgetta geht in die Kabine.) Du Hure! (Er befestigt die Lichter - ein rotes, ein grünes und ein weißes - an den entsprechenden Stellen des Kahns. Die Schatten zweier Liebender gehen auf der Straße vorüber.) TENOR Ein frischer Rosenmund ... SOPRAN ... Küsse wie Morgentau ... TENOR ... O duftende Lippen ... SOPRAN ... O duftender Abend! Da ist der Mond ... TENOR ... der Mond, der uns bewacht ... |
SOPRAN ... bis morgen, Geliebter! TENOR ... bis morgen, Geliebte! SOPRAN Bis morgen, Geliebter! TENOR Bis morgen, Geliebte! (Eine ferne Trompete bläst in einer Kaserne das Schlafsignal. Langsam und vorsichtig nähert sich Michele der Kabine und horcht.) MICHELE Nichts! ... Alles still! (schleicht zur Kabinenwand und späht ins Innere) Da ist sie. Sie hat sich nicht ausgezogen, sie schläft nicht. Sie wartet. Auf wen? Auf was wartet sie? Auf wen? Auf wen? Vielleicht auf meinen Schlaf. Wer hat sie so verändert? Was für ein verdammter Schatten ist zwischen uns gefallen? Wer hat sie beeinflußt? Maulwurf? - Zu alt. Stockfisch vielleicht? Nein, nein, der denkt nicht, der trinkt. Wer dann? Luigi? |
Nein, erst heute abend wollte er mich verlassen und bat mich, ihn in Rouen abzusetzen. Aber wer dann? Wer dann? Wer ist es? Könnt’ ich nur das Dunkel zerreißen! Und sehen, und ihn zerdrücken, so, mit meinen Händen! Und ihn anschreien: Du bist es! Du bist es! Und ihn anschreien: Du bist es! Du bist es! Dein Leichengesicht hat über meine Qual gelacht! Du bist es! Du bist es! So! So! So! Teil mit mir diese Kette! Verbind dein Schicksal mit meinem! Gemeinsam hinunter in den tiefsten Abgrund! Teil mit mir diese Kette! Verbind dein Schicksal mit meinem! Ruhe ist nur im Tod! (sinkt erschöpft zusammen. Die Nacht ist tiefschwarz. Er nimmt seine Pfeife aus seiner Tasche und zündet sie an. Nach einigen Augenblicken kommt Luigi, der auf dem Kai auf das Zeichen gewartet hat, über den Steg auf den Kahn. Michele sieht den Schatten, zuckt zusammen und stellt sich auf die Lauer. Er erkennt Luigi, stürzt mit einem Satz vorwärts und packt ihn an der Gurgel.) Hab’ ich dich! LUIGI Heiliger Gott! Ich bin gefangen! |
MICHELE Schrei nicht! Was suchst du hier? Wolltest du deine Geliebte? LUIGI Das ist nicht wahr! MICHELE Du lügst! Gesteh, gesteh! LUIGI Das ist nicht wahr! MICHELE Wolltest du deine Geliebte? LUIGI (zieht sein Messer) Ha, bei Gott! MICHELE (packt Luigi am Arm und zwingt ihn, das Messer fallen zu lassen) Das Messer weg! Du entkommst mir nicht, du Schuft! Du Zuchthäusler! Du Dreckskerl! Du wolltest doch hinunter nach Rouen, nicht wahr? Tot wirst du hinkommen, im Fluß! LUIGI Du Mörder, du Mörder! |
MICHELE Gesteh mir, daß du sie liebst! Gesteh, gesteh! LUIGI Laß los, laß los, laß mich! MICHELE Nein, du Schurke, ihr Schurken! Wenn du gestehst, laß ich dich los! LUIGI Ja! MICHELE Sag’s noch einmal, noch einmal! LUIGI Ja, ich lieb’ sie. MICHELE Noch einmal, noch einmal! LUIGI Ich lieb’ sie. MICHELE Noch einmal! LUIGI Ich lieb’ sie. |
MICHELE Nochmal! LUIGI Ich lieb' sie. Ah! (Luigi bleibt im letzten Todeskampf an Michele angeklammert.) GIORGETTA (in der Kabine) Michele! Michele! (Sie öffnet die Tür.) Ich hab' Angst, Michele. (Als er Giorgettas Stimme hört, verhüllt Michele den an ihn geklammerten Leichnam Luigis mit seinem Mantel und setzt sich nieder. Giorgetta kommt langsam auf Michele zu, ängstlich um sich blickend.) MICHELE Ich hatte recht; DU durftest nicht schlafen. GIORGETTA Es quält mich, daß ich dir wehgetan habe. MICHELE Es ist nichts, deine Nerven. GIORGETTA Ach Ja, das ist es, du hast recht. Sag, daß du mir vergibst. Willst du mich nicht nah bei dir? |
MICHELE WO, unter meinem Mantel? GIORGETTA Ja, ganz nah, Ja. Du hast mir einmal gesagt: „Wir alle tragen einen Mantel, der verbirgt manchmal Freuden, manchmal Leiden.“ MICHELE Manchmal ein Verbrechen! Komm unter meinen Mantel! Komm! Komm! GIORGETTA (Michele richtet sich furchterregend auf, öffnet seinen Mantel; Luigis Leichnam rollt Giorgetta vor die Füße. Michele packt sie, schleppt sie herbei und preßt sie auf das Gesicht ihres toten Liebhabers nieder.) Ah! Ende der Oper |
libretto by Gerd Uekermann |
Contents: Der Mantel; Schwester Angelica; Gianni Schicchi |