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Manon Lescaut” by Giacomo Puccini libretto (German)

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Contents: Personen; Erster Akt; Zweiter Akt; Dritter Akt
ZWEITER AKT

IN PARIS

Ein eleganter Salon in Gerontes Haus
(Im Hintergrunde zwei Türen.. Rechts verhüllen reiche
Vorhänge den Eingang zu einem Alkoven. Links nahe
dem Fenster ein luxuriöser Toilettentisch. Manon sitzt
vor dem Toilettentisch, bedeckt mit einem weißen
Pudermantel. Der Friseur ist eifrig um sie beschäftigt.
Zwei Knaben stehen, um seine Befehle sofort
auszuführen.)


MANON (sich im Spiegel betrachtend)
Du trotzig’ Haar, was soll dein Sträuben!
(zum Friseur)
Schnell, nehmt das Eisen, brennet! Rasch doch!
(Der Friseur springt hastig hin und her, brennt die Locke
mit dem Eisen.)
Hier ist die Flüchtige’
Ein wenig trennt die Brauen...
Reicht Bleichweiß... Die Creme...
(zufrieden)
Die Blicke schießen scharf wie Pfeile.
Hierher die Narzisse!

LESCAUT (durch die hintere Tür eintretend)
Ich grüß dich, kleine Schwester!

MANON (zum Friseur)
Die Schminke und Pomade!

LESCAUT
Bist diesen Morgen, scheint es, übler Laune!

MANON
Übler Laune? Wieso?

LESCAUT
Nicht? Um so besser!
Geronte ging schon?
Welche Hast, zu verlassen dein Gemach!

MANON (zum Friseur)
Nun Schönheitspflaster!
(Der Friseur bringt die Schachtel; Manon stöbert darin
herum und ist unschlüssig.)

LESCAUT
Dies wirket keck! ausgefeimt ist das!...
Nicht?... Dies verführet!

MANON
Weiß nicht recht...
so sei’s!... hier die zwei!
Am Aug’ den Dolch der Kälte, am Munde das
Schmachten nach Küssen!
(Der Friseur legt die beiden Pflästerchen auf, dann
nimmt er Manon stolz den Pudermantel ab. Sie ist nun
reich gekleidet, frisiert und geschmückt. Er verbeugt sich
elegant vor Manon und geht mit seinen Gehilfen ab.)

LESCAUT (Manon betrachtend)
Ah, welch prächtiger Anblick!
Wie bist du schön glänzend!
Es ist mein Stolz,
ich rettet’ dich von
des Studenten armer Liebe!
Als damals von Amiens mit Des Grieux du flohest,
sank nie mein Mut, noch ward mein Hoffen trübe!
Da ahnt’ ich dein Geschick,
sah voraus den Glanz,
der in diesen Sälen schimmernd dich umgibt.
Wie fand ich dich darbend!
In einer engen Hütte warst du
von ihm geborgen,
zahllos gab’s dort Küsse, doch mehr noch Sorgen.
Wohl war’s ein braver Junge, der Des Grieux.
Jedoch ein Steuerpächter war er nicht, Parbleu!
Darum natürlich schien’s, daß du des Mangels müde
annahmst die gold’ne Pracht hier und flohst der
Armut Friede.

MANON
Doch sag’ mir...

LESCAUT
Sprich, was willst du?...

MANON
Nicht doch!

LESCAUT
Gar nichts? Ist’s wahr?

MANON
Ich wollte dich nur fragen.

LESCAUT
Ich geb’ Bescheid!

MANON
Du gibst Bescheid?

LESCAUT
Verstehe!
Deine Augen verraten deinen Wunsch mir:
Wenn Geronte dein Sinnen wüßte!...

MANON
Ganz recht! Geraten!

LESCAUT
Du möchtest Nachricht von... ihm?

MANON
Ach ja, ach ja! Hab’ ihn verlassen ganz
ohne Gruß und Kuß! Ach!
(sich in dem hocheleganten Salon umsehend)
Ach, in den kalten Spitzen
hier herrscht nur Pracht,
ödes Schweigen; o mich schaudert,
ich erfriere;
will kein Herz sich zärtlich zu mir neigen!
Einst kannt’ ich andre Wonnen,
von seel’ger Liebe war die Seele trunken,
die heißen Lippen suchten seine Küsse,
die Erde schien uns versunken!
Du meine stille Hütte,
dich seh’ im Geist ich wieder, weiß schimmernd,
traulich, zart umblüht von Flieder. In dem engsten
Raum genoß ich von Glück den Traum!
LESCAUT
Nun wohl, ich will gestehen...
Des Grieux, genau wie Geronte,
ist eng befreundet mit mir.
Er hört nicht auf zu quälen:
Ist Manon hier?
Ist sie geflohn? Wohin? Mit wem?
Wohin? Nach Nord? Nach Ost, nach West?
Und ich täusche ihn!
Nunmehr ist er gefaßter.

MANON
Wie, er vergaß mich?

LESCAUT
Nein! nein!... Er hegt den Wahn, daß er mit Gold einst
fänd einen Pfad, der hin zu dir ihn führt.
Im Spiel möcht’ er fiebernd mehren sein Vermögen;
er denkt, die Karte siegt, die er berührt!

MANON (für sich)
Kämpfst um mich,
die verlassen dich hat
so schmählich, die dir so viel Schmerz bereitet!
Kehr wieder! Bring die Vergangenheit mir zurück!
Selige Stunden, kehrt wieder, wo mich küßt’ sein Mund.
Ah! In seinen Armen,
an seinem Odem
trink’ ich in Wonne mich ewig gesund!
O sieh, wie ich schön bin. Komm! Komm!
Ah! Ah! Geliebter, nimm aufs neu mich hin!

LESCAUT
Ganz unter uns: Ich weiß als alter Spieler,
die allgemeine Kasse wird in seine bald fließen!

Von mir wohl unterrichtet, wird er alle noch rupfen.
Doch in der atemlosen Pein des Kampfes,
in Qualen Tag und Nacht, ruht dann erst sein
Wahnsinn, wenn er dein gedacht.
Bei jedem Spielschluß, wie im Traum, fragt er nach
Manon, seufzt, ringt die Hände, fragt, wo du seist!
Dann setzt er aufs neu und er gewinnt am Ende!
(Manon versinkt in Nachdenken; plötzlich fallen ihre
Blicke auf den Spiegel.)


MANON
Ist’s wahr, daß dieser Anzug
zum Bewundern mir steht?

LESCAUT
Wie angegossen!

MANON
Und das Haar?

LESCAUT
Ausgezeichnet!

MANON
Die Büste?

LESCAUT
Prächtig!
(Einige gepuderte Musikanten treten ein und
verbeugen sich vor Manon. Dann gruppieren sie sich
mit ihren Notenblättern auf einer Seite.)
(leise, zu Manon)
Welch sonderbares Volk!
Wie es scheint, Scharlatane?

MANON
Nein, Musiker! Denn Geronte macht gerne
Madrigale!

SOLIST
Auf des Berges Höhen wandelst du,
o Chloe,
Blumen sind deine Lippen,
Brunnen deine Augen.

CHOR
O weh! O weh! Zu Füßen liegt Filer.

SOLIST
Golden weht dein Haar im Winde,
wie ein Wunder zu schau’n!
Es gleicht die nackte Brust
Lilien im Morgentau’!

CHOR
Chloe bist du, Manon,
und in Filen verwandelt sich Geronte!
Filen bläst die Schalmei
und seine Melodie flehet sanft: hab doch Mitleid!
Das Echo flüstert: Ja, Mitleid! es flüstert: Hab Mitleid!
Armer Filen: Chloe kennet kein Herz!
Sieh!... jetzt naht ihr Filen!
Doch... Zärtlich tönet Chloes Antwort auf der Schalmei:
Die Töne, fürwahr, sie flüstern nicht „nein!“

MANON (gelangweilt, gibt Lescaut eine Börse)
Zahl’ ihren Lohn!

LESCAUT (steckt die Börse ein)
Nicht doch! Die Kunst beleid’gen?

(zu den Musikern)
Seid mir entlassen im Namen wahren Ruhmes!
(Die Musiker verbeugen sich und gehen hinaus. Durch
die andere Türe sieht man einige Freunde des Geronte,
ältere Herren, eintreten.)

MANON (zu Lescaut)
Ja, Madrigale!... Die Tanzkunst... und dann Musik!
‘s sind alles schöne Sachen... Doch mich langweilt’s!...
(Die Quartettspieler treten ein, sammeln sich links im
Hintergrunde und stimmen ihre Instrumente. Manon
erhebt sich und geht nach hinten, Geronte entgegen,
welcher plaudernd mit dem Ballettmeister kommt, um
Manons Menuett-Unterricht zu verfolgen.)


LESCAUT (für sich)
Ein junges Weib. das so blasiert ist,
könnt’ man fast fürchten...
Und nun zu Des Grieux!
Er selber muß das ganze vorher ordnen!...
(Er geht unbemerkt ab. Ein Diener führt Gerontes
Freunde ein, die sich zu Manon beeilen.)

TANZMEISTER
(nähert sich Manon und reicht ihr die Hand)
Ich bitte, gnädiges Fräulein...
die Brust noch mehr erhoben... recht so... sehr gut,
nun darf ich Euch loben... Mit Eurem ganzen
Selbstbewußtsein schreitet vorwärts!
setzt ein!
Inständig bitt’ ich, im Takt bleibt!

GERONTE
Anbetungswürd’ge Tänzerin!

MANON
Noch etwas linkisch.

TANZMEISTER
Ich warn’ Euch: hört solch’ Schmeicheln
nur an mit großer Ungunst...
Ein ernstes Ding ist die Tanzkunst!

HERREN und ABBÉS (leise, zu Geronte)
Lernt weise schweigen, Freund,
macht darin es genau wie wir.
In der Stille nur huldigt, seid von Manon entzückt Ihr.
Ernst ist die Tanzkunst...

TANZMEISTER (zu Manon)
Jetzt wenden!... Gut so!
Zur Rechten!... Nun Verbeugung!
Gebt acht jetzt! Die Lorgnette!

GERONTE
Das Menuett ist vollkommen!

HERREN und ABBÉS
Welcher Liebreiz in den Blicken,
welche Schönheit
zum Entzücken.
Sternen gleichen ihre Augen.
Von den Lippen süß wie Honig
möcht’ ich ewig Küsse saugen!

GERONTE
Welche Schönheit!
Worte können sie nicht schildern.
Ah, sie gleicht hehren Götterbildern!

MANON
Gold’nes Lob rauscht durch die Lüfte,
rings um mich hör’ ich sie flüstern.
Alle spenden Lobeshymnen, sind nach meiner
Schönheit lüstern!... Ah!
Gold’nes Lob rauscht durch die Lüfte,
ringsum höre ich sie flüstern.

GERONTE
Glühend ist mein Herz entzündet!

MANON
Alle spenden Lobeshymnen, sind nach meiner
Schönheit lüstern!

GERONTE
Glühend ist mein Herz entzündet...
daß die Ruh’ muß delirieren!

HERREN und ABBÉS
Manon ist des Lichtes Göttin!
Und die Königin der Nächte!
(Der Tanzmeister macht Zeichen der Ungeduld.)

MANON
Mein guter Meister... er will nicht viele Worte.
Wenn Ihr so schmeichelt, dann werd’ ich nie
die vollkomm’ne Göttin, die Ihr jetzt in mir seht,
nur vermöge Eurer glühenden Phantasie.
Darum Maß im Lob, werte Herren!

TANZMEISTER
Wo bleibt der Herr?

GERONTE (Herbeieilend)
Schon da...

HERREN und ABBÉS
Trefflich! Welch ein Paar ist’s!
Lang soll der Frohsinn der Verliebten blühen!
Seht: Gott Merkur und Venus! Ganz wie Reichtum und
Liebe! Oh! daß dies Liebesglück Euch, ganz wie
Reichtum und Liebe, oh, daß dieses Liebesglück Euch
ewig verbunden doch bliebe!

MANON
Hörst du die Stunde. Tyrso, locken...
die still verschwiegen beut uns Wonne?
Deine treue Schäferin seufzt zu dir nur hin.
Ach!... am Himmel stirbt die Sonne!
Plötzlich nahst du, dem Blitze gleichend,
machest hell. was bang und trübe!
Heiter lacht nun die Welt, die uns umfangen hält,
und dieses Wunder tat die Liebe!

HERREN und ABBÉS
Ein Wunder seid, Manon, Ihr selbst;
Ihr selber seid die Liebe. Ihr seid das Glück!

GERONTE (mischt sich ein)
Die Galanterie in Ehren, doch,
Ihr Herren, es ist spät schon!
Die Menge wogt bereits durch das Tor ins Freie!

HERREN und ABBÉS
Die Zeit verflog uns!

GERONTE
Ich weiß das aus Erfahrung.

(zu Manon)
Meines Lebens holder Lichtstrahl,
mit uns zu gehn, war Euer Versprechen.
Wir schreiten ein wenig voran Euch...

MANON
Nur einen Augenblick bedarf ich!
Auf mich zu warten ist leicht Euch
in der schönen Welt.

HERREN und ABBÉS
Schwer ist’s, Euch zu entbehren...

GERONTE
Für unsrer Seele Seufzen
laßt die Strafe nicht lang sein.
(Alle gehen. Man verbeugt sich, die Herren küssen
Manon die Hand. Auch der Tanzmeister und die
Musiker gehen.)
Ich werde die Sänfte bestellen.
Leb wohl meine holde Göttin!
(geht ab)

MANON
(läuft zum Tisch, nimmt einen Handspiegel und
betrachtet sich selbstgefällig)
Ah, ich bin doch die Schönste...
(Sie nimmt ihren Mantel. Als sie jemanden kommen
hört, denkt sie, es sei ein Diener.)
Ist die Sänfte gekommen?
(Des Grieux erscheint in der Tür, ganz blaß. Manon
stürzt ihm tief bewegt entgegen.)
Du! Du, Geliebter? Du?
Ah, meine höchste Liebe! Götter!

DES GRIEUX (vorwurfsvoll)
Manon, ach!

MANON
Nein, du liebst mich nimmermehr!
Und liebtest einst mich doch so sehr!
Wie mußt’ ich missen dein heißes Küssen!
Und eine Zeit nahte dann,
da fürchtet’ ich deine Rache.
O sieh mich finster nicht an:
Nie hat deiner Augen Stern
in früh’rer Zeit das getan!

DES GRIEUX
Ja, du Verworf’ne. fürcht’ meine Rache...

MANON
Ah! Ich bin schuldig, ich weiß es!

DES GRIEUX
Ah, du Verworf’ne, fürcht’ meine Rache...

MANON
Ah, ich büße! Du liebst mich nimmer –
nun verschwand mir der Hoffnung Schimmer!
Was war ich einst dir... Nun ist’s vorbei!
Trotz bitt’rer Reu’!

DES GRIEUX
Schweig, Verräterin, du brachst mein Herz, da du mich
verlassen!
Nein, du ahnst nicht die Leiden,
die sanken auf mich nieder, als du heimlich gefloh’n.

MANON
Doch jetzt sollst du verzeihn;
der Reichtum ist ganz mein.

DES GRIEUX
Schweige!

MANON
Gleicht dieses Haus nicht einem Feenschloß,
mit Gold geschmückt echt königlich,
und alles nur für dich!

DES GRIEUX
Geh, laß mich!

MANON
Stets mußt’ ich träumen von einer lichten Zukunft...
daß Liebe dich zurückführt...
Ich verriet dich einst,
(niederkniend)
jetzt zu Füßen dir
erfleh’ ich Mitleid...
Ach, nimm die Verräterin neu in Liebe hin!
Ah! Laß um Gnade mich flehen.
Nein, verweigere es nicht!
Bin ich denn weniger Manon heut’ als einst,
schwand meine Schönheit?

DES GRIEUX
O du Versucherin! O du Versucherin!
Der alte Zauber fesselt mich. Ich erliege.

MANON
Der Zauber ist’s der Liebe, folg’ ihm, sei wieder mein!

DES GRIEUX
Wer vermöchte noch zu kämpfen! Ja, ich bin dein!

MANON
Nimm an dein Herz mich... O komm!
O komm, in deinen Arm
nimm selig Manon; sie liebt dich...

DES GRIEUX
Im Kampfe besiegt, o du Versucherin!...

MANON
Presse ans Herz, die ganz allein
nach dir sich gesehnt hat, komm, sei mein!

DES GRIEUX
Im Kampfe besiegt!

MANON
Sieh ich bin dein!

DES GRIEUX
Ich fühl’ wie so schwach ich bin! Ich liebe dich!

MANON
O komm!

DES GRIEUX
... Ich liebe dich!

MANON
O komm!
Die ganz allein nach dir sich gesehnt hat.

DES GRIEUX
Im Kampfe besiegt!
Ich fühl’, wie so schwach ich bin! Ich liebe dich!

MANON
Komm!
Fest umschlinge dein Arm mich; Manon fleht heiß:
Erbarmen!

DES GRIEUX
In deiner Augen Tiefe
seh’ ich mein künftig’ Geschick;
was auch die Erde beut:
dein Kuß nur gibt mir das Glück!

MANON
Ah, Manon ersehnt deine Gunst allein.
Schnell laß an deinem Busen
innig mich ruhen und selig, selig sein!
Trunkene Küsse
drücke auf meinen Mund,
mache in Wonnen mich gesund!
O kehre mir zurück, du allein bist mein Glück, usw.
Sind meine Lippen ein Altar,
bring’ Opfer nun dar!

DES GRIEUX
Wie deine Küsse unermeßlich sind,
sei deine Liebe zu mir. O Kind!
Mein Herz ist neu berauscht.
Wie deine Küsse unermeßlich sind., usw.
In deiner Arme Seligkeit vergeß’ ich mein Leid!
Mein Herz unterliegt!

MANON
Welch ein seligster Gruß!

DES GRIEUX
Laß mich sterben Geliebter!

MANON
Gib deinen Mund zum Kuß!

MANON und DES GRIEUX
Wonneberauschte Stunde!...
(Geronte tritt plötzlich durch die Tür im Hintergrunde
ein und bleibt wie erstarrt stehen.)

MANON
Ah!

GERONTE
Verzeiht, mein holdes Fräulein,
jetzt weiß ich doch, warum wir so gewartet!
Ich kam zur Unzeit;
ein ungewollter Zufall,
doch wer irrt nicht hienieden?
(zu Des Grieux)
Ihr auch vergaßet, glaub’ ich, daß zum Beispiel
Ihr weilt in einem fremden Hause!

DES GRIEUX
Herr, hört mich...

MANON (zu Des Grieux)
Schweig du!

GERONTE
Danke den Göttern, wenn heute blühet für dich ein
Glückstag!
(zu Manon)
Euch zog’ ich ins Haus hier...
weil ich Euch wahrhaft liebte,
wovon ich die Proben zahllos Euch gegeben!

MANON
(sieht Geronte boshaft an, geht zum Tisch, von dem sie
einen kleinen Handspiegel nimmt.)
Liebe? Liebe!
Was wißt Ihr von der, mein Guter?
Hierher... Betrachtet Euch im Spiegel nur!
Stets, wenn ich irrt’, gesteh’ ich’s treu!
Und nun seht auf uns beide!

GERONTE
Ich bin verbunden Euch, edles Fräulein...
Ich kenne meine Pflichten...
schnell gilt’s zu scheiden hier...
O Ihr glücklicher Erbe, o leicht beschwingte Schönheit!
Wir sehn uns wieder...
und schon bald!
(Er stürmt hinaus.)

MANON (lachend)
Frei bin ich! Frei wie der Vogel dort oben!
Habt Dank, mein Herr, du meine Liebe!

DES GRIEUX
Hör jetzt! Wir müssen eilen: Nur einen Augenblick
gewähr’ uns des unverschämten Alten
Dach noch Schutz, dann fort!

MANON
Wie schade!
All die herrlichen Schätze
und der üppige Reichtum!
O weh! Ich soll’s verlassen!

DES GRIEUX
Ah! Manon!
Schändlich! Dich verrät dieser schlimme Gedanke!
Immer dieselbe, immer die Gleiche!
Zittern vor dem Ernste,
stets zwischen heißen Wünschen schwanken!
Gütig, voll Großmut,
wie deine Lieb’ ohne Maßen,
stets heftig von Begierden kannst du den Tand nicht
lassen...
Plötzlich, auf einmal, mutlos
und verzagend empfindest du die Schwere des Lebens!
Ich? Ich bin dein Sklave und dein Opfer, tief
gesunken...
Abwärts ging meine Laufbahn,
hab’ aus dem Schlamm getrunken...
Hab’ als ein rechter Held mich wüst
verkauft an ein Spielhaus!
Diese Schmach bringt, Ärmste, mich dir nah...
In dem Dunkel der Zukunft, sprich,
was soll werden aus mir?...

MANON
Mir, ach verzeihe, will treu und gut verbleiben,
ich schwör’ dir’s!
(Lescaut tritt schwer atmend ein; Manon und Des
Grieux gehen zu ihm.)

DES GRIEUX
Lescaut!

MANON
Bist du’s?
(Lescaut wirft sich keuchend in einen Sessel.)

DES GRIEUX, dann MANON
Was gibt’s denn? Sprich!
(Lescaut deutet durch Zeichen an, daß etwas
Schreckliches vorgefallen ist.)

MANON und DES GRIEUX
O Gott, wir zittern...
Was ist geschehen?

LESCAUT
Erst laßt mich atmen...

MANON und DES GRIEUX
Du machst uns beben...

LESCAUT
... dann rede ich.

MANON und DES GRIEUX
Was ist geschehen?

LESCAUT
Man zeigte euch an!

MANON
Wer?

DES GRIEUX
Der Alte?

LESCAUT
Ja!

MANON
O Himmel!

LESCAUT
Die Wache naht mit Militär!...

MANON
Der Schlag!

DES GRIEUX
Mein Gott!

LESCAUT
Den Kopf bewahrt, die Treppe dort schnell hinab im
Fluge!...

MANON
Ach Gott!

LESCAUT
Von einem Grenadiere im Quartier
hab’ ich alles erfahren...
Auf die Treppe hurtig, macht den Beinen Flügel,
rings nahen Häscher, zu fangen euch...
Darauf Brief und Siegel!...

DES GRIEUX
Schlau verraten hat uns der verfluchte Alte!

MANON
Was soll das werden!
Auf, auf, davon!

DES GRIEUX
Ja! Nimm dich in acht!

LESCAUT
Ah, ihr vergeßt, Ihr müßt sie verlieren,
wißt, daß man fort sie will führen.
Ihr Los steht jetzt auf dem Spiel: das Exil!

MANON
O Gott! der Tod!

LESCAUT
Hurtig, beeilt euch. zögert nicht länger!
Noch zwei Minuten, seid ihr verloren!
Schon von dem Stadthaus nahen sie, usw.,
Sicher vor Ärger wird der feige Alte sterben...
Kommt man und findet das Nest schon leer
und vermißt die neue Adresse!...

MANON
Ah, doch, ich eile...
(zu Lescaut)
Nur ein Weilchen! Sieh diesen blitzenden Smaragd
hier!
(zu Des Grieux)
Sogleich... Nur ja doch;
ganz schnell. Doch mir beistehn mußt du!

DES GRIEUX
Nimm dich in acht, alter Narr!

(zu Manon)
Auf, auf, laß uns gehn...
Zu was?

MANON
Manon!

MANON
Wickle sie ein...

LESCAUT
Jetzt fort!... Manon. schnell auf den Weg!

DES GRIEUX
Nun komm!

MANON
Sogleich! Doch erst mir helfen...

DES GRIEUX
O komm!

MANON
... gut zu verpacken diese Dinger!
Leere noch schnell hier diese Kassette!
Ach, diesen Reichtum den ich so liebte,
muß ich nun lassen als schmerzlich Betrübte!

DES GRIEUX
Auf, laß uns gehn! Komm, Manon!
Auf, laß uns gehn!
Jetzt gilt es Manon, tapfer zu scheiden...
Zögern wir noch, fängt man uns doch...
Schande drohet dir und Leiden!

LESCAUT
Schade füwahr, die prächtige Truhe!
Jetzt durch den Garten laßt uns entweichen..
in seinem Schatten vorsichtig schleichen;
aus ist das Bangen, sind wir erst unten:
Wer will uns fangen!

MANON
(ergreift weitere Juwelen und steckt sie in ihren
Mantel.)
Es wäre Torheit, zu lassen dieses Gold,
dem ich, ach, so hold!

DES GRIEUX
Nur dein Herz, o Manon, greife ohne Reu; ich mag
dein gleißend Gold nicht, denk’ an Liebe nur und Treu!

LESCAUT (läuft zum Fenster.)
Verfluchter Streich!
Sehet nur, sie umzingeln das Haus schon!

DES GRIEUX
Manon!

MANON
Des Grieux!
Hierher? Nach dort? Wohin entfliehen?
Nach dort!

DES GRIEUX
Auf, auf! Nein, nein!
Nach dort! Schnell, schnell!

LESCAUT
Der Alte führet sie an, kommandieret,
sie marschieren schon...

MANON
O Gott!

DES GRIEUX
Nun komm!

LESCAUT
Die Schützen verteilen sich!...
(Manon und Des Grieux, auf dem Höhepunkt ihrer
Verwirrung, sind ratlos, wohin sie fliehen sollen.
Lescaut läuft zur Türe. Er verschließt die Tür.)
Jetzt sind sie drin,
auf der Treppe schon!

DES GRIEUX
Sprich, ist hier nicht ein Ausgang?

MANON
Ja!... durch jenen Erker!

LESCAUT
(drängt Manon und Des Grieux in den Erker und folgt
ihnen.)
Vorwärts, sie steigen herauf schon, sie fangen euch!

MANON (schreit von innen)
Ah! Ah!

(Manon kommt wieder aus dem Erker heraus, mit
Lescaut und Des Grieux fliehend über die Szene
laufend. Aus dem Vorhang des Erkers tritt ein Sergeant
mit zwei Soldaten. Im selben Moment wird die hintere
Tür eingeschlagen, und mit all seiner Eitelkeit zeigt sich
Geronte mit einigen Soldaten.)


SERGEANT
Es rühr’ sich keiner!
(Geronte lächelt Manon boshaft zu, welche im Schreck
den Mantel mit dem Schmuck fallen läßt, der am
Boden umherrollt.)

LESCAUT
(entwaffnet Des Grieux, der den Degen gezogen hat)
Herr, wenn man Euch arretiert,
wer errettet Manon dann?
(Auf ein Zeichen Gerontes verhaftet der Sergeant
Manon, die von zwei Soldaten abgeführt wird.)

DES GRIEUX
(verzweifelt, möchte Manon nachstürzen, wird aber
von Lescaut zurückgehalten)
Manon. ach! Meine Manon!

INTERMEZZO

DIE GEFANGENSCHAFT – DIE REISE NACH LE HAVRE
Des Grieux: „... Tatsache ist, daß ich sie liebe! Meine
Leidenschaft ist so gewaltig, daß ich mich selbst als das
armseligste Wesen unter den Lebenden betrachte. –
Was unternahm ich nicht in Paris, um ihre Freilassung
zu erlangen!... Ich erbat Hilfe von den Mächtigen!... Ich
pochte und flehte an jeder Türe!... Selbst an Gewalt
dachte ich!... Alles ohne Erfolg. – Nur ein einziger Weg
bleibt: ihr zu folgen! Und ich werde ihr folgen! Wohin
sie immer gehen mag!... Sei es das Ende der Welt!...“
(Die Geschichte von Manon Lescaut und dem Chevalier
Des Grieux
von dem Abbé Prévost.)

 
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