Otello, Mohr, Befehlshaber der venezianischen Flotte, (Tenor) Jago, Fähnrich, (Bariton) Cassio, Hauptmann, (Tenor) Rodrigo, ein edler Venezianer, (Tenor) Montano, der Vorgänger Otellos auf Zypern, (Bass) Ein Herold (Bass) Desdemona, Otellos Gemahlin, (Sopran) Emilia, Jagos Gattin, (Mezzosopran) Lodovico, Gesandter der Rep. Venedig, (Bass) Soldaten und Seeleute der Republik Venedig Edelmannen und venezianische Nobili Zyprioten beiderlei Geschlechts griechische, dalmatinische und albanische Krieger ein Schankwirt mit vier Gehilfen Volk Ort und Zeit der Handlung: Hafenstadt auf der Insel Zypern, Ende des 15. Jahrhunderts Zypern, Ende des 15. Jahrhunderts. Ein Platz vor einer Festung am Meer, im Hintergrund Festungsmauern und die See. Eine Schenke mit Laubengang. Es ist Abend; Gewitter und Sturm über dem Meer. ZYPRIOTEN Ein Segel! Ein Segel! Ein Banner! Ein Banner! MONTANO Der geflügelte Löwe! CASSIO Der Blitzschein erhellt es! ZYPRIOTEN Eine Fanfare! Eine Fanfare! Die Kanone hat getönt! CASSIO Es ist das Schiff des Generals! MONTANO Es geht unter! – Es steigt auf! CASSIO Der Bug hebt sich aus dem Wasser! EINIGE ZYPRIOTEN Vom Dunst verschleiert und vom Meer, im Licht der Blitze erscheint das Schiff! ALLE Blitze! Donner! Strudel! Heulen des Sturms und des Gewitters! Es bebt das Wasser, es bebt die Luft, es beben Meeresgrund und Wogen! (Viele Frauen kommen aus dem Hintergrund nach vorne.) Ein wilder Dämon, grimmig und blind, zerteilt den Äther! FRAUEN (schreiend) Ah! ALLE Gott erschüttert den dunklen Himmel wie einen schwarzen Schleier! FRAUEN Ah! ALLE Alles Rauch! Alles Feuer! Die schreckliche Finsternis birst in Flammen und erlischt in noch tieferer Nacht! Es zuckt das ganze All, in wilden Stößen braust der geisterhafte Nordwind, titanische Trompeten dröhnen durch den Himmel! (Sie wenden sich mit angstvoll flehenden Gebärden zur Mole.) Gott, das Leuchten des Gewitters! Gott, das Locken des Gestades! Rette das Schiff und die Standarte, wende das Los der Venezianer! Der du die Sterne und das Schicksal lenkst, der du Erde und Himmel beherrschst, lass auf dem Grund des ruhigen Meers den getreuen Anker ruhen! JAGO Gebrochen der Mast! RODRIGO Der Bug stößt an das Riff! DIE MENGE Hilfe! Hilfe! JAGO (zu Rodrigo) Der tobende Schlund des Meeres sei sein Grab! DIE MENGE Gerettet! Gerettet! MATROSEN (an Bord des Schiffs) Setzt die Boote aus! An die Taue! Haltet fest! Kräftig gerudert! Ans Land! (ferner Donner) Ans Ufer! Zum Kai! DIE MENGE Hoch! Hoch! Hoch! (Othello tritt auf und steigt die Treppe zur Festung hinauf, von Matrosen und Soldaten begleitet.) OTHELLO Freut euch! Der Stolz der Muselmanen liegt begraben im Meer! Der Ruhm ist unser und des Himmels! Nach unseren Waffen besiegte sie noch der Sturm! DIE MENGE Es lebe Othello! Hoch! Hoch! Hoch! Sieg! Sieg! (Othello geht in die Festung, gefolgt von Cassio, Montano und Soldaten.) Sieg! Sieg! Vernichtung! Vernichtung! Verstreut, vernichtet, begraben liegen sie in der grässlichen Tiefe! Sieg! Sieg! Sieg! Sieg! Vernichtung! Vernichtung! usw. Das Requiem bringe ihnen die Geißel der Wellen, das Wirbeln des Windes, der Abgrund des Meeres! Sieg! Sieg! Verstreut, vernichtet, usw. Hoch! (Ferner Donner. Der Sturm legt sich.) Das Unwetter beruhigt sich. JAGO (abseits zu Rodrigo) Rodrigo, nun, woran denkst du? RODRIGO Mich zu ertränken! JAGO Nur ein Narr ertränkt sich aus Liebe zu einer Frau! (Während das Schiff entladen wird und man die Waffen und Lasten in die Festung trägt, kommen einige Bürger hinter den Mauern hervor. Sie bringen Reisigbündel, um sie auf dem Damm zu entzünden; Soldaten leuchten ihnen mit Fackeln, während sie einen Scheiterhaufen errichten. Die Menge drängt sich neugierig und aufgeregt um sie.) RODRIGO Ich weiß mir nicht zu helfen. JAGO Ei was, sei vernünftig, erwart das Werk der Zeit; die schöne Desdemona, die du in deinen heimlichen Träumen anbetest, wird sie bald verabscheuen, die trüben Küsse dieses Wilden mit seinen wulstigen Lippen! Guter Rodrigo, ich bin dein treuer Freund, das erklär ich, und helf dir jetzt in deiner höchsten Not: Wenn der schwache Liebesschwur eines Weibes kein allzu starker Knoten ist für meinen Witz oder für die Hölle – dann schwör ich, dieses Weib wird dein! Hör, wiewohl ich vorgeb, ihn zu lieben, hass ich den Mohren. (Cassio tritt auf und geht zu einer Gruppe von Soldaten.) Und ein Grund meines Hasses ist der dort, sieh! (Zeigt auf Cassio.) Der aufgeputzte Hauptmann hat meinen Rang geraubt, den Rang, den ich in hundert guten Schlachten mir verdient hab; das war Othellos Wille, und ich bleibe bei Seiner Mohrenhoheit nur Fähnrich! (Aus dem Scheiterhaufen steigen immer dichtere Rauchwolken auf.) Aber so wahr du Rodrigo bist, so wahr ist es auch, dass, wär ich der Mohr, ich möchte keinen Jago um mich haben. Hör mich an... (Er redet weiter auf Rodrigo ein und führt ihn mit sich zur Seite. Flammen schlagen aus dem Scheiterhaufen, um den sich die Zyprioten versammeln. Inzwischen schmücken Leute aus der Schenke den Laubengang mit festlicher Beleuchtung. Soldaten setzen sich trinkend und plaudernd an die Tische.) ZYPRIOTEN Feuer der Freude! Die fröhliche Flamme vertreibt die Nacht mit ihrem Schein! Es zuckt, sprüht, knistert, flammt auf; blitzendes Feuer dringt in das Herz! Vom Licht angezogene flimmernde Gestalten tanzen umher in wechselnden Reihen, bald junge Mädchen mit heiteren Liedern, bald Falter mit flammenden Flügeln! Es brennt die Palme mit dem Feigenbaum, es singt die Gattin mit ihrem Getreuen; auf die goldene Flamme, auf den fröhlichen Chor bläst der feurige Hauch des Himmels! usw. Das Feuer der Freude verbrennt schnell! Schnell verlischt das Feuer der Liebe! Es leuchtet, ermattet, zuckt auf, zittert, der letzte Funke blitzt auf und erstirbt! Das Feuer der Freude, verbrennt schnell! Es leuchtet, ermattet, zuckt auf, zittert, der letzte Funke blitzt auf und erstirbt! Feuer der Freude usw. (Das Feuer verlischt nach und nach; der Sturm hat sich gänzlich gelegt.) ... blitzt auf und erstirbt! (Jago, Rodrigo, Cassio und mehrere Soldaten haben sich um einen Tisch versammelt, auf dem Wein kredenzt ist.) JAGO Rodrigo, lass uns trinken! (zu Cassio) Den Becher her, Hauptmann! CASSIO Ich trink nicht mehr. JAGO (führt den Weinkrug an Cassios Becher) Noch diesen Schluck hinunter! CASSIO (zieht den Becher weg) Nein! JAGO Schau! Heute ist ganz Zypern närrisch! Es ist eine Nacht der Freude, also... CASSIO Hör auf! Mir brennt schon der Kopf nach einem einzigen Becher. JAGO Ei, du musst noch weiter trinken! Auf die Hochzeit von Othello und Desdemona! ZYPRIOTEN Hoch! CASSIO (hebt den Becher und trinkt ein wenig) Sie ist die Zierde dieser Insel! JAGO (leise zu Rodrigo) Hör ihn dir an! CASSIO Mit ihrem Zauber bezwingt sie alle Herzen! RODRIGO Und doch ist sie so bescheiden! CASSIO Du, Jago, sing ihr Loblied! JAGO (leise zu Rodrigo) Hör ihn dir an! (laut zu Cassio) Ich bin nur ein Kritiker! CASSIO Und sie ist über alles Lob erhaben! JAGO (leise zu Rodrigo) Hüte dich vor diesem Cassio! RODRIGO Was fürchtest du? JAGO (zu Rodrigo) Er schwätzt mit zuviel Hitze, sein jugendlicher Eifer spornt ihn an, er ist ein schlauer Verführer, der dir den Weg verstellt. Hüte dich! RODRIGO Nun? JAGO Ist er berauscht, dann ist er verloren! Bring ihn zum Trinken! (zu den Schenken) He, Burschen, Wein her! (Er füllt drei Becher, für sich selbst, Rodrigo und Cassio. Die Schenken gehen mit Kannen umher und warten den anderen auf; die Menge läuft neugierig zusammen.) (hebt den Becher, zu Cassio) Netz dir den Gaumen! Trink, zech, eh du das Lied und den Becher versäumst! CASSIO (zu Jago, den Becher in der Hand) Dies ist das wahre Manna des Rebstocks, mit seinem zarten Duft benebelt es den Geist! JAGO (zu allen) Wer je dem kühnen und wilden Bacchussang erlegen ist, der trinke mit mir, trinke mit mir, trinke, usw. ... trinke mit mir! RODRIGO, ZYPRIOTEN, SOLDATEN Wer je dem kühnen und wilden, usw. der trinkt mit dir... JAGO Trinke, trinke... RODRIGO, ZYPRIOTEN, SOLDATEN ... trinkt mit dir... JAGO Trinke, trinke... RODRIGO, ZYPRIOTEN, SOLDATEN ... trinkt mit dir... ... trinkt... JAGO ... trinke! RODRIGO, ZYPRIOTEN, SOLDATEN ... trinkt, trinkt, trinkt mit dir! JAGO (zu Rodrigo, auf Cassio zeigend) Noch einen Schluck, und er ist berauscht! RODRIGO (zu Jago) Noch einen Schluck, und er ist berauscht! JAGO (zu allen) Das Weltall schwankt, wenn ich betrunken bin! Ich trotze der ironischen Gottheit und dem Schicksal! CASSIO (trinkt noch einmal) Ich bebe wie eine tönende Laute, die Freude schreitet auf meinem Pfad! JAGO Wer je dem kühnen und wilden, usw. RODRIGO, ZYPRIOTEN, SOLDATEN, dann JAGO Wer je dem kühnen und wilden, usw. JAGO (zu Rodrigo) Noch einen Schluck, und er ist berauscht! RODRIGO (zu Jago) Noch einen Schluck, und er ist berauscht! JAGO (laut, zu allen) Vor dem schäumenden Becher fliehen die Feigen... CASSIO (unterbricht ihn) Jeder kann mir auf den Grund der Seele schauen! (trinkt) JAGO (funterbricht ihn) ... die im Herzen Arglist verbergen! CASSIO Ich fürchte die Wahrheit nicht! (taumelt) JAGO Wer je dem kühnen und wilden... ... Bacchussang erlag... trinke mit mir, trinke mit mir! CASSIO Ich fürchte die Wahrheit nicht, usw. ... ich fürchte die Wahrheit nicht und trinke, und trinke, trinke, und... JAGO Ah! Trink, trink mit mir! EINIGE ZUSCHAUER (lachend) Haha! Haha! usw. Haha! Haha! usw. CASSIO Des Bechers... JAGO (zu Rodrigo) Er ist sinnlos betrunken... ... rasch, verwickle ihn in einen Streit; er ist jetzt leicht aufgebracht, wird dich angreifen, dann gibt es Aufruhr! Denk daran, dass du so dem glücklichen Othello die erste Liebesnacht stören kannst! CASSIO Des Bechers – Rand – (mit immer schwerer werdender Zunge) Des Bechers – Rand – Rand – (Die anderen lachen.) RODRIGO (leise zu Jago) Und eben das treibt mich an! CASSIO – von Purpur – Purpur – von Purpur rot – RODRIGO, ZYPRIOTEN, SOLDATEN Ah, haha! Haha! Haha! Trink, trink mit mir, usw. JAGO Trink, trink! RODRIGO, JAGO, ZYPRIOTEN, SOLDATEN Trink, trink, trink mit mir! CASSIO Ich trink, trink, trink mit dir! (Alle trinken.) MONTANO (kommt aus der Festung, zu Cassio) Hauptmann, die Wache erwartet Euch an der Mole. CASSIO (taumelnd) Wohlan! MONTANO Was seh ich? JAGO (leise, nahe bei Montano) Jede Nacht bereitet sich Cassio auf diese Weise auf den Schlaf vor! MONTANO Othello soll es erfahren! CASSIO Gehn wir zur Mole! RODRIGO (lacht) Haha!... ... Haha! MÄNNER Haha! CASSIO Wer lacht da? RODRIGO (herausfordernd) Ich lache über einen Trunkenbold! CASSIO Nun hüte dich! (stürzt sich auf Rodrigo) Schurke! RODRIGO (verteidigt sich) Betrunkener Rüpel! CASSIO Du Lump! Nichts kann dich mehr retten! MONTANO (trennt sie mit Gewalt, zu Cassio) Haltet ein, Hauptmann, ich bitte Euch! CASSIO (zu Montano) Ich spalt dir den Schädel, wenn du dich einmischst! MONTANO Die Sprache eines Betrunkenen... CASSIO Eines Betrunkenen? (Er zieht das Schwert, Montano ebenfalls. Beide stoßen wütend zusammen; die Menge weicht zurück.) JAGO (leise zu Rodrigo) Eil zum Hafen, so schnell du kannst, schrei laut: Aufruhr! Aufruhr! Geh! Verbreite Unruhe und Schrecken; die Glocken sollen Sturm Iäuten! (Rodrigo läuft davon. Jago wendet sich schnell an die beiden Kämpfenden.) Kameraden! Beendet diesen bösen Hader! FRAUEN (fliehend) Fort von hier! JAGO Himmel! Schon fließt Montanos Blut! Schrecklicher Streit! FRAUEN Fort! Fort! JAGO Haltet ein! MÄNNER Haltet ein! JAGO Haltet ein! MÄNNER Haltet ein! FRAUEN Sie bringen sich um! MÄNNER Friede! JAGO Niemand kann den Streit verhindern! (zu den Umstehenden) So schlagt doch Alarm! Satan ist in sie gefahren! MÄNNER Waffen! Waffen! FRAUEN, dann ALLE Zu Hilfe! Zu Hilfe! usw. MÄNNER Waffen! Waffen! FRAUEN, dann ALLE Zu Hilfe! usw. (Die Glocken läuten Sturm; der Kampf geht weiter, während die Frauen fliehen. Othello erscheint, gefolgt von Leuten mit Fackeln. Die Glocken schweigen.) OTHELLO Nieder mit den Schwertern! (Die Kämpfenden halten ein.) Holla! Was geht hier vor? Bin ich bei den Sarazenen? Oder hat die Wut der Türken euch gepackt, euch gegenseitig zu zerfleischen? Ehrlicher Jago, bei deiner Liebe, die du zu mir hegst, sprich! JAGO Ich weiß nicht... Hier waren alle eben noch gute Freunde und voller Fröhlichkeit, doch da auf einmal, als ob ein böser Planet ihnen den Sinn verwirrt hätte, zogen sie die Waffen und stürzten sich wütend aufeinander. Hätte ich mir lieber die Füße abgehauen, die mich hierhertrugen! OTHELLO Cassio, wie konntest du dich so vergessen? CASSIO Gnade... verzeiht... ich kann nicht sprechen – OTHELLO Montano? MONTANO (von einem Soldaten gestützt) Ich bin verwundet... OTHELLO Verwundet! Beim Himmel, mein Blut wallt wieder auf! Ah! dieser Zorn treibt unseren Schutzengel zur Flucht! (Desdemona erscheint; Othello geht ihr schnell entgegen.) Wie? Meine süße Desdemona! Auch sie habt ihr aus ihren Träumen geschreckt? Cassio, du bist nicht länger Hauptmann! (Cassio lässt das Schwert fallen, das Jago aufhebt.) JAGO (übergibt Cassios Schwert einem Soldaten, für sich) Welch ein Triumph! OTHELLO Jago, geh in die aufgeschreckte Stadt und stell mit dieser Truppe wieder Frieden her! (Jago ab) Helft Montano! (Montano wird in die Festung gebracht.) Ein jeder kehre in sein Haus zurück. (mit gebieterischer Bewegung) Ich gehe nicht fort von hier, ehe ich die Mauern leer von Menschen sehe! (Alle ab. Othello gibt den Fackelträgern, die ihn begleiteten, ein Zeichen, in die Festung zurückzugehen, dann bleibt er mit Desdemona allein zurück.) In der Dunkelheit der Nacht verliert sich nun aller Lärm, und mein aufgebrachtes Herz besänftigt sich in dieser Umarmung und findet wieder Frieden. Nun tobe der Krieg, gehe die Welt zugrunde! Wenn nach dem unermesslichen Zorn diese unermessliche Liebe folgt! DESDEMONA Mein stolzer Krieger! Wie viele Qualen, wie viele traurige Seufzer und wie viele Hoffnungen haben uns zu diesen zarten Umarmungen geführt! O wie süß ist dieses traute Zwiegespräch! Erinnerst du dich? Als du mir von deinem Leben im Exil erzähltest, von kühnen Abenteuern und deinem schweren Kummer, da hörte ich dir zu, die Seele berauscht von all den Schrecken, voll Entzücken das Herz. OTHELLO Ich beschrieb das Getöse der Waffen, den Kampf und den kühnen Vorstoß in die tödliche Scharte; den Angriff; die Hände, wie grässliches Gewächs gekrallt in das Mauerwerk zwischen sausenden Pfeilen! DESDEMONA Dann führtest du mich in schimmernde Wüsten, zum brennenden Sand, zu deiner Heimaterde, beschriebst mir die qualvolle Marter und die Ketten und die Pein der Sklaverei. OTHELLO Bei der Erzählung veredelten Tränen dein schönes Antlitz und Seufzer deinen Mund; es senkte sich in meine Finsternis ein Glanz, des Paradieses und der Sterne Segen! DESDEMONA Und ich sah zwischen deinen schwarzen Schläfen erglänzen deines Wesens ätherische Schönheit! OTHELLO Und du liebtest mich um meines Unglücks willen, und ich liebte dich für dein Mitleid! DESDEMONA Und ich liebte dich um deines Unglücks willen, und du liebtest mich für mein Mitleid! OTHELLO Und du liebtest mich... DESDEMONA Und du liebtest mich... OTHELLO ... und ich liebte dich... ... für dein Mitleid! DESDEMONA ... für mein Mitleid. OTHELLO Nun lass mich sterben, und im Entzücken dieser Umarmung finde mich die Todesstunde! (Der Himmel hat sich aufgeheitert, die Sterne treten hervor, und der Horizont wird vom blassen Licht des aufgehenden Mondes blau erhellt.) So groß ist die Freude in meiner Seele, dass ich fürchte, er werde mir nie wieder vergönnt, dieser göttliche Augenblick, in der dunklen Zukunft meines Schicksals. DESDEMONA Der Himmel zerstreue diese Sorgen, und die Liebe bleibe ungewandelt vom Wandel der Zeit! OTHELLO Zu diesem deinem Gebet sei „Amen“ die Antwort der himmlischen Heerscharen! DESDEMONA „Amen“ die Antwort! OTHELLO (lehnt sich auf eine Erhöhung der Festungsmauer) Ah, die Freude überläuft mich so heftig, dass es mir den Atem benimmt! Einen Kuss! DESDEMONA Othello! OTHELLO Einen Kuss! Und noch einen Kuss! (erhebt sich und betrachtet den Himmel) Die leuchtenden Plejaden versinken schon im Meer! DESDEMONA Spät ist die Nacht. OTHELLO Komm ... Venus erstrahlt! DESDEMONA Othello! (Sie gehen Arm in Arm auf die Festung zu.) Ein Saal in der Festung, zu ebener Erde, durch eine Fensterwand mit einer Terrasse von einem großen Garten getrennt. JAGO (diesseits der Terrasse, zu dem auf der anderen Seite stehenden Cassio) Quäl dich nicht! Wenn du mir folgst, kehrst du bald zurück in die Umarmungen der Monna Bianca, als stolzer Hauptmann mit goldenem Degengriff und geputztem Wehrgehänge! CASSIO Schmeichle mir nicht. JAGO Hör, was ich dir sage! Du musst wissen, dass Desdemona die Herrin unseres Herren ist, er lebt nur für sie. Bitte sie um Beistand, sie ist großherzig und wird für dich sprechen, und die Verzeihung ist dir sicher. CASSIO Aber wie kann ich mit ihr sprechen? JAGO Gewöhnlich geht sie mittags dort im Schatten jener Bäume mit meiner Frau spazieren. Dort erwarte sie. Der Weg zu deiner Rettung steht dir offen, geh! (Cassio entfernt sich, Jago sieht ihm nach.) Geh! Dein Ende seh ich schon! Dich treibt dein Dämon, und dein Dämon bin ich! Und mich reißt der meine fort, an den ich glaube als unerbittlichen Gott! (verlässt die Terrasse, ohne weiter auf Cassio zu achten, der zwischen den Bäumen verschwindet) Ich glaube an einen grausamen Gott, der mich nach seinem Bilde erschuf, und den ich im Zorn nenne! Aus der Niedrigkeit eines Keims oder Atoms bin ich in Niedrigkeit geboren! Ich bin ein Bösewicht, weil ich ein Mensch bin, und fühle den Schlamm meines Ursprungs in mir! Ja! Das ist mein Glaube! Ich glaube mit festem Herzen, so wie die Witwe im Tempel, dass ich das Böse, das ich denke, das von mir ausgeht, als mein Schicksal erfülle! Ich glaube, dass der Gerechte ein höhnischer Komödiant ist, im Antlitz wie im Herzen, dass alles an ihm Lüge ist: Tränen, Küsse, freundliche Blicke, Opfermut und Ehre! Und ich glaube, dass der Mensch das Spielzeug eines bösen Schicksals ist, vom Keim in seiner Wiege bis zum Wurm in seinem Grab. Auf all diesen Spott folgt der Tod. Und dann? Und dann? Der Tod ist das Nichts! Das Jenseits ist ein altes Märchen! (Im Garten sieht man Desdemona und Emilia vorbeigehen. Jago eilt zu der Terrasse, auf deren, anderer Seite Cassio steht.) (zu Cassio) Da ist sie! Cassio, nun auf! Das ist der Augenblick! Beweg dich! Desdemona kommt! (Cassio geht auf Desdemona zu, begrüßt sie und nähert sich ihr.) Er beginnt! Er begrüßt sie und tritt näher! Nun muss Othello hierherkommen! Hilf, Satan, hilf meinem Plan! Schon sprechen sie miteinander! Und sie neigt lächelnd das schöne Antlitz! (Man sieht Cassio und Desdemona im Garten vorübergehen.) Mir genügt ein einziger Strahl dieses Lächeln, um Otello ins Verderben zu ziehen! Nun fort! (will davoneilen, bleibt aber plötzlich stehen) Doch der Zufall ist mir günstig! Da ist er! Auf meinen Posten, ans Werk! (Er bleibt unbeweglich bei der Terasse und blickt in den Garten, wo Cassio und Desdemona stehen. Othello tritt auf; Jago stellt sich, als ob er ihn nicht bemerke und zu sich selber spräche.) Das betrübt mich! OTHELLO (nähert sich Jago) Was sagst du? JAGO Nichts ... Ihr hier? Ein leeres Wort kam mir über die Lippen. OTHELLO Der da eben von meiner Frau weggeht, ist das Cassio? (Beide treten von der Terrasse.) JAGO Cassio? Nein... der dort erschrak wie schuldbewusst, als er Euch sah. OTHELLO Ich glaube, es war Cassio. JAGO Herr... OTHELLO Was ist? JAGO Hat Cassio, zu Beginn Eurer Liebe, Desdemona nicht gekannt? OTHELLO Ja. Warum fragst du danach? JAGO Mein Gedanke ist unbestimmt und ohne Bosheit. OTHELLO Sag deinen Gedanken, Jago. JAGO Vertrautet Ihr Euch Cassio an? OTHELLO Oft brachte er ein Geschenk oder einen Brief zu meiner Braut. JAGO Wahrhaftig? OTHELLO Ja, wahrhaftig. Hältst du ihn nicht für ehrlich? JAGO (Othello nachahmend) Ehrlich? OTHELLO Was verbirgst du im Herzen? JAGO Was verberg ich im Herzen, Herr? OTHELLO „Was verberg ich im Herzen, Herr?“ Beim Himmel, du bist das Echo meiner Worte! In der Kammer deiner Seele birgst du ein grässliches Ungeheuer. Ja, wohl hab ich gehört, was du eben sprachst! „Das betrübt mich!“ Aber was hat dich betrübt? Du nennst Cassio und ziehst die Stirn in Falten! So sprich, wenn du mich liebst! JAGO Ihr wisst, dass ich Euch liebe. OTHELLO Darum ohne Vorwand erkläre dich, und ohne Umschweife. Sprich frei heraus den schlimmsten Gedanken mit den schlimmsten Worten. JAGO Und wenn Ihr auch mein Herz in Eurer Hand hieltet, Ihr solltet ihn nicht wissen. OTHELLO Ha! JAGO (Kommt Othello sehr nahe, leise) Hütet Euch, gnädiger Herr, vor Eifersucht! Sie ist ein Ungeheuer, trüb, fahl, blind, das mit seinem Gift sich selbst vergiftet, heftiger Schmerz zerfleischt ihm den Busen! OTHELLO O Jammer! Nein! Der leere Verdacht taugt nichts! Vor dem Zweifel steht die Probe, nach dem Zweifel der Beweis, nach dem Beweis – Othello hat die höchsten Gesetze – fort mit Liebe und Eifersucht auf einmal! JAGO (mit dreisterer Miene) Ein solcher Vorsatz bricht das Siegel auf meinen Lippen! Ich spreche noch nicht von Beweisen, doch, großherziger Othello, seid wachsam: Die ehrlichen, edlen Herzen erkennen oft nicht den Betrug, seid wachsam! Prüft Desdemonas Rede, ein Wort kann das Vertrauen bestärken oder den Verdacht bestätigen! STIMMEN AUS DER FERNE Wohin du blickst, erglänzt ein Licht, erglühen Herzen; wo du schreitest, regnet Blütenpracht hernieder! Hier unter Lilien und Rosen, wie zu einem keuschen Altar, kommen Väter, Kinder und Mütter und singen dir Lieder! JAGO (wie oben, leise) Da kommt sie – seid wachsam! (Man sieht Desdemona durch die breite Öffnung wieder im Garten erscheinen, umgeben von Frauen der Insel, Kindern, zyprischen und albanischen Matrosen, die ihr Blumen, Blütenzweige und andere Geschenke bringen. Einige begleiten ihren Gesang auf der Guzla, einer kleinen Mandoline, oder auf kleinen Harfen, die sie über die Schulter gehängt tragen.) DIE GRUPPE UM DESDEMONA Wohin du blickst, erglänzt ein Licht, erglühen Herzen; wo du schreitest, regnet Blütenpracht hernieder! Hier unter Lilien und Rosen, wie zu einem keuschen Altar, kommen Väter, Kinder und Mütter und singen dir Lieder! KINDER Wir bringen dir die Lilie, den zarten Stab, den die Hände der Engel zum Himmel trugen, der den glänzenden Mantel und das Gewand der Madonna schmückt und ihren heiligen Schleier. MÄNNER und FRAUEN Während sich das heitere Lied in die Lüfte aufschwingt, erklingt die flinke Mandoline und begleitet den Gesang. MATROSEN (bieten Desdemona Schnüre von Perlen und Korallen) Für dich diese Korallen und Perlen, aus dem Schlund des Meeres gepflückt! Wir wollen Desdemona mit unseren Gaben schmücken wie ein Heiligenbild! KINDER, FRAUEN Während sich das heitere Lied, usw. FRAUEN (Zweige und Blumen streuend) Für dich die Ernte der Blumen, aus unseren Schürzen streuen wir sie auf den Boden, in Blütenschauern streuen wir sie auf den Boden! Der Frühling umglänzt die blonde Braut wie mit schimmerndemTau, der zur Sonne aufstrahlt! KINDER, MÄNNER Während sich das heitre Lied, usw. ALLE Wohin du blickst, erglänzt ein Licht, erglühen Herzen; wo du schreitest, regnet Blütenpracht hernieder! Hier unter Lilien und Rosen, wie zu einem keuschen Altar, kommen Väter, Kinder und Mütter und singen dir Lieder! DESDEMONA Der Himmel erglänzt, es tanzt der Zephyr, die Blüten duften... OTHELLO (innig bewegt) Dieser Gesang bezwingt mich! DESDEMONA ... Freude, Liebe und Hoffnung erklingen in meinem Herzen! JAGO (für sich) Schönheit und Liebe in süßer Harmonie!... KINDER, MÄNNER und FRAUEN Lebe glücklich!... OTHELLO Wenn sie mich betrügt... DESDEMONA Freude und Liebe klingen in meinem Herz! OTHELLO ... dann verhöhnt der Himmel sich selbst! JAGO ... Eure zarten Saiten will ich zerbrechen! KINDER, MÄNNER und FRAUEN ... Lebe glücklich! Leb wohl! Hier herrsche die Liebe! OTHELLO Dieser Gesang bezwingt mich! JAGO (gedämpft) Eure zarten Saiten will ich zerbrechen! (Desdemona küsst einige der Kinder aufs Haupt; mehrere Frauen küssen den Saum ihres Gewandes. Sie gibt den Matrosen eine Börse, dann entfernt sich die Menge. Desdemona kommt in den Saal, gefolgt von Emilia, und geht auf Othello zu.) DESDEMONA (zu Othello) Für einen Mann, der unter deinem Zorn leidet, möchte ich bei dir bitten. OTHELLO Wer ist es? DESDEMONA Cassio. OTHELLO War er es, der mit dir dort unter den Bäumen sprach? DESDEMONA Er war’s, und sein Kummer, der mich bewegt hat, ist so aufrichtig, dass er der Gnade würdig ist. Ich will für ihn sprechen, dich seinetwegen bitten. Verzeih ihm. OTHELLO Jetzt nicht. DESDEMONA Versag es mir nicht! Verzeih ihm! OTHELLO Jetzt nicht! DESDEMONA Warum dieser herbe Ton in deiner Stimme? Welcher Kummer bedrückt dich? OTHELLO Mir brennen die Schläfen. DESDEMONA (zieht ihr Taschentuch hervor, um damit Othello die Stirn zu verbinden) Das lästige Fieber wird vergehen, wenn ich mit diesem weichen Tuch das Haupt umbinde. OTHELLO (wirft das Taschentuch zu Boden) Dessen bedarf ich nicht! DESDEMONA Du bist gereizt, mein Gatte. OTHELLO Lass mich! Lass mich! (Emilia hebt das Taschentuch vom Boden auf.) DESDEMONA Wenn ich mich unwissentlich, gegen dich, mein Gatte, vergangen habe, dann sag mir jetzt ein süßes, freundliches Wort der Vergebung. OTHELLO (für sich) Vielleicht, weil ich die feinen Liebeskünste nicht beherrsche?... DESDEMONA Ich bin deine Gattin, demütig und sanft, doch du stehst und seufzst, die Augen starr zu Boden gesenkt! Schau mir in die Augen und sieh, wie sie von Liebe sprechen! Komm, lass mich dein Herz erheitern... OTHELLO ... Vielleicht, weil sich meine Jahre schon talwärts neigen? Vielleicht, weil mein Gesicht von so düsterer Farbe ist? Und wohl, weil ich die feinen Liebeskünste nicht beherrsche, weil sich meine Jahre schon talwärts neigen, weil mein Gesicht von so düsterer Farbe ist?... JAGO (zu Emilia leise) Gib mir das Tuch, das du aufgehoben hast! EMILIA (zu Jago) Was planst du Arges? Ich lese es in deinem Gesicht! JAGO Du widersetzt dich umsonst, wenn ich befehle. EMILIA Dein böser Neid ist mir bekannt. JAGO Törichter Verdacht! EMILIA Ein treuer Hüter ist meine Hand! JAGO Gib mir das Tuch! Gib mir das Tuch! EMILIA Ein treuer Hüter ist meine Hand! JAGO (packt Emilia heftig am Arm) Mir juckt im Zorn die Hand nach dir! EMILIA Ich bin deine Frau, nicht deine Sklavin! JAGO Die niedrige Sklavin Jagos bist du! EMILIA Im Herzen ahne ich kommendes Unheil! JAGO Fürchtest du mich nicht? EMILIA Grausamer Mann! JAGO Her! EMILIA Was willst du? JAGO Her mit dem Tuch! EMILIA Grausamer Mann! (Mit einem raschen Griff hat Jago Emilia das Taschentuch entrissen.) DESDEMONA ... lass mich deinen Schmerz lindern! EMILIA Deine böse, feige Hand hat triumphiert! OTHELLO ... Sie ist verloren, ich bin verhöhnt... DESDEMONA Schau mir in die Augen und sieh, sieh, wie sie von Liebe sprechen! OTHELLO ... mein Herz ist gebrochen, und in Schmutz gezogen seh ich meinen goldenen Traum! EMILIA Gott möge uns immer vor Gefahren schützen! JAGO Schon halte ich die Fäden in der Hand, und jetzt kann Jago das Netz spinnen! EMILIA Deine böse, feige Hand hat triumphiert! OTHELLO Sie ist verloren, ich bin verhöhnt... DESDEMONA Schau mir in die Augen und sieh, wie sie von Liebe sprechen! usw. OTHELLO ... mein Herz ist gebrochen, usw. EMILIA Gott möge uns immer, usw. JAGO Schon halte ich, usw. DESDEMONA Sag mir ein süßes, freundliches Wort der Vergebung! OTHELLO Geht! Ich will allein sein! JAGO (leise zu der abgehenden Emilia) Du schweigst, verstehst du? (Desdemona und Emilia ab. Jago gibt vor, durch die Tür im Hintergrund abgehen zu wollen, bleibt aber davor stehen.) OTHELLO (sinkt erschöpft auf einen Stuhl) Desdemona falsch!... JAGO (im Hintergrund, betrachtet verstohlen das Taschentuch, dann steckt er es vorsichtig in sein Wams) Mit diesen Fäden web ich den Beweis der sündigen Liebe. In Cassios Wohnung will ich es lassen. OTHELLO ... Abscheulicher Gedanke! JAGO (betrachtet Othello) Mein Gift wirkt schon. OTHELLO ... Falsch gegen mich! Gegen mich! JAGO Quäl dich und wüte! OTHELLO ... Abscheulich! Abscheulich! JAGO (hat sich dicht hinter Othello aufgestellt, treuherzig) Denkt nicht mehr daran. OTHELLO (auffahrend) Du! Zurück! Flieh! Du hast mich ans Kreuz geschlagen! Weh mir! Grässlicher als die grässlichste Schmach ist der Verdacht auf Schmach! Von den geheimen Stunden ihrer Wollust (die mir geraubt worden!) bewegte mein Herz denn eine Ahnung? Ich war kühn, heiter – wusste noch von nichts! Ich spürte nicht auf ihrem himmlischen Leib der mich so berauscht, auf ihren lügnerischen Lippen die glühenden Küsse Cassios! Und nun? Und nun – Nun und auf immer, fahrt wohl, heilige Erinnerungen; fahrt wohl, erhabene Flüge des Geistes! Fahrt wohl, glänzende Heere; fahrt wohl, ihr Siege, fliegende Speere und fliegende Rösser! Fahrt wohl, siegreiches und frommes Banner, schmetternde Reveillen im Morgengrauen! Getöse und Gesänge der Schlacht, fahrt wohl: Mit dem Ruhm Othellos ist es vorbei! JAGO Ruhig, gnädiger Herr! OTHELLO Unglücklicher! Bring mir einen sicheren Beweis, dass Desdemona untreu ist! Weich mir nicht aus! Es nützt dir nichts mehr! Ich will einen sicheren, sichtbaren Beweis! Sonst entzünde und entlade sich auf dein Haupt der Blitz des schrecklichen Zorns, der in mir erwacht! (Packt Jago an der Gurgel und wirft ihn zu Boden.) JAGO Gütiger Herrgott, steh mir bei! (erhebt sich) Der Himmel beschütze Euch! Ich bin nicht länger Euer Fähnrich. Die ganze Welt sei mein Zeuge, dass Ehrlichkeit Gefahr bringt! (will abgehen) OTHELLO Nein! Bleib! Du bist wohl ehrlich. JAGO (an der Tür, als ob er ginge) Mir erging es besser, wenn ich ein Betrüger wäre! OTHELLO Bei allen Göttern! Ich glaube, Desdemona ist treu – und glaube, dass sie es nicht ist! Du, glaube ich, bist ehrlich – und glaube, du bist treulos! Den Beweis will ich! Ich will Gewissheit! JAGO (zu Othello zurückkehrend) Herr, bändigt die Erregung! Und welche Gewissheit braucht ihr? Vielleicht beide umschlungen sehen? OTHELLO Ha, Tod und Verdammnis! JAGO Das wär ein schwieriges Unternehmen! Und was für Gewissheit erhofft Ihr Euch, wenn das schmutzige Vergehen selbst immer Eurem Blick verborgen bleibt? Wenn aber Klugheit den Weg zur Wahrheit führt, nenn ich Euch eine triftige Vermutung, die Euch schnell Gewissheit bringen wird. Hört! (ganz nahe bei Othello) Es war Nacht, Cassio schlief, ich stand neben ihm. Mit abgebrochenen Worten verriet er seine süße Bezauberung. Die Lippen langsam, langsam bewegend, gab er sich einem glühenden Traum hin, dann sprach er mit leiser Stimme: „Süße Desdemona! Unsere Liebe sei heimlich! Seien wir wachsam! Die Seligkeit des Himmels überläuft mich!“ Er hing dem süßen Alpweier nach, in sorgenvoller Wonne schien er seiner Sinne Wahnbild zu küssen – Darauf sprach er: „Dem bösen Schicksal fluch ich, das dich dem Mohren gab!“ Dann wich der Traum dem blinden Schlaf. OTHELLO O ungeheure Schuld! JAGO Ich erzählte nur einen Traum. OTHELLO Einen Traum, der eine Tatsache enthüllt! JAGO Einen Traum, der vielleicht Beweiskraft gibt für ein anderes Indiz. OTHELLO Welches? JAGO Saht Ihr manchmal in den Händen Desdemonas ein Tuch, bestickt mit Blumen und zarter als ein Schleier? OTHELLO Das ist das Taschentuch, das ich ihr gab, das erste Liebespfand. JAGO Dieses Taschentuch, gestern – dessen bin ich sicher – sah ich es in den Händen Cassios. OTHELLO Ha! Hätte Gott ihm tausend Leben gegeben! Das eine ist zu arm für meine Wut! Jago, mein Herz ist kalt wie Eis! Fort mit der Larve des Mitgefühls! All meine eitle Liebe blas ich in die Luft! Schau mich an: Hin ist sie! In ihren Schlangenarmen hält mich die Hydra umfangen! Ha, Blut, Blut, Blut! (kniet nieder) Ja, ich schwör beim marmornen Himmel! Bei den gewundenen Blitzen! Beim Tod und beim dunklen, verschlingenden Meer! Wut und furchtbarer Ingrimm beflügle den Donnerschlag (hebt die Hände zum Himmel) der Hand, die ich jetzt ausstrecke! (Will sich erheben; Jago drückt ihn wieder auf die Knie.) JAGO (kniet ebenfalls nieder) Erhebt Euch noch nicht! Zeuge sei die Sonne, die ich sehe, die mir strahlt und belebt die weite Erde und das große Weltall der ganzen Schöpfung, dass ich Othello glühend weihe mein Herz, meinen Arm und meine Seele, selbst wenn zu einer blutigen Tat seine Wille sich stählt! OTHELLO, JAGO (die Hände zum Schwur erhebend) Ja, ich schwör beim marmornen Himmel! Bei den gewundenen Blitzen, usw. Gott der Rache! Der große Saal der Festung. Rechts ein breiter Säulengang, der mit einem kleinen Saal verbunden ist. Im Hintergrund eine Terrasse. HEROLD (aus dem Säulengang zu Othello, der sich mit Jago im Saal aufhält) Die Hafenwache meldet das Schiff aus Venedig, das die Gesandten nach Zypern bringt. OTHELLO Es ist gut. (Gibt dem Herold einen Wink, sich zu entfernen; der Herold ab.) (zu Jago) Sprich weiter. JAGO Ich bring Cassio hierher, und mit schlauen Fragen verleit ich ihn zum Schwatzen. (Zeigt auf eine Mische in der Terrasse.) Ihr verbergt Euch dort, ergründet sein Verhalten, seine Worte, Mienen und Gesten. Seid geduldig, sonst entgeht Euch der Beweis. Da kommt Desdemona. Ihr müsst Euch verstellen ich gehe. (wendet sich zum Gehen, macht dann kehrt und geht zu Othello zurück, um ihm ein letztes Wort zu sagen) Das Taschentuch... OTHELLO Geh! Wie gerne hätte ich es vergessen. (Jago ab. Desdemona tritt durch die linke Tür auf.) DESDEMONA (noch auf der Schwelle) Gott geb dir Freude, mein Gatte, Gebieter meiner Seele! OTHELLO (geht Desdemona entgegen und nimmt sie bei der Hand) Dank, Madonna – reicht mir Eure elfenbeinerne Hand. Ein warmer Tau benetzt ihre sanfte Schönheit. DESDEMONA Sie trägt noch nicht die Spuren des Grams und des Alters. OTHELLO Und doch wohnt in ihr der feine Dämon der Versuchung, der sich im schönen Elfenbein dieser kleinen Hand verbirgt. Geschmeidig schickt er sich zum Beten und zum frommen Eifer... DESDEMONA Und doch hab ich mit dieser Hand Euch mein Herz geschenkt. Aber wir müssen nochmals über Cassio sprechen. OTHELLO Schon wieder befällt mich meine Schwäche. Bind mir die Stirn. DESDEMONA (zieht ein Taschentuch hervor) Nimm. OTHELLO Nein! Ich will das Taschentuch, das ich dir schenkte. DESDEMONA Ich hab’s nicht bei mir. OTHELLO Desdemona, wehe, wenn du es verlierst! Wehe! Eine mächtige Zauberin wob dies wundersame Gespinst: In ihm wohnt der starke Zauber eines Talismans. Hüte dich! Es zu verlieren oder zu verschenken bringt Unheil! DESDEMONA Sprichst du die Wahrheit? OTHELLO Ich sprech die Wahrheit. DESDEMONA Du machst mir Angst! OTHELLO Wie, hast du es verloren? DESDEMONA Nein! OTHELLO Hol es her! DESDEMONA Später hol’ ich es. OTHELLO Nein, sogleich! DESDEMONA Du machst dir einen Scherz mit mir. So lenkst du von Cassios Sache ab; das ist ein Kunstgriff deiner List. OTHELLO Beim Himmel, in meiner Seele tagt es! Das Taschentuch – DESDEMONA Cassio ist dein teurer Freund. OTHELLO Das Taschentuch! DESDEMONA Du musst Cassio verzeihen... OTHELLO Das Taschentuch! DESDEMONA Großer Gott! In deiner, Stimme vernehm ich eine Drohung! OTHELLO Heb deine Augen! DESDEMONA Abscheulicher Gedanke! OTHELLO (fasst sie mit Gewalt unterm Kinn und an der Schulter und zwingt sie, ihn anzusehen) Schau mir ins Gesicht! Sag mir, wer du bist! DESDEMONA Die treue Gattin Othellos! OTHELLO Schwör! Schwör und verdamm dich selbst! DESDEMONA Othello hält mich doch für treu? OTHELLO Für unkeusch halt ich dich! DESDEMONA Gott steh mir bei! OTHELLO Stürz dich selbst ins Verderben: Sag, dass du keusch bist! DESDEMONA (ihn fest anblickend) Keusch – ich bin es! OTHELLO Schwör und verdamm dich selbst! DESDEMONA Starr vor Entsetzen sehe ich in deine furchtbaren Augen! Aus dir spricht eine Furie, ich höre aber begreife nicht. Sieh mich an! Meinen Blick und meine Seele enthüll ich dir; mein gebrochenes Herz, erforsch es! Ich bete zum Himmel für dich mit diesen Tränen, für dich mit diesen heißen Zähren benetz ich den Boden! Sieh, die ersten Tränen, die mir der Gram entlockt! Die ersten Tränen! OTHELLO Wenn jetzt dein Dämon dich erblickte, er hielte dich für einen Engel und würde dich nicht fassen! DESDEMONA Der ewige Gott sieht meine Treue! OTHELLO Nein! Die sieht die Hölle! DESDEMONA Deine Gerechtigkeit erfleh ich, mein Gemahl! OTHELLO Ah, Desdemona, lass mich! Lass mich! Lass mich! DESDEMONA Auch du weinst? Und seufzend bändigst du die Marter in deinem Herzen? Und ich bin ohne Schuld die Ursache für soviel Tränen! Was ist denn mein Vergehen? OTHELLO Du fragst noch? Das schwärzeste Verbrechen, auf deiner lilienweißen Stirn steht es geschrieben! DESDEMONA Weh mir! OTHELLO Wie? Bist du nicht eine gemeine Dirne? DESDEMONA Himmel! Nein! Nein! Beim heiligen Sakrament der Taufe! OTHELLO Wie? DESDEMONA Ah! Ich bin nicht, was dieses abscheuliche Wort besagt! (Othellos Stimmung geht von Zorn zu fürchterlicher Ironie über; er nimmt Desdemona bei der Hand und geleitet sie zu der Tür, durch die sie eintrat.) OTHELLO Reicht mir noch einmal Eure elfenbeinerne Hand: Ich will Euch Abbitte tun. Ich hielt Euch für – verzeiht, wenn mein Gedanke arg ist – für jene gemeine Dirne, die Othellos Gattin ist. (Mit einer Armbewegung, doch ohne die Beherrschung zu verlieren, nötigt er Desdemona fortzugehen, dann kehrt er mit dem Ausdruck tiefster Niedergeschlagenheit in die Mitte der Bühne zurück.) Gott! Hättest du auf mich gehäuft alle Qualen des Elends, der Schande, ließest von meinen stolzen Siegeszeichen nichts als Trümmer, nichts als Lüge: Ich hätte es getragen, das grausame Kreuz der Sorgen und der Schmach, in geduldiger Demut, und mich ergeben in den Willen des Himmels! Doch, o Kummer, o Schmerz! man raubte mir das Wahnbild, an dem ich so gern meine Seele erquickte! Erloschen ist die Sonne, das Lächeln, das Licht, das mich belebte, das mich selig machte! Erloschen ist die Sonne, usw. Selbst du, Güte, sanfter, unsterblicher Engel mit dem rosigen Lächeln, du verbirgst dein heiliges Gesicht hinter der grässlichen Larve der Hölle! Ah, Verdammnis! Erst soll sie die Tat bekennen, und dann stirbt sie! Bekennen! Bekennen! (Jago tritt auf.) Den Beweis! JAGO (zeigt auf den Eingang) Cassio ist hier! OTHELLO Hier? Himmel! O Freude! (schaudernd) O Grauen! Furchtbare Marter! JAGO Fass dich! (Führt Othello schnell nach links in den Hintergrund zur Nische in der Terrasse.) Verbirg dich! (Nachdem er Othello auf der Terrasse versteckt hat, läuft er zu dem Säulengang, wo er auf den eben eintretenden Cassio trifft.) (zu Cassio) Komm, die Halle ist leer. Nur herein, Herr Hauptmann! CASSIO Dieser Ehrenname klingt mir hohl. JAGO Nur Mut! Deine Sache ist in guten Händen; der Sieg ist dir sicher. CASSIO Ich glaubte, hier Desdemona zu finden. OTHELLO (aus seinem Versteck) Er nannte ihren Namen! CASSIO Ich möchte noch einmal mit ihr sprechen, um zu erfahren, ob meine Begnadigung erfolgt ist. JAGO Erwarte sie; (führt Cassio an die vorderste Säule des Säulengangs) und in der Zwischenzeit, da du nicht müde wirst, heitere Geschichten zu erzählen, sprich mir von der, in die du verliebt bist! CASSIO Von wem? JAGO Von Bianca! OTHELLO (für sich) Er lächelt! CASSIO Unsinn! JAGO Ihre schönen Augen haben dich bezwungen! CASSIO Du machst mich lachen! JAGO Wer lacht, der siegt! CASSIO (lachend) Bei Kämpfen dieser Art siegt wohl, wer lacht! Haha! JAGO (lachend) Haha! OTHELLO (auf er Terrasse) Der Schurke spottet, sein Hohn tötet mich! Gott, zähme die Qual in meinem Herzen! CASSIO Ich habe die Küsse und die Klagen schon satt! JAGO Du machst mich lachen! CASSIO Liebe ist vergänglich! JAGO Dir steht der Sinn nach einer anderen Schönen! Hab ich’s getroffen? CASSIO Haha! JAGO Haha! OTHELLO (wie oben) Der Schurke spottet, sein Hohn tötet mich! Gott, zähme die Qual in meinem Herzen! CASSIO Du hast es getroffen, ja, ich geb’s zu. Hör zu! JAGO Sprich leise, ich höre. (führt Cassio weiter von Othello fort) CASSIO Jago, du kennst doch meine Wohnung – (Seine Worte verlieren sich.) OTHELLO (nähert sich vorsichtig, um besser zu verstehen) Jetzt erzählt er ihm, wie er es begann, den Ort und die Stunde! CASSIO ... von unbekannter Hand... (Seine Worte verlieren sich wieder.) OTHELLO Ich verstehe die Worte nicht! Ach! Ich will sie hören! Wohin bin ich gekommen! CASSIO ... ein besticktes Tuch. JAGO Wie seltsam! Wie seltsam! OTHELLO Jago gibt mir ein Zeichen, näher zu kommen. (kommt vorsichtig hervor und verbirgt sich hinter einer Säule) JAGO Von unbekannter Hand? Unsinn! CASSIO Wahrhaftig! (Jago bedeutet, leiser zu sprechen.) Wie gern möchte ich wissen, wer es war! JAGO (schnell zu Othello hinüberblickend, für sich) Othello sieht uns. (zu Cassio) Hast du es bei dir? CASSIO (zieht Desdemonas Taschentuch aus seinem Wams hervor) Schau! JAGO (nimmt das Taschentuch) Wunderbar! (für sich) Othello horcht. Er nähert sich mit leisen Tritten. (zu Cassio, scherzend) Herr Kavalier, in Eurem Haus verlieren die Engel Heiligenschein und Schleier! (hält die Hände auf den Rücken, damit Othello das Tuch betrachten kann) OTHELLO (kommt, von der vordersten Säule verdeckt, hinter Jagos Rücken nahe an das Taschentuch heran) Das ist es! Das ist es! Tod und Vernichtung! JAGO (für sich) Othello horcht. OTHELLO Alles vorbei! Liebe und Leid! Nichts kann meine Seele mehr rühren! JAGO (zu Cassio, auf das Taschentuch zeigend) Das ist ein Netz, in dem dein Herz sich fängt, verwickelt und jammervoll umkommt! Du bewunderst es zu sehr, schaust es zu oft an, hüte dich vor eitlem und lügnerischem Wahn! Das ist ein Netz, usw. CASSIO (das Taschentuch betrachtend, das er Jago wieder abgenommen hat) Du schönes Wunder, Nadel und Faden haben dein Gewebe zu Lichtstrahlen gewirkt, du bist weißer und leichter als Schneeflocken, als Wolken, aus Himmelslüften gewebt! JAGO Das ist ein Netz, in dem dein Herz... ... sich fängt, verwickelt und jammervoll umkommt! CASSIO Du schönes Wunder... JAGO Das ist ein Netz, usw. OTHELLO (hinter der Säule verborgen, immer wieder auf das Taschentuch in Cassios Hand blickend) Verrat! Verrat! Verrat! Den Beweis, den furchtbaren Beweis zeigst du der Sonne! JAGO Du bewunderst es zu sehr, usw. Ah, hüte dich! Das ist ein Netz, usw. CASSIO ... du bist weißer und leichter usw. Du schönes Wunder... ... du schönes Wunder! OTHELLO Verrat... JAGO Du bewunderst es zu sehr! OTHELLO ... Verrat! (kehrt auf die Terrasse zurück) JAGO Hüte dich! Hüte dich! (Trompeten von ferne; andere, in der Festung, entgegnen. Ein Kanonenschuss.) Das ist das Zeichen, das die Ankunft der venezianischen Galeere verkündet. (Trompeten von anderen Seiten.) Hör! Alle Trompeten der Festung antworten! Wenn du hier nicht Othello begegnen willst, entferne dich! CASSIO Leb wohl! JAGO Geh! (Cassio verschwindet schnell im Hintergrund.) OTHELLO (kommt auf Jago zu) Wie soll ich sie töten? JAGO Saht Ihr wohl, wie er lachte? OTHELLO Ich sah es! JAGO Und das Taschentuch? OTHELLO Alles sah ich! STIMMEN VON FERNE Hurra! Zum Ufer! Zur Mole! OTHELLO Sie ist gerichtet! STIMMEN VON FERNE Hurra! OTHELLO Verschaff mir ein Gift für heute Nacht! JAGO Kein Gift!... STIMMEN VON FERNE Es lebe der Löwe von San Marco! JAGO ... Es wäre besser, sie zu ersticken in ihrem Bett, wo sie gesündigt hat! OTHELLO Deine Gerechtigkeit gefällt mir. JAGO Für Cassio wird Jago sorgen. OTHELLO Jago, von heute an bist du mein Hauptmann! JAGO General, ich danke Euch! Da kommen die Gesandten. Empfangt sie, doch um Argwohn zu vermeiden, sollte sich Desdemona den Herren zeigen. OTHELLO Ja, führ sie her! (Jago durch die linke Tür ab; Othello geht in den Hintergrund, um die Gesandten zu empfangen. Trompeten hinter der Szene. Jago, Lodovico, Rodrigo, der Herold, Desdemona mit Emilia, Würdenträger der Republik Venedig, Edelleute, Soldaten und Trompeter treten auf.) EDELLEUTE Hoch! Hoch! Hoch der Löwe von San Marco! Hoch! Hoch! usw. Hoch der Löwe von San Marco! LODOVICO (mit einer versiegelten Pergamentrolle in der Hand) Der Doge und der Rat der Zehn grüßen den siegreichen Helden von Zypern. Ich gebe in Eure Hand die Botschaft des Dogen. OTHELLO (nimmt das Schreiben und küsst das Siegel) Ich küsse das Zeichen der höchsten Majestät. (Er bricht das Siegel und liest.) LODOVICO (nähert sich Desdemona) Madonna, der Himmel schüze Euch! DESDEMONA Der Himmel erhöre Euren Wunsch. EMILIA (zu Desdemona, leise) Wie traurig du aussiehst! DESDEMONA (zu Emilia, ebenso) Emilia, eine dunkle Wolke verfinstert Othellos Sinn und mein Schicksal. JAGO (zu Lodovico) Signor, ich freue mich, Euch zu sehen! LODOVICO Jago, was gibt es Neues? Doch ich sehe Cassio nicht in Eurer Mitte. JAGO Othello zürnt ihm. DESDEMONA Ich glaube, er wird Gnade finden. OTHELLO (weiterhin lesend, rasch zu Desdemona) Seid Ihr dessen gewiss? DESDEMONA Was sagt Ihr? LODOVICO Er liest, spricht nicht zu Euch. JAGO Vielleicht wird er Gnade finden. DESDEMONA Jago, das hoffe ich; du weißt, dass ich um Cassio ehrlich besorgt bin... OTHELLO (immer noch lesend, fieberhaft leise zu Desdemona) Bezwingt doch Eure schwatzhafte Zunge! DESDEMONA Verzeiht, Herr! OTHELLO (auf Desdemona losstürzend) Du Teufel, schweig! LODOVICO (hält Othello zurück) Haltet ein! EDELLEUTE Entsetzlich! Entsetzlich! LODOVICO Mein Verstand will nicht glauben, was ich hier sah! OTHELLO (zum Herold) Bringt Cassio her! (der Herold ab) JAGO (zu Othello, leise) Was hast du vor? OTHELLO (zu Jago, ebenso) Betrachte sie, wenn er eintritt. EDELLEUTE Ach, armes Weib! LODOVICO (tritt zu Jago und nimmt ihn beiseite) Das ist also der große Held? Das ist der Krieger von höchster Kühnheit? JAGO (zu Lodovico, achselzuckend) Er ist, was er ist. LODOVICO Sag mir, was du meinst. JAGO Es ist besser, den Mund zu halten. OTHELLO (der immerfort nach der Tür gesehen hat) Da ist er! Er kommt! (Cassio tritt auf.) (Zu Jago.) Erforsch sein Herz! (laut, zu den Versammelten) Ihr Herren! Der Doge – (leise zu der weinenden Desdemona) Wie gut du Tränen heuchelst! (laut) – ruft mich nach Venedig zurück... RODRIGO (für sich) Grausames Schicksal! OTHELLO ... und wählt als meinen Nachfolger in Zypern einen Mann, der unter meinem Banner kämpfte: Cassio. JAGO (überrascht, für sich) Hölle und Tod! OTHELLO (fortfahrend und das Pergament vorzeigend) Das Wort des Dogen ist uns Gesetz. CASSIO (verbeugt sich vor Othello) Ich gehorche. OTHELLO (schnell zu Jago, auf Cassio zeigend) Siehst du? Der Schurke freut sich gar nicht! JAGO Nein. OTHELLO (zu allen) Das Schiffsvolk und die Truppen – (leise zu Desdemona) Schluchze nur weiter! (zu allen) – sowie die Schiffe und die Festung unterstell ich dem neuen Befehlshaber. LODOVICO (zeigt auf Desdemona, die sich Othello demütig nähert) Othello, so tröstet sie doch, sonst brecht Ihr ihr das Herz! OTHELLO (zu Lodovico und Desdemona) Wir reisen morgen ab. (Packt Desdemona wütend an; sie stürzt nieder.) (Zu Desdemona) Zu Boden! Und heule! (Othello hat in seiner furchtbaren Wut das Pergament zu Boden geworfen; Jago hebt es auf und liest es heimlich. Emilia und Lodovico leisten Desdemona mitleidig Beistand.) DESDEMONA Am Boden! Ja! Im niederen Staub! Geschlagen! So lieg ich hier! Ich weine – geschüttelt vom Schauder meiner sterbenden Seele! Und einst erblühten meinem Lächeln Hoffnungen und Küsse – und nun! Todesangst im Antlitz und Qual im Herzen! Die Sonne, hell und heiter, die Himmel und Meere belebt, trocknet nicht die bitteren Tränen meines Schmerzes, die bitteren Tränen meines Schmerzes! EMILIA (für sich) Das unschuldige Herz spricht kein Wort, zeigt keine Regung des Hasses, sie birgt ihre Seufzer in der Brust mit schmerzensvoller Fassung. CASSIO (für sich) Stunde des Schicksals! Ein Blitz erhellt mir den Weg! Das höchste Ziel meiner Laufbahn wird mein ohne mein Zutun! RODRIGO (für sich) Meine Welt verdunkelt sich, Wolken verfinstern mein Geschick; jener süße, blonde Engel wird mir entrissen! LODOVICO (für sich) Er schüttelt die tödliche Faust, keuchend vor Wut; sie hebt die klaren Augen weinend zum Himmel! FRAUEN (zu Othello) Erbarmen! Erbarmen! MÄNNER Welch Geheimnis! LODOVICO Er schüttelt die Faust... FRAUEN Erbarmen! Erbarmen! DESDEMONA Und einst erblühten meinem Lächeln Hoffnungen und Küsse... EMILIA Still rollen die Tränen über ihr trauriges Antlitz;... CASSIO Das schwankende Glück befördert meinen Lauf! RODRIGO Der süße Engel wird mir entrissen! LODOVICO ... keuchend vor Wut; sie hebt die klaren Augen weinend zum Himmel! FRAUEN Erbarmen! Erbarmen! usw. MÄNNER Welch Geheimnis! (Währenddessen nähert sich Jago Othello, der erschöpft auf einen Sessel gesunken ist.) JAGO Ein Wort! OTHELLO Was ist? JAGO Mach rasch! Beflügle schnell deine Rache! Die Zeit eilt! OTHELLO Ganz recht. JAGO Das Toben ist eitle Torheit! Raff dich auf! Ziel nur noch auf die Tat! Die Tat allein! Ich übernehme Cassio. Er soll für seine Schliche büßen, die Hölle soll seine schnöde Seele verschlingen! OTHELLO Wer wird sie ihm ausreißen? JAGO Ich. OTHELLO Du? JAGO Ich habe geschworen. OTHELLO So sei es. JAGO Du wirst die Kunde heute nacht empfangen. DESDEMONA ... nun Todesangst im Antlitz und Qual im Herzen! Am Boden, im Staub, geschlagen, so lieg ich ... geschüttelt vom letzten Schauder meiner sterbenden Seele! EMILIA ... nein, wer sie nicht beweint, fühlt kein Mitleid in der Brust! Das unschuldige Herz usw. CASSIO Was mich zum Himmel aufhebt, ist wie eine Welle im Sturm! Das schwankende Glück befördert meinen Lauf! Was mich zum Himmel aufhebt usw. RODRIGO Meine Welt verdunkelt sich, usw. LODOVICO Sie hebt die klaren Augen weinend zum Himmel. Beim Anblick dieser Tränen seufzt das Mitleid selbst, und tiefes Mitgefühl schmilzt ein Herz aus Eis. FRAUEN Todesangst lastet auf allen Herzen, vor Grausen erstarrt! MÄNNER Den schwarzen Mann umgibt Todesgrauen, ein blinder Dämon des Todes und des Schreckens hat ihn erfasst! EMILIA Still rollen die Tränen über ihr trauriges Antlitz... CASSIO Das schwankende, Glück usw . RODRIGO Meine Welt verdunkelt sich, usw. LODOVICO Beim Anblick dieser Tränen, usw. FRAUEN Schrecklicher Anblick! Todesangst lastet, usw. MÄNNER Er krallt die Nägel in die furchtbare Brust! Die Augen sind starr auf den Boden gerichtet! Nun droht er dem Himmel mit schwarzer Faust, erhebt das rauhe Antlitz empor zur blitzenden Sonne! DESDEMONA Und einst erblühten meinem Lächeln... EMILIA ... nein, wer sie nicht beweint, kennt kein Mitleid! CASSIO Was mich zum Himmel aufhebt, ist wie eine Welle im Sturm! RODRIGO Jener süße, blonde Engel wird mir entrissen! LODOVICO ... und tiefes Mitgefühl... FRAUEN Schrecklicher Anblick! MÄNNER Er krallt die Nägel usw. (Jago tritt zu Rodrigo.) JAGO Deine Träume stechen morgen in See, und du bleibst hier am bitteren Strand! RODRIGO Ach, Jammer! JAGO Ach, Dummkopf! Dummkopf! Wenn du willst, darfst du hoffen: Sei ein Mann, raff dich auf und hör mich an! RODRIGO Ich höre! JAGO Im Morgengrauen segelt das Schiff. Dann ist Cassio der Befehlshaber. Wenn ihm aber ein Unglück zustieße, dann bliebe Othello hier! Die Hand ans Schwert! Heute Nacht folge ich seinen Schritten, bestimme den Ort und die Stunde, der Rest bleibt für dich! Ich bin dir nah. Zur Jagd! Zur Jagd! Rüste dich wohl! RODRIGO Ja! Dir hab ich Ehre und Treue verkauft! (Die Stimmen Rodrigos und Jagos verlieren sich.) DESDEMONA ... Hoffnung und Küsse, usw. EMILIA Nein, wer sie nicht beweint, fühlt kein Mitleid in der Brust, usw. CASSIO Das schwankende Glück, usw. LODOVICO ... schmilzt ein Herz aus Eis. Wer sie nicht beweint, usw. FRAUEN Schrecklicher Anblick! Er schlug sie! Ihr heiliges Antlitz, bleich und sanft, neigt sich schweigend, sie weint und vergeht. So weinen im Himmel die Engel ihre Tränen, wenn der verlorene Sünder vor ihnen liegt. MÄNNER Die Augen sind starr auf den Boden gerichtet. Nun droht er dem Himmel, usw. FRAUEN Ihr heiliges Antlitz... EMILIA Das unschuldige Herz... CASSIO Das schwankende Glück... RODRIGO (von Jagos Seite fortgehend) Der Würfel ist gefallen! JAGO (Rodrigo betrachtend, für sich) Jag nur deinem Wahnbild nach! LODOVICO Beim Anblick dieser Tränen... FRAUEN ... bleich und sanft,... MÄNNER Ihn umgibt Todesgrauen! FRAUEN ... neigt sich schweigend,... EMILIA ... spricht kein Wort,... CASSIO ... befördert meinen Lauf,... RODRIGO Der Würfel ist gefallen! JAGO Jag nur deinem Wahnbild nach! LODOVICO Das Mitleid selbst,... FRAUEN ... sie schweigt und weint. MÄNNER Den schwarzen Mann umgibt Todesgrauen! DESDEMONA Und einst erblühten meinem Lächeln... ... Hoffnungen und Küsse, usw. EMILIA ... zeigt keine Regung, usw. CASSIO ... das schwankende Glück, usw. LODOVICO ... das Mitleid selbst, usw. JAGO Jag nur deinem Wahnbild nach! Dein schwacher Sinn ist schon von einem lügnerischen Traum verwirrt! Folg nur meinem schlauen und listigen Rat, du betörter Liebhaber; ich folge meinem Plan! usw. RODRIGO Der Würfel ist gefallen! Voller Ungeduld erwart ich dich, mein letztes Schicksal, mein verborgenes Geschick! usw. Mich treibt die Liebe, doch der gierige, furchtbare Stern des Todes weist mir meinen Weg! usw. FRAUEN/MÄNNER (wie oben) OTHELLO (steht auf und wendet sich an die Versammelten, mit furchterregender Gebärde) Flieht! ALLE Himmel! OTHELLO (auf die Menge losstürzend) Ihr alle, flieht Othello! JAGO (zu allen) Ihn traf ein böser Zauber, der ihm die Sinne raubte! OTHELLO Wer sich nicht entfernt, der ist ein Rebell! LODOVICO (will Desdemona fortführen) Folgt mir! MÄNNERSTIMMEN (von ferne) Hoch! (Trompeten von ferne) DESDEMONA (macht sich von Lodovico los und läuft auf Othello zu) Mein Gatte! OTHELLO Du meine Seele, ich verfluche dich! MÄNNER and FRAUEN Entsetzen! (Alle stürzen entsetzt hinaus, Desdemona von Emilia und Lodovico geführt. Jago und Othello bleiben allein zurück.) OTHELLO Nur ich kann mir nicht entfliehen! Blut! Ah, welch niedriger Gedanke! (niedergeschlagen) „Das betrübt mich!“ (krampfhaft, wie irre) Beide umschlungen sehen! Das Taschentuch! Das Taschentuch! Ah! Ah! Ah! (fällt in Ohnmacht) JAGO (für sich) Mein Gift tut seine Wirkung. MÄNNERSTIMMEN (von ferne) Hoch Othello! JAGO (auf die Rufe hörend) Das Echo seines Sieges... MÄNNERSTIMMEN Hoch! Hoch! JAGO ... singt ihm sein letztes Loblied! MÄNNERSTIMMEN Hoch! JAGO (betrachtet den ohnmächtig am Boden liegenden Othello) Wer kann mich daran hindern, dieses Haupt mit meiner Ferse zu zertreten? MÄNNERSTIMMEN (näher) Hoch! Hoch Othello! Heil dem Löwen von Venedig! JAGO (richtet sich mit der Gebärde schrecklichen Triumphes empor, auf den reglosen Körper Othellos zeigend) Da seht den Löwen! Desdemonas Schlafgemach. Ein Bett, ein Betstuhl, ein Tisch mit Spiegel und ein Stuhl. Vor dem Madonnenbild über dem Betstuhl brennt eine Lampe. Rechts eine Tür. Es ist Nacht. (Desdemona bereitet sich auf die Nacht vor, Emilia hilft ihr.) EMILIA War er ruhiger? DESDEMONA So schien er mir. Er befahl mir, zu Bett zu gehen und auf ihn zu warten. Emilia, ich bitte dich, leg auf mein Bett mein weißes Brautkleid. (Emilia tut es.) Hör: Wenn ich vor dir sterben sollte, begrab mich in einem dieser Schleier. EMILIA Verjagt solche Gedanken. DESDEMONA Ich bin so traurig, so traurig. (setzt sich mechanisch vor den Spiegel) Meine Mutter hatte eine arme Magd, die war verliebt und sehr schön; ihr Name war Barbara. Sie liebte einen Mann, der sie verließ. Sie sang ein Lied, das Lied von der Weide. (zu Emilia) Lös mir das Haar. Heute Abend ist mein Sinn erfüllt von dieser Weise. „Sie sang und weinte auf der einsamen Heide, dort weinte die Arme. O Weide! Weide! Weide! Sie saß, den Kopf auf die Brust geneigt. Weide! Weide! Weide! Singt, singt! Die Trauerweide soll mein Kranz sein!“ (Zu Emilia.) Mach rasch, bald kommt Othello. „Die Bäche flossen zwischen blumigen Ufern; sie klagte mit brechendem Herzen, und aus den Augen ergoss ihr Herz die Flut bitterer Tränen. Weide! Weide! Weide! Singt, singt! Die Trauerweide soll mein Kranz sein. Die Vögel flogen von den dunklen Zweigen nieder zu ihrem süßen Gesang. Und ihre Augen weinten so sehr, die Steine selbst zu erweichen.“ (streift einen Ring vom Finger, zu Emilia) Leg diesen Ring weg. (erhebt sich) Arme Barbara! Sie schloss ihr Lied immer mit den schlichten Worten: „Er wurde für den Ruhm geboren, und ich, um zu lieben.“ (zu Emilia) Horch! Ich höre einen Klagelaut! (Emilia tut ein paar Schritte.) Still! – Wer klopft da an die Tür? EMILIA Es war der Wind. DESDEMONA „... und ich, um zu lieben und zu sterben. Singt, singt! Weide, Weide, Weide!“ Emilia, leb wohl. Wie mir die Augen brennen! Das bedeutet Tränen. Gute Nacht. (Emilia will gehen.) Ah! Emilia, Emilia, leb wohl! Emilia, leb wohl! (Emilia kehrt sich um, Desdemona umarmt sie. Emilia ab.) (Desdemona kniet auf dem Betstuhl nieder.) Ave Maria, voll der Gnade, auserwählt unter den Weibern und Jungfrauen bist du, gebenedeit sei die Frucht, o Gebenedeite, deines mütterlichen Schoßes, Jesus. Bitte für den, der anbetend vor dir kniet, bitte für den Sünder, für den Unschuldigen, und für den Schwachen und Bedrückten, und dem Mächtigen, der gleichfalls elend ist, schenk dein Erbarmen. Bitte für den, der vom Unrecht gebeugt ist und vom grausamen Schicksal; für uns, bitte für uns, bitte du immer und in der Stunde unseres Todes, bitte für uns, bitte für uns, bitte du! (Bleibt noch eine Weile auf den Knien und legt ihre Stirn auf das Pult, wobei sie im stillen das Gebet wiederholt; nur die ersten und letzten Worte sind zu hören.) Ave Maria... ... in der Stunde unseres Todes. Ave! Amen. (erhebt sich und geht zu Bett) (Othello erscheint auf der Schwelle einer geheimen Tür. Er kommt näher, legt einen Säbel auf den Tisch und bleibt vor der Kerze stehen, unschlüssig, ob er sie auslöschen soll oder nicht. Er erblickt Desdemona und löscht das Licht. Dann macht er eine zornige Gebärde, nähert sich dem Bett und bleibt stehen. Er hebt die Vorhänge auf und betrachtet lange die schlafende Desdemona. Er küsst sie dreimal; sie erwacht.) DESDEMONA Wer ist da? (Richtet sich auf.) Othello? OTHELLO Ja. Habt Ihr heute abend Eure Gebete gesprochen? DESDEMONA Ich habe gebetet. OTHELLO Erinnert Ihr Euch an eine begangene Sünde und erhofft dafür die Gnade des Himmels, erfleht sie jetzt gleich. DESDEMONA Weshalb? OTHELLO Mach rasch! Ich will nicht deine Seele töten. DESDEMONA Du sprichst vom Töten? OTHELLO Ja. DESDEMONA Gott sei mir gnädig! OTHELLO Amen. DESDEMONA Und seid auch Ihr mir gnädig! OTHELLO Denk an deine Sünden. DESDEMONA Meine Sünde ist die Liebe! OTHELLO Und dafür stirbst du! DESDEMONA Und weil ich dich liebe, tötest du mich? OTHELLO Du liebst Cassio! DESDEMONA Nein, bei meiner Seele! OTHELLO Das Taschentuch, das ich dir schenkte, gabst du ihm! DESDEMONA Das ist nicht wahr! OTHELLO Ich sah es in seiner Hand! DESDEMONA Ich bin nicht schuldig! OTHELLO Gesteh! DESDEMONA Ich schwöre! OTHELLO Hüte dich vor Meineid! Denk, dass du auf deinem Sterbebett liegst! DESDEMONA Nicht um zu sterben! OTHELLO Um, jetzt zu sterben! DESDEMONA Zu Hilfe! Ich liebe Cassio nicht! Er soll herkommen! Er soll reden! OTHELLO Stumm ist er auf immer. DESDEMONA Himmel! Tot? OTHELLO Tot. DESDEMONA Ich bin verloren, er ist verraten! OTHELLO Du wagst, ihn zu beweinen? DESDEMONA Othello, töt mich nicht! OTHELLO Du verteidigst dich umsonst! DESDEMONA Lass mich leben... ... lass mich noch leben, lass mich noch leben! OTHELLO Nieder, nieder mit dir, du Hure! DESDEMONA Gnade! OTHELLO Stirb! DESDEMONA Lass mich nur diese Nacht noch leben! OTHELLO Nein! DESDEMONA Eine Stunde! OTHELLO Nein! DESDEMONA Einen Augenblick! OTHELLO Nein! DESDEMONA Nur noch für ein Gebet! OTHELLO Zu spät! (erstickt sie) DESDEMONA Ah! (Es klopft an der Tür.) OTHELLO (betrachtet Desdemonas reglosen Körper) Still, wie das Grab. (Es klopft wieder.) EMILIA (draußen) Öffnet! Öffnet! OTHELLO (aufschreckend) Wer ist da? Wer klopft? EMILIA (klopft wieder) O Herr, ich bitte Euch, ich muss Euch sprechen, öffnet! OTHELLO (öffnet die Tür) Emilia, was gibt es? EMILIA (tritt auf) Ein schweres Verbrechen! Cassio hat Rodrigo getötet! OTHELLO Und Cassio? EMILIA Lebt! OTHELLO Cassio lebt! DESDEMONA (vom Bett aus) Ungerecht – ungerechter Mord – EMILIA (läuft auf das Bett zu) Wer stöhnt da? Entsetzen! DESDEMONA Ich sterbe schuldlos – EMILIA Großer Gott! Wer tat das? Wer? DESDEMONA Niemand – ich selbst – befiehl mich meinem Herrn – ich sterbe schuldlos – leb wohl – (stirbt) OTHELLO O Lügnerin! Ich habe sie getötet! EMILIA Mörder! OTHELLO Sie war Cassios Hure, frag Jago! EMILIA Jago? OTHELLO Jago. EMILIA Tor! Und du hast es geglaubt? OTHELLO (auf Emilia losfahrend) Wagst du zu leugnen? EMILIA Ich fürchte dich nicht! OTHELLO (ergreift sie) Hüte dich! EMILIA Holla! Helft, zu Hilfe! (reisst sich los und läuft zur Tür) Othello hat Desdemona getötet! (Lodovico, Cassio und Jago treten auf, dann Montano mit Bewaffneten.) CASSIO, JAGO, LODOVICO Welch ein Geschrei! (sehen Desdemona) Entsetzen! Entsetzen! EMILIA (zu Jago) Jago, straf diesen Meuchelmörder Lügen! Hast du geglaubt, Desdemona sei treulos? Sprich! JAGO Das habe ich geglaubt. OTHELLO Das Taschentuch, das ich ihr einst schenkte, hat sie Cassio gegeben. EMILIA O himmlische Mächte! JAGO (zu Emilia) Schweig! EMILIA Nein, alles enthüll ich! JAGO Schweig! EMILIA Nein! Dieser Mann hat mir das Taschentuch mit Gewalt entrissen! CASSIO Und ich fand das Tuch in meiner Wohnung! MONTANO (eintretend, zeigt auf Jago) Rodrigo hat mir sterbend die Teufelskünste dieses Mannes entdeckt! OTHELLO (zu Jago) Ah! Rechtfertige dich! JAGO (flieht) Nein! LODOVICO Halt ein! MONTANO Ihm nach! (Mehrere Bewaffnete eilen Jago nach.) CASSIO, LODOVICO Ergreift ihn! OTHELLO (stürzt auf den Tisch zu und ergreift den Säbel) Hat der Himmel keine Blitze mehr? LODOVICO Gib mir das Schwert! OTHELLO Du wagst es? Keiner fürchte mich, wenn ich auch bewaffnet bin. Ich bin am Ende meines Weges. O Ruhm! Othello war. (Lässt den Säbel fallen, tritt an das Bett und betrachtet Desdemona.) Und du! Wie bist du bleich, und müde, und stumm – und schön! Du frommes Geschöpf, unter einem bösen Stern geboren! Kalt, wie deine Keuschheit, und aufgenommen in den Himmel! Desdemona! Desdemona! Ah, tot, tot! Tot! (zieht heimlich einen Dolch aus seinem Gewand) Ich hab noch eine Waffe! (ersticht sich) CASSIO Ah, halt ein! LODOVICO, MONTANO Unglückseliger! OTHELLO Eh ich dich tötete, meine Gattin, küsste ich dich. Nun, da ich sterbe und Dunkel mich umfängt: Einen Kuss! Noch einen Kuss! Ah! Und noch einen Kuss – (stirbt) |
libretto by Gerd Uekermann |