Personen: LARINA, Gutsbesitzerin (Mezzosopran) TATJANA, ihre ältere Tochter (Sopran) OLGA, ihre jüngere Tochter (Alt) FILIPJEWNA, Kinderfrau (Mezzosopran) EUGEN ONEGIN (Bariton) LENSKI, ein Dichter, sein Freund (Tenor) FÜRST GREMIN (Bass) EIN HAUPTMANN (Bass) SARETZKI, Sekundant (Bass) TRIQUET, ein Franzose (Tenor) GUILLOT, Onegins Kammerdiener (stumme Rolle) CHOR Orchestervorspiel ERSTER AUFZUG ERSTES BILD (Garten. Links das Gutshaus mit Terrasse, rechts ein schattiger Baum, umgeben von Blumenbeeten. Im Hintergrund ein zerfallener Zaun, hinter dem das Dorf und die Kirche zu sehen sind. Gegen Abend.) ERSTER AUFTRITT (Larina, unter dem Baume sitzend, kocht Früchte ein. Filipjewna steht helfend neben ihr. Auf der Terrasse Olga und Tatjana.) Nr. 1 - Duett und Quartett TATJANA, OLGA Vernahmest du, als gleich der Nachtigall der Sänger nachts im Hain von Liebe klagte? Als die Schalmei, noch eh der Morgen tagte, im Wald erweckt' sehnsücht'gen Widerhall? Vernahmest du? Ward dir nicht bang im innersten Gemüt, als deines Sängers Weisen zu dir flehten, als aus dem Wald du sahst den Jüngling treten und dich so fragend traf sein scheuer Blick? Ward dir nicht bang? LARINA (zu Filipjewna) Kennst du das Lied, das sie jetzt singen? Vor vielen Jahren hab ich's oft - entsinnst du dich? - und gern gesungen. FILIPJEWNA Ja, damals waren Sie noch jung. LARINA Und liebte rührende Romane! Nicht, weil ich sie gerade las, nein, bloss weil die Prinzess Aline, meine moskowische Kusine, für diese schwärmte ohne Mass. FILIPJEWNA Ich weiss noch alles. Sie waren damals noch sehr jung, doch Braut schon. Ganz heimlich aber galt Ihre Neigung einem Kavalier, der Ihnen raubte Ihre Ruh', was Ihr Verlobter nie erreichte, LARINA Stolz war er, sehr galant, Ein Spieler, tollkühn und gewandt. FILIPJEWNA O schöne, längst entschwundne Zeit! LARINA Ich pflegte mich gleich ihm zu tragen, ganz nach der Mode, elegant. Doch ohne erst mein Herz zu fragen ... FILIPJEWNA Verfügt ward über Ihre Hand! Sogleich aufs Land, Sie abzulenken, bracht' Sie Ihr Gatte ohn' Bedenken. Erst freute Sie der Haushalt wenig, bis Sie sich langsam dran gewöhnten. Gott sei gepriesen! Der Himmel lässt oft für das Glück Gewöhnung als Ersatz zurück. LARINA Erst sträubt' ich mich; beinahe wär' ich entlaufen meinem Mann. Dann nahm ich mich des Haushalts an, bis ich mich langsam dran gewöhnte. Der Himmel lässt oft für das Glück Gewöhnung als Ersatz zurück. Bald waren meine Jugendträume vergessen wie die Poesie, wie alles andre, ach, zuletzt durch Haub' und Arbeitskleid ersetzt. FILIPJEWNA. Weiss noch, wie Sie die »Liese« tauften, die »Celine«, und allen Modeputz zuletzt durch Haub' und Arbeitskleid ersetzt. LARINA Mein Gatte trug mich auf den Händen, umsorgte mich an allen Enden. Der Himmel lässt oft für das Glück Gewöhnung als Ersatz zurück. FILIPJEWNA. Ihr Gatte trug Sie auf den Händen, umsorgte Sie an allen Enden. Der Himmel lässt oft für das Glück Gewöhnung als Ersatz zurück. ZWEITER AUFTRITT (Die Vorigen. Landleute, die sich allmählich nähern) Nr. 2 - Chor und Tanz der Schnitter VORSÄNGER Nicht streift mehr mein Fuss durch Wald und Feld ohne Ruh' und Rast. CHOR DER LANDLEUTE. Nicht streift mein Fuss ohne Ruh' und Rast. VORSÄNGER Nicht hebt mehr mein Arm am schwülen Tag die gewohnte Last. CHOR DER LANDLEUTE. Nicht hebt mein Arm die gewohnte Last. - Was pochst du mein törichtes Herz, so laut und lang in stürmischer Hast? Was fange ich an, da ich dich nicht lassen kann? (Treten mit geschmückten Garben vor Larina hin.) Glück und Segen, die wünschen wir, teure Herrin, an diesem Tag. Sieh, unsre Ernte ist unter Dach, nimm als Geschenk diese Garb im Bänderschmuck. Alles ist eingebracht! LARINA Nehmt meinen Dank! Seid willkommen in meinem Haus. Lasst froh uns sein und singt ein lustig Lied! CHOR DER LANDLEUTE Wie gern, o Mütterchen, erfüllen wir deinen Wunsch. Es soll ein Lied erklingen. Ihr Mädchen, lasst uns ein lustig Liedlein singen! (Während des Gesanges Tanz der Schnitterinnen.) Durch das Feld, da fliesst ein Bächlein, übern Bach, da führt ein Steglein, führt zu einem kleinen Gärtlein, und im Garten sitzt ein Mägdlein. Wer kommt übern Steg gegangen, blond die Locken, rot die Wangen, ohne Scheu und ohne Bangen? Hüt dich, Mägdlein, wirst gefangen. Spielmann ist's, er kommt gezogen, seiner Fiedel, seinem Bogen kommen Herzen nachgeflogen: alle Welt ist ihm gewogen. Mädchen hört die Fiedel klingen, hört den muntern Spielmann singen, tief ins Herz die Lieder dringen, Liebe wohnt auf ihren Schwingen. Liebchen, schläfst du oder wachst du? Mädchen, weinst du oder lachst du? Komm doch, einen Kuss versprachst du. Eh' der Spielmann ausgesungen, eh' der letzte Ton verklungen, war es seiner List gelungen, Mädchen kam zu ihm gesprungen. Wie die Blüten an den Zweigen alle sich dem Winde neigen, also nahmst mit deinem Geigen jedes Herz du dir zu eigen. Nr. 3 - Rezitativ und Arie TATJANA Ich folge gern beim Klange dieser Lieder dem Spiel der Phantasie, das mich entrückt so weit von hier, so fern. OLGA Ach, Tatjana, du träumst am hellen Tag! Ganz anders fühlt mein Herz; bei diesem Lied möcht' ich am liebsten tanzen. Arie OLGA »Durch das Feld, da fliesst ein Bächlein, Übern Bach, da führt ein Steglein.« Zu stummem, schwermutsvollem Sehnen, zum Träumen spür ich keinen Hang. Nie habe ich des Nachts mit Tränen geseufzt aus bangem Herzensdrang. Warum auch seufzen, wenn jeden Morgen ein neuer froher Tag beginnt? Mutwillig bin ich, kenn keine Sorgen, und alle nennen mich »das Kind«. Der Lebensfreude, der Zufriedenheit die Hand zum Dauerbunde reich ich, der frohbeschwingten Hoffnung gleich ich an Lebenslust, an Heiterkeit. Nr. 4 - Rezitativ LARINA (zu Olga) O du, mein kleiner Liebling! So ausgelassen ist mein gutes Kind. Gewiss, am liebsten würdest jetzt tanzen? Ist's nicht so? FILLPJEWNA Tatjana, liebes Mädchen, fehlt dir was? Du siehst so leidend aus. TATJANA Nein, Liebe, bin gesund. LARINA (zu den Landleuten) Habt Dank für den Gesang, ihr guten Leute, und geht nun dort hinein. Filipjewna, bewirte reichlich sie mit Wein. Habt Dank, ihr Leute. CHOR DER LANDLEUTE (im Abgehen) Dir, Herrin, danken wir. (Filipjewna mit den Bauern ab ins Haus.) DRITTER AUFTRITT (Larina. Olga. Tatjana, die sich auf den Stufen der Terrasse niedergesetzt und in ein Buch vertieft hat.) OLGA Ach, Mutter, sehen Sie doch nur Tjana an. LARINA Wieso? Wahrhaftig, du siehst blass aus, Tjana. TATJANA Ich sehe aus wie immer. Sei'n Sie nicht ängstlich, Mutter. Oh, wie interessant ist das Buch, das ich lese! LARINA (lacht) Und deshalb siehst du blass aus? TATJANA Gewiss, die Schilderung der Schicksalswege der Liebenden erregt mich lebhaft. Ach, ich fühle mit ihnen, fühle, was sie leiden. LARINA Ruhig, Tjana, wie du hab einst auch ich mich unnütz aufgeregt beim Bücherlesen. Erdichtung ist alles. Die Zeit verging, und ich sah ein: Im Leben gibt es keine Helden. Bin ruhig jetzt. OLGA Ach, allzu ruhig sind Sie und merken nicht, dass Sie noch in der Schürze! Ei, wenn nun Lenski kommt und sieht Sie so! (Larina bindet eilig ihre Schürze los.) Horch, da fährt ein Wagen vor! Lenski ist's! LARINA Er ist es wirklich. TATJANA (blickt vom Buche auf) Und nicht allein. LARINA Wer mag's nur sein? VIERTER AUFTRITT (Die Vorigen. Filipjewna. Dann Lenski und Onegin.) FILIPJEWNA (eilig) Ach, gnädige Frau, soeben kommt Herr Lenski und mit ihm Herr Onegin. TATJANA (erhebt sich und will gehen) Ach, am besten, ich lauf fort. LARINA (hält sie zurück) Wohin, Tatjana? Man nimmt dir's übel. Grosser Gott, und meine Haube sitzt mir schief! OLGA Sind wir bereit? LARINA (zu Filipjewna) Geschwind, wir bitten sehr. (Filipjewna ab.) Nr. 5 - Rezitativ und Quartett Rezitativ LENSKI (tritt mit Onegin auf und küsst Larina die Hand) Mesdames, verzeihn Sie meine Kühnheit. Ich habe meinen Freund - Nachbar Onegin ist's - zu Ihnen mitgebracht. ONEGIN Darf ich es wagen? LARINA Ich bitte sehr, wir sind erfreut. Willkommen! - Hier meine Töchter. ONEGIN Ah, sehr erfreut bin ich. LARINA Soll'n wir ins Zimmer gehn? Ganz nach der Herrn Belieben. Sonst können wir im Freien bleiben. Ich bitte, ganz nach der Herren Wunsche. Wir sind Nachbarn; bedarf es da der Förmlichkeit? LENSKI Wie schön ist's hier, ich liebe diesen alten, schattenreichen Garten. Hier ist's behaglich. LARINA Nun gut denn, ich eile rasch ins Haus, damit uns nichts gebreche zum gastlichen Empfang. (Sie geht ins Haus.) FÜNFTER AUFTRITT (Lenski und Onegin auf der einen, Tatjana und Olga auf der anderen Seite der Bühne.) Quartett TATJANA Was ich erträumt, geschah. Ich fühle, ich weiss, er ist's, nur er allein. Des Tages Licht, der Nächte Kühle, ja, selbst der Träume bunten Schein durchdringt sein Bild, das mich erfüllte, bevor sich's meinem Aug' enthüllte. Wie fasst es mich mit Allgewalt, wie ward, was ich ersehnt, Gestalt! OLGA Es wird Onegins plötzliches Erscheinen in unserem Haus bedeutungsschwer für alle Nachbarn, deren Meinen geteilt war; man rät hin und her, vermutet vieles im geheimen, doch niemand kann so recht sich reimen, was wirklich an der Sache war. Doch sicher gibt es bald ein Paar. ONEGIN Sag, wer von beiden ist Tatjana? LENSKI Dort jene ist's mit dunklem Haar, So schön und schweigsam wie Swetlana. ONEGIN Denn sie zu kennen, drängt es mich. - Du hast mehr Liebe für die zweite? LENSKI Und wenn? ONEGIN Wär' ich Poet, ich weihte der andern mich mit Herz und Blut, denn Olgas Antlitz fehlt die Glut. Es gleicht van Dyks Madonnenbilde, so rund und hübsch, doch leblos ganz, gleich wie des Mondes starrer Glanz mit seiner sanften, aber kalten Milde. LENSKI Wohl passten mehr im Stoff zusammen Granit und Woge, Eis und Flammen, die Prosa und die Poesie als wir seltsames Freundespaar. Nr. 6 - Rezitativ und Arioso Rezitativ LENSKI (nähert sich Olga) O Wonne, o Seligkeit, ich seh dich endlich wieder! OLGA Mich dünkt, wir sahen uns doch gestern erst. LENSKI Mag sein, doch war's ein Tag, ein ganzer langer Tag Getrenntseins, eine Ewigkeit! OLGA Ewigkeit! Was für ein überspanntes Wort für nur so kurze Zeit! LENSKI Ja, eine Ewigkeit war's, die fern von dir mich hielt! (Sie promenieren im Garten.) ONEGIN (der sich zu Tatjana gewendet) Und fühlten Sie sich nie gelangweilt und verstimmt an diesem stillen Ort, der schön zwar, aber abgelegen? Es fehlt hier wohl, so kommt mir vor, empfindlich an Zerstreuung? TATJANA Nun, ich lieb zu lesen. ONEGIN Schon gut! Lektüre gibt uns reichlich Nahrung für Geist und Herz. Doch geht's nicht immer an, stets nur zu lesen. TATJANA Der Garten lockt mich oft zu träumen ... ONEGIN Und folgen Sie den Träumen gern? TATJANA Ein ernstes, träumerisches Wesen war eigen mir von Kindheit an. ONEGIN Es ist ein Hang, der mir nicht fremd; Vorzeiten war auch ich Phantast. (Promenieren im Garten.) LENSKI (kommt wieder mit Olga) Arioso LENSKI Ja, ich lieb Sie, Olga, wild und heiss, wie nur ein leidenschaftlich Fühlen des Dichters noch zu lieben weiss. Stets ein Gedanke, stets ein Sehnen, der gleiche Wunsch, das gleiche Wähnen, dieselbe Lust, dasselbe Leid. Als Kind schon fühlt' ich mich gefangen, obwohl mir Liebe noch so fern, wenn du beim Spiel mit heissen Wangen so herzlich lachtest und so gern. Mit dir im Waldesschatten weilt' ich und mit dir deine Spiele teilt' ich. Ja, ich liebe dich, ja, ich liebe dich! Mit der Allgewalt der hingegebnen Seele! Du allein erfüllst mein Sinnen, dir allein gilt all mein Sehnen, meine Freude, meine Tränen. Ja, ich liebe dich mit einer Kraft, die keinem Schmerz und keiner Freude weicht, sich keiner Zeit und Trennung beugt, die nie in sich verglüht, mit einer Leidenschaft und Glut, die ewig sprüht! Ja, ich liebe dich immerdar, treu, innig, rein und wahr. OLGA In unserm Heimatdorfe hier so Seit' an Seit' erwuchsen wir. Und oft im Geiste als ein Paar sahn uns die Eltern schreiten zum Altar. SECHSTER AUFTRITT (Die Vorigen. Larina und Filipjewna auf der Terrasse. Es ist Nacht geworden.) Nr. 7 - Rezitativ LARINA (zu Lenski und Olga) Da seid ihr ja, und wo ist denn Tatjana? FILIPJEWNA. Am See hab mit dem Gast ich sie gesehn, ich geh sogleich sie rufen. LARINA Sag ihr, Zeit wär' es nun, dass wir ins Zimmer gehn, um unsern Gästen zur Stärkung etwas anzubieten. (Zu Lenski) Herr Lenski, ich bitte sehr. LENSKI Wir folgen Ihnen. (Larina, Olga, Lenski gehen ins Haus.) ONEGIN (mit Tatjana wieder auftretend, im Vorübergehen) Mein Oheim ging auf Gottes Wegen, als seine schwere Krankheit kam, er liess sich ehren, hätscheln, pflegen, und das war klug von ihm; man nahm an ihm ein Beispiel sich zum Heile. Doch Himmel, weiche Langeweile, beim Kranken sitzen Tag und Nacht, nicht aufstehn, ob er schläft, ob wacht! (Geht mit Tatjana ins Haus.) FILIPJEWNA (die den beiden lauschend gefolgt ist) O du mein Täubchen, gesenkt das Köpfchen, so geht sie stumm und wagt nicht aufzublicken. Zu schüchtern ist sie, oder sollt' am Ende gar der junge Mann ihr Eindruck machen? (Nachdenklich den Kopf schüttelnd ab ins Haus.) ZWEITES BILD (Einfaches Zimmer Tatjanas. Weisse, mit Kattun beschlagene altmodische Möbel, ebensolche Vorhänge. Ein Bett, darüber ein Bücherbrett. Kommode, weiss bedeckt, darüber ein Spiegel. Vasen mit Blumen. Am Fenster ein Tisch mit Schreibzeug.) Nr. 8a - Orchestereinleitung ERSTER AUFTRITT (Tatjana, vor dem Spiegel in Gedanken versunken, im Nachtgewand. Filipjewna steht neben ihr.) Nr. 8b - Rezitativ FILIPJEWNA Nun ist's genug geschwatzt, schon spät ist's, Tjana, Früh soll ich morgen dich zur Messe wecken. Leg dich zur Ruh. TATJANA Mich flieht der Schlaf, dumpf und schwül ist's. Das Fenster öffne, setz dich her. FILIPJEWNA (tut wie befohlen, setzt sich dann neben Tatjana) Tatjana, was fehlt dir, Kind? TATJANA Was weiss ich? Erzähl mir was aus alter Zeit. FILIPJEWNA Wovon denn, Tjana? Manche Sagen und Märchen aus vergangnen Tagen von Mädchen und Prinzen, die sich vermählt, hab ich schon früher oft erzählt. Doch heut wär's ein vergeblich Fragen. Was ich gewusst, vergass ich. Lang, wie lang ist jene schöne Zeit vorüber. TATJANA Sag mir noch eines, Beste. In jener längst vergangnen Zeit warst du verliebt, eh' du gefreit? FILIPJEWNA O nein, Tatjana, ich und lieben! Wie hätt' zu lieben ich gewagt. Die Schwieger hätte mich verjagt aus ihrem Haus mit derben Hieben. TATJANA Wie kam es denn zu deiner Ehe? FILIPJEWNA Gott hat's gewollt, dass es geschehe. Ich zählte selbst kaum achtzehn Jahre, er, mein Iwan, war jünger noch. Nicht lang braucht' er um mich zu werben, bei meiner Sipp' er Beifall fand. Der Vater gab ihm meine Hand, vor Angst vermeinte ich zu sterben. Sie lösten weinend mir das Haar, und mit Gesang ging's zum Altar. Dann kam ich unter fremde Leute… Du aber hörst mir ja nicht zu! TATJANA (Filipjewna umarmend, leidenschaftlich) Ach, Teure, wüsst' ich nur zu sagen, was ich leide! Wie ich vergeh vor Angst und Qual. Ich könnte weinen ohne Ende ... FILIPJEWNA. Mein Herzenskind, komm, leg dich nieder. Barmherz'ger Himmel, steh mir bei. Soll ich dich mit geweihtem Wasser sprengen? Werd nur nicht krank! TATJANA Krank bin ich nicht. Du magst's nun wissen: ich bin verliebt ... verrat mich nicht. Verrat mich nicht, ich bin verliebt! FILIPJEWNA Was hör ich? TATJANA Jetzt geh und lasse mich allein. Gib Feder mir, Papier und Tinte, den Tisch rück her. Bald gehe ich zur Ruh. FILIPJEWNA Nun, gute Nacht denn, Tjana! (Sie entfernt sich.) ZWEITER AUFTRITT (Tatjana allein) Nr. 9 - Briefszene TATJANA (erhebt sich, nachdem sie lange in Gedanken gesessen, mit dem Ausdruck fester Entschlossenheit) Und wär's mein Untergang, erfahren will ich zuvor, was schon seit Jahren verschwiegne Wünsche in mir fragen, die ungestüm ans Licht sich wagen. Ich schlürf das süsse Gift Verlangen, der Sehnsucht Bann hält mich gefangen. Ich seh ihn stets, an jedem Ort verfolgen mich sein Blick, sein Wort. (Sie geht zum Schreibtisch, schreibt, hält dann inne.) Nein, das ist nichts, geschwind ein andres! (Sie zerreisst den Brief.) Wie sonderbar! Ich weiss nicht Rat, ich weiss nicht, wie beginnen! (Sie schreibt und durchliest dann das Geschriebene.) »Ich schreib an Sie ohn' all Bedenken, ist damit alles nicht gesagt? Sie dürfen ungestraft mich kränken, ich beug mich wehrlos Ihrer Macht. Jedoch glimmt für mein traurig Los ein kleiner Funke Mitleid bloss, so werden Sie mich wohl verstehen. Erst wollt' ich mein Geheimnis wahren, und niemals, niemals gäb' mein Mund des Herzens Wünschen Ihnen kund « (Sie legt den Brief beiseite.) Nimmermehr! Ja, tief im Herzen soll's verschlossen sein, von andern ungeahnt soll's glühen, brennen- Doch ach, es füllt die Seele mir ein Überschwang, gebieten kann ich nicht des Herzens Drang. Mag kommen, was da will! Wohlan, ich will's bekennen! (Sie schreibt.) »Was führte Sie in unsre Einsamkeit? Was war's? Welch Wünschen, welch Verlangen? Verschont wär' ich von allem Leid, von allem Zweifel, Hoffen, Bangen, des unerfahrnen Herzens Wallen hätt' wohl dereinst geheilt die Zeit. Ein andrer hätte mir gefallen. Ihn hätte ich geliebt vor allen, der Hausfrau Pflichten mich geweiht. « (Sie denkt nach und erhebt sich rasch.) Ein andrer!? Nein, nimmer hätt' auf Erden ich einen andren mir erwählt. Du musstest mir vom Schicksal werden, vom Himmel bin ich dir vermählt. Nicht hat das Schicksal mich verblendet mit sel'ger Hoffnung Morgenrot, Gott selbst hat dich zu mir gesendet, mein Hort bist du bis in den Tod. Ich sah im Traume dich schon lange, ich liebte dich, eh ich dich sah, du warest mir schon immer nah, ich folgte deiner Stimme Klange. Schon längst ... nein, nein, es war kein Traum. Du nahtest dich, ich sah dich kommen, mein Herzschlag stockte, ich erglühte, und jubelnd rief's in mir: er ist's! Fürwahr, du warst mein Schlummersegen, beschwingtest mich zu jeder Tat, du warst's, der mir auf allen Wegen, bei Arme und beim Krankenpflegen zur Seite trat. Du warst's, den ich beständig hörte, der all mein Sinnen mir betörte, des Gruss mich eingewiegt zur Nacht. Hast holde Namen mir gegeben, erweckt in mir ein neues Leben und neues Hoffen angefacht. (Geht an den Tisch und setzt sich wieder zum Schreiben nieder, zaudert wie überlegend.) Sag, nahst als Schutzgeist du und Führer, bist gar ein listiger Verführer? Gib Antwort, lös die Zweifel mir. Raubst du mir meinen Seelenfrieden, lockt mich ein Trugbild nur in dir? Ist anderes mir zubeschieden? (Erhebt sich wieder, geht sinnend umher.) Sei's, wie es will. Mein ganzes Los ist an das Traumgesicht gebunden, ich komme niemals davon los, durch dich allein kann ich gesunden. Bedenke nur, bin ganz allein, und niemand will mich hier verstehen. Verlassen muss ich untergehen, wenn du nicht wirst mein Rettet sein. Ich bau auf dich, du wirst mich hören, ein einzig Wort des Trostes sprich; doch straft verdienter Vorwurf mich, so wird dein Wort den Traum zerstören. (Geht rasch zum Tisch und beendet hastig den Brief. Aufstehend versiegelt sie denselben.) Ich schliesse. Oh, verstoss mich nicht, missbrauche nimmer mein Vertrauen, Auf dich, du holdes Traumgesicht, auf deine Ehre will ich bauen. DRITTER AUFTRITT (Tatjana, die zum Fenster gegangen und den Vorhang zurückgeschlagen hat. Tageslicht flutet ins Zimmer. Später Filipjewna.) Nr. 10 - Rezitativ und Duett TATJANA Sieh, es weicht das Dunkel dem Morgenrot, und alles rings erwacht. (Setzt sich ans Fenster.) Des Hirten Flöte ... sonst alles still. Ich armes Mädchen! (Versinkt in Nachdenken.) FILIPJEWNA (tritt ein) Zeit ist's, mein Herzenskind, steh auf! Sieh da, so früh schon bist du munter, mein süsser Morgenvogel du! Dein Zustand raubte mir die Ruh', doch Gott sei Lob und Dank, es geht dir besser! Du bist gesund, ich seh es schon, Die Wangen blühen rot wie Mohn. TATJANA (ist vom Fenster getreten und hat den Brief ergriffen) Ach, Amme, tu mir eine Liebe. FILIPJFWNA Gern, Herzchen, alles gern für dich. TATJANA Denk ja nicht, dass ich unrecht handle, doch lass mich bitte nicht im Stich. FILIPJEWNA So sprich doch nur, was ist dein Wille? TATJANA Schick deinen Sohn in aller Stille mit diesem Brief zu O ... zum Herrn . . . zum Nachbarn hin. Doch hätt' ich gern, dass niemand in der Welt erfahre, von wem der Brief, noch wer ihn hingesandt. FILIPJEWNA Wohin, sag, wen hast du genannt? Verzeih und denke meiner Jahre. Es gibt so viele Nachbarn hier, und nicht zu merken sind sie schier. TATJANA Kannst du nicht fassen, was ich sage? FILIPJEWNA Mein Schatz, vergiss nicht, ich bin alt. Das Alter ist 'ne böse Plage, denn früher fasst' ich alles bald. Man brauchte mir nur zu befehlen… TATJANA Ach, Amme, musst du mich so quälen? So leicht ist alles zu verstehn. Hier diesen Brief betrifft's, dass du es weisst. Zum Nachbarn soll er, der Onegin heisst. FILIPJEWNA. Sei wieder gut und zürne nicht, mein Kind. Ich bin, wie alte Leute sind. Ja, schon begreif ich's, verlass dich drauf., Mein Gott, du siehst ganz blass, Tatjana! TATJANA 's ist nichts, es kam mir nur zu Sinn ... Schick jetzt den Brief zum Nachbarn hin. (Nachdem Filipjewna den Brief genommen, verharrt sie noch immer unschlüssig. Tatjana bedeutet ihr, zu gehen. An der Tür bleibt Filipjewna abermals stehen, überlegt, kommt wieder zurück. Endlich gibt sie zu erkennen, dass sie begriffen habe, und entfernt sich. Tatjana setzt sich an den Tisch und versinkt während des Orchesternachspiels in tiefes Sinnen.) DRITTES BILD (Ein abgelegener Teil des Gutsgartens mit dichten Holunder- und Akazienbüschen. Eine alte Bank.) ERSTER AUFTRITT (Mädchen, die Beeren pflücken, tummeln sich im Hintergrund zwischen den Sträuchern.) Nr. 11 - Chor der Mädchen MÄDCHEN Kommet, Mädchen, alle ihr, eilet in das Buschrevier, höret, wie der Spielmann geigt, kommt, eh' seine Fiedel schweigt. Hebt die Füsse, tanzet froh, brennt's im Herzen lichterloh. Singt von Freude, Lust und Lieb', singt von eurem Herzensdieb. Singt und lockt mit eurem Sang bei der Fiedel hellem Klang jeden Burschen schmuck und frei, alle locket sie herbei. Und wenn gar ein Falscher kommt, der uns nicht besonders frommt, nehme der sich wohl in acht, wird verhöhnt und ausgelacht. ZWEITER AUFTRITT (Tatjana tritt eilig auf und sinkt erschöpft auf die Bank. Mädchen verlieren sich im Hintergrunde.) Nr. 12 - Rezitativ, Arie und Chor TATJANA Er kommt, Onegin. - O Himmel, mir wird heiss und kalt! Was er wohl denkt? Ach, warum folgt' ich nur dem ungestümen Blut? Wie fand ich Törin nur den Mut, Onegin diesen Brief zu senden. Bang pocht das Herz; wie soll das enden? Denn eine innre Stimme spricht: es war umsonst, er liebt dich nicht. Hilf, gnäd'ger Gott, hilf mir im Unheil! Verlass mich nicht! Wer naht? Wer kommt? Es ist sein Schritt! Er ist's! DRITTER AUFTRITT (Tatjana, die von der Bank aufspringt. Onegin, der auf sie zugeht. Sie lässt den Kopf sinken.) ONEGIN Sie schrieben mir, wozu es leugnen? Sie gestanden ohne Zögern wahr und offen des reinen Herzens stilles Hoffen, und mir gefiel die Ehrlichkeit, die ein Gefühl, das vor der Zeit in mir erloschen war, erneut. Ich sag das alles ohne Schmeichelei. Aufrichtig, wie Sie selbst, und frei will ich zu Ihnen sprechen also. Erst meine Beichte, wie ich bin. Dann seien Sie die Richterin. TATJANA (für sich) O Himmel, wie beschämend und wie grausam! (Setzt sich auf die Bank.) Arie ONEGIN Wenn mich für die Häuslichkeit im Leben erkoren hätte das Geschick, als Gatte, Vater mich zu geben, ich zögert' keinen Augenblick. Sie gleichen meinem Ideal, ich wüsste keine bessre Wahl. Doch bin ich nicht zum Glück geboren, mein Herz liegt mit sich selbst im Streit, was Sie mir bieten, wär' verloren, verkehrte sich in Gram und Leid. Ja, glauben Sie, die Ehe würde uns beiden bald zur Qual und Bürde. Wie sehr mein Herz auch wallt und glüht, Gewohnheit macht es schlaff und müd. Nein, keine Rosen, eher Schmerzen bringt Hymen uns mit seinem Zwang, und dulden hiess es, lebenslang. Entschwundnen Jahren, Träumen, Trieben winkt ewig keine Wiederkehr. Ich liebe Sie mit Bruderliebe, vielleicht noch zärtlicher, noch mehr. Die Zukunft wird einst recht mir geben. Die Liebe ist im Mädchenleben meist Täuschung, Spiel der Phantasie. Drum lernen Sie sich überwinden, denn solche Unerfahrenheit bringt oft sich selber Weh und Leid. CHOR DER MÄDCHEN (im Hintergrunde) Kommet, Mädchen, alle ihr, eilet in das Buschrevier, höret, wie der Spielmann geigt, kommt, eh' seine Fiedel schweigt. (Onegin reicht Tatjana die Hand. Sie sieht ihn lange fragenden Blickes an, erhebt sich dann und geht, sich auf ihn stützend, langsam ab.) Singt und lockt mit eurem Sang bei der Fiedel hellem Klang! Jeden Burschen schmuck und frei, alle locket sie herbei. Doch wenn dann ein Falscher kommt, nehme der sich wohl in acht, ZWEITER AUFZUG VIERTES BILD (Festlich erleuchteter Saal im Larinschen Hause.) ERSTER AUFTRITT (Ballgäste in altmodischem Staat, darunter Militär in Uniform, teils in Gruppen zusammensitzend, teils Walzer tanzend. Onegin, Lenski, Olga und Tatjana nehmen am Tanze teil. Der Hauptmann macht den Ballordner. Larina geht mit besorgter Hausfrauenmiene auf und ab.) Nr. 13 b - Walzer und Chor ALLGEMEINER CHOR Welch heller Glanz! Vergnügt sind alle Gäste. Es laden sie zum frohen Feste Mahl und Tanz. Geniesst und lebt! Lasst laut ertönen der Freude und dem Schönen euer Hoch! ÄLTERE GUTSBESITZER Hier auf dem Lande erleben wir selten so einen schönen, berauschenden Ball. Denn als Zerstreuung muss einzig uns gelten Rüdengebell und der Peitschen Geknall. ÄLTERE DAMEN Und kehren sie von dem Jagen dann wieder durch Felder und Wälder, mit Saus und Braus, dann sind sie todmüde und legen sich nieder, uns bleibt nur die Sorge um Küche und Haus. JUNGE DAMEN (umringen den Hauptmann) Ach, Trifon Petrowitsch, wie ist's doch so reizend, wir danken von Herzen dir… Doch tanzen nun wollen wir. DER HAUPTMANN Bitte sehr, ich selbst bin ganz glücklich… Steh gern zu Diensten, so fangen wir an. (Allgemeiner Tanz. Onegin tanzt mit Tatjana. Die andern hören allmählich auf zu tanzen und beobachten das Paar.) ÄLTERE DAMEN Seht nur, seht nur, die Täubchen, sie tanzen! Das gibt ein Brautpaar; nun, es ist Zeit! 's ist schad um Tatjana! Erst wird er scharmieren, dann tyrannisieren; es heisst auch: er spielt. Ist ohne Manieren, er spricht wie ein Narr und küsst den Damen nie die Hand. Ist Freimaurer wohl, trinkt Rotwein nur, und nicht zu wenig, das ist bekannt. ONEGIN (hat die letzten Worte gehört) Oh, wie sie lästern. Schon allzuviel verriet mir boshafter Zungen Getuschel. Aber recht nur geschah mir! Wozu trieb es mich auf diesen faden Ball? Wozu? Nie dank ich dir, Lenski, dass du mich überredet. Ich tanze jetzt sofort mit seiner Olga. Da ist sie … ich bitte. LENSKI (zu Olga) Für mich war dieser Tanz bestimmt! ONEGIN Das muss ein Irrtum sein. (Tanzt mit Olga) LENSKI Ach, wirklich also? Nicht glauben kann ich's. Olga, nein, das ist zuviel! ALLGEMEINER CHOR Hoch die Freude, welch schönes Fest! Welche Pracht, wie festlich! Hoch die Freude, welch schönes Fest! Welch ein Mahl, wie köstlich! Wie prächtig ist das Fest! Hoch die Freude, welch Festesglanz! Vergnügt sind alle Gäste. Es laden uns zum frohen Feste Mahl und Tanz. Geniesst und lebt! Heil allem Schönen! Ein Hoch, ein Hoch dem Schönen! Seid lustig und preist den Glanz des Festes! Hoch die Freude, hoch die Lust! Nr. 14 - Rezitativ und Couplet LENSKI (geht auf Olga zu, die soeben aufgehört hat, mit Onegin zu tanzen) Womit hab ich von Ihnen diesen Spott verdient? O Olga, warum strafen Sie mich so? Was tat ich nur? OLGA Ganz ohne Grund, mein Freund, trifft Ihr Vorwurf mich. LENSKI O nein, Sie tanzten den Walzer, fast jeden Tanz nur mit Onegin und refusierten, so oft ich gebeten. OLGA Wladimir, wie ungerecht! Es ist ein Nichts, das dich erregt! LENSKI Nichts! Wie, das nennst du nichts? Soll ich vielleicht mit unbewegtem Herzen zusehn, wie du ihm zugelächelt, kokettlert? Ich sah, er bog sich zu dir, er drückte dir die Hand; ich sah es wohl. OLGA Das ist nur blinde Eifersucht, Wahnbild erhitzter Sinne! Harmlos Geplauder war's. Artig ist er. LENSKI Artig, so! Ach, Olga muss ich an dir zweifeln? OLGA Lass doch die Grillen! LENSKI Nein, du liebst mich nicht mehr! Doch den Kotillon tanzt du mit mir? ONEGIN (tritt dazwischen) Nein, mit mir! Sie haben mir Ihr Wort gegeben. OLGA Und will es halten. Nur um Sie zu strafen, Sie Eifersücht'ger! LENSKI Olga! OLGA Auf keinen Fall! - Ach, sehen Sie, wie alles sich um Herrn Triquet dort drängt. ZWEITER AUFTRITT (Die Vorigen. Triquet, von einer Schar Damen umringt.) ONEGIN Wer ist's? OLGA Er wohnt bei Charlikows und ist Franzos'. DIE BALLGÄSTE Monsieur Triquet, Monsieur Triquet. Chantez de grâce un couplet! TRIQUET Ick 'aben un couplet bei mir. Mais, wo sein nur Mademoiselle? (Man stellt Tatjana in die Mitte eines Kreises, der von den Gästen gebildet wird. Triquet wendet sich mit seinem Gesang an sie. Sie will fort, aber man hält sie zurück.) Sie müssen 'ier sein, 'ier vor mir! Car le couplet est fait pour elle! DIE BALLGÄSTE Hier ist sie, hier ist sie! TRIQUET Voilà, die Königin dieser Nacht! Mesdames, ick werden fangen an, Mick nit zu stören, bitt' ick sehr. (Couplet) I TRIQUET A cette fête conviés, de celle dont le jour est fêté, contemplons le charme et la beauté. Son aspect doux et enchanteur répand sur nous tous sa lueur, de la voir quel plaisier, quel bonheur! Brillez, brillez toujours, belle Tatjana! DIE BALLGÄSTE Bravo, bravo, Monsieur Triquet! Ganz vortrefflich ist gelungen das kleine reizende Couplet! II TRIQUET Que le sort comble ses désirs, que la joie, les jeux, les plaisirs fixent sur ses lêvres le sourire! Que sur le ciel de ce pays, étoile qui toujours brille et luit, elle éclaire nos jours et nos nuits! Brillez, brillez toujours, belle Tatjana! DIE BALLGÄSTE Bravo, bravo, Monsieur Triquet! Ganz vortrefflich ist gelungen das kleine reizende Couplet! TRIQUET (verbeugt sich nach allen Seiten und überreicht dann kniend das Couplet Tatjana) Nr. 15 - Mazurka und Rezitativ DER HAUPTMANN. Messieurs, Mesdames, zu Ihren Plätzen bitt' ich. Im Augenblicke schon beginnt der Kotillon! (Er reicht Tatjana die Hand zum Tanz. Die Tänzer ordnen sich paarweise, Onegin mit Olga an der Spitze. Lenski steht nachdenklich hinter ihnen.) ONEGIN (zu Lenski) Lenski, du schliesst dich aus? Du blickst finster gleich wie Child Harold! Fehlt dir was? LENSKI Wieso? Mir fehlt nichts, ich staun darüber bloss, wie redlich deine Freundschaft. ONEGIN In der Tat, ein solcher Vorwurf kommt mir überraschend. Sag, weshalb grollst du mir? LENSKI (erst ruhig, dann immer heftiger) Ich grollen? Nicht im mindesten, bestürzt nur sehe ich, wie mit Esprit und blendendem Getu' du allen Mädchen hier die Köpfe und die Sinne zugleich verdrehst. Kein Zweifel, dir genügt nicht mehr allein Tatjana, als treuer Freund versuchst du zu entreissen mir die Braut, störst ihres Herzens Ruh', um dann zu höhnen, wenn du sie betört. Oh, wie edel bist du! ONEGIN (mit ruhiger Ironie) Wie? Von Sinnen scheinst du mir. LENSKI Von Sinnen! Du heissest mich von Sinnen! Welche Sprache! Dieser Ton beleidigt mich! (Man hat aufgehört zu tanzen. Neugierige nähern sich Onegin und Lenski.) EINIGE BALLGÄSTE Hört, was gibt es? LENSKI Onegin, Sie sind nicht mehr mein Freund. Jede Gemeinschaft sei zwischen uns zerrissen. Ich - ja - ich verachte Sie! DIE BALLGÄSTE Was muss man hören! Wie, man zankt in diesem Hause? Es scheint ein ernster Zwist sich anzuspinnen. ONEGIN (leise zu Lenski) Hör, Lenski, Unrecht tust du mir in der Tat. Man merkte schon, siehst du es nicht, zuviel von unserm Streite. Erfahre, dass ich keinen Frieden noch und keine Ruhe gestört, und auch fortan nicht stören will, LENSKI Doch warum hast du ihr die Hand gedrückt, ihr zugeflüstert? Sie lachte gar und wurde rot. Was, was hast du gesprochen? ONEGIN Hör auf jetzt, das ist töricht, ein jeder hört uns. LENSKI (ausser sich) Oh, was kümmert's mich? Sie haben mich gekränkt. Genugtuung, mein Herr, verlange ich! DIE BALLGÄSTE Wie konnt' es soweit kommen? LENSKI Nun wohl, ich wollte nur, dass Herr Onegin mir erkläre sein seltsames Benehmen. Da er verweigert dies zu tun, so hab ich kurzerhand ihn nun gefordert. LARINA (zu Lenski) O Himmel, welche Szene! Gerade hier in meinem Hause! Nr. 16 - Arioso und Ensemble LENSKI Hier im Hause verflossen die Stunden mir dereinst wie ein kindliches Spiel, hier im Hause, hier hab ich empfunden erster Liebe erhebend Gefühl. Aber heut musst' ich leider erfahren, dass das Leben kein Liebesroman, dass die Ehre ein leeres Gebaren, dass die Freundschaft getäuscht werden kann. Strahlt nicht klar wie ein sonniger Morgen des bezaubernden Mädchens Gestalt, und doch wohnt in der Seele verborgen gar ein Dämon, unselig und kalt. - Wie wagt' ich jemals an dir zu zweifeln? Du Engel bist schuldlos, nur jener Verräter ist schuldig, ihn zieh ich zur Sühne! Ja, du bist schuldlos, Engel, er, der Verräter, trägt die Schuld. Ich aber will als Freund erreichen, dass des Verführers falsches Schmeicheln und seine tück'sche Heuchelei der Unschuld nicht verderblich sei. Dass meiner Liebe Heiligtume kein falscher Freund zu nahen wage, und mir kein gift'ger Wurm zernage den Blütenschmelz der Frühlingsblume. ONEGIN Ich fühle, mein Gewissen spricht bar jeder Schuld mein Handeln nicht. Ich habe mit Wollen und mit Wissen ein fest geknüpftes Band zerrissen. Da so sein Sinn mir zugetan, wie konnt' ich nähren seinen Wahn, voll Falschheit sei, den er verehrte, kein Mann von Ehre und Gefühl der Freund, zu dem sein Herz sich kehrte. Mein ist die Schuld, umsonst alle Reue, beklagen muss ich, was geschah. Doch kommt die Einsicht nun zu spät. Ich bin beleidigt und ich muss mich schlagen. TATJANA Erschüttert bin ich, meinen Sinnen unfassbar ist Eugens Beginnen. Von Eifersucht bewegt bebt mein Herz in der Brust. Und das Schicksal mit grausamer Han greift in mein Leben, raubt mir des Herzens Frieden. Weh, er tötet mich. Allein ich klage nicht, der Tod durch ihn ist süss und licht. Ich sterbe, mir sagt es das Schlagen des Herzens, doch ich will nicht klagen. Ach, der Tod durch ihn ist Seligkeit, es blüht mir doch auf Erden kein Glück. OLGA Ich fürchte, da sie so verblendet, dass dieses Fest mit Tränen endet. Ach, leicht erregt ist Eifersucht, der kleinste Anlass sie entfacht, ein Wort, ein Blick kann Grund ihr geben. Nun werden sie sich beide schlagen, hab ich nicht dazu beigetragen? LARINA Ich fürchte, da sie so verblendet, dass dieses Fest mit Tränen endet. Ach, rasch erregt ist Eifersucht, der kleinste Anlass sie entfacht, ein Wort, ein Blick kann Grund ihr geben. Was wird man nun sagen, wenn beide sich schlagen? DIE BALLGÄSTE Armer Lenski, wie erregt er ist! Das schöne Fest ist jäh geendet, da zum Duell der Streit sich wendet. Gar leicht erregt ist Eifersucht, der kleinste Anlass sie entfacht. Nur streiten und schlagen will beiden behagen. Oh, welch ein Ende nimmt dies Fest! Sie können ohne Streit nicht leben, da muss es einen Zweikampf geben. Ein Zank entspinnt sich gar zu schnell, und morgen gibt es ein Duell. ONEGIN Zu Diensten stehe ich, genug nun! Ruhig hört' ich Sie, Verblendeter. Eine Lektion verdienen Sie - zur Bessrung! LENSKI Gut denn, auf morgen! Erwarten wir, wer Lektion benötigt! Verblendet . . . ich mag's sein, doch Sie ... sind ehrlos, ein Verführer! ONEGIN Wenn Sie nicht enden, sind Sie des Todes! (Larina, Olga und einige Gäste halten Lenski und Onegin zurück. Tatjana weint still vor sich hin.) BALLGÄSTE Welch ein Skandal! Lasst uns den Zweikampf verhindern. Es darf nicht geschehen, dass Blut hier fliesse. Wir werden's nicht dulden, so trennt doch die beiden. Lasst zum Zweikampf es nicht kommen, haltet sie zurück! OLGA Wladimir, komm doch zu dir, hör mein Flehen! LENSKI Ach, Olga, leb wohl, leb wohl! (Er stürzt fort.) LARINA, OLGA, BALLGÄSTE Alles vergeblich! FÜNFTES BILD (Winterlandschaft in der Nähe einer Wassermühle. Erste Morgendämmerung.) ERSTER AUFTRITT (Lenski sitzt in Gedanken versunken unter einem Baum. Saretzki geht ungeduldig auf und ab.) Nr. 17 - Orchestereinleitung, Rezitativ und Arie SARETZKI Nun, Lenski, wo bleibt Euer Gegner nur? Wird er kommen? LENSKI Bestimmt kommt er. SARETZKI Doch immerhin erscheint mir's sonderbar. Die höchste Zeit, halb sieben schon! Ich dacht', er wartet längst auf uns. (Zieht sich nach dem Hintergrund zurück.) Arie LENSKI (in Nachsinnen verloren) Wohin, wohin seid ihr entschwunden, o Jugendzeit, o Liebesglück? Was wird der nächste Tag mir bringen? Mein Blick vermag nicht zu durchdringen, was mir verbirgt der Zukunft Schoss. Was frag ich? Jedem fällt sein Los. 's ist gleich, ob ich des Todes Beute, ob mich verschont des Gegners Blei. Von Gott kommt alles, wie's auch sei. Er lenkt das Gestern und das Heute, er sendet uns des Tages Pracht, er sendet uns die dunkle Nacht. Indes der Tag zu neuem Leben im Frührotscheine auferwacht, wird mich vielleicht, ach, schon umschweben geheimnisvolle Grabesnacht, wo der Vergessenheit zum Raube mein Name wird samt meinem Staube. Wie bald vergisst die Welt! Doch du gedenkst noch mein, wenn ich im Grabe ruh. Ja, kommen wirst du, weinen, klagen und denken: mir war einst geweiht die Liebe seiner Jugendzeit. O welche Seligkeit doch gibt ein Strahl des Glücks nach dunklen Tagen! Ach, Olga, dich hab ich geliebt! O komm zu mir, geliebtes Herz, dein Trauter ruft, er harrt der holden Braut! O komm, o komm! Wohin, wohin seid ihr entschwunden, o Jugendzeit, unnennbar sel'ges Liebesglück? ZWEITER AUFTRITT (Die Vorigen. Onegin mit seinem Kammerdiener Guillot, der den Pistolenkasten trägt.) Nr. 18 - Duellszene: Rezitativ und Duett SARETZKI Da kommen sie. Doch wer ist sein Begleiter? Mir unbekannt. ONEGIN (mit einer Verbeugung) Entschuldigen die Herrn, wenn ich so spät erscheine. SARETZKI Wo aber blieb Ihr Sekundant? Als Sekundant bin ich Pedant, ich halt vor allem auf Methode. Mir widerstebt's, dass umgebracht ein Mitmensch werd' im Unbedacht. Befördert werd' der Mensch zum Tode nicht anders als nach gutem Brauch. ONEGIN Dafür sind Sie zu loben auch. Mein Sekundant steht hier: Monsieur Guillot! Ich hoffe, man hat nichts dagegen, obwohl er Ihnen unbekannt. Er ist zwar nicht von Rang und Adel, doch sonst ein Bursche sonder Tadel. (Guillot verbeugt sich, Saretzki erwidert.) ONEGIN (zu Lenski) Nun, so beginnen wir? LENSKI Ich steh zu Diensten. Duett LENSKI, ONEGIN (während Saretzki und Guillot die Vorbereitungen zum Zweikampf treffen) Mein Feind! Seit wann droht unserm Bunde der Feindschaft heisser Durst nach Blut! Und haben sonst zu jeder Stunde Gedanken, unser Hab und Gut geteilt als Freunde. Wie umnachtet von falschem Hass ein jeder trachtet nach seines einst'gen Freundes Blut. Und Tod sinnt jeder von uns beiden. Ach, wäre Frieden nicht vernünft'ger jetzt und, eh' die Hand von Blut benetzt, in alter Freundschaft sich zu einen? Nein, nein, nein, nein! (Saretzki und Guillot haben den Abstand abgeschritten und die Pistolen geladen, Saretzki gibt den Gegnern Verhaltungsmassregeln und übergibt ihnen die Waffen. Alles vollzieht sich schweigend. Guillot verbirgt sich furchtsam hinter einem Baum.) SARETZKI (klatscht in die Hände) An die Plätze! (Die Gegner haben ihre Plätze eingenommen. Onegin erhebt, vortretend, die Pistole; gleichzeitig zielt auch Lenski. Onegin schiesst zuerst. Lenski wankt, lässt die Pistole fallen und sinkt zu Boden. Saretzki eilt zu Lenski und betrachtet ihn. Onegin stürzt zu dem sterbenden Gegner.) ONEGIN (mit dumpfer Stimme) Tot? SARETZKI DRITTER AUFZUG SECHSTES BILD (Saal eines vornehmen, reichen Hauses in St. Petersburg. Abend.) ERSTER AUFTRITT (Festgäste aller Art, Damen und Herren, Zivil und Militär. Die Paare treten zur Polonaise an.) Nr. 19 - Polonaise (Nach Beendigung des Tanzes setzen sich einige Gäste. Andere bilden Gruppen und stehen, sich unterhaltend,beieinander.) ZWEITER AUFTRITT (Die Vorigen. Onegin.) Nr. 20 - Rezitativ und Arie ONEGIN Nein, kein Vergessen, nirgend Ruhe, niemals Seelenfrieden! Das Leben, ach, nur ein ermüdend Einerlei! Im Zweikampf meinen Freund gemordet, mein Dasein ohne Sinn und Ziel. Und schon sind volle sechzehn Jahr' seit jenem Unglückstag vergangen. Ich fand Zerstreuung nicht noch Amt, vergeudete mit Nichtstun meine Zeit. Und nirgends konnt' ich ruhig weilen, mir folgte des Gewissens Pein, die Wunde blutet, statt zu heilen und lässt mich fried- und freudlos sein. Es trieb mich fort, ich musste Scheiden, den eignen Herd hiess es mich meiden, da drohend mit erhobner Hand des Toten Schatten vor mir stand. Ich irrte planlos durch die Fremde, an keinem Ort hielt es mich lang, und da mein Reisen mir misslang, macht' ich der Fahrt ein rasches Ende. Den Frieden, den ich nirgends fand, ihn such ich nun im Vaterland. DRITTER AUFTRITT (Die Vorigen. Tatjana in reicher Festkleidung, zu ihrer Seite Fürst Gremin.) DIE GESELLSCHAFT Die Fürstin Gremina! Da ist sie, o sehet! EINIGE Sagt, welche ist's? ANDERE Dort jene, sehet! Sie setzte dort sich an den Tisch. Wie schön, wie schlicht, wie jugendfrisch! ONEGIN (Tatjana aufmerksam betrachtend) Wär' es Tatjana wirklich? Nein! Wie käm' sie her aus ihrem Dorfe? Es kann nicht sein, sie kann's nicht sein! Wie anmutsvoll, wie einfach, reizend und wie würdig ist sie des Festes Königin. TATJANA (zeigt auf Onegin und wendet sich an die Umstehenden) Ach bitte, saget mir, wer stehet dort bei meinem Mann? DIE UMSTEHENDEN Das ist ein Schwärmer, ein Sonderling, ein halber Narr, der lang auf Reisen war und jetzt nach Hause kam, Eugen Onegin. TATJANA Onegin? DIE UMSTEHENDEN Ist er Euch bekannt? TATJANA Wir waren Nachbarn auf dem Land. (Für sich) O Himmel, gib mir Mut und Kraft zu dämpfen jähe Leidenschaft. ONEGIN (zu Gremin, der inzwischen zu ihm getreten) Sag, Fürst, kennst du die Dame nicht, die dort im roten Samtbarette mit dem Gesandten Spaniens spricht? GREMIN Man merkt's, du kommst von langer Reise. Ich stell dich vor, wenn's dir beliebt. ONEGIN Doch sag, wer ist es? GREMIN Meine Gattin ist's! ONEGIN Du bist vermählt? Wie konnt' ich's ahnen! Seit wann denn? GREMIN Bald sind es zwei Jahre. ONEGIN Mit wem? GREMIN Mit Larins Tatjana. Seid Ihr bekannt? ONEGIN Nachbarn sogar. Arie GREMIN (mit edler Würde) Ein jeder kennt die Lieb' auf Erden, ein jeder muss ihr Sklave werden: der Jugend ungebrochne Kraft, des reifen Alters Leidenschaft. Und wer an Liebe nicht mehr glaubt, hat sich des schönsten Schmucks beraubt. Onegin, dir kann ich's vertrauen, unsagbar liebe ich Tatjanen. Gar trüb es um mein Leben stand, da sah Tatjana ich und fand gleich Sonnenstrahl nach Nebelwetter in ihrem Wesen meinen Retter. Inmitten junger und Betagter und aufgeblasner Ziererei, verwegner, schlauer und verzagter, verhasster plumper Heuchelei, inmitten lächerlicher Schwätzer, frivoler, glaubensloser Ketzer inmitten dummer Eitelkeit, berechnend falscher Niedrigkeit, inmitten feiler Bösewichter und schnödem Spott, Verrat und Lug, in einer Welt voll Hohn und Trug und feigem, kriechendem Gelichtet, da schimmert den Gestirnen gleich Tatjanas Unschuld hell und heiter. Sie macht mich glücklich, macht mich reich, führt mich hinan die Himmelsleiter. Nr. 21 - Rezitativ und Arie GREMIN So komm, ich stell dich meiner Gattin vor. (Er führt Onegin zu Tatjana) Mein Kind, erlaub, einen Verwandten und guten Freund dir vorzustellen: Onegin ist's. (Onegin verbeugt sich tief, Tatjana erwidert ohne Bestürzung einfach und schlicht.) TATJANA Von Herzen freut's mich. Mich dünkt, dass früher wir uns sahn. ONEGIN Zu Hause, lang ist's her. TATJANA Und Ihr kommt am Ende gar aus jener Gegend? ONEGIN. O nein! Ich kehrte wieder von langen Reisen. TATJANA Seit wann denn? ONEGIN Soeben. TATJANA (zu Gremin) Mein Freund, bin etwas müde! (Sie geht, auf Gremins Arm gestützt, ab, Onegin folgt ihr mit seinen Blicken.) Arie ONEGIN Ist dies denn wirklich die Tatjana, die heimlich mir ihr Herz erklärt, die ich, von falschem Wahn betört mit kalten Worten von mir bannte, weil ihren Wert ich nicht erkannte. Sie, deren Brief ich noch bewahre und deren Neigung ich verschmähte, ist sie es selbst, die eben hier so kalt gelassen sprach mit mir? Mir ist's fürwahr, als wär's ein Traum! Was hat die Seele mir bewegt, mein kaltes Blut so heiss erregt, ist's Unmut, Eitelkeit, gar Reu'? Lieb ich am Ende gar aufs neu? Ich täusch mich nicht, ich liebe, liebe mit aller Glut der ersten Jünglingstriebe. Und sollte auch ein Schein mich trügen, sollt' falsche Hoffnung mich belügen ich schlürf den Zaubertrank Verlangen. Mein Traumbild lockt mich fort und fort, und überall, an jedem Ort folgt mir ihr Blick, folgt mir ihr Wort und nimmt die Seele mir gefangen. Nr. 22 a Orchestereinleitung SIEBENTES BILD (Empfangszimmer im Hause des Fürsten Gremin. Morgen.) ERSTER AUFTRITT Tatjana allein, einen Brief in der Hand. Nr. 22 b - Schlussszene TATJANA Wie bang ist mir ums Herz. Heut kommt Onegin, bedroht mit diesem Brief den kaum errungnen Frieden. Oh, wie sein feurig Aug' die Seele mir bewegt, heimliches Sehnen sich im bangen Herzen regt. Als wär' ich wieder das Mädchen jener Tage, da ich zum erstenmal ihn sah, um den ich klage. ZWEITER AUFTRITT (Tatjana. Onegin, der erst an der Tür stehenbleibt, dann voll Leidenschaft auf Tatjana zueilt und sich vor ihr niederwirft.) TATJANA (ruhig, macht ein Zeichen, dass er sich erheben solle) Genug, ich bitte, stehn Sie auf! Ich will mit Ihnen offen reden. Onegin, denken Sie der Zeit, als in dem Park ich war bereit, den Spruch aus Ihrem Mund zu hören, vor Ihnen hilfesuchend stand? ONEGIN Verzeihung! Oh, so habt Erbarmen. Ein Irrtum war es. Welch herbe Sühne! TATJANA Ich stand in meinen Blütenjahren, ich liebte Sie mit junger Glut, doch ach, was musste ich erfahren? Sie stiessen mich mit kaltem Blut hinweg von sich. Zu schlicht war Ihnen mein harmlos kindlich Herz erschienen. Ja, ja, mein Freund, Sie waren hart! Jetzt aber? Gott, mein Blut erstarrt, denk ich der Predigt Ihres Mundes und Ihres frost'gen Blicks. Doch Sie nicht klag ich an. Sie taten wie ein Ehrenmann in jener Stunde, Sie zeigten sich nur ehrlich, wahr. Wie kalt ward ich damals behandelt, wie haben Sie mich tief verletzt. Bin ich denn anders nun, verwandelt? Warum verfolgen Sie mich jetzt? Weil ich, umhüllt von äussrer Ehre, nun in der grossen Welt verkehre? Weil mein Gemahl mich reich gemacht? Weil ihn, verwundet in der Schlacht, und mich gleich ihm der Hof mit Ehren überhäuft? Ist's nicht vielmehr, weil in der grossen Welt sich eh'r Triumphe zu verbreiten pflegen zur Schmach der Frau, und Sie dies reizt, Ihr Wunsch nach solchem Ruhme geizt? ONEGIN Ach, o Himmel! Es scheint mein Flehen ihren Zorn zu wecken. Ihr strenges Auge mag vielleicht nur Arglist, Heuchelei entdecken, wo ich mich, wie ich bin, gezeigt. Oh, könnten Sie nur einmal fühlen die Qualen, die im Herzen flammen, und meine Ohnmacht, sie zu kühlen, Sie würden mich nicht so verdammen! Zu ihren Füssen will ich künden, dass längst mein stolzes Herz besiegt. Oh, könnt' ich meinen Frieden finden, das Haupt in Ihren Schoss geschmiegt. TATJANA (unter Tränen) Onegin! ONEGIN Tränen, reine Perlen weiht meinen Leiden dein Erbarmen. TATJANA, ONEGIN- Ach, wie war einst das Glück so nahe' TATJANA Anders hat das Schicksal es gefügt. Unwiderruflich bin ich gebunden. Ihre Pflicht ist jetzt, zu gehn, mich zu verlassen. ONEGIN. Wir sollten uns trennen? Ich soll jetzt gehn! (Mit wachsender Leidenschaft) Nein, dir zur Seite lass mich stehn, gehorsam folgen deinen Winken, den holden Mund, sein Lächeln sehn, in deinen Anblick mich versinken, um alle Zauber zu verstehn so strahlender Vollkommenheit! Vor Liebesqual, vor Sehnsucht zu vergehen, zu sterben, welche Seligkeit, ist Seligkeit, ist Glück und Himmelsfrieden! (Er ist vor Tatjana niedergesunken und hat ihre Hand ergriffen.) TATJANA (ihre Hand befreiend, erschrocken) Onegin, wenn in Ihrem Herzen Sinn für Frauenehre lebt, Onegin, Ihre Pflicht ist's, jetzt zu gehn, mich zu verlassen! ONEGIN Nein, dich verlassen kann ich nicht! Nimmermehr! TATJANA Was soll der Trotz, was soll das Leugnen? Ja, noch lieb ich dich! (Sie sinkt für einen Augenblick an Onegins Brust, reisst sich aber mit jäher Bewegung wieder los.) ONEGIN Was sagst du? Welch holdes Wort entfloh den Lippen? O Wonne, Seligkeit! Ja, so bist du Tatjana wieder! TATJANA Nein, nein! Vergangnes kehrt nicht mehr zurück. In Gremins Hand liegt mein Geschick. Ihm schwur ich Treue am Altar, sie will ich halten immerdar. ONEGIN (auf den Knien) Heiss mich nicht gehn, folg deinem Herzen, es schlägt für mich, für mich allein, dein Lebensglück wirst du verscherzen, willst du nicht ganz die Meine sein. Die längst entflohn, die schöne Zeit, sie schien mir deutlich zu verkünden, dass mir ein Fünkchen Zärtlichkeit gelang in deiner Brust zu zünden. Zur Flamme wollen wir es nähren, kein Zwang kann unsrer Liebe wehren, es hält kein Schwur dich mehr zurück, entsage nicht dem höchsten Glück! TATJANA O Gott, erhöre jetzt mein Flehen, verleihe du mir Mut und Kraft, lass mich im Kampf nicht untergehen, im Kampfe mit der Leidenschaft! Noch zwingt's mich, seinem Wort zu lauschen, das glühend heiss ins Herz mir dringt, das mich mit Zaubermacht umringt. Die Seele, willenlos getrieben, will sich daran berauschen. ONEGIN Nein, verstoss mich nicht, du musst mir folgen. An meinem Herzen sei fortan dein Platz! Komm, verlass dies Haus! In Einsamkeit, fern von der Welt, lass uns entfliehn. O weise mich nicht kalt zurück, denn mir zu folgen fordert das Geschick. Sei mein, für immer mein! (Er will sie an sich ziehen, Tatjana sträubt sich, doch ihre Kräfte drohen sie zu verlassen.) TATJANA Onegin, Mitleid! ONEGIN. Nein, niemals, nein! - Ach, Tatjana, höre mich! TATJANA O Gott, ich darf nichts hören! ONEGIN Ich liebe dich, ich liebe dich! TATJANA Ach, wehe mir! ONEGIN Ich liebe dich!! TATJANA (reisst sich mit letzter Kraft los) Leb wohl auf ewig! (Sie entflieht.) ONEGIN Du bist mein! (In dumpfer Verzweiflung) Verschmäht, verstossen! O welch hartes Los! |