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“La bohème” by Giacomo Puccini libretto (German)
Contents: Personen; Erster Akt; Zweiter Akt; Dritter Akt; Vierter Akt |
In der Mansarde (Durch ein großes Dachfenster übersieht man eine Menge von Dächern, alles im Schnee. Rechts im Zimmer ein Kaminofen. Ein Tisch, vier Stühle, eine Staffelei und ein Bett. Bücher und Papiere liegen verstreut umher. Marcello arbeitet an seinem Bilde „Der Durchgang durchs Rote Meer": er friert an den Händen, die er pustend durch seinen Atem zu erwärmen sucht.) MARCELLO Naß macht dies Rote Meer und steif des Malers Hand. Wie herbstkalter Regen rächend mein Leid, ersäuf' ich Pharao! (zu Rodolfo) Was machst du? RODOLFO Ich starr' zum Himmel, seh, wie aus tausend Essen Paris den schwarzen Rauch qualmt! Der Ofen verhöhnt uns, treibt Müßiggang wie große Herren. |
MARCELLO Die ihm nötige Miete, scheint's, zahlt man ihm nicht gern! RODOLFO Ja, der alberne Wald steckt im Schnee samt allem Brennholz. MARCELLO Hör', Rodolfo, laß mich dir eine große Wahrheit sagen: Es ist hundekalt hier. RODOLFO Und ich, Marcello, will dir's nicht hehlen, daß mir Schweißtropfen jämmerlich fehlen. MARCELLO Mir erfrieren die Finger fast, als wenn sie auf Eis gelegen, suchend Musettens Herzchen, das so eiskalt wie verwegen. (Er seufzt und hört auf zu malen.) RODOLFO Die Lieb' ist ein Kamin, der viel Heizung aufzehrt. MARCELLO Unbändig! RODOLFO Wo das Scheitholz der Mann ... |
MARCELLO Und das Weib schürt beständig ... RODOLFO Er verbrennt wie Zunder ... MARCELLO Sie sieht's und wird nur runder ... RODOLFO Indes' wir hier - erfrieren ... MARCELLO Und zu Tode verhungern! RODOLFO Wir brauchen Feuer ... MARCELLO (nimmt einen Stuhl) Paß auf, jetzt opfern wir, was uns teuer! (Rodolfo hindert das Vorhaben Marcellos und bricht plötzlich über einem Gedanken in Freude aus.) RODOLFO Heureka! MARCELLO Du fandst was? RODOLFO Ja! Ein glorreicher Einfall: Wir heizen mit Ideen ... MARCELLO (auf sein Bild zeigend) Du zündest das Meer an? |
RODOLFO Nein. Riecht doch bemalte Leinwand! Hier mein Drama! Die glühenden Verse sollst du wirken sehen. MARCELLO Die Verse mir lesen? Mir schaudert. RODOLFO Nein, zu Asche vergeh' das Papier! Die Poesie kehret heimwärts zum Himmelsdom. Den Schaden trägt schwer das Jahrhundert, „Gefahr dräuet Rom ..." MARCELLO Edles Herz! RODOLFO Hier hast du den ersten Akt ... MARCELLO Gib! RODOLFO Zerreiß ihn! MARCELLO Zünd an! (Rodolfo brennt das Manuskript an; dann setzen sich beide zum Kamin, an dessen hochlodernden Flammen sie sich mit Wonne wärmen.) |
RODOLFO und MARCELLO Welch ein warmer Schein! (Die Türe wird geöffnet. Colline tritt ein, stampft mit den Füßen vor Kälte und wirft ein Paket Bücher auf den Tisch.) COLLINE Zeichen sind schon zu sehen der Apokalypse. Weihnachten ist das Leihhaus zu. (überrascht) Ah! wie schön das flammt! RODOLFO Schweige; man gibt mein Drama ... MARCELLO ... sehr feurig! COLLINE Ich find dein Opus glänzend! RODOLFO Lebhaft! MARCELLO Doch allzu kurz! RODOLFO Kürze ist oft ein Vorzug. COLLINE Gib deinen Stuhl her, Autor! |
MARCELLO Die Intermezzi töten mich durch Dummheit. Vorwärts! RODOLFO Der zweite Akt beginne! MARCELLO Laß doch das Lärmen ... COLLINE Welch tiefe Weisheit ... MARCELLO Edler Geschmack! RODOLFO In diesen bläulich zuckenden Flammen zehrt eine Liebesszene sich auf ... COLLINE Horch, wie es knistert. MARCELLO Das waren Küsse ... RODOLFO Nimm, dritter Akt, zum Parnaß den Lauf. (Er wirft den Rest des Manuskriptes ins Feuer.) COLLINE Nun ist erreicht auch des Dichters Streben. |
ALLE Schön ist's in Flammen heiter vergehen. (Die Flamme nimmt ab.) MARCELLO Schon klein wird der Schein, erlischt ... COLLINE So elend und schwach wie dein Drama! MARCELLO Jetzt flammt es noch einmal auf und stirbt ... COLLINE und MARCELLO Zischt nieder den Autor! (Zwei Kellner treten ein. Der eine trägt Speisen, Weinflaschen, Zigarren, der andere Brennholz. Die drei Freunde drehen sich um, und mit Freudengeschrei nehmen sie den Kellnern alles ab.) RODOLFO Brennholz! MARCELLO Zigarren! COLLINE Bordeaux! RODOLFO Brennholz! MARCELLO Bordeaux! |
ALLE DREI Welchen Überfluß des Marktes wirft uns das Schicksal in den Schoß. (Die Kellner treten ab. Schaunard tritt mit triumphierender Miene ein und wirft einige Münzen auf die Erde.) SCHAUNARD Da, euer Bedarf wird die Bank von Frankreich sprengen. COLLINE (hilft Rodolfo und Marcello beim Auflesen der Münzen) Schnell! Sucht die Münzen! MARCELLO Sie sind wohl aus Blech! SCHAUNARD Bist taub du? Und blöde? (zeigt ein silbernes Fünffrankstück) Kennst du das Bild? RODOLFO Louis Philippe ist's. Der König, fürwahr! ALLE Wie, der König von Frankreich zu unseren Füßen? (Schaunard möchte sein Glück erzählen, aber die anderen hören nicht zu. Sie decken den Tisch und heizen den Ofen.) |
SCHAUNARD Jetzt hört zu; dies Gold hier, nein, dieses Silber hat folgende Geschichte ... RODOLFO Ich sorg' erst für's Feuer. COLLINE Weil die Kälte mich umbringt. SCHAUNARD ... 's war ein englischer Herr, ein Lord, Mylord vielleicht, was weiß ich, 'nen Musiker ... wollt er ... MARCELLO Weg! Denn wir decken den Tisch jetzt ... SCHAUNARD Und ich? Ich eile ... RODOLFO Zündhölzer - wo? COLLINE Dort! MARCELLO Hier! SCHAUNARD ... Ich stell mich vor ... „Bin ich genehm Euch?" frag' ich ... |
COLLINE Hier kalter Braten ... MARCELLO Ha! Die Pastete! SCHAUNARD ... Ich stell mich vor ... „Bin ich genehm Euch?" frag' ich ... „Wann fangen wir die Stunden an?" Die Antwort: „Gut, schau'n Sie hierher!" ('nen Papagei zeigt er mir im ersten Stock), und er näselt: „Spielen sollen Sie, bis der Vogel krepiert." RODOLFO Lasset den Saal im Licht erstrahlen! MARCELLO Hier sind die Kerzen. SCHAUNARD Und so geschah's! Ich spielt' drei Tage lang ... Dann hab ich klug bestochen durch mein gentiles Wesen die Dienerin des Hauses. Dem Vogel bracht ich Schierling bei, ... MARCELLO Ohn' Tischtuch soll man essen? |
RODOLFO Ich weiß Rat! (Er zieht eine Zeitung aus der Tasche.) MARCELLO und COLLINE Der Constitutionnel! RODOLFO Bestes Papier ... Man ißt und trinkt vom Feuilleton. SCHAUNARD ... Und weit die Flügel spreizend, den Schnabel sperrt er auf!" Und er beschloß wie Sokrates durch Gift den Lebenslauf. COLLINE (Zu Schaunard) Wer? SCHAUNARD Euch hole zusammen gleich der Teufel ... Was soll das heißen? Nein! Hier diese Speisen dienen erst dann dem Magen, wenn wir in Not sind einst, in schlimmen Tagen! Zu Hause essen? Am heil'gen Weihnachtsabend? Wo das Quartier Latin die Straßen ziert mit Leckereien und Wurst in ganzen Lasten? Während der Duft von frischem Kuchen köstlich und süß die Luft durchzieht, und junge Mädchen glücklich singen ... |
ALLE Es weihnachtet gar sehr! SCHAUNARD Doch als ihr Echo haben sie Studenten! Ein bißchen Religion, o meine Herren! Hier dürft ihr trinken, essen außer Haus! (Sie schenken Wein ein. Es klopft.) BERNARD (draußen) Ist's erlaubt? MARCELLO Wer ist da? BERNARD Bernard - ich! MARCELLO Der Besitzer des Hauses! SCHAUNARD Hand auf den Mund ... COLLINE 's ist niemand hier! SCHAUNARD Verschlossen! BERNARD Bitte, ein Wort nur! |
SCHAUNARD (berät sich mit den anderen und öffnet) Eins nur! (Bernard tritt ein.) BERNARD (zeigt ein Papier) Die Miete! MARCELLO Heda! Schnell einen Stuhl her ... RODOLFO Eilt Euch! BERNARD Ganz unmöglich ... Ich möcht nur ... SCHAUNARD Ein Stuhl! MARCELLO Trinken Sie? BERNARD Danke. RODOLFO und COLLINE Sehr zum Wohl! SCHAUNARD Prost! (Bernard hat sein Glas hingesetzt und zeigt Marcello das Papier.) |
BERNARD ... 's ist der Letzte des Quartals. MARCELLO Ach, das freut mich! BERNARD Und deshalb ... SCHAUNARD Nur einen Schluck noch! BERNARD Danke. ALLE VIER Sehr zum Wohl! Zum Wohle! BERNARD (wieder zu Marcello) Ich komme, weil Sie mir am letzten Zahltag versprochen ... MARCELLO Was ich versprach, das halt ich! (Er zeigt Bernard das auf dem Tisch liegende Geld.) RODOLFO (leise zu Marcello) Was tust du? SCHAUNARD Bist du toll? |
MARCELLO (zu Bernard, ohne die Freunde zu beachten) Das Geld ist da! Doch bleiben Sie noch ein Weilchen in unserer Gesellschaft. Sagen Sie, wie alt sind Sie, lieber Herr Bernard, na? ... BERNARD Wie alt? Du guter Gott! RODOLFO So alt etwa wie wir. BERNARD Viel mehr - Sie raten schlecht. (Sie füllen sein Glas erneut.) COLLINE Er meint nur ungefähr ... MARCELLO Gestern abend bei Mabille fand man ihn beim Liebesspiel ... BERNARD Ich? MARCELLO ... fand man ihn beim Liebesspiel ... Ja, Sie! BERNARD Nur Zufall ... |
MARCELLO Recht hübsch, das Weibchen! BERNARD (halbbetrunken) Ganz reizend! SCHAUNARD, dann RODOLFO Du Spitzbub'! COLLINE Ha, Verführer! Eine Eiche! 'ne Kanone! RODOLFO Das nenn' Geschmack ich. MARCELLO Gelocket die roten Haare. Ein Bild der Kraft, und stolz der Sieger. BERNARD Bin alt zwar, aber rüstig. COLLINE, SCHAUNARD und RODOLFO Aber zuviel der Liebe, ei, das büßt sich ... MARCELLO Es fiel durch ihn die tugendreichste Frau. BERNARD Einst war ich schüchtern sehr, nach hol' ich das Versäumte, gesteh', daß von schönen Weibern |
ich gerne träumte. Jedoch: nicht soll dem Walfisch noch dem Globus sie gleichen, oder dem Vollmond ihr feist' Gesicht ... doch die Magern, grad' die Magern, mag ich nicht. Bös' sind die mageren Frauenzimmer, sie quälen Männer immer ... Darum traue ich keiner, auch zum Beispiel ... ... meiner Frau! (Marcello spielt Entrüstung, die anderen fallen ein.) MARCELLO Der Mann ist beweibt und sucht sünd'gen Zeitvertreib. DIE ANDEREN O Schmach! RODOLFO Es ist ein Graus! Er vergiftet dies ehrbare Haus. DIE ANDEREN Hinaus! MARCELLO Man räuchere aus den frommen Saal. COLLINE Werft den Lump hinaus! |
SCHAUNARD Flieht die beleidigte Moral! BERNARD Ich ... ach ... DIE ANDEREN Ruhe! BERNARD Ihr Herren! DIE ANDEREN Still! Sie sind erkannt! Hinaus! Hinaus! Und schönen Gruß an Ihre liebe Frau! Haha! (Bernard verschwindet, Marcello schließt die Tür.) MARCELLO So zahl ich die Miete. SCHAUNARD Zum Quartier Latin! Zu Momus! MARCELLO Hoch dem, der dort zahlt! SCHAUNARD Wir teilen die Beute! DIE ANDEREN Wir teilen! (Sie teilen das Geld untereinander.) |
MARCELLO (zeigt Colline einen Spiegel) Manche Schöne gibt's, Himmel entsprossen, jetzt, da du endlich reich, such unverdrossen, Bär! Doch streich dir erst den Pelz glatt. COLLINE Ich will zum ersten Male dem Bartscher opfern. Wird mein Aussehen besser, ertrag ich das Gekratze mit dem Messer! ALLE Geh'n wir! RODOLFO Ich bleibe, um noch zuvor zu enden den Artikel für die Zeitung. MARCELLO Doch eil' dich! RODOLFO Fünf Minuten. Ich kenne mein Handwerk. COLLINE Wir warten unten beim Portier. MARCELLO Wenn du zu spät kommst, weh dir! RODOLFO Fünf Minuten. |
SCHAUNARD Kürz' nur dreist den Artikel für dein Blatt. (Rodolfo nimmt eine Kerze vom Tisch und öffnet die Tür. Die Freunde treten hinaus.) MARCELLO (draußen) Paßt auf, die Treppe, haltet das Geländer! RODOLFO (leuchtet mit erhobenem Licht) Nur langsam! COLLINE Es ist stockdunkel. SCHAUNARD Der Portier sei verflucht. COLLINE Zum Teufel! RODOLFO Colline! Bist du tot? COLLINE (von unten) Nein, noch nicht! MARCELLO Mach' vorwärts! (Rodolfo macht die Tür zu, stellt das Licht auf den Tisch und beginnt zu schreiben. Plötzlich wirft er die Feder weg.) |
RODOLFO Ich bin nicht aufgelegt. (Es klopft leise an die Tür.) Wer klopft? MIMÌ (draußen) Verzeihung. RODOLFO Eine Dame! MIMÌ Ich bitte ... mir erlosch die Kerze ... RODOLFO (die Tür öffnend) Bitte! MIMÌ (erscheint auf der Schwelle und hält einen Leuchter und einen Schlüssel in der Hand) Seien Sie so gut ... RODOLFO Setzen Sie sich doch bitte. MIMÌ 's ist nicht nötig ... RODOLFO Ich bitte, treten Sie ein. (Mimì tritt ein, bekommt aber sogleich einen Erstickungsanfall.) Ist Ihnen schlecht? |
MIMÌ Nein, 's ist nichts! RODOLFO Diese Blässe! MIMÌ O, der Atem - diese Treppen ... (Sie fällt in Ohnmacht; Rodolfo fängt sie auf und setzt sie sanft auf einen Stuhl. Leuchter und Schlüssel entfallen ihr.) RODOLFO Und was soll ich nun machen? (Er holt Wasser und spritzt es Mimì ins Gesicht.) So! Wie leidend sind die Züge! (Mimì kommt zu sich.) Ist Ihnen besser? MIMÌ Ja! RODOLFO Hier ist's kalt im Zimmer. Geh'n Sie zum Ofen. (Er hilft ihr in einen Sessel am Ofen.) Ein Einfall! Ein bißchen Wein hilft ... MIMÌ Danke! RODOLFO So, hier. |
MIMÌ Nicht so viel, Herr! RODOLFO Bitte. MIMÌ Danke. RODOLFO (Welch liebliches Mädchen!) MIMÌ (sich erhebend) Bitte, erlauben Sie mir, Licht zu nehmen. Mir ist viel besser! RODOLFO Ist's so eilig? MIMÌ Ja! (Rodolfo zündet das Licht an und überreicht es Mimì.) Danke! Guten Abend! RODOLFO Guten Abend! (Mimì geht zur Tür, kehrt aber noch einmal ins Zimmer zurück.) MIMÌ Ach wie dumm, wie vergeßlich! Den Wohnungsschlüssel hab' ich vergessen. |
RODOLFO Bleiben Sie nicht auf der Schwelle: Die Kerze flackert im Zugwind. (Ihre Kerze verlöscht.) MIMÌ Ach Gott, Herr! Sind sie nochmal so gut? (Rodolfo kommt schnell mit seinem Licht zurTüre, aber der Wind löscht nun auch dieses aus. Das Zimmer ist ganz dunkel.) RODOLFO O Gott! Mein Licht ist nun auch aus. MIMÌ Ach! Und wo ist der Schlüssel? RODOLFO Dichtes Dunkel! MIMÌ Wie! Ich Pechvogel! RODOLFO Wo mag er sein? MIMÌ Ich falle Ihnen zur Last ... RODOLFO Ganz und gar nicht! MIMÌ Ich falle Ihnen zur Last. |
RODOLFO Aber warum, ganz und gar nicht. MIMÌ Suchen Sie! RODOLFO Ich such'! (Beide suchen auf dem Boden nach dem Schlüssel.) MIMÌ Wo mag er sein? RODOLFO Ha! (Er findet den Schlüssel und steckt ihn ein.) MIMÌ Ah, gefunden? RODOLFO Nein. MIMÌ Ich dachte ... RODOLFO Nein, wirklich nicht! MIMÌ Suchen Sie? |
RODOLFO Sicher! (Er stellt sich suchend, trachtet aber nur, ihrer Stimme folgend, sich Mimì zu nähern. Dann erfaßt er ihre Hand und hält sie fest.) MIMÌ (überrascht) Ah! (Sie erheben sich. Rodolfo hält weiter Mimìs Hand in der seinen.) RODOLFO Wie eiskalt ist dies Händchen! Lassen Sie, ich wärme es. Was nutzt das Suchen? Zum Finden ist's zu dunkel, bis erst der Vollmond am Himmel emporsteigt und überstrahlet der Sterne Gefunkel. Erlauben Sie, mein Fräulein, daß ich kurz Bericht Euch gebe, wer ich wohl bin, was ich treibe, und wie ich hier lebe! Erlauben Sie's? (Mimì schweigt.) Wer ich bin? So hören Sie. Bin nur ein Dichter. Und was ich tue? Schreiben! Und wie ich lebe? Nun, ich lebe! In diesen armen Räumen streu' ich als Krösus Verse und manch' Liedchen umher. Und leb' in gold'nen Träumen und bau' mir Luftschlösser, |
fühl' mich im Geist als Millionär, aus meiner Truhe stehlen oft die schönsten Juwelen ein Diebespaar: zwei Äuglein! Mit Ihnen sind diese Diebe wieder hereingekommen, haben alle Gedanken plötzlich mir weggenommen! Doch bin ich drob nicht böse. Denn oh! Hoffnung ist in die Seele mir eingezogen ... So, mich kennen Sie jetzt. Sagen Sie mir nun, wie darf ich Sie nennen? MIMÌ Gut. Man nennt mich jetzt Mimì, einst hieß ich Lucia. Mein Los ist bald geschildert: Auf Leinwand stick' ich zu Hause oder auswärts! Still und heitern Wesens, beglückt darf Rosen und Lilien ich sticken, dann wird die Arbeit Entzücken, wecket wonnige Triebe, erzählt mir hold von Lenz und Liebe! So wieg' ich mich in Träumen und Schimären. Poesie nennt man's. Schwärmen in den Sphären. Sie verstehen mich? RODOLFO Ja. |
MIMÌ Man nennt mich jetzt nur Mimì, weiß nicht warum! Fleißig bin ich und koche selbst mein Essen. Und fehlt die Zeit zur Kirche, bet' ich doch fromm zum Herrn. Leb' allein, ganz einsam. Dort von dem kleinen weißen Stübchen seh' Welt und Dächer ich, tief im Schnee; taut ihn des Lenzes Sonne: Ich seh' zuerst ihre Strahlen. Mein ist des Frühlings reinste Wonne und mein sein Kuß, der löst des Winters Qualen ... Und wächst mir am Fenster die Rose, möcht die Knospen ich hüten. Nichts ist so süß wie der Duft der Blüten ... Ach, Blumen, nur gestickt, sind ohne Duft, der dort die Rose schmückt. Nichts andres wüßt ich mehr von mir zu sagen. Verzeih'n Sie mir, daß als Nachbarin Sie zu stören ich mocht' wagen ... SCHAUNARD (vom Hof herauf) He, Rodolfo! COLLINE Rodolfo! MARCELLO Holla! Wo bleibst du? Du Schnecke! |
COLLINE Du Reimeschmied! SCHAUNARD Du verwünschter Faulpelz! (Rodolfo, ungeduldig, begibt sich zum Fenster, um zu antworten. Bei geöffnetem Fenster fällt das Mondlicht ins Zimmer.) RODOLFO Nur vier Zeilen. Bin gleich fertig! MIMÌ Wer ist da? RODOLFO Bekannte. SCHAUNARD Wart! Du lernst uns kennen! MARCELLO Was machst du da allein? RODOLFO Bin nicht allein. Wir sind zu zweit! Zu Momus geht voraus; belegt 'nen Tisch. Wir folgen augenblicklich. MARCELLO, SCHAUNARD und COLLINE Momus, Momus. Leis' ziehn wir fort, Momus, Momus, Momus! |
Er fand die Poesie! (Als Rodolfo sich umwendet, gewahrt er Mimì, die im Mondlicht wie leuchtend dasteht, und ist entzückt von dem Anblick.) RODOLFO O du süßestes Mädchen, mild ist dein Antlitz, umflossen von des Mondes Licht. In dir erblick' ich, zur Wirklichkeit geworden, mein schönstes Gedicht. MIMÌ (Ach, das tat der Liebe Macht ...) RODOLFO Durch die Seele ziehen leis' Wonnen, die mir nie erklungen! MIMÌ (Ach, das tat der Liebe Macht ...) RODOLFO Durch die Seele ziehen leis' Wonnen, die nie mir erklungen, usw. O laß die Lippen dein mich leis' berühren. MIMÌ (O wie sein schmeichelnd Liebeswort dringt in die Seele ein, das tat der Liebe Macht.) (Rodolfo küßt sie.) Ach, bitte, nein! RODOLFO Sei mein! |
MIMÌ Dort warten die Freunde ... RODOLFO Wie, du schickst mich fort? MIMÌ Ich möchte - nein, ich wag's nicht. RODOLFO Sprich! MIMÌ Wenn ich nun mit Ihnen käm'? RODOLFO Du? Mimì! Es wäre doch schön hier. Die Nacht ist so kalt. MIMÌ Ich bleibe bei Ihnen! RODOLFO Und wenn wir zurück sind? MIMÌ Ach, dräng' nicht! RODOLFO Reich mir den Arm, liebes Kind. MIMÌ Ich gehorche, mein Herr! |
RODOLFO Sag, liebst du mich ... ? MIMÌ Ich liebe dich! RODOLFO und MIMÌ (im Abgehen) Ich lieb' nur dich allein! |
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