Il turco in Italia” by Gioachino Rossini libretto (German)

Personen

Selim, ein türkischer Fürst (Bass)
Donna Fiorilla, Gemahlin von Don Geronio (Sopran)
Don Geronio (Bassbariton)
Don Narciso, Fiorillas Liebhaber (Tenor)
Prosdocimo, ein Dichter (Bariton)
Zaida, eine Zigeunerin (Sopran)
Albazar, Zaidas Gefährte (Tenor)

Ort und Zeit der Handlung: Neapel, XVII.

ERSTER AKT

Erste Szene

Ein abseits gelegener Platz außerhalb Neapels, am
Meer gelegen.

Auf der einen Seite, in einiger Entfernung, ein Hügel,
der mit kleinen Landhäusern bebaut ist und auf dem
Zigeunerzelte stehen. Auf der anderen Seite sieht man
einen Teil des Hauses von Don Geronio.
(Eine Gruppe von Zigeunern befindet sich auf dem
Hügel, eine andere auf der Ebene. Alle sind mit
verschiedenen Arbeiten beschäftigt.)


CHOR
Unsere Heimat ist die ganze Welt,
und inmitten des Überflusses
läßt die leichtgläubige Unwissenheit der anderen
uns leben und schwelgen.

ZAIDA
Alle haben ein zufriedenes Herz,
ich allein bin die Unglückliche!
Ich habe meinen Liebsten verloren
und kann ihn nicht mehr wiederfinden.

ALBAZAR
Erheitere dich einmal,
sei vergnügt mit uns.

Auf... nur Mut! Es ist an dir,
mit dem Lied zu beginnen.
(Der Dichter tritt auf.)

DICHTER
Ich muß ein komisches Stück schreiben
und finde keinen Stoff?
Dieser hat zuviel Gefühl,
jener erscheint mir zu fade.

CHOR
Unsere Heimat ist die ganze Welt,
und inmitten des Überflusses
läßt die leichtgläubige Unwissenheit der anderen
uns leben und schwelgen.

DICHTER
Schau an: Zigeuner! Donnerwetter!
Spaß, Gesang, Essen!
Oh, was für eine schöne Einleitung
könnte man daraus machen!

ALLE
Unsere Heimat, usw.
(Singend entfernen sie sich.)


DICHTER
Ach, wenn doch das Auftauchen dieser Zigeuner
irgendeinen Vorfall auslösen könnte,
der mir einen passenden Stoff
für ein ganzes Drama lieferte!
Ein schönes Stück würde ich schreiben, ganz nach dem Leben!
Ich muß mich in Gedanken mit den Capricen
der schönen Fiorilla beschäftigen:

Dichter aller Arten
haben schon Stücke geschrieben
über einen dummen Ehemann und ein verrücktes
Weib.
Da ist schon Geronio, der die Angewohnheit hat,
sich aus den Sternen die Zukunft deuten zu lassen.
Ich laufe und bereite die Zigeuner vor.
(Der Dichter steigt den Hügel hinauf und zeigt den
Zigeunern Geronio, der von der anderen Seite her auftritt.)


GERONIO
Ich bin auf der Suche nach einer Zigeunerin,
die mir die Zukunft zu deuten weiß,
die mir im Vertrauen sagt,
ob ich mit Zeit und mit Ruhe
den Verstand meiner Frau wohl heilen kann.
Doch die Zigeunerin, die ich suche,
ist unmöglich zu finden.
Der Verstand meiner Frau
ist aus einem solchen Stoff gemacht,
daß selbst ein Astrologe
nicht sagen kann, wie er funktioniert.
(Inzwischen kommen die Zigeuner mit Zaida vom
Hügel herunter und umringen Geronio auf der Ebene.)

CHOR
Wer will sich die Zukunft deuten lassen?

GERONIO
Wie gerufen ist schon in meiner Nähe
eine Gruppe von Zigeunerinnen.

CHOR
Wir lesen im Schicksal,
wir lesen in den Sternen:
wer will sich die Zukunft deuten lassen?

GERONIO
Zigeunerinnen!

CHOR
Her die Hand!

GERONIO
Wartet!

CHOR
Rasch...

GERONIO
Langsam.

ZAIDA
Ihr seid geboren...

GERONIO
Ja, an welchem Tage?

ZAIDA
Die Sonne stand im Steinbock.

GERONIO
Bin ich Junggeselle oder verheiratet?

ZAIDA
Zeigt Euer Gesicht. Verheiratet.

GERONIO
Seit wann? Wie erkennst du das?

ZAIDA
Unter dem Zeichen des Widders.

ZAIDA und CHOR
Unglücklicher!

GERONIO
Was soll das?

ZAIDA und CHOR
Was für eine fatale Geschichte!

GERONIO
Was denn?

ZAIDA und CHOR
Das Zeichen des Schafbocks!

GERONIO
He! Geht mir aus dem Weg!
He! Verschwindet von hier!
Ah, meine Frau, selbst die Zigeuner
in den Straßen wissen, wer ich bin;
wenn du weiter solchen Unsinn redest,
so wird die ganze Welt es erfahren.

ZAIDA und CHOR
(Was für eine fatale Geschichte!
Der Schafbock!... Ha ha ha!)

GERONIO
He, laßt mich, ihr Narren!
He! Verschwindet von hier!
(Sie gehen ab. Fiorilla kommt mit einigen Freundinnen.
Sie kehren eben von einem Spaziergang zurück.)


FIORILLA
Es gibt keine größere Verrücktheit
als einen einzigen zu lieben:
Langeweile bringt uns, nicht Freude
das alltägliche Glück.
Niemals lieben eine einzige Blume,
die Biene, die Luft, der Fluß;
mit veränderlichem Herz und Sinn,
so will ich lieben,
so will ich mich verändern.
Es gibt keine größere Verrücktheit
als einen einzigen zu lieben:
Langeweile bringt uns, nicht Freude
das alltägliche Glück.
(Unterdessen sieht man ein Schiff vorüberfahren; es
läßt ein Boot zu Wasser und geht vor Anker. Das Boot
kommt auf den Strand zu. Es trägt Selim, begleitet von
Türken.)


CHOR
Rudert, rudert. An Land, an Land!

FIORILLA
Ein Schiff! Es scheint türkisch zu sein.

CHOR
Von der Plage, die wir auf See hatten,
können wir uns hier erholen.

FIORILLA
Beiseite wollen wir gehen
und sehen, wer hier landet.
(Fiorilla zieht sich zurück. Das Boot landet und Selim steigt aus.)

CHOR
Und vergessen lassen wird uns jede Pein
der Himmel Italiens.

SELIM
Schönes Italien, endlich sehe ich dich,
ich grüße euch, freundliche Gestade;
die Luft, die Erde, die Blumen, die Wellen -
alles lacht und spricht zum Herzen.
Ach, vom Himmel und von der Erde
wirst du, schönes Italien, geliebt.
(Fiorilla und ihre Freundinnen zeigen sich.)

FIORILLA
Welch schöner Türke!
Gehen wir näher.

SELIM
So viele liebliche Frauenzimmer!

FIORILLA
Auch die Türken mißfallen mir nicht!

SELIM
Die Italienerinnen sind wunderschön.

FIORILLA
Ich will mit ihm sprechen.

SELIM
Ich will mich nähern.

FIORILLA und SELIM
Und ich will mich amüsieren.

FIORILLA
Eure Dienerin...

SELIM
Euer Diener...

FIORILLA
(Er ist sehr höflich.)

SELIM
(Oh, was für ein liebliches Gesichtchen!
Ich bin wahrhaft glücklich zu schätzen,
daß ich ein so reizendes Gesicht antreffe.

FIORILLA
Ganz auf meiner Seite ist das Glück,
da ich einen großen Herrn treffe,
der so zivilisiert ist.

SELIM
(Ich bin überrascht.)

FIORILLA
(Er ist schon angeschlagen.)

SELIM
(Welch eine Anmut!)

FIORILLA
(Er ist im Netz!)

SELIM
Signora, Ihr gefallt mir.

FIORILLA
Macht Euch nicht lustig über mich...

SELIM
Wahrhaftig.

FIORILLA
(Was man mit einem bißchen Höflichkeit
ausrichten kann, das weiß ich nur zu gut.)

SELIM
(Ihre reizende Höflichkeit
scheint sie noch lieblicher zu machen.)

FIORILLA
Lebt wohl, mein Herr...

SELIM
Ihr geht?

FIORILLA
Ich möchte ein wenig spazierengehen.

SELIM
Macht es Euch etwas aus, wenn ich mitkomme?

FIORILLA
Das ist zuviel Ehre.

SELIM
(Was für ein Feuer!)

FIORILLA
Ah!

SELIM
Liebe! Ihr seufzt? Ah!

FIORILLA
Auch Ihr.

SELIM
Auch ich.

FIORILLA und SELIM
Warum?

SELIM
Weil ich ein ungewohntes Feuer
in mir auflodern fühle.
(Fiorilla reicht ihm ihre Hand, welche Selim zärtlich
drückt.)


FIORILLA und SELIM
Teure Hand, an die Brust drücke ich dich,
niemals möchte ich dich wieder lassen.
(Es ist nicht allzu schwierig,
diese Türken/Damen zu erobern.)
(Sie gehen hinaus. Don Geronio, Narciso und der Dichter treten auf.)

GERONIO
Freunde...eilt mir zu Hilfe, tröstet mich...
ich bin außer mir.

NARCISO
Warum? Was geschah denn?

DICHTER
Was ist denn?

GERONIO
An dieser Stelle sah ich
meine Frau mit einem Türken.

DICHTER
Ein Türke!

NARCISO
(Die Ungetreue!)

GERONIO
In mein Haus führt sie ihn,
um dort den Kaffee zu nehmen. Verflucht seien
alle Türken dieser Welt.

DICHTER
Dies ist ein Augenblick,
sich selbst Ehre zu machen.

GERONIO
Es macht mir nichts aus,
in meinem Haus
den juwelenverzierten Turban
des Selim Damelec zu wissen.

DICHTER
(hüpft vor Freude)
Was? Selim! Wirklich!
Der Geliebte der Zigeunerin! Donnerwetter!

Diese unerwartete Ankunft
ist ein Glücksfall von Szene...
Das Drama ist da.
Apollo, ich danke dir.

NARCISO
Er ist verrückt.

GERONIO
Er ist verrückt.

DICHTER
Ein hirnloser Ehemann!
Eine kapriziöse Ehefrau!
Nein: etwas besseres gibt es nicht.

GERONIO (ärgerlich)
Mein Herr, was ist daran komisch?
Erweist mir Respekt, oder andernfalls
wird Euch jemand den Schädel zerschlagen.

DICHTER
Ein galanter Nebenbuhler wird ersetzt
durch einen schönen, verliebten Türken!
Oh, was für eine Handlung daraus wird!

NARCISO (entrüstet)
Vom wem gedenkt Ihr da zu reden?
Fangt nicht an, uns zu beleidigen,
oder Ihr bekommt es mit mir zu tun!

DICHTER (einmal zu diesem, einmal zu jenem)
Aber, mein Herr, warum so hitzig?
Aber, mein Herr, warum regt Ihr Euch auf?

Ich will mir für ein Drama
Die Handlung auswählen, die mir gefällt.

GERONIO
Sucht Euch nur eine Geschichte,
die nicht jener wie der meinen gleicht,
und die nicht die Ehegatten schlecht behandelt,
die sich selbst Respekt zu schaffen wissen.

NARCISO
Laßt die Galane leben
und bringt ihren Status nicht in Mißkredit;
oder ich werde einen erschlagenen Dichter
in die Handlung einbauen.

DICHTER
Erster Akt -
der Gatte mit dem Freunde...
Erste Szene -
Gattin... Türke... Schreien... Gatte...
Nein, besseres kann man sich nicht vorstellen.

GERONIO und NARCISO
Akt eins, erste Szene -
der Dichter wird für diese Handlung
vom Ehemann und vom Freunde
Prügel beziehen.

Zweite Szene

Elegant eingerichteter Salon im Hause Don Geronios.
Ein Sofa, ein kleiner Tisch, Stühle, usw.
(Fiorilla tritt ein, begleitet von Selim. Sie erteilt einem
Diener Anweisungen, woraufhin dieser hinausgeht.)


FIORILLA
Holla: Rasch den Kaffee.
Nehmt Platz.

SELIM
(setzt sich)
In diesem Zimmer bewundere ich
das reiche Mobiliar;
doch für so große Schönheit
wie die Eure ist ein Tempel vonnöten,
und Ihr würdet einen großartigen Tempel
in der Türkei haben.

FIORILLA
Vielleicht irgendeinen Harem?
Ist es wahr, daß die Türken
so eifersüchtig sind?

SELIM
Ach! Besäßen sie einen
Schatz wie diesen,
so wäre ihre Eifersucht entschuldbar;
sie würden Euch mehr lieben
als Ihr Euch vorstellen könnt.

FIORILLA
Da ist der Kaffee.

SELIM
(Ich kann nicht mehr.)

FIORILLA
(gießt ein und reicht ihm die Tasse)
Nehmt.

SELIM
(Welch ein zarte Hand!)

FIORILLA
Ist es genug Zucker?

SELIM
(Was für elegante Manieren!
Was für schöne Augen, und was für ein Feuer
in ihnen lodert!)

FIORILLA
Doch an was denkt Ihr?

SELIM
Ich denke an Fiorilla.

FIORILLA
(Der Türke ist gefangen.)
Wie viele Frauen habt Ihr geliebt?
Wie viele würdet Ihr haben wollen?

SELIM
Eine habe ich geliebt.
Und ich wollte nicht mehr lieben.
Doch in Eurer Nähe spüre ich,
daß ich wieder vor Liebe glühen muß.
Ah! Wenn Ihr meine Liebe hinnehmen wollt,

so werdet Ihr die einzige
in meinem Herzen sein.

FIORILLA
Ihr seid ein Türke, und ich glaube Euch nicht:
Hundert Frauen habt Ihr um Euch;
Ihr kauft sie und verkauft sie wieder,
wenn die Glut in Euch erloschen ist.

SELIM
Ach! Meine Teure, auch in der Türkei
nennt man einen Schatz sein Eigen,
wendet man sich nicht ab oder verläßt ihn;
auch ein Türke bewahrt die Liebe.
(Don Geronio tritt ein.)

GERONIO
Da sind sie, die beiden allein!
Was soll ich ertragen müssen?
Ist es gestattet? Darf man eintreten?
Darf ich auf eine solche Wohltat hoffen?

SELIM
Was verlangt dieser Freche?

FIORILLA
Beruhigt Euch: er ist mein Gatte.

SELIM
(springt auf und zieht einen Dolch)
Der Gatte... fort... rasch.

GERONIO
Wie?... Hilfe!...
Was soll das?

SELIM
Der Gatte! hinaus...

GERONIO
Zu Hilfe!

FIORILLA
Übt Nachsicht; er kam hierher,
der Ärmste, um Euch die Ehre zu erweisen.

SELIM
Ich traue ihm nicht.

GERONIO
Ja, mein Herr.
(Narciso tritt ein und bleibt im Hintergrunde stehen.)

NARCISO
(Himmel, was sehe ich? Die Ungetreue
ist schon zur Liebsten des Türken geworden.)

FIORILLA
Und er erbittet die Gnade,
küssen zu dürfen...

GERONIO
Ja, mein Herr.

FIORILLA
Den Mantel... der Ärmste...

GERONIO
Den Mantel, ja, mein Herr,
rasch, rasch, rasch hierher.

(Fiorilla nötigt ihren Gatten, den Mantel des Türken zu küssen.)

SELIM
Ich bin erstaunt, es wundert mich.
Die italienischen Ehemänner
sind viel höflicher als die Türken;
sie sind voller Güte.

FIORILLA
(Oh, was für eine Szene!) Ihr habt Recht:
(blöder Alter!) die Ehemänner
(aber ich genieße es!) sind höflich.
Sie sind voller Güte.

NARCISO
Ach, ich sehe, meine Schmerzen,
Unglückseliger, sind vollendet.
Gerechte Liebe! Weh! Gerächt sollen werden
alle die Kränkungen, die sie mir zufügt.

GERONIO
(Verflucht!) Er hat Recht:
(ah! Klatschmaul!) die Ehemänner
(ich platze, ich krepiere!) sind höflich,
sie sind voller Güte.

NARCISO
(kommt näher und spricht zu Geronio)
Wie? Eine so große Schmach
könnt Ihr ruhig erleiden?

SELIM
Was will dieser Verwegene von Euch?

GERONIO
Nichts.

FIORILLA
Was will er denn?

GERONIO
Nichts.

FIORILLA
Was will er sagen?

SELIM
Ich will ihn nicht in meiner Gegenwart haben.

GERONIO
Takt!... Umsicht!

NARCISO
Hört!

SELIM
Hier.

FIORILLA
Fort, hinaus.

GERONIO
Ich bin es jetzt satt,
ich kann es nicht mehr ertragen.

SELIM
(spricht abseits mit Fiorilla)
Mit dir will ich reden,
ich erwarte dich am Ufer des Meeres.

(Jene dort wecken meinen Ärger,
und besser gehe ich hinaus.)
(Er will hinausgehen, kommt aber nochmals zurück.)

SELIM
(leise zu Fiorilla)
Doch bevor ich Euch verlasse,
schenkt mir zuvor
das liebliche Lächeln,
einen Liebesblick.
(Diese beiden Plagegeister
bedrängen sie immer noch.)

FIORILLA
(leise zu Selim)
Doch bevor Ihr mich verlaßt,
schenkt mir zuvor
das liebliche Lächeln,
einen Liebesblick.
(Diese beiden Plagegeister
wurmt das ganze mächtig.)

NARCISO
(leise zu Geronio)
Ihr solltet Euch
nun weniger nachgiebig zeigen;
seht: ich bin erfüllt
von Scham über Euch.
(In Stücke reißen mir das Herz
der Verrat und die Liebe.)

GERONIO
(leise zu Narciso)
Ich kann Euch nicht nennen
die Wut, die ich im Leibe habe;
ich bin ganz vergiftet,
ich bin völlig wütend.

(Doch noch besänftigt mich
meine Angst vor dem Türken.)
(Selim, Fiorilla und Narciso gehen hinaus. Geronio,
allein zurückgelassen, wandert auf und ab. Der Dichter tritt ein.)


GERONIO
Ein Alter kann keine größere Dummheit begehen,
als eine Frau zu nehmen,
die jung ist.
Dichter, findest du nicht,
daß ich Mitleid verdiene?
Hier habe ich sie überrascht,
wie ihr von dem Türken der Hof gemacht wurde,
und der Barbar
wollte mich erstechen.

DICHTER
Gut!

GERONIO
Was sagst du?
Um ihn zu beruhigen, zwang sie mich,
sein Gewand zu küssen.

DICHTER
Oh, was für ein reizendes Trio!

GERONIO
Und er wäre immer noch hier,
wäre nicht Don Narciso zur rechten Zeit
erschienen und hätte die gerechte
Verteidigung eines aufgebrachten Ehemanns übernommen.

DICHTER
Was für eine Szene!
Was für ein kostbares Quartett!

GERONIO
Aber über was redest du denn dauernd?
Ich verstehe dich nicht.

DICHTER
Verzeiht; ich entwarf gerade
ein komisches Stück.
Was gedenkt Ihr denn nun
Eurer Gattin zu sagen?

GERONIO
Oh! Wenn sie so gefügig wäre
wie meine erste Frau es war!
Dann könnte ich ihr meine Gründe darlegen;
doch diese ist die Kehrseite
der Medaille.

DICHTER
Sie ist so, weil sie in Euch
einen Waschlappen sieht.
(Die Dichter geht hinaus.)

GERONIO
Der Dichter hat recht.
Die Geduld ist die Tugend der Esel.
Endlich will ich es sein, der kommandiert
in meinem Hause. Entweder dieser Türke
oder meine Gattin hat zu gehen...
(Fiorilla tritt ein.)

FIORILLA
(Geronio ist noch hier!
Verwünschtes Zusammentreffen! Ich werde
gezwungen sein, mir eine Viertelstunde lang
Moralpredigten anzuhören.)

GERONIO
(Da ist sie: nun Strenge!)

FIORILLA
(Soll er predigen, wie er will;
ich werde dazu schweigen.)

GERONIO
Wie viele bittere Pillen
bin ich zu schlucken gezwungen!

FIORILLA
Mit wem habt Ihr es denn?

GERONIO
Mit einer verrückten Frau,
verdreht, kapriziös,
die unglücklicherweise
Don Geronios Gattin ist.

FIORILLA
Auch ich beklage mich über Euch
aus dem Grunde,
daß Ihr Euch verändert habt.

GERONIO
Ich!

FIORILLA
Ich beweise es Euch.
So liebenswürdig wie einst
finde ich Euch nicht mehr.

GERONIO (ironisch)
Was ich, um der Dame zu gefallen,
zu tun habe möcht ich wissen.

FIORILLA
Ihr müßt stets ruhig sein,
niemals irgendwas vermuten.

GERONIO
Doch wenn ich höre...

FIORILLA
Müßt Ihr Euch taub stellen.

GERONIO
Doch wenn ich sehe...

FIORILLA
Müßt ihr Euch blind stellen.

GERONIO
Nein, Signora, das meine ich nicht;
ich will sehen und ich will sprechen.

FIORILLA
Ihr macht Euch zum Tölpel,
Ihr macht Euch zum Hanswurst.

GERONIO
In kurzem, will ich in meinem Haus
weder Türken, noch Italiener,
oder ich verliere die Geduld...

FIORILLA
(ironisch)
Was für eine Tollheit!

GERONIO
Ich lege Hand an...

FIORILLA
(mit gespielter Zärtlichkeit)
Kommt, Teurer, beruhigt Euch!

GERONIO
Wie! Immer noch verhöhnt Ihr mich?

FIORILLA
Nein, mein Leben, mein Schatz,
daß ich Euch verehre, weiß ein jeder.
Grausam beschuldigt Ihr mich!
Ihr beleidigt mich!

GERONIO
(Leb wohl, Mut!)

FIORILLA
Ihr seht meine Tränen,
ohne Mitleid mit mir zu haben.

GERONIO
Nein, Fiorilla. Ich liebe dich auch
immer noch, das weiß ein jeder.

FIORILLA
Und Ihr wagt, mich anzugreifen,
mich zu malträtieren, mich zu ängstigen!

GERONIO
Verzeiht...

FIORILLA
Laßt mich.

GERONIO
Fiorillinchen!

FIORILLA
Rache will ich!

GERONIO
Fiorillalein!

FIORILLA
Fort von hier.
Um Euch zu bestrafen, will ich
tausend Liebhaber stets um mich haben,
bei Tag und Nacht Verrücktheiten erleben,
mich in Freiheit unterhalten.
(Das ist es, was man bei einem Mann
wie diesem zu tun hat.)

GERONIO
Ach! Ich sage es, sie ist verrückt geboren
und wird noch verrückter sterben.)
(Sie gehen hinaus.)

Dritte Szene

Am Ufer des Meeres, wie in der ersten Szene
(Die Zigeuner sind mit verschiedenen Dingen beschäftigt.)


CHOR
Große Wunder unter der Sonne;
wer will sie hören, wer will sie sehen?

ZAIDA
Die Vergangenheit und die Zukunft,
wer will sie durchdringen?
Kein Geheimnis ist so dunkel,
daß ich es nicht enthüllen könnte.

CHOR
Große Wunder, usw.
(Selim tritt auf, dann der Dichter.)

SELIM
Für die Flucht ist alles bereit;
gut ist der Wind und ruhig das Meer;
ungeduldig harre ich hier,
meine Schöne zu erwarten.

DICHTER
(Das ist Selim! Ohne ihn zu erkennen,
nähert sich Zaida ihm.)

ZAIDA
Wer will sich von der wahrsagenden
Zigeunerin die Zukunft deuten lassen?

SELIM
Zigeunerin, komm näher;
was sagen dir die Planeten?

ZAIDA
Ah! Diese Stimme!... Die Haltung!
Ich habe nicht die Kraft zu reden.

DICHTER
(Jetzt kommt das Erkennen,
es wird einen Ohnmachtsanfall geben.
Ich werde eine Sitzgelegenheit vorbereiten.)

SELIM
Was verkündet dir mein Schicksal
so Schreckliches und Hartes
daß ich in deinen Augen fast die Tränen
aufsteigen sehe?

ZAIDA
Durch ungerechte Eifersucht
sehe ich Zaida zum Tode getrieben;
doch sie liebt dich und wünscht einzig,
zu dir zurückkehren zu können.

SELIM
Wo lebt die Unglückliche?
Aber... Ich irre mich nicht... Schöne Zaida!

ZAIDA
Ja, mein Herr, ich bin es!

SELIM
Komm zu mir, meine Geliebte.

ZAIDA und SELIM
Das Ende meiner Qualen ist da,
mein einziges Glück!

DICHTER
(Da ist der Stuhl und man fällt nicht in Ohnmacht,
das ist nicht nach der Regel.)
(Narciso kommt, dann Fiorilla mit verschleiertem
Gesicht, schließlich Geronio.)


NARCISO
Warum nur, da ich verraten bin,
brennt mein Herz, grausame Liebe?
Gib endlich mir meine Liebe zurück
oder schenke mir Freiheit.

CHOR
Es lebe der Liebe
lebendige Flamme,
das Glück des Herzens,
die Freude der Welt.

FIORILLA
Wer der Liebe nicht zu dienen gedenkt,
entferne sich, denn sie ist mit mir;
um ein stolzes Herz zu zähmen,
gab die Liebe mir Pfeil und Bogen.

SELIM
Was für ein schönes Lied! Was für eine Erscheinung!

GERONIO
Hierher muß meine Gattin kommen,
tun will ich... ich will sagen...
Wenn ich sie finde, wird sie etwas zu hören bekommen.

FIORILLA
Schöner und liebenswerter Fremder!

SELIM
Schöne Nymphe!

GERONIO
(Wer kommt da?)

NARCISO
(Es scheint Fiorilla zu sein.)

GERONIO
(Sie ist es, sie ist es.)

DICHTER
(Da ist Geronio, da ist der Liebhaber.)

SELIM
Ach, enthüllt Euer schönes Antlitz.

ZAIDA
(Wir stehen wieder am Anfang:
er hat sich schon abgewendet.)

SELIM
Enthüllt Euch.

FIORILLA
Untreuer, Verräter!
So liebst du mich? Sieh mich an.
(Sie entfernt den Schleier, und alle, die versammelt
sind, schreien auf.)

ALLE
Ah!

FIORILLA, ZAIDA, GERONIO, NARCISO
Ah! Mein Herz betrog mich nicht,
all meine Qualen sind nun Gewißheit.
Bei ihrem Anblick fühle ich mich
von Empörung zerrissen.

SELIM
Ah! Mein Herz betrog mich nicht,
sie beobachtete meine Schritte,
bei ihrem Anblick wage ich vor Scham
nicht die Augen zu erheben.

DICHTER
Diese Szene fehlte uns noch,
um meine Verse zu vollenden;
es gibt Überraschung für fünf oder sechs;
ein großes Finale kann man daraus machen.

ZAIDA (wendet sich zu Fiorilla)
Verschwindet hier, und hütet Euch,
meinem Liebsten nachzustellen.

FIORILLA
Dieser Herr gehört nicht zu Euch.
Hier will ich mit ihm bleiben.

SELIM
Doch hört... beruhigt Euch.

NARCISO
Was sagt Ihr? Ihr redet nicht?

GERONIO
Schnell nach Hause, rasch nach Hause.

ALBAZAR
Was ist denn das für ein Durcheinander?

DICHTER
Oh, was für eine einzigartige Szene!

ZAIDA
Wir werden ja sehen, wir werden ja sehen...

FIORILLA
Wir sind zwei, die ja sehen werden...

ZAIDA
Meine Dame, ich habe keine Angst vor Euch...

FIORILLA
Kokotten von Eurer Sorte...

ZAIDA
Kratzbürsten von Eurer Sorte...

FIORILLA und ZAIDA
... werde ich schon zu bekämpfen wissen.
(Sie werden beinahe handgreiflich.)

ZAIDA
Wie! Wie! Kratzbürste! Das mir!

FIORILLA
(Oh! Donnerwetter! Das mir! Kokotte!)

ZAIDA
Du allein bist die Kratzbürste...

FIORILLA
Du bist allein die Kokotte!

FIORILLA und ZAIDA
Flittchen! Luder! Raufziege...
Was für eine Redeweise!

SELIM
(trennt sie)
Was macht ihr? Holla, beruhigt euch!

GERONIO
Welch Raserei... welche Wut!

NARCISO
Aber Fiorilla, schämt Euch...
Zaida, holla, wirst du nicht rot?
Nun, redet anständig miteinander,
fangt nicht an zu beschimpfen.

DICHTER
Macht weiter... weiter... bravissimo...
da... dort... gut; so ist's bestens...
rauft euch... würgt euch,
kratzt... beißt... das gefällt mir...
Was für ein Finale... was für ein großartiges Finale!
Oh, was für eine Sensation wird das machen!

ALLE ANDEREN
Wenn der Wind unvermittelt losstürmt,
die Wälder schüttelt und die Zweige entlaubt,
wenn das Meer im Sturm tosend
schäumt, kocht, den Strand überflutet,
macht das weniger Krach als zwei Frauen,
wenn sie Rivalinnen in der Liebe sind.

ZWEITER AKT

Erste Szene

Zimmer in einem Gasthaus.
Tische mit Lichtern usw.
(Don Geronio und der Dichter sitzen. Sie trinken.
Selim kommt herein.)


SELIM
Übrigens, mein Freund,
ohne viel Sucherei
finde ich dich hier.
Ich muß dir große Dinge sagen.

DICHTER
(Eine neue Verwicklung!)

GERONIO
Und große Dinge, so überlegte ich mir,
habe auch ich dir zu sagen.

DICHTER
(Ich ziehe mich zurück
um nicht hineingezogen zu werden
und alles niederzuschreiben.)
(Er zieht sich zurück.)

SELIM
Ich höre dir zu.

GERONIO
Redet.

SELIM
Nun gut, wir können uns setzen.
Wie viele Jahre sind es,
daß Ihr mit Donna Fiorilla
ehelich verbunden seid?

GERONIO
In Kürze werden es sechs sein.
(Ruhig, Geronio.)

SELIM
Liebe, die mehr als fünf Jahre dauert,
muß sehr ermüdend sein.

GERONIO
Tatsächlich bin ich
müde, sehr müde sogar.

SELIM
Und die Ehe
ist eine große Last für Euch.

GERONIO
Das weiß ein jeder,
auf dessen Schultern sie lastet.

SELIM
Ich komme, mein Freund,
um dir ein Heilmittel anzubieten,
das dich aus dieser Ungemach herauszieht;
und für deine Antwort mußt du
keine Mühe aufwenden.

GERONIO
Doch... wie...erklärt Euch.

SELIM
Höre.

GERONIO
Ich höre.

SELIM
Von einem schönen Brauch in der Türkei
hast du vielleicht schon gehört;
wird ihm die Ehefrau zur Last,
wird der Gatte ihr Verkäufer.

GERONIO
Das mag ein sehr guter Brauch sein,
doch in Italien gibt's einen besseren Brauch:
auf die Nase schlägt der Gatte
fast immer dem Kunden.

SELIM
Auch das mag gut sein,
doch zwischen uns muß das nicht geschehen.

GERONIO
Im Gegenteil, diesen mehr als jene
mag ich anwenden.

SELIM
Warum denn?

GERONIO
Unsere Bräuche
möchte ich noch aufrechterhalten.

SELIM
(Er ist also gar nicht so dumm
wie die andern meinen, daß er sei.)

GERONIO
Auf, urteile, mein Kopf.

SELIM und GERONIO
Stolz und Mut braucht es hier.

SELIM
Wenn Ihr daran denkt, Fiorilla zu verkaufen,
ohne langes Hin und Her,
so kaufe ich sie und bezahle Euch so viel,
daß Ihr, wenn ihr wollt, auch drei kaufen könnt.

GERONIO
Herr Türke, ich sagte es und wiederhole es:
ich verkaufe niemanden meine Frau,
und mag es gut oder schlecht sein,
ich... ich will meine Frau behalten.

SELIM
(Verflucht!) Doch bedenkt...

GERONIO
Ich habe es bedacht.

SELIM
Ihr werdet hitzig.

GERONIO
Sicher erhitze ich mich.

SELIM und GERONIO
(Einen härteren und dickeren Schädel
gibt es wohl auf Erden nicht.)

SELIM
Ihr wollt nicht?

GERONIO
Donnerwetter, nein.

SELIM
Ihr lehnt ab?

GERONIO
Ja, ich lehne ab.

SELIM
Ich werde sie, Euch zum Trotze, haben.

GERONIO
Ihr werdet sie nicht haben!

SELIM
Ich weiß einen anderen Brauch.

GERONIO
Und der wäre?

SELIM
Sie zu entführen.
Und statt zu bezahlen
den Narren, der sich entgegenstellt,
ihn zu töten, um Zeit zu sparen.

GERONIO
Aber Ihr müßt fürchten
daß es, statt ihn zu töten,
geschehen könnte, daß Ihr
getötet auf der Strecke bleibt.

SELIM und GERONIO
Wir sehen uns andernorts.
Und dort wird es Messer geben,
und dort wird es Gewehre geben,
und Ihr werdet sehen, daß ich mich
durch Drohungen nicht einschüchtern lasse.
(Sie gehen nach verschiedenen Seiten hinaus.
Fiorilla tritt mit dem Chor ein.)


CHOR
Es gibt keine vollkommene Freude,
wenn nicht die Liebe sie schützt.
Die Liebe ist der Förderer
des Spaßes und des Vergnügens.

FIORILLA
Wenn der Zephir sich niedersenkt,
um eine Blüte zu besuchen,
wenn von der Lilie zur Rose
stets der Schmetterling schwebt,
sind der Zephir wie der Schmetterling
von der Macht der Liebe gerührt.

CHOR
Des Spaßes und der Freude
Schutzherrin ist die Liebe.

FIORILLA
Wenn die erste Dämmerung
des Frühlings lächelt,
wenn sich die ganze Natur
wieder wie früher schmückt,
ist es der Hauch des Glückes,
den die Liebe über die Erde breitet.

CHOR
Des Spaßes und der Freude
Schutzherrin ist die Liebe.

FIORILLA
Diese unverschämte Türkin!
Sie wagt es, Fiorilla den Geliebten streitig zu machen!
Ich weiß genau, wie ich mich an ihr räche:
ich will, daß sie zugegen ist
bei meinem Sieg. Um jeden Preis
werde ich den Stolz jenes Luders brechen.
Sie kann ihren Türken haben,
da ich ihn nicht mehr will.
Ich habe sie in dieses Gasthaus bestellt
in Selims Namen: laß sie kommen,
und wir werden schon sehen, wen von uns
er erwählt.
(Zaida kommt herein.)

ZAIDA
Verzeiht... ich irrte...

FIORILLA
Kommt herein, kommt nur herein:
ich habe Euch eingeladen.

ZAIDA
(tritt ganz ins Zimmer)
Ihr!

FIORILLA
Ja; in wenigen Augenblicken
werdet Ihr Selim hier sehen.
ich will nicht, daß Eure Abwesenheit
irgendwelchen Vorteil
in Bezug auf sein Herz verschafft.
Nun können wir uns in Frieden um ihn
streiten: Er wird zwischen uns wählen,
wer ihm am meisten gefällt.

ZAIDA
Nutzlos ist die Wahl,
wo die Pflicht spricht
und die Liebe.

FIORILLA
Alles, alles, das weiß man ja,
gibt der Liebe nach.
Da ist schon Selim.
(Selim tritt ein.)

SELIM
Euch endlich allein zu finden,
so hoffte ich, schöne Fiorilla,
doch Ihr könnt nicht einen Augenblick
lang allein bleiben.

FIORILLA
Ihr werdet zufriedener sein,
wenn ihr alle Eingeladenen
betrachtet habt.

SELIM
Zaida!

ZAIDA
Ungetreuer!

SELIM
Aber... wie... in diesem Gasthaus...
Was bedeutet das?

FIORILLA
Sie ehrt dieses Wirtshaus
durch ihre Gegenwart,
um zu sehen, ob Ihr mich
oder sie bevorzugt.
Entscheidet.

ZAIDA
Redet.

SELIM
Ihr bringt mich in einen großen Zwiespalt.

ZAIDA
Verräter! Ach, ich verstehe!
Ich kam hierher, um Zeugin
meiner eigenen Schmach zu werden.

SELIM
Ah, nein!
(Zaida geht hinaus.)

FIORILLA
So geht doch mit ihr fort!

SELIM
Lebt wohl...
(Sie läßt mich gehen!)

FIORILLA
(Er geht tatsächlich!)

SELIM
(Hier braucht es Diplomatie.)

FIORILLA
(Hier braucht es Kunst.)

SELIM
(als ob er zu sich selbst redete)
Glaubt nur den Frauen,
die sagen, sie liebten euch!
Wegen eines Nichts erzürnen sie sich,
drohen, euch zu verlassen.
Die Liebe einer Frau
ist ein Feuer, das stirbt,
kaum, daß es aufflammt.

FIORILLA
(als ob sie zu sich selbst redete)
Glaubt nur diesen Männern,
die ihr um euch habt!
Nach allen Frauen seufzen sie
und lieben keinen Tag lang.
Sie sind der Sommerwind,
den ihr nicht mehr wiederfindet,
wenn er einmal vorüber ist.

SELIM
Ungerecht ist es, sich zu beklagen,
wenn man ein treues Herz verstoßen hat.

FIORILLA
(ein wenig näher kommend)
Eine schöne Sache, sich davonzumachen,
um nicht zu sagen, daß man untreu ist.

SELIM
Ich bin es nicht.

FIORILLA
Zu Euch rede ich nicht.

SELIM
Wie?

FIORILLA
Nein.

SELIM
Es schien aber so.

FIORILLA
In Italien, das ist gewiß,
liebt man nicht auf diese Art.

SELIM
In der Türkei, das ist gewiß,
liebt man nicht auf diese Art.

FIORILLA und SELIM
(Doch wenn dieser Streit noch lange dauert,
wird er/sie wütend und geht.
Laß es uns im Ruhigen besprechen,
und dann wird er/sie sich beruhigen.)

SELIM
So kann ich nicht mehr hoffen!

FIORILLA
So bin ich verspottet!

SELIM
Eure Hand...
(will sie küssen)

FIORILLA
Ich kann nicht.

SELIM
Mein Engel, verzeihe mir!

FIORILLA
Ihr verdient es?

SELIM
Ich liebe Euch.

FIORILLA
Und Ihr werdet mich lieben?

SELIM
Immer.

SELIM und FIORILLA
Du liebst mich, ich sehe es,
ich traue und glaube dir;
doch sage es mir,
mein Leben, noch einmal.
Wenn ich untreu dir bin,
wenn ich jemals dich verlasse,
sei auf immer der Frieden
fremd meinem Herzen.

(Sie gehen hinaus. Don Geronio kommt, gefolgt vom
Dichter, schließlich Narciso beiseite.)


DICHTER
Haltet an!

GERONIO
Was gibt es?

DICHTER
Eine große Neuigkeit.

GERONIO
Erklärt.

DICHTER
Eine Entführung, mein Freund,
ist vorbereitet.

GERONIO
Was sagst du?
Ist es wahr, was ich höre?

NARCISO
(Fiorilla ist gegangen, und beide sind hier!
Was tun sie hier?
Lauschen wir ein wenig.)

DICHTER
Zu einem Fest soll Fiorilla
gehen; dort erwartet sie
maskiert Selim,
der sie zu überreden hofft,
mit ihm in die Türkei zu reisen.

NARCISO
(Was höre ich?)

GERONIO
Ich Unglücklicher! O meine Gattin!

DICHTER
Hört. Ich lief Zaida
alles zu erzählen:
auf die gleiche Weise gekleidet
wird sie zu dem Feste gehen;
so daß sie Fiorilla, mit der Maske
vor dem Gesicht, genau gleicht.
Und Ihr müßt wie ein Türke dorthin gehen.

GERONIO
Und dann?

DICHTER
Dann könnt Ihr
die getäuschte Fiorilla...

GERONIO
Ich habe verstanden... gehen wir...
laßt uns keine Zeit mehr verlieren.

DICHTER
Ah, fürchtet nicht. Als Letzter
wird Selim erscheinen:
viele von unseren Freunden,
die ihn beschäftigen werden,
wird er auf seinem Weg finden.
Geht unterdessen und bereitet
Eure Maske und Euer Gewand.

GERONIO
Ich eile.
(Er geht hinaus.)

DICHTER
(Das Drama ist schon fertig.)

Zweite Szene

Ein festlich beleuchteter Ballsaal
Maskierte, Tänzerinnen, Tänzer.
(Fiorilla tritt ein.)


FIORILLA
Und Selim ist nicht zu sehen!
Unter all diesen Leuten
kann ich ihn noch nicht finden...
Wo mag er sein?
(Narciso tritt herein.)

NARCISO
(Das ist Fiorilla.)

FIORILLA
Oh, endlich, da ist er ja.
Selim

NARCISO
Fiorilla...

FIORILLA
So lange ließet
Ihr mich warten?

NARCISO
Verzeiht...

FIORILLA
reicht mir den Arm
und flaniert mit mir.
(Sie verlieren sich in der Menge.
Zaida tritt herein, gefolgt von Selim.)


SELIM
Meine teure Fiorilla,
warum schweigt Ihr?
Seid Ihr vielleicht ärgerlich,
weil ich ein wenig spät kam?
Um mich herum fand ich
tausend Maskierte...

ZAIDA
Ihr hättet Euch schließlich
ein wenig schneller befreien können.

SELIM
Nun bitte, Verzeihung...
Fiorilla...

ZAIDA
(Ah, Verräter!
Ich rase vor Wut!)

SELIM
Nehmt meinen Arm
und laßt uns ein wenig flanieren.
(Auch sie verlieren sich in der Menge.)

GERONIO
Da bin ich. Es ist das erste Mal,
daß ich maskiert mich
auf einem Fest befinde.
Armer Don Geronio!
Verflucht sei die Liebe und auch die Ehe!
(Fiorilla kommt mit Narciso zurück.)

Doch was sehe ich!
Fiorilla ist schon da,
und ist schon mit Selim zusammen.
(Von der anderen Seite kommen Zaida und Selim.)
Doch... wie? Noch einen Selim
erblicke ich, und auch jene
scheint mir Fiorilla zu sein...
Was ist das für ein Durcheinander?
Welche von ihnen mag meine Frau sein?
Oh, seht doch dies Mißgeschick!
Ich kenne meine Frau nicht mehr!
Gleiche Türken, gleiche Kleider,
alles gleich... was soll ich tun?

NARCISO
Nein, ohne Euch kann ich nicht
von hier fortgehen, meine Fiorilla.

ZAIDA
Doch ich kann nicht verstehen,
was mein Schicksal sein wird.

GERONIO
Ich kenne meine Frau nicht mehr,
wie kläre ich es, was soll ich tun?

SELIM
Ach, folgt mir in die Türkei.
Dort mache ich Euch zu meiner Gattin.

FIORILLA
Mein Herz will mich hinreißen,
doch ich kann mich nicht entscheiden.

GERONIO
Ich kenne meine Frau nicht mehr, usw.

SELIM
(Ach, mitleidvolle Liebe,
hilf den guten Wünschen meines Herzens.)
Ah! Wenn ich dir lieb bin,
kann ich an kein anderes Glück denken.

NARCISO
(Ach, mitleidvolle Liebe,
hilf meinem unschuldigen Betrug.)
Ah! Wenn ich dir lieb bin,
kann ich an kein anderes Glück denken.

FIORILLA und ZAIDA
(Ach, mitleidvolle Liebe,
besänftige alle Gefühle in meinem Herzen.)
Ah! Wenn ich dir lieb bin,
kann ich an kein anderes Glück denken.

GERONIO
Ich bin wirklich ein schöner Gatte;
ich finde nicht heraus, wer von den beiden
meine Frau sein mag;
soll ich sprechen, ja oder nein?

SELIM und NARCISO
So folget mir.

GERONIO
Ich stehe wie versteinert.

FIORILLA und ZAIDA
Nun wohl, ich bin die deine.

GERONIO
Ich werde blind.

SELIM, NARCISO, FIORILLA, ZAIDA
Wir wollen gehen.

GERONIO
Sie gehen!
Halt! Stehenbleiben...

SELIM
Was verlangt er?
Was wünscht er?

ZAIDA
Überlaßt ihn doch seinen eigenen Geschäften.

NARCISO
Das ist Geronio: kommt rasch.

FIORILLA
Ha, ha, ich habe verstanden; das ist mein Gatte.

GERONIO
Ihr werdet hier bleiben und nicht gehen;
ich will meine Frau, und sie ist hier.

FIORILLA und ZAIDA
Seine Frau ist hier?

SELIM, NARCISO, FIORILLA, ZAIDA
Er wird verrückt!

GERONIO
Ich will meine Frau,
und sie ist hier.

CHOR
Welch ein Aufruhr!

ALLE
An anderem Ort
werdet Ihr sie finden.

GERONIO
Halt! Niemand
geht fort von hier!

SELIM, NARCISO, FIORILLA, ZAIDA
Dieser verfluchte Alte
könnte uns verdächtig erscheinen lassen;
leise, leise machen wir uns davon,
bevor es einen Kampf gibt.

GERONIO
Ah! Verfluchter Türke!
Ich bebe vor Wut und vor Ärger;
doch hört mich an, ihr Herren,
doch laßt mich reden.

CHOR
Leise, leise geht hinaus;
bleibt nicht hier und beleidigt uns.
(Die beiden Paare versuchen hinauszuschleichen, doch Don Geronio,
der außer sich ist, stellt sich vor sie, um sie aufzuhalten.)


SELIM, NARCISO, FIORILLA, ZAIDA
Er ist verrückt... hört ihr ihn?
(Es wäre gut für uns, zu entwischen.)
Ah! Haltet ein... hindert ihn...
(Mein Engel, zweifle nicht.)
Die ist es nicht und auch nicht die...
Ihr täuscht Euch: Es ist Euer Kopf,
der Euch vormacht, sie sei unter ihnen.

GERONIO
Ich bin nicht verrückt! Doch hört...
Ihr wollt mich umbringen...
Ich will meine Frau, versteht mich gut...
Laßt mich reden...
Es mag diese sein, es mag jene sein...
Diese, jene... Mein Kopf
kann nicht zwischen ihnen unterscheiden.

CHOR
Ihr seid verrückt... doch hört...
man kommt nicht, uns zu stören...
Ihr irrt Euch: Es ist Euer Kopf,
der Euch vormacht, sie sei unter ihnen.
(Selim und Zaida gehen nach der einen Seite hinaus,
Narciso und Fiorilla nach der anderen. Dann geht der
Chor ab und läßt Don Geronio allein zurück.)


Dritte Szene

Strand wie im ersten Akt.
Im Hintergrund sieht man die türkischen Seeleute,
welche die Abfahrt vorbereiten.

(Fiorilla kommt, dann Don Geronio mit dem Dichter.)

FIORILLA
Ja, ich muß fortgehen:
ich habe nicht den Mut, mich ihm zu zeigen.
Schwer ist mein Unrecht,
dieser Strand nahe des Hafens
ist abgelegen und immer voller Schiffe;
sie kommen und gehen
zwischen Neapel und Sorrent...
Und da... das ist Selims Schiff.
Wärst du doch niemals an diesem Strand
gelandet, verhängnisvolles Schiff!

DICHTER
Schaut sie an; sie seufzt.

GERONIO
Sie ist von Reue erfüllt,
sie bereut wirklich.

DICHTER
Habe ich es Euch nicht gesagt?
Warum seid ihr unentschlossen?
Vortretet!

FIORILLA
Geronio! warum ist er hier?
Es scheint, als komme er näher.

GERONIO
Armes Fiorellinchen!

FIORILLA
Er sieht mich an und nähert sich.

DICHTER
Sie hat Euch gesehen
und betrachtet Euch.

FIORILLA
(Wer weiß, vielleicht spricht für mich
seine frühere Liebe zu mir.)
Ich bin der Weinstock, der auf dem Felde verwelkt,
weil ihm die Fürsorge des Teuren fehlt.

GERONIO
Ich war die Ulme, der ihr Weinstock geraubt wurde,
und verlassen stand sie da.

DICHTER
Der gutherzige Züchter bin ich,
der von neuem die beiden vereinigen kann.

FIORILLA, GERONIO, DICHTER
(Winde dich um mich herum/Windet euch um euch herum,
schau mich an und seufze/schaut euch an und seufzt.)
Laßt uns voranschreiten/voranschreitet,
besänftigt scheint sie mir/beruhigt scheint er mir.

GERONIO
Liebster Weinstock...

FIORILLA
Geliebte Ulme...

DICHTER
Was für eine schöne Allegorie!

GERONIO
An meine Tränke...

FIORILLA
In meinen Schatten...
Kannst du zurückkehren.

DICHTER
Das Finale kann nicht fehlschlagen.

FIORILLA, GERONIO
Ja, kehre in diese Arme zurück.

FIORILLA
Liebste Ulme, zum Ergrünen.

GERONIO
Geliebter Weinstock, zum Ergrünen.

DICHTER
Bravo, ja, es mag euch wohl bekommen!
Nichts fehlt mehr an dem Drama.
(Selim, Zaida, Zigeuner, Zigeunerinnen und
schließlich Narciso treten auf.)


CHOR
Möge der Himmel euch milde lächeln,
ruhig seien für euch die Winde,

und euch zufrieden geleiten,
um eurer Heimat Luft wieder zu atmen.

SELIM
Teures Italien, ich verlasse dich,
doch auf immer werde ich dich im Herzen tragen.
Daß ich durch dich glücklich bin,
daran will ich mich jeden Tag erinnern.

ZAIDA
Fiorilla kommt. Schon hat
Don Geronio Frieden mit ihr geschlossen.

DICHTER
Da ist der Türke... ich möchte nicht...
Dieses Zusammentreffen mißfällt mir.

FIORILLA (leise zu Don Geronio)
Ich kann ihn nicht mehr sehen...

GERONIO (leise zu Fiorillo)
Nur ein höflicher Gruß...
Dann könne wir sie hier zurücklassen.

SELIM
Vergebt uns unsere Fehler.

ZAIDA, GERONIO, FIORILLA
Sie sind schon vergeben.

NARCISO
Gestattet mir, Herrschaften,
daß auch ich um Vergebung bitte!
Ach, die Lektion, die Ihr mir gegeben habt,
wird mich wohl zurechtrücken.

DICHTER
Die Handlung ist zu Ende.
Mein Drama hat einen glücklichen Ausgang.
Und zufrieden, wie ich es bin,
wird vielleicht auch das Publikum sein.

ALLE
Bleibt zufrieden:
lebet glücklich,
und lehrt alle Leute,
daß leicht der Fehler ist,
wenn aus ihm die Liebe
um so schöner sich erhebt.
(Selim und Zaida gehen zum Strand hinunter, um sich
einzuschiffen, während die anderen grüßen. Indessen fällt der Vorhang.)


ENDE
 

 

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