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La bohème” by Giacomo Puccini libretto (German)

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Contents: Personen; Erster Akt; Zweiter Akt; Dritter Akt; Vierter Akt
ERSTER AKT

In der Mansarde

(Durch ein großes Dachfenster übersieht man eine
Menge von Dächern, alles im Schnee. Rechts im
Zimmer ein Kaminofen. Ein Tisch, vier Stühle, eine
Staffelei und ein Bett. Bücher und Papiere liegen
verstreut umher. Marcello arbeitet an seinem Bilde
„Der Durchgang durchs Rote Meer": er friert an den
Händen, die er pustend durch seinen Atem zu
erwärmen sucht.)


MARCELLO
Naß macht dies Rote Meer
und steif des Malers Hand.
Wie herbstkalter Regen
rächend mein Leid, ersäuf' ich Pharao!
(zu Rodolfo)
Was machst du?

RODOLFO
Ich starr' zum Himmel,
seh, wie aus tausend Essen
Paris den schwarzen Rauch qualmt!
Der Ofen verhöhnt uns,
treibt Müßiggang
wie große Herren.

MARCELLO
Die ihm nötige Miete, scheint's,
zahlt man ihm nicht gern!

RODOLFO
Ja, der alberne Wald steckt im Schnee
samt allem Brennholz.

MARCELLO
Hör', Rodolfo, laß mich dir
eine große Wahrheit sagen:
Es ist hundekalt hier.

RODOLFO
Und ich, Marcello, will dir's nicht hehlen,
daß mir Schweißtropfen jämmerlich fehlen.

MARCELLO
Mir erfrieren die Finger fast,
als wenn sie auf Eis gelegen,
suchend Musettens Herzchen,
das so eiskalt wie verwegen.
(Er seufzt und hört auf zu malen.)

RODOLFO
Die Lieb' ist ein Kamin, der viel Heizung aufzehrt.

MARCELLO
Unbändig!

RODOLFO
Wo das Scheitholz der Mann ...

MARCELLO
Und das Weib schürt beständig ...

RODOLFO
Er verbrennt wie Zunder ...

MARCELLO
Sie sieht's und wird nur runder ...

RODOLFO
Indes' wir hier - erfrieren ...

MARCELLO
Und zu Tode verhungern!

RODOLFO
Wir brauchen Feuer ...

MARCELLO
(nimmt einen Stuhl)
Paß auf, jetzt opfern wir, was uns teuer!
(Rodolfo hindert das Vorhaben Marcellos und bricht
plötzlich über einem Gedanken in Freude aus.)

RODOLFO
Heureka!

MARCELLO
Du fandst was?

RODOLFO
Ja! Ein glorreicher Einfall:
Wir heizen mit Ideen ...

MARCELLO
(auf sein Bild zeigend)
Du zündest das Meer an?

RODOLFO
Nein. Riecht doch bemalte Leinwand!
Hier mein Drama!
Die glühenden Verse sollst du wirken sehen.

MARCELLO
Die Verse mir lesen? Mir schaudert.

RODOLFO
Nein, zu Asche vergeh' das Papier!
Die Poesie kehret heimwärts zum Himmelsdom.
Den Schaden trägt schwer das Jahrhundert,
„Gefahr dräuet Rom ..."

MARCELLO
Edles Herz!

RODOLFO
Hier hast du den ersten Akt ...

MARCELLO
Gib!

RODOLFO
Zerreiß ihn!

MARCELLO
Zünd an!
(Rodolfo brennt das Manuskript an; dann setzen sich
beide zum Kamin, an dessen hochlodernden Flammen
sie sich mit Wonne wärmen.)


RODOLFO und MARCELLO
Welch ein warmer Schein!
(Die Türe wird geöffnet. Colline tritt ein, stampft mit
den Füßen vor Kälte und wirft ein Paket Bücher auf den Tisch.)


COLLINE
Zeichen sind schon zu sehen der Apokalypse.
Weihnachten ist das Leihhaus zu.
(überrascht)
Ah! wie schön das flammt!

RODOLFO
Schweige; man gibt mein Drama ...

MARCELLO
... sehr feurig!

COLLINE
Ich find dein Opus glänzend!

RODOLFO
Lebhaft!

MARCELLO
Doch allzu kurz!

RODOLFO
Kürze ist oft ein Vorzug.

COLLINE
Gib deinen Stuhl her, Autor!

MARCELLO
Die Intermezzi töten mich
durch Dummheit.
Vorwärts!

RODOLFO
Der zweite Akt beginne!

MARCELLO
Laß doch das Lärmen ...

COLLINE
Welch tiefe Weisheit ...

MARCELLO
Edler Geschmack!

RODOLFO
In diesen bläulich zuckenden Flammen
zehrt eine Liebesszene sich auf ...

COLLINE
Horch, wie es knistert.

MARCELLO
Das waren Küsse ...

RODOLFO
Nimm, dritter Akt, zum Parnaß den Lauf.
(Er wirft den Rest des Manuskriptes ins Feuer.)

COLLINE
Nun ist erreicht auch des Dichters Streben.

ALLE
Schön ist's in Flammen heiter vergehen.
(Die Flamme nimmt ab.)

MARCELLO
Schon klein wird der Schein, erlischt ...

COLLINE
So elend und schwach wie dein Drama!

MARCELLO
Jetzt flammt es noch einmal auf und stirbt ...

COLLINE und MARCELLO
Zischt nieder den Autor!
(Zwei Kellner treten ein. Der eine trägt Speisen,
Weinflaschen, Zigarren, der andere Brennholz. Die drei
Freunde drehen sich um, und mit Freudengeschrei
nehmen sie den Kellnern alles ab.)


RODOLFO
Brennholz!

MARCELLO
Zigarren!

COLLINE
Bordeaux!

RODOLFO
Brennholz!

MARCELLO
Bordeaux!

ALLE DREI
Welchen Überfluß des Marktes
wirft uns das Schicksal in den Schoß.
(Die Kellner treten ab. Schaunard tritt mit
triumphierender Miene ein und wirft einige Münzen auf die Erde.)


SCHAUNARD
Da, euer Bedarf wird
die Bank von Frankreich sprengen.

COLLINE
(hilft Rodolfo und Marcello beim Auflesen der Münzen)
Schnell! Sucht die Münzen!

MARCELLO
Sie sind wohl aus Blech!

SCHAUNARD
Bist taub du? Und blöde?
(zeigt ein silbernes Fünffrankstück)
Kennst du das Bild?

RODOLFO
Louis Philippe ist's.
Der König, fürwahr!

ALLE
Wie, der König von Frankreich zu unseren Füßen?
(Schaunard möchte sein Glück erzählen, aber die
anderen hören nicht zu. Sie decken den Tisch und
heizen den Ofen.)


SCHAUNARD
Jetzt hört zu; dies Gold hier,
nein, dieses Silber
hat folgende Geschichte ...

RODOLFO
Ich sorg' erst für's Feuer.

COLLINE
Weil die Kälte mich umbringt.

SCHAUNARD
... 's war ein englischer Herr,
ein Lord, Mylord vielleicht, was weiß ich,
'nen Musiker ... wollt er ...

MARCELLO
Weg! Denn wir decken den Tisch jetzt ...

SCHAUNARD
Und ich? Ich eile ...

RODOLFO
Zündhölzer - wo?

COLLINE
Dort!

MARCELLO
Hier!

SCHAUNARD
... Ich stell mich vor ...
„Bin ich genehm Euch?" frag' ich ...

COLLINE
Hier kalter Braten ...

MARCELLO
Ha! Die Pastete!

SCHAUNARD
... Ich stell mich vor ...
„Bin ich genehm Euch?" frag' ich ...
„Wann fangen wir die Stunden an?"
Die Antwort: „Gut, schau'n
Sie hierher!" ('nen Papagei zeigt er
mir im ersten Stock), und er näselt:
„Spielen sollen Sie, bis
der Vogel krepiert."

RODOLFO
Lasset den Saal im Licht erstrahlen!

MARCELLO
Hier sind die Kerzen.

SCHAUNARD
Und so geschah's!
Ich spielt' drei Tage lang ...
Dann hab ich klug bestochen
durch mein gentiles Wesen
die Dienerin des Hauses.
Dem Vogel bracht ich Schierling bei, ...

MARCELLO
Ohn' Tischtuch soll man essen?

RODOLFO
Ich weiß Rat!
(Er zieht eine Zeitung aus der Tasche.)

MARCELLO und COLLINE
Der Constitutionnel!

RODOLFO
Bestes Papier ...
Man ißt und trinkt vom Feuilleton.

SCHAUNARD
... Und weit die Flügel spreizend,
den Schnabel sperrt er auf!"
Und er beschloß wie Sokrates
durch Gift den Lebenslauf.

COLLINE
(Zu Schaunard)
Wer?

SCHAUNARD
Euch hole zusammen gleich der Teufel ...
Was soll das heißen?
Nein! Hier diese Speisen
dienen erst dann dem Magen,
wenn wir in Not sind einst,
in schlimmen Tagen!
Zu Hause essen? Am heil'gen Weihnachtsabend?
Wo das Quartier Latin die Straßen ziert
mit Leckereien und Wurst in ganzen Lasten?
Während der Duft von frischem Kuchen
köstlich und süß die Luft durchzieht,
und junge Mädchen glücklich singen ...

ALLE
Es weihnachtet gar sehr!

SCHAUNARD
Doch als ihr Echo haben sie Studenten!
Ein bißchen Religion, o meine Herren!
Hier dürft ihr trinken, essen außer Haus!
(Sie schenken Wein ein. Es klopft.)

BERNARD
(draußen)
Ist's erlaubt?

MARCELLO
Wer ist da?

BERNARD
Bernard - ich!

MARCELLO
Der Besitzer des Hauses!

SCHAUNARD
Hand auf den Mund ...

COLLINE
's ist niemand hier!

SCHAUNARD
Verschlossen!

BERNARD
Bitte, ein Wort nur!

SCHAUNARD
(berät sich mit den anderen und öffnet)
Eins nur!
(Bernard tritt ein.)

BERNARD
(zeigt ein Papier)
Die Miete!

MARCELLO
Heda! Schnell einen Stuhl her ...

RODOLFO
Eilt Euch!

BERNARD
Ganz unmöglich ... Ich möcht nur ...

SCHAUNARD
Ein Stuhl!

MARCELLO
Trinken Sie?

BERNARD
Danke.

RODOLFO und COLLINE
Sehr zum Wohl!

SCHAUNARD
Prost!
(Bernard hat sein Glas hingesetzt und zeigt Marcello
das Papier.)


BERNARD
... 's ist der Letzte
des Quartals.

MARCELLO
Ach, das freut mich!

BERNARD
Und deshalb ...

SCHAUNARD
Nur einen Schluck noch!

BERNARD
Danke.

ALLE VIER
Sehr zum Wohl! Zum Wohle!

BERNARD
(wieder zu Marcello)
Ich komme, weil Sie
mir am letzten Zahltag
versprochen ...

MARCELLO
Was ich versprach, das halt ich!
(Er zeigt Bernard das auf dem Tisch liegende Geld.)

RODOLFO
(leise zu Marcello)
Was tust du?

SCHAUNARD
Bist du toll?

MARCELLO
(zu Bernard, ohne die Freunde zu beachten)
Das Geld ist da! Doch bleiben Sie
noch ein Weilchen in unserer Gesellschaft.
Sagen Sie, wie alt sind Sie,
lieber Herr Bernard, na? ...

BERNARD
Wie alt? Du guter Gott!

RODOLFO
So alt etwa wie wir.

BERNARD
Viel mehr - Sie raten schlecht.
(Sie füllen sein Glas erneut.)

COLLINE
Er meint nur ungefähr ...

MARCELLO
Gestern abend bei Mabille
fand man ihn beim Liebesspiel ...

BERNARD
Ich?

MARCELLO
... fand man ihn beim Liebesspiel ...
Ja, Sie!

BERNARD
Nur Zufall ...

MARCELLO
Recht hübsch, das Weibchen!

BERNARD
(halbbetrunken)
Ganz reizend!

SCHAUNARD, dann RODOLFO
Du Spitzbub'!

COLLINE
Ha, Verführer!
Eine Eiche! 'ne Kanone!

RODOLFO
Das nenn' Geschmack ich.

MARCELLO
Gelocket die roten Haare.
Ein Bild der Kraft, und stolz der Sieger.

BERNARD
Bin alt zwar, aber rüstig.

COLLINE, SCHAUNARD und RODOLFO
Aber zuviel der Liebe, ei, das büßt sich ...

MARCELLO
Es fiel durch ihn
die tugendreichste Frau.

BERNARD
Einst war ich schüchtern sehr,
nach hol' ich das Versäumte,
gesteh', daß von schönen Weibern

ich gerne träumte.
Jedoch: nicht soll dem Walfisch
noch dem Globus sie gleichen,
oder dem Vollmond ihr feist' Gesicht ...
doch die Magern, grad' die Magern, mag ich nicht.
Bös' sind die mageren Frauenzimmer,
sie quälen Männer immer ...
Darum traue ich keiner,
auch zum Beispiel ...
... meiner Frau!
(Marcello spielt Entrüstung, die anderen fallen ein.)

MARCELLO
Der Mann ist beweibt
und sucht sünd'gen Zeitvertreib.

DIE ANDEREN
O Schmach!

RODOLFO
Es ist ein Graus!
Er vergiftet dies ehrbare Haus.

DIE ANDEREN
Hinaus!

MARCELLO
Man räuchere aus den frommen Saal.

COLLINE
Werft den Lump hinaus!

SCHAUNARD
Flieht die beleidigte Moral!

BERNARD
Ich ... ach ...

DIE ANDEREN
Ruhe!

BERNARD
Ihr Herren!

DIE ANDEREN
Still! Sie sind erkannt!
Hinaus! Hinaus! Und schönen Gruß
an Ihre liebe Frau! Haha!
(Bernard verschwindet, Marcello schließt die Tür.)

MARCELLO
So zahl ich die Miete.

SCHAUNARD
Zum Quartier Latin! Zu Momus!

MARCELLO
Hoch dem, der dort zahlt!

SCHAUNARD
Wir teilen die Beute!

DIE ANDEREN
Wir teilen!
(Sie teilen das Geld untereinander.)

MARCELLO
(zeigt Colline einen Spiegel)
Manche Schöne gibt's, Himmel entsprossen,
jetzt, da du endlich reich, such unverdrossen,
Bär! Doch streich dir erst den Pelz glatt.

COLLINE
Ich will zum ersten Male
dem Bartscher opfern.
Wird mein Aussehen besser,
ertrag ich das Gekratze mit dem Messer!

ALLE
Geh'n wir!

RODOLFO
Ich bleibe, um noch zuvor
zu enden den Artikel
für die Zeitung.

MARCELLO
Doch eil' dich!

RODOLFO
Fünf Minuten. Ich kenne mein Handwerk.

COLLINE
Wir warten unten beim Portier.

MARCELLO
Wenn du zu spät kommst, weh dir!

RODOLFO
Fünf Minuten.

SCHAUNARD
Kürz' nur dreist den Artikel für dein Blatt.
(Rodolfo nimmt eine Kerze vom Tisch und öffnet die
Tür. Die Freunde treten hinaus.)


MARCELLO
(draußen)
Paßt auf, die Treppe,
haltet das Geländer!

RODOLFO
(leuchtet mit erhobenem Licht)
Nur langsam!

COLLINE
Es ist stockdunkel.

SCHAUNARD
Der Portier sei verflucht.

COLLINE
Zum Teufel!

RODOLFO
Colline! Bist du tot?

COLLINE
(von unten)
Nein, noch nicht!

MARCELLO
Mach' vorwärts!
(Rodolfo macht die Tür zu, stellt das Licht auf den Tisch
und beginnt zu schreiben. Plötzlich wirft er die Feder
weg.)


RODOLFO
Ich bin nicht aufgelegt.
(Es klopft leise an die Tür.)
Wer klopft?

MIMÌ
(draußen)
Verzeihung.

RODOLFO
Eine Dame!

MIMÌ
Ich bitte ... mir erlosch
die Kerze ...

RODOLFO
(die Tür öffnend)
Bitte!

MIMÌ
(erscheint auf der Schwelle und hält einen Leuchter
und einen Schlüssel in der Hand)

Seien Sie so gut ...

RODOLFO
Setzen Sie sich doch bitte.

MIMÌ
's ist nicht nötig ...

RODOLFO
Ich bitte, treten Sie ein.
(Mimì tritt ein, bekommt aber sogleich einen Erstickungsanfall.)
Ist Ihnen schlecht?

MIMÌ
Nein, 's ist nichts!

RODOLFO
Diese Blässe!

MIMÌ
O, der Atem - diese Treppen ...
(Sie fällt in Ohnmacht; Rodolfo fängt sie auf und setzt
sie sanft auf einen Stuhl. Leuchter und Schlüssel
entfallen ihr.)


RODOLFO
Und was soll ich nun machen?
(Er holt Wasser und spritzt es Mimì ins Gesicht.)
So!
Wie leidend sind die Züge!
(Mimì kommt zu sich.)
Ist Ihnen besser?

MIMÌ
Ja!

RODOLFO
Hier ist's kalt im Zimmer.
Geh'n Sie zum Ofen.
(Er hilft ihr in einen Sessel am Ofen.)
Ein Einfall! Ein bißchen Wein hilft ...

MIMÌ
Danke!

RODOLFO
So, hier.

MIMÌ
Nicht so viel, Herr!

RODOLFO
Bitte.

MIMÌ
Danke.

RODOLFO
(Welch liebliches Mädchen!)

MIMÌ
(sich erhebend)
Bitte, erlauben Sie mir,
Licht zu nehmen.
Mir ist viel besser!

RODOLFO
Ist's so eilig?

MIMÌ
Ja!
(Rodolfo zündet das Licht an und überreicht es Mimì.)
Danke! Guten Abend!

RODOLFO
Guten Abend!
(Mimì geht zur Tür, kehrt aber noch einmal ins Zimmer zurück.)

MIMÌ
Ach wie dumm, wie vergeßlich!
Den Wohnungsschlüssel
hab' ich vergessen.

RODOLFO
Bleiben Sie nicht auf der Schwelle:
Die Kerze flackert im Zugwind.
(Ihre Kerze verlöscht.)

MIMÌ
Ach Gott, Herr! Sind sie nochmal so gut?
(Rodolfo kommt schnell mit seinem Licht zurTüre, aber
der Wind löscht nun auch dieses aus. Das Zimmer ist
ganz dunkel.)


RODOLFO
O Gott! Mein Licht ist nun auch aus.

MIMÌ
Ach! Und wo ist der Schlüssel?

RODOLFO
Dichtes Dunkel!

MIMÌ
Wie! Ich Pechvogel!

RODOLFO
Wo mag er sein?

MIMÌ
Ich falle Ihnen zur Last ...

RODOLFO
Ganz und gar nicht!

MIMÌ
Ich falle Ihnen zur Last.

RODOLFO
Aber warum, ganz und gar nicht.

MIMÌ
Suchen Sie!

RODOLFO
Ich such'!
(Beide suchen auf dem Boden nach dem Schlüssel.)

MIMÌ
Wo mag er sein?

RODOLFO
Ha!
(Er findet den Schlüssel und steckt ihn ein.)

MIMÌ
Ah, gefunden?

RODOLFO
Nein.

MIMÌ
Ich dachte ...

RODOLFO
Nein, wirklich nicht!

MIMÌ
Suchen Sie?

RODOLFO
Sicher!
(Er stellt sich suchend, trachtet aber nur, ihrer Stimme
folgend, sich Mimì zu nähern. Dann erfaßt er ihre Hand
und hält sie fest.)


MIMÌ
(überrascht)
Ah!
(Sie erheben sich. Rodolfo hält weiter Mimìs Hand in der seinen.)

RODOLFO
Wie eiskalt ist dies Händchen!
Lassen Sie, ich wärme es.
Was nutzt das Suchen?
Zum Finden ist's zu dunkel,
bis erst der Vollmond am Himmel emporsteigt
und überstrahlet der Sterne Gefunkel.
Erlauben Sie, mein Fräulein,
daß ich kurz Bericht Euch gebe,
wer ich wohl bin, was ich treibe,
und wie ich hier lebe!
Erlauben Sie's?
(Mimì schweigt.)
Wer ich bin? So hören Sie.
Bin nur ein Dichter.
Und was ich tue? Schreiben!
Und wie ich lebe? Nun, ich lebe!
In diesen armen Räumen
streu' ich als Krösus Verse
und manch' Liedchen umher.
Und leb' in gold'nen Träumen
und bau' mir Luftschlösser,

fühl' mich im Geist als Millionär,
aus meiner Truhe stehlen
oft die schönsten Juwelen
ein Diebespaar: zwei Äuglein!
Mit Ihnen sind diese Diebe
wieder hereingekommen,
haben alle Gedanken
plötzlich mir weggenommen!
Doch bin ich drob nicht böse.
Denn oh! Hoffnung ist in die Seele mir eingezogen ...
So, mich kennen
Sie jetzt. Sagen Sie
mir nun, wie darf ich Sie nennen?

MIMÌ
Gut.
Man nennt mich jetzt Mimì,
einst hieß ich Lucia.
Mein Los ist bald geschildert:
Auf Leinwand stick' ich
zu Hause oder auswärts!
Still und heitern Wesens,
beglückt darf Rosen und Lilien ich sticken,
dann wird die Arbeit Entzücken,
wecket wonnige Triebe,
erzählt mir hold von Lenz und Liebe!
So wieg' ich mich in Träumen und Schimären.
Poesie nennt man's.
Schwärmen in den Sphären.
Sie verstehen mich?

RODOLFO
Ja.

MIMÌ
Man nennt mich jetzt nur Mimì,
weiß nicht warum!
Fleißig bin ich
und koche selbst mein Essen.
Und fehlt die Zeit zur Kirche,
bet' ich doch fromm zum Herrn.
Leb' allein, ganz einsam.
Dort von dem kleinen weißen Stübchen
seh' Welt und Dächer ich, tief im Schnee;
taut ihn des Lenzes Sonne:
Ich seh' zuerst ihre Strahlen.
Mein ist des Frühlings reinste Wonne
und mein sein Kuß, der löst des Winters Qualen ...
Und wächst mir am Fenster die Rose,
möcht die Knospen ich hüten.
Nichts ist so süß wie der Duft der Blüten ...
Ach, Blumen, nur gestickt,
sind ohne Duft,
der dort die Rose schmückt.
Nichts andres wüßt ich mehr von mir zu sagen.
Verzeih'n Sie mir, daß als Nachbarin
Sie zu stören ich mocht' wagen ...

SCHAUNARD
(vom Hof herauf)
He, Rodolfo!

COLLINE
Rodolfo!

MARCELLO
Holla! Wo bleibst du?
Du Schnecke!

COLLINE
Du Reimeschmied!

SCHAUNARD
Du verwünschter Faulpelz!
(Rodolfo, ungeduldig, begibt sich zum Fenster, um zu
antworten. Bei geöffnetem Fenster fällt das Mondlicht
ins Zimmer.)


RODOLFO
Nur vier Zeilen. Bin gleich fertig!

MIMÌ
Wer ist da?

RODOLFO
Bekannte.

SCHAUNARD
Wart! Du lernst uns kennen!

MARCELLO
Was machst du da allein?

RODOLFO
Bin nicht allein. Wir sind zu zweit!
Zu Momus geht voraus; belegt 'nen Tisch.
Wir folgen augenblicklich.

MARCELLO, SCHAUNARD und COLLINE
Momus, Momus.
Leis' ziehn wir fort,
Momus, Momus, Momus!

Er fand die Poesie!
(Als Rodolfo sich umwendet, gewahrt er Mimì, die im
Mondlicht wie leuchtend dasteht, und ist entzückt von dem Anblick.)


RODOLFO
O du süßestes Mädchen, mild ist dein Antlitz,
umflossen von des Mondes Licht.
In dir erblick' ich, zur Wirklichkeit geworden,
mein schönstes Gedicht.

MIMÌ
(Ach, das tat der Liebe Macht ...)

RODOLFO
Durch die Seele ziehen leis'
Wonnen, die mir nie erklungen!

MIMÌ
(Ach, das tat der Liebe Macht ...)

RODOLFO
Durch die Seele ziehen leis'
Wonnen, die nie mir erklungen, usw.
O laß die Lippen dein mich leis' berühren.

MIMÌ
(O wie sein schmeichelnd Liebeswort
dringt in die Seele ein,
das tat der Liebe Macht.)
(Rodolfo küßt sie.)
Ach, bitte, nein!

RODOLFO
Sei mein!

MIMÌ
Dort warten die Freunde ...

RODOLFO
Wie, du schickst mich fort?

MIMÌ
Ich möchte - nein, ich wag's nicht.

RODOLFO
Sprich!

MIMÌ
Wenn ich nun mit Ihnen käm'?

RODOLFO
Du? Mimì!
Es wäre doch schön hier.
Die Nacht ist so kalt.

MIMÌ
Ich bleibe bei Ihnen!

RODOLFO
Und wenn wir zurück sind?

MIMÌ
Ach, dräng' nicht!

RODOLFO
Reich mir den Arm, liebes Kind.

MIMÌ
Ich gehorche, mein Herr!

RODOLFO
Sag, liebst du mich ... ?

MIMÌ
Ich liebe dich!

RODOLFO und MIMÌ
(im Abgehen)
Ich lieb' nur dich allein!

 
Contents: Personen; Erster Akt; Zweiter Akt; Dritter Akt; Vierter Akt

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