DM's opera site
libretti & information
Composers Operas Side-by-side libretti paperback Links About
Other “Otello” libretti [show]
Italian
English
German
French
Line-by-line [show]
Italian
English
French

Otello” by Giuseppe Verdi libretto (German)

 Print-frendly
Contents: Personen; Erster Akt; Zweiter Akt; Dritter Akt; Vierter Akt
DRITTER AKT

Der große Saal der Festung. Rechts ein breiter
Säulengang, der mit einem kleinen Saal verbunden ist.
Im Hintergrund eine Terrasse.


HEROLD
(aus dem Säulengang zu Othello, der sich mit Jago im Saal aufhält)
Die Hafenwache meldet
das Schiff aus Venedig,
das die Gesandten nach Zypern bringt.

OTHELLO
Es ist gut.
(Gibt dem Herold einen Wink, sich zu entfernen; der Herold ab.)
(zu Jago)
Sprich weiter.

JAGO
Ich bring Cassio hierher, und mit schlauen
Fragen verleit ich ihn zum Schwatzen.
(Zeigt auf eine Mische in der Terrasse.)
Ihr verbergt Euch dort,
ergründet sein Verhalten,
seine Worte, Mienen und Gesten.

Seid geduldig, sonst entgeht Euch der Beweis.
Da kommt Desdemona. Ihr müsst Euch verstellen
ich gehe.
(wendet sich zum Gehen, macht dann kehrt und geht zu
Othello zurück, um ihm ein letztes Wort zu sagen)

Das Taschentuch...

OTHELLO
Geh! Wie gerne hätte ich es vergessen.
(Jago ab. Desdemona tritt durch die linke Tür auf.)

DESDEMONA (noch auf der Schwelle)
Gott geb dir Freude, mein Gatte,
Gebieter meiner Seele!

OTHELLO
(geht Desdemona entgegen und nimmt sie bei der Hand)
Dank, Madonna –
reicht mir Eure elfenbeinerne Hand.
Ein warmer Tau benetzt
ihre sanfte Schönheit.

DESDEMONA
Sie trägt noch nicht die Spuren
des Grams und des Alters.

OTHELLO
Und doch wohnt in ihr
der feine Dämon der Versuchung,
der sich im schönen Elfenbein
dieser kleinen Hand verbirgt.
Geschmeidig schickt er sich
zum Beten und zum frommen Eifer...

DESDEMONA
Und doch hab ich mit dieser Hand
Euch mein Herz geschenkt.
Aber wir müssen nochmals über Cassio sprechen.

OTHELLO
Schon wieder befällt mich meine Schwäche.
Bind mir die Stirn.

DESDEMONA (zieht ein Taschentuch hervor)
Nimm.

OTHELLO
Nein! Ich will das Taschentuch,
das ich dir schenkte.

DESDEMONA
Ich hab’s nicht bei mir.

OTHELLO
Desdemona, wehe, wenn du es verlierst! Wehe!
Eine mächtige Zauberin wob
dies wundersame Gespinst:
In ihm wohnt der starke Zauber
eines Talismans.
Hüte dich! Es zu verlieren
oder zu verschenken bringt Unheil!

DESDEMONA
Sprichst du die Wahrheit?

OTHELLO
Ich sprech die Wahrheit.

DESDEMONA
Du machst mir Angst!

OTHELLO
Wie, hast du es verloren?

DESDEMONA
Nein!

OTHELLO
Hol es her!

DESDEMONA
Später hol’ ich es.

OTHELLO
Nein, sogleich!

DESDEMONA
Du machst dir einen Scherz mit mir.
So lenkst du von Cassios Sache ab;
das ist ein Kunstgriff deiner List.

OTHELLO
Beim Himmel, in meiner Seele tagt es!
Das Taschentuch –

DESDEMONA
Cassio ist dein teurer Freund.

OTHELLO
Das Taschentuch!

DESDEMONA
Du musst Cassio verzeihen...

OTHELLO
Das Taschentuch!

DESDEMONA
Großer Gott! In deiner, Stimme
vernehm ich eine Drohung!

OTHELLO
Heb deine Augen!

DESDEMONA
Abscheulicher Gedanke!

OTHELLO
(fasst sie mit Gewalt unterm Kinn und an der Schulter
und zwingt sie, ihn anzusehen)
Schau mir ins Gesicht!
Sag mir, wer du bist!

DESDEMONA
Die treue Gattin Othellos!

OTHELLO
Schwör! Schwör und verdamm dich selbst!

DESDEMONA
Othello hält mich doch für treu?

OTHELLO
Für unkeusch halt ich dich!

DESDEMONA
Gott steh mir bei!

OTHELLO
Stürz dich selbst ins Verderben:
Sag, dass du keusch bist!

DESDEMONA (ihn fest anblickend)
Keusch – ich bin es!

OTHELLO
Schwör und verdamm dich selbst!

DESDEMONA
Starr vor Entsetzen sehe ich
in deine furchtbaren Augen!
Aus dir spricht eine Furie,
ich höre aber begreife nicht.
Sieh mich an! Meinen Blick und meine Seele
enthüll ich dir; mein gebrochenes Herz,
erforsch es! Ich bete zum Himmel
für dich mit diesen Tränen,
für dich mit diesen heißen
Zähren benetz ich den Boden!
Sieh, die ersten Tränen,
die mir der Gram entlockt!
Die ersten Tränen!

OTHELLO
Wenn jetzt dein Dämon dich erblickte,
er hielte dich für einen Engel
und würde dich nicht fassen!

DESDEMONA
Der ewige Gott sieht meine Treue!

OTHELLO
Nein! Die sieht die Hölle!

DESDEMONA
Deine Gerechtigkeit erfleh ich, mein Gemahl!

OTHELLO
Ah, Desdemona, lass mich!
Lass mich! Lass mich!

DESDEMONA
Auch du weinst? Und seufzend
bändigst du die Marter in deinem Herzen?
Und ich bin ohne Schuld die Ursache
für soviel Tränen!
Was ist denn mein Vergehen?

OTHELLO
Du fragst noch?
Das schwärzeste Verbrechen,
auf deiner lilienweißen
Stirn steht es geschrieben!

DESDEMONA
Weh mir!

OTHELLO
Wie? Bist du nicht eine gemeine Dirne?

DESDEMONA
Himmel!

Nein! Nein! Beim heiligen Sakrament
der Taufe!

OTHELLO
Wie?

DESDEMONA
Ah! Ich bin nicht, was dieses
abscheuliche Wort besagt!
(Othellos Stimmung geht von Zorn zu fürchterlicher
Ironie über; er nimmt Desdemona bei der Hand und
geleitet sie zu der Tür, durch die sie eintrat.)


OTHELLO
Reicht mir noch einmal Eure elfenbeinerne Hand:
Ich will Euch Abbitte tun.
Ich hielt Euch für – verzeiht,
wenn mein Gedanke arg ist –
für jene gemeine Dirne,
die Othellos Gattin ist.
(Mit einer Armbewegung, doch ohne die Beherrschung
zu verlieren, nötigt er Desdemona fortzugehen, dann
kehrt er mit dem Ausdruck tiefster Niedergeschlagenheit
in die Mitte der Bühne zurück.)
Gott! Hättest du auf mich gehäuft
alle Qualen des Elends, der Schande,
ließest von meinen stolzen Siegeszeichen
nichts als Trümmer, nichts als Lüge:
Ich hätte es getragen, das grausame Kreuz
der Sorgen und der Schmach,
in geduldiger Demut,
und mich ergeben in den Willen des Himmels!
Doch, o Kummer, o Schmerz!
man raubte mir das Wahnbild,
an dem ich so gern meine Seele erquickte!
Erloschen ist die Sonne,
das Lächeln, das Licht,
das mich belebte, das mich selig machte!
Erloschen ist die Sonne, usw.
Selbst du, Güte,
sanfter, unsterblicher Engel
mit dem rosigen Lächeln,
du verbirgst dein heiliges Gesicht
hinter der grässlichen Larve der Hölle!
Ah, Verdammnis!
Erst soll sie die Tat bekennen,
und dann stirbt sie!
Bekennen! Bekennen!
(Jago tritt auf.)

Den Beweis!

JAGO (zeigt auf den Eingang)
Cassio ist hier!

OTHELLO
Hier? Himmel! O Freude!
(schaudernd)
O Grauen! Furchtbare Marter!

JAGO
Fass dich!
(Führt Othello schnell nach links in den Hintergrund zur
Nische in der Terrasse.)
Verbirg dich!
(Nachdem er Othello auf der Terrasse versteckt hat,
läuft er zu dem Säulengang, wo er auf den eben
eintretenden Cassio trifft.)
(zu Cassio)
Komm, die Halle ist leer.
Nur herein, Herr Hauptmann!

CASSIO
Dieser Ehrenname
klingt mir hohl.

JAGO
Nur Mut! Deine Sache ist in guten Händen;
der Sieg ist dir sicher.

CASSIO
Ich glaubte, hier Desdemona zu finden.

OTHELLO (aus seinem Versteck)
Er nannte ihren Namen!

CASSIO
Ich möchte noch einmal mit ihr sprechen,
um zu erfahren, ob meine Begnadigung erfolgt ist.

JAGO
Erwarte sie;
(führt Cassio an die vorderste Säule des Säulengangs)
und in der Zwischenzeit, da du nicht müde
wirst, heitere Geschichten zu erzählen,
sprich mir von der, in die du verliebt bist!

CASSIO
Von wem?

JAGO
Von Bianca!

OTHELLO (für sich)
Er lächelt!

CASSIO
Unsinn!

JAGO
Ihre schönen Augen haben dich bezwungen!

CASSIO
Du machst mich lachen!

JAGO
Wer lacht, der siegt!

CASSIO (lachend)
Bei Kämpfen dieser Art
siegt wohl, wer lacht! Haha!

JAGO (lachend)
Haha!

OTHELLO (auf er Terrasse)
Der Schurke spottet,
sein Hohn tötet mich!
Gott, zähme die Qual in meinem Herzen!

CASSIO
Ich habe die Küsse und die Klagen schon satt!

JAGO
Du machst mich lachen!

CASSIO
Liebe ist vergänglich!

JAGO
Dir steht der Sinn nach einer anderen Schönen!
Hab ich’s getroffen?

CASSIO
Haha!

JAGO
Haha!

OTHELLO (wie oben)
Der Schurke spottet,
sein Hohn tötet mich!
Gott, zähme die Qual in meinem Herzen!

CASSIO
Du hast es getroffen,
ja, ich geb’s zu. Hör zu!

JAGO
Sprich leise, ich höre.
(führt Cassio weiter von Othello fort)

CASSIO
Jago, du kennst doch meine Wohnung –
(Seine Worte verlieren sich.)

OTHELLO
(nähert sich vorsichtig, um besser zu verstehen)
Jetzt erzählt er ihm, wie er es begann,
den Ort und die Stunde!

CASSIO
... von unbekannter Hand...
(Seine Worte verlieren sich wieder.)

OTHELLO
Ich verstehe die Worte nicht!
Ach! Ich will sie hören!
Wohin bin ich gekommen!

CASSIO
... ein besticktes Tuch.

JAGO
Wie seltsam! Wie seltsam!

OTHELLO
Jago gibt mir ein Zeichen, näher zu kommen.
(kommt vorsichtig hervor und verbirgt sich hinter einer Säule)

JAGO
Von unbekannter Hand? Unsinn!

CASSIO
Wahrhaftig!
(Jago bedeutet, leiser zu sprechen.)

Wie gern möchte ich wissen, wer es war!

JAGO
(schnell zu Othello hinüberblickend, für sich)
Othello sieht uns.
(zu Cassio)
Hast du es bei dir?

CASSIO
(zieht Desdemonas Taschentuch aus seinem Wams hervor)
Schau!

JAGO (nimmt das Taschentuch)
Wunderbar!
(für sich)
Othello horcht. Er nähert sich
mit leisen Tritten.
(zu Cassio, scherzend)
Herr Kavalier, in Eurem Haus
verlieren die Engel Heiligenschein und Schleier!
(hält die Hände auf den Rücken, damit Othello das Tuch
betrachten kann)

OTHELLO
(kommt, von der vordersten Säule verdeckt, hinter Jagos
Rücken nahe an das Taschentuch heran)
Das ist es! Das ist es!
Tod und Vernichtung!

JAGO (für sich)
Othello horcht.

OTHELLO
Alles vorbei! Liebe und Leid!
Nichts kann meine Seele mehr rühren!

JAGO (zu Cassio, auf das Taschentuch zeigend)
Das ist ein Netz,
in dem dein Herz
sich fängt, verwickelt
und jammervoll umkommt!
Du bewunderst es zu sehr,
schaust es zu oft an,
hüte dich vor eitlem
und lügnerischem Wahn!
Das ist ein Netz, usw.

CASSIO
(das Taschentuch betrachtend, das er Jago wieder abgenommen hat)
Du schönes Wunder, Nadel und Faden

haben dein Gewebe zu Lichtstrahlen gewirkt,
du bist weißer und leichter
als Schneeflocken,
als Wolken, aus Himmelslüften gewebt!

JAGO
Das ist ein Netz,
in dem dein Herz...
... sich fängt, verwickelt
und jammervoll umkommt!

CASSIO
Du schönes Wunder...

JAGO
Das ist ein Netz, usw.

OTHELLO
(hinter der Säule verborgen, immer wieder auf das
Taschentuch in Cassios Hand blickend)
Verrat!
Verrat! Verrat!
Den Beweis,
den furchtbaren Beweis
zeigst du der Sonne!

JAGO
Du bewunderst es zu sehr, usw.
Ah, hüte dich!
Das ist ein Netz, usw.

CASSIO
... du bist weißer und leichter usw.
Du schönes Wunder...
... du schönes Wunder!

OTHELLO
Verrat...

JAGO
Du bewunderst es zu sehr!

OTHELLO
... Verrat!
(kehrt auf die Terrasse zurück)

JAGO
Hüte dich! Hüte dich!
(Trompeten von ferne; andere, in der Festung,
entgegnen. Ein Kanonenschuss.)

Das ist das Zeichen, das die Ankunft
der venezianischen Galeere verkündet.
(Trompeten von anderen Seiten.)
Hör!
Alle Trompeten der Festung antworten!
Wenn du hier nicht Othello begegnen willst, entferne dich!

CASSIO
Leb wohl!

JAGO
Geh!
(Cassio verschwindet schnell im Hintergrund.)

OTHELLO (kommt auf Jago zu)
Wie soll ich sie töten?

JAGO
Saht Ihr wohl, wie er lachte?

OTHELLO
Ich sah es!

JAGO
Und das Taschentuch?

OTHELLO
Alles sah ich!

STIMMEN VON FERNE
Hurra!
Zum Ufer! Zur Mole!

OTHELLO
Sie ist gerichtet!

STIMMEN VON FERNE
Hurra!

OTHELLO
Verschaff mir ein Gift
für heute Nacht!

JAGO
Kein Gift!...

STIMMEN VON FERNE
Es lebe der Löwe von San Marco!

JAGO
... Es wäre besser, sie zu ersticken
in ihrem Bett,
wo sie gesündigt hat!

OTHELLO
Deine Gerechtigkeit gefällt mir.

JAGO
Für Cassio wird Jago sorgen.

OTHELLO
Jago, von heute an
bist du mein Hauptmann!

JAGO
General, ich danke Euch!
Da kommen die Gesandten.
Empfangt sie,
doch um Argwohn zu vermeiden,
sollte sich Desdemona den Herren zeigen.

OTHELLO
Ja, führ sie her!
(Jago durch die linke Tür ab; Othello geht in den
Hintergrund, um die Gesandten zu empfangen.
Trompeten hinter der Szene. Jago, Lodovico, Rodrigo, der
Herold, Desdemona mit Emilia, Würdenträger der
Republik Venedig, Edelleute, Soldaten und Trompeter
treten auf.)

EDELLEUTE
Hoch! Hoch!
Hoch der Löwe von San Marco!
Hoch! Hoch! usw.
Hoch der Löwe von San Marco!

LODOVICO
(mit einer versiegelten Pergamentrolle in der Hand)
Der Doge und der Rat der Zehn
grüßen den siegreichen Helden von Zypern.
Ich gebe in Eure Hand
die Botschaft des Dogen.

OTHELLO
(nimmt das Schreiben und küsst das Siegel)
Ich küsse das Zeichen der höchsten Majestät.
(Er bricht das Siegel und liest.)

LODOVICO (nähert sich Desdemona)
Madonna, der Himmel
schüze Euch!

DESDEMONA
Der Himmel erhöre Euren Wunsch.

EMILIA (zu Desdemona, leise)
Wie traurig du aussiehst!

DESDEMONA (zu Emilia, ebenso)
Emilia, eine dunkle Wolke
verfinstert Othellos Sinn
und mein Schicksal.

JAGO (zu Lodovico)
Signor, ich freue mich, Euch zu sehen!

LODOVICO
Jago, was gibt es Neues?
Doch ich sehe Cassio nicht in Eurer Mitte.

JAGO
Othello zürnt ihm.

DESDEMONA
Ich glaube, er wird Gnade finden.

OTHELLO
(weiterhin lesend, rasch zu Desdemona)
Seid Ihr dessen gewiss?

DESDEMONA
Was sagt Ihr?

LODOVICO
Er liest, spricht nicht zu Euch.

JAGO
Vielleicht wird er Gnade finden.

DESDEMONA
Jago, das hoffe ich;
du weißt, dass ich um Cassio
ehrlich besorgt bin...

OTHELLO
(immer noch lesend,
fieberhaft leise zu Desdemona)

Bezwingt doch Eure schwatzhafte Zunge!

DESDEMONA
Verzeiht, Herr!

OTHELLO (auf Desdemona losstürzend)
Du Teufel, schweig!

LODOVICO
(hält Othello zurück)
Haltet ein!

EDELLEUTE
Entsetzlich! Entsetzlich!

LODOVICO
Mein Verstand will nicht glauben,
was ich hier sah!

OTHELLO (zum Herold)
Bringt Cassio her!
(der Herold ab)

JAGO (zu Othello, leise)
Was hast du vor?

OTHELLO (zu Jago, ebenso)
Betrachte sie, wenn er eintritt.

EDELLEUTE
Ach, armes Weib!

LODOVICO
(tritt zu Jago und nimmt ihn beiseite)
Das ist also der große Held?
Das ist der Krieger
von höchster Kühnheit?

JAGO (zu Lodovico, achselzuckend)
Er ist, was er ist.

LODOVICO
Sag mir, was du meinst.

JAGO
Es ist besser, den Mund zu halten.

OTHELLO (der immerfort nach der Tür gesehen hat)
Da ist er! Er kommt!
(Cassio tritt auf.)

(Zu Jago.)
Erforsch sein Herz!
(laut, zu den Versammelten)
Ihr Herren! Der Doge –
(leise zu der weinenden Desdemona)
Wie gut du Tränen heuchelst!
(laut)
– ruft mich nach Venedig zurück...

RODRIGO (für sich)
Grausames Schicksal!

OTHELLO
... und wählt als meinen Nachfolger in Zypern
einen Mann, der unter meinem Banner kämpfte:
Cassio.

JAGO (überrascht, für sich)
Hölle und Tod!

OTHELLO
(fortfahrend und das Pergament vorzeigend)
Das Wort des Dogen ist uns Gesetz.

CASSIO (verbeugt sich vor Othello)
Ich gehorche.

OTHELLO
(schnell zu Jago, auf Cassio zeigend)
Siehst du? Der Schurke freut sich gar nicht!

JAGO
Nein.

OTHELLO (zu allen)
Das Schiffsvolk und die Truppen –
(leise zu Desdemona)
Schluchze nur weiter!
(zu allen)
– sowie die Schiffe und die Festung
unterstell ich dem neuen Befehlshaber.

LODOVICO
(zeigt auf Desdemona, die sich Othello demütig nähert)
Othello, so tröstet sie doch,
sonst brecht Ihr ihr das Herz!

OTHELLO (zu Lodovico und Desdemona)
Wir reisen morgen ab.
(Packt Desdemona wütend an; sie stürzt nieder.)
(Zu Desdemona)
Zu Boden! Und heule!
(Othello hat in seiner furchtbaren Wut das Pergament zu
Boden geworfen; Jago hebt es auf und liest es heimlich.
Emilia und Lodovico leisten Desdemona mitleidig
Beistand.)

DESDEMONA
Am Boden! Ja! Im niederen Staub!
Geschlagen! So lieg ich hier!
Ich weine – geschüttelt vom Schauder
meiner sterbenden Seele!
Und einst erblühten meinem Lächeln
Hoffnungen und Küsse –
und nun! Todesangst im Antlitz
und Qual im Herzen!
Die Sonne, hell und heiter,
die Himmel und Meere belebt,
trocknet nicht die bitteren Tränen
meines Schmerzes,
die bitteren Tränen meines Schmerzes!

EMILIA (für sich)
Das unschuldige Herz spricht kein Wort,
zeigt keine Regung des Hasses,
sie birgt ihre Seufzer in der Brust
mit schmerzensvoller Fassung.

CASSIO (für sich)
Stunde des Schicksals! Ein Blitz
erhellt mir den Weg!
Das höchste Ziel meiner Laufbahn
wird mein ohne mein Zutun!

RODRIGO (für sich)
Meine Welt verdunkelt sich,
Wolken verfinstern mein Geschick;
jener süße, blonde Engel
wird mir entrissen!

LODOVICO (für sich)
Er schüttelt die tödliche Faust,
keuchend vor Wut;
sie hebt die klaren Augen
weinend zum Himmel!

FRAUEN (zu Othello)
Erbarmen! Erbarmen!

MÄNNER
Welch Geheimnis!

LODOVICO
Er schüttelt die Faust...

FRAUEN
Erbarmen! Erbarmen!

DESDEMONA
Und einst erblühten meinem Lächeln
Hoffnungen und Küsse...

EMILIA
Still rollen die Tränen
über ihr trauriges Antlitz;...

CASSIO
Das schwankende Glück
befördert meinen Lauf!

RODRIGO
Der süße Engel
wird mir entrissen!

LODOVICO
... keuchend vor Wut;
sie hebt die klaren Augen
weinend zum Himmel!

FRAUEN
Erbarmen! Erbarmen! usw.

MÄNNER
Welch Geheimnis!
(Währenddessen nähert sich Jago Othello, der erschöpft
auf einen Sessel gesunken ist.)

JAGO
Ein Wort!

OTHELLO
Was ist?

JAGO
Mach rasch!

Beflügle schnell deine Rache!
Die Zeit eilt!

OTHELLO
Ganz recht.

JAGO
Das Toben ist eitle Torheit! Raff dich auf!
Ziel nur noch auf die Tat! Die Tat allein!
Ich übernehme Cassio.
Er soll für seine Schliche büßen,
die Hölle soll seine schnöde Seele verschlingen!

OTHELLO
Wer wird sie ihm ausreißen?

JAGO
Ich.

OTHELLO
Du?

JAGO
Ich habe geschworen.

OTHELLO
So sei es.

JAGO
Du wirst die Kunde heute nacht empfangen.

DESDEMONA
... nun Todesangst im Antlitz
und Qual im Herzen!
Am Boden, im Staub, geschlagen,
so lieg ich
... geschüttelt vom letzten Schauder
meiner sterbenden Seele!

EMILIA
... nein, wer sie nicht beweint,
fühlt kein Mitleid in der Brust!
Das unschuldige Herz usw.

CASSIO
Was mich zum Himmel aufhebt,
ist wie eine Welle im Sturm!
Das schwankende Glück

befördert meinen Lauf!
Was mich zum Himmel aufhebt usw.

RODRIGO
Meine Welt verdunkelt sich, usw.

LODOVICO
Sie hebt die klaren Augen
weinend zum Himmel.
Beim Anblick dieser Tränen
seufzt das Mitleid selbst,
und tiefes Mitgefühl
schmilzt ein Herz aus Eis.

FRAUEN
Todesangst lastet auf allen Herzen,
vor Grausen erstarrt!

MÄNNER
Den schwarzen Mann umgibt Todesgrauen,
ein blinder Dämon des Todes
und des Schreckens hat ihn erfasst!

EMILIA
Still rollen die Tränen
über ihr trauriges Antlitz...

CASSIO
Das schwankende, Glück usw .

RODRIGO
Meine Welt verdunkelt sich, usw.

LODOVICO
Beim Anblick dieser Tränen, usw.

FRAUEN
Schrecklicher Anblick!
Todesangst lastet, usw.

MÄNNER
Er krallt die Nägel in die furchtbare Brust!
Die Augen sind starr auf den Boden gerichtet!
Nun droht er dem Himmel mit schwarzer Faust,
erhebt das rauhe Antlitz
empor zur blitzenden Sonne!

DESDEMONA
Und einst erblühten meinem Lächeln...

EMILIA
... nein, wer sie nicht beweint,
kennt kein Mitleid!

CASSIO
Was mich zum Himmel aufhebt,
ist wie eine Welle im Sturm!

RODRIGO
Jener süße, blonde Engel
wird mir entrissen!

LODOVICO
... und tiefes Mitgefühl...

FRAUEN
Schrecklicher Anblick!

MÄNNER
Er krallt die Nägel usw.
(Jago tritt zu Rodrigo.)

JAGO
Deine Träume stechen morgen in See,
und du bleibst hier am bitteren Strand!

RODRIGO
Ach, Jammer!

JAGO
Ach, Dummkopf! Dummkopf!
Wenn du willst, darfst du hoffen:
Sei ein Mann, raff dich auf und hör mich an!

RODRIGO
Ich höre!

JAGO
Im Morgengrauen segelt das Schiff.
Dann ist Cassio der Befehlshaber.
Wenn ihm aber ein Unglück zustieße,
dann bliebe Othello hier!
Die Hand ans Schwert!
Heute Nacht folge ich seinen Schritten,
bestimme den Ort und die Stunde,
der Rest bleibt für dich! Ich bin dir nah.

Zur Jagd! Zur Jagd!
Rüste dich wohl!

RODRIGO
Ja! Dir hab ich Ehre und Treue verkauft!
(Die Stimmen Rodrigos und Jagos verlieren sich.)

DESDEMONA
... Hoffnung und Küsse, usw.

EMILIA
Nein, wer sie nicht beweint,
fühlt kein Mitleid in der Brust, usw.

CASSIO
Das schwankende Glück, usw.

LODOVICO
... schmilzt ein Herz aus Eis.
Wer sie nicht beweint, usw.

FRAUEN
Schrecklicher Anblick! Er schlug sie!
Ihr heiliges Antlitz, bleich und sanft,
neigt sich schweigend, sie weint und vergeht.
So weinen im Himmel
die Engel ihre Tränen,
wenn der verlorene Sünder vor ihnen liegt.

MÄNNER
Die Augen sind starr auf den Boden gerichtet.
Nun droht er dem Himmel, usw.

FRAUEN
Ihr heiliges Antlitz...

EMILIA
Das unschuldige Herz...

CASSIO
Das schwankende Glück...

RODRIGO (von Jagos Seite fortgehend)
Der Würfel ist gefallen!

JAGO (Rodrigo betrachtend, für sich)
Jag nur deinem Wahnbild nach!

LODOVICO
Beim Anblick dieser Tränen...

FRAUEN
... bleich und sanft,...

MÄNNER
Ihn umgibt Todesgrauen!

FRAUEN
... neigt sich schweigend,...

EMILIA
... spricht kein Wort,...

CASSIO
... befördert meinen Lauf,...

RODRIGO
Der Würfel ist gefallen!

JAGO
Jag nur deinem Wahnbild nach!

LODOVICO
Das Mitleid selbst,...

FRAUEN
... sie schweigt und weint.

MÄNNER
Den schwarzen Mann umgibt Todesgrauen!

DESDEMONA
Und einst erblühten meinem Lächeln...
... Hoffnungen und Küsse, usw.

EMILIA
... zeigt keine Regung, usw.

CASSIO
... das schwankende Glück, usw.

LODOVICO
... das Mitleid selbst, usw.

JAGO
Jag nur deinem Wahnbild nach! Dein schwacher Sinn
ist schon von einem lügnerischen Traum verwirrt!

Folg nur meinem schlauen und listigen Rat,
du betörter Liebhaber; ich folge meinem Plan! usw.

RODRIGO
Der Würfel ist gefallen! Voller Ungeduld erwart ich dich,
mein letztes Schicksal, mein verborgenes Geschick! usw.
Mich treibt die Liebe, doch der gierige, furchtbare
Stern des Todes weist mir meinen Weg! usw.

FRAUEN/MÄNNER (wie oben)

OTHELLO
(steht auf und wendet sich an die Versammelten, mit
furchterregender Gebärde)
Flieht!

ALLE
Himmel!

OTHELLO (auf die Menge losstürzend)
Ihr alle, flieht Othello!

JAGO (zu allen)
Ihn traf ein böser Zauber,
der ihm die Sinne raubte!

OTHELLO
Wer sich nicht entfernt,
der ist ein Rebell!

LODOVICO (will Desdemona fortführen)
Folgt mir!

MÄNNERSTIMMEN (von ferne)
Hoch!
(Trompeten von ferne)

DESDEMONA
(macht sich von Lodovico los und läuft auf Othello zu)
Mein Gatte!

OTHELLO
Du meine Seele, ich verfluche dich!

MÄNNER and FRAUEN
Entsetzen!

(Alle stürzen entsetzt hinaus, Desdemona von Emilia
und Lodovico geführt. Jago und Othello bleiben allein zurück.)


OTHELLO
Nur ich kann mir nicht entfliehen!
Blut! Ah, welch niedriger Gedanke!
(niedergeschlagen)
„Das betrübt mich!“
(krampfhaft, wie irre)
Beide umschlungen sehen!
Das Taschentuch! Das Taschentuch!
Ah! Ah! Ah!
(fällt in Ohnmacht)

JAGO (für sich)
Mein Gift tut seine Wirkung.

MÄNNERSTIMMEN (von ferne)
Hoch Othello!

JAGO (auf die Rufe hörend)
Das Echo seines Sieges...

MÄNNERSTIMMEN
Hoch! Hoch!

JAGO
... singt ihm sein letztes Loblied!

MÄNNERSTIMMEN
Hoch!

JAGO
(betrachtet den ohnmächtig am Boden liegenden Othello)
Wer kann mich daran hindern, dieses Haupt
mit meiner Ferse zu zertreten?

MÄNNERSTIMMEN (näher)
Hoch! Hoch Othello!
Heil dem Löwen von Venedig!

JAGO
(richtet sich mit der Gebärde schrecklichen Triumphes
empor, auf den reglosen Körper Othellos zeigend)

Da seht den Löwen!

libretto by Gerd Uekermann 
Contents: Personen; Erster Akt; Zweiter Akt; Dritter Akt; Vierter Akt

 Print-frendly