ESCALUS, Fürst von Verona (Bass) GRAF PARIS, ein Verwandter des Fürsten (Bariton) GRAF CAPULET (Bass) JULIA, seine Tochter (Sopran) GERTRUD, ihre Amme (Alt) TYBALT, Capulets Neffe (Tenor) ROMEO, aus dem Hause Montague (Tenor) STEPHANO, sein Page (Sopran) BENVOLIO, Romeos Freund (Tenor) MERCUTIO, Romeos Freund (Bariton) BRUDER LORENZO, ein Franziskaner (Bass) BRUDER GIOVANNI (Bass) GREGORIO, Capulets Diener (Bariton) Hofdamen und Edelleute, Ball- und Hochzeitsgäste, Gefolge des Fürsten, Bewaffnete, Dienerschaft, Händler, Volk Ort und Zeit: zu Beginn des 15. Jahrhunderts Ouvertüre PROLOG CHOR Verona sah dereinst zwei feindliche Familien, die Montagues und die Capulets. Ihre endlosen Kriege, beiden gleich verderblich, brachten Blut auf die Schwellen ihrer Paläste. Wie nach Gewitternacht ein Lichtstrahl leuchtet, erschien Julia, und Romeo liebte. Und beide machten sie Ende allem Haß, und gleiche Liebe sie entflammte. Fort unheilvoller, blinder Haß! Die unglücklichen Liebenden sollen mit dem Tod erkaufen das Ende ihrer Väter ewigen Haß, die ihre Liebe wachsen sahen! Der Ball der Capulets (Ein glänzend erleuchteter Festsaal im Palast der Capulets. Herren und Damen, in Dominos und Masken.) Nr. 1 Einleitung CHOR Fröhlich heitere Stunden sind schnell entschwunden, ergreift sie, bevor sie verwehen! Pflücket die Rosen, die für uns erblühten in der Freude und im Glück! (die Männer) Wunderbarer Chor der Liebe unter der Maske von Seide zieht uns an. Dein Bild mit einem Lächeln, mit einem Blick. Und, Komplize, lehrst auf Zufall bauen und vertrauen dem Maskenscherz (die Damen) Nacht des Rausches und der Tollheit. Händedrücken, Jagd der Herzen! Selbst der Spröde gibt sich auf und fängt sich ein in unserem Netz. Wenn die Schöne immer lacht, gibt er froh sich diesem Laute hin. (Alle) Fröhlich heitere Stunden, usw. (Tybalt und Paris, ihre Masken in den Händen haltend, treten auf.) TYBALT Nun, werter Paris! Wie erscheint Euch das Fest der Capulets? PARIS Glanz und Schönheit im Verein sind Gäste des Palastes hier. TYBALT Ihr habt noch nicht gesehen das Wunder, das einzigartige Kleinod, das man Euch Glücklichem bestimmt hat. Das einzigartige Kleinod, das Paris bestimmt ist. Doch seht nur! Sie naht, ihr Vater führt sie. (Capulet führt Julia am Arm in den Festsaal. Bei seinem Anblick nehmen alle die Masken ab.) CAPULET Seid mir alle willkommen in meinem Haus! Bei diesem Feste der Familie schwingt die Freude das Panier! Denn abermals tritt mein Kind ins Leben ein! Mein Herz klopft noch einmal voller Freude, wenn ich daran denke! Doch verzeiht mir meine offene Zärtlichkeit. (Julia vorstellend) Hier ist meine Julia! Sei sie Eurer Huld empfohlen. DIE MÄNNER (mit Bewunderung) Oh, wie schön sie ist! Oh, wie schön sie ist! Wie eine junge Blume, die sich am Morgen öffnet! DIE DAMEN Oh, wie schön sie ist! Oh, wie schön sie ist! Sie scheint in sich zu vereinen alle Vorzüge des Schicksals! ALLE Ah, wie schön sie ist! Wie schön sie ist! (Man hört das Vorspiel zu einem Tanz.) JULIA Hört! hört! Wohl den Ton fröhlicher Instrumente, die einladend uns rufen! Ah! – Eine zauberhafte Welt tut sich vor meinen Augen auf! Alles blendet und berauscht mich! Und meine verzauberte Seele sehnt nach dem Leben sich wie ein Vogel nach dem freien Himmel! CAPULET Wohlan! Ihr jungen Leute! Wohlan! schöne Damen! Diese Augen voller Glut laßt erglühen! Achtet nicht auf jene Krittler, die unablässig grollen! Feiert Eure Jugend, und jetzt Platz zum Tanz! Wer an seinem Platze bleibt und nicht tanzt, macht das Geständnis daß er sich langweilt. Wer an seinem Platze bleibt, usw. Oh tiefes Bedauern! Wär’ ich jung nur so wie Ihr, selbst würd’ ich führen an diesen fröhlichen Reigen! Schmeichelnde Worte wüßt’ ich wohl zu sagen! Erinnern mich wohl der glühenden Wünsche! Oh glückliche Jahre, die die Zeit geraubt! Oh Blüte der Jugend, auf immer verweht! Wohlan! Ihr jungen Leute! usw. Achtet nicht auf jene Krittler, usw. CHOR Verachtet die Krittler, die unablässig grollen! Freuen wir uns unserer Jugend! Platz jetzt zum Tanz! (Alle verteilen sich jetzt auf die benachbarten Galerien. Julia geht am Arm des Paris aus dem Saal. Tybalt und Capulet folgen ihnen plaudernd. Romeo und Mercutio, in Gesellschaft von Freunden, erscheinen.) MERCUTIO Die Luft ist endlich rein, Freunde! Für einen Augenblick mag es erlaubt sein, die Masken abzunehmen. ROMEO Nein! ... Nein! Ihr habt es versprochen; Laßt uns vernünftig sein! Niemand darf uns erkennen. Verlassen wir dies Haus, ohne seinen Herrn zu reizen. MERCUTIO Bah! Sind die Capulets auch gleich voller Zorn, so wär’ es doch feige, sich zu verstecken. (an sein Schwert schlagend) Wir haben doch alles, ihren Mut zu kühlen! (mit Chor) Ja! Wir haben doch alles, ihren Mut zu kühlen! ROMEO Besser wär’s gewesen, hätten wir ihr Haus nie betreten! MERCUTIO Warum? ROMEO (geheimnisvoll) Ich hatte einen Traum! MERCUTIO (mit einem komischen Schrecken) Welch’ warnendes Gesicht! Königin Mab hat dich besucht? ROMEO (erstaunt) Wie das? Nr. 2 Ballade der Königin Mab MERCUTIO Mab, die Königin der Tränen, beherrscht die Träume; Leichter fliegend als der Wind, durch die Räume, durch die Nacht, sie weicht, Sie flieht! Ihr Wagen, schnell wie ein Lichtstrahl durch den lichten Äther dringt, aus Haselnuß ihn nagte mit Geschick der Meister Wurm! Das Versteck aus Grillenflügeln, von Spinnen Flügel fein gewirkt, es lenkt ihn über Wolken als Kutscher die Mücke! Der Stiel seiner Peitsche ist das zerbrechliche Gebein des Heimchens, die Zügel nur ein Strahl des Monds, wenn Phoebe Hoftag hält! Jede Nacht in ihrem Wagen besucht Mab, auf ihrer Runde, den Gatten, der von neuem Bunde träumt und den Liebenden, der von Liebe träumt! Wenn sie sich naht, träumt die Kokette von glänzendem Schmuck und Toilette. Der Hofschranze neigt sich im Bückling, der Dichter schmiedet seine Verse! Dem Geizigen auf dunklem Lager reicht sie Schätze ohne Zahl, die Freiheit lacht dem Gefangenen, der im Dunkeln in Ketten liegt. Der Soldat träumt von Hinterhalten, von Schlachten und wilden Kämpfen. Sie füllt ihm die Gläser bis zum Rande als Ehrentrunk seiner Triumphe. Das Seufzen dir vergeht, wenn auf dem Nachtlager du ruhst, oh, Jungfrau! sie streichelt deinen Mund und läßt dich von Küssen träumen! Mab, die Königin des Trugs, usw. Nr. 2a Rezitativ und Szene ROMEO Nun wohl! ... Ob diese Mahnung kam von Mab oder sonst woher, unter diesem Dach, das nicht das unsere, fühl’ von schwerer Ahnung ich mich bedrückt! MERCUTIO (scherzhaft) Deine Traurigkeit, denk’ ich, rührt daher, daß deine Rosalinde nicht hier ist; hundert andere auf diesem Fest jedoch lassen dich vergessen deinen Schülerstreich! Komm! ROMEO (nach draußen blickend) Ha! Sieh nur! MERCUTIO Was ist denn? ROMEO Die holde Schönheit dort, die wie ein Lichtstrahl ist in dunkler Nacht! MERCUTIO Die Anstandsdame, die ihr folgt, ist von bescheidener Schönheit. ROMEO (mit Leidenschaft) Oh, dieses himmlische Kleinod! Welche Klarheit hat plötzlich meine Augen geöffnet? Nie habe ich wahre Schönheit gekannt! Hab’ ich je geliebt zuvor? Hab’ ich je geliebt? ... MERCUTIO (lachend zu Benvolio und zu anderen jungen Leuten) Gut! Und Rosalinde ist zum Teufel! Wir haben es schon vorher gewußt! FREUNDE DES ROMEO Wir haben es schon vorher gewußt! MERCUTIO Unbetrauert gehet sie nach Hause, eh’ man sich’s versieht, ist die Komödie aus! FREUNDE DES ROMEO Unbetrauert gehet, usw . (Mercutio nimmt Romeo mit, als Julia von Gertrude gefolgt erscheint.) JULIA Seht nur, Amme, man harrt meiner! Sagt schnell. GERTRUDE Schöpft nur Atem! (tückisch) Oder stör’ ich gar? Ist es Paris, den Ihr sucht? JULIA (lässig) Paris? GERTRUDE Ihr habt, wie man sagt, die Perle der Männer! JULIA (lachend) Ha! ha! Ich träume wirklich vom Heiraten! GERTRUDE Ich schwör’ ich war verheiratet in Eurem Alter! JULIA Nein! nein, – ich möchte doch nicht länger hören – Lass’ meiner Seele ihren Frühling! Nr. 3 Ariette JULIA Ah! – Ich will leben in diesem Traum, der mich umgibt; leben noch lange. Süße Flamme, ich hüte dich in meiner Seele wie einen Schatz! Ich will leben, usw. Dieser Rausch der Jugend dauert nur einen Tag! Dann kommt die Stunde, in der man weint. Die Liebe zieht in die Herzen ein, und das Glück entflieht. Ah! – Ich will leben, usw. Fern vom kalten Winter lass’ mich träumen und den Duft der Rose atmen, den Duft der Rose atmen bevor sie welkt. Ah! – Ah! – Ah! – Süße Flamme, ich hüte dich in meiner Seele wie einen süßen Schatz, noch lange. Ah! – Wie ein Schatz noch lange! Nr. 3a Rezitativ (Gregorio erscheint und trifft auf Romeo.) ROMEO (zu Gregorio, indem er auf Julia weist) Wer ist dies schöne Kind? GREGORIO Ihr fragt noch? Es ist Gertrude. GERTRUDE (sich umwendend) Was gibt’s? GREGORIO (zu Gertrude) Verehrte Dame! wegen des Gastmahls wird nach Euch gefragt. GERTRUDE (ungeduldig) ’s ist gut! Hier bin ich! JULIA Geh nur. (Gertrude mit Gregorio ab. Romeo erreicht Julia in dem Moment, da sie gehen will.) ROMEO Ich bitt’ Euch, bleibt. Nr. 4 Madrigal (zweistimmig) ROMEO Heil’ger Engel, meine schuldige Hand entweihte, indem sie zu berühren wagte, die göttliche Hand, die niemand zu berühren wagen darf! Doch seht, ich denke, daß die Strafe die mir auferlegt, heißt tilgen die unwürdige Spur der Hände mit einem Kuß! JULIA Laßt ab von Euren Sorgen! Diese Umarmungen des demütigen Pilgers haben selbst die Heiligen, wenn er liebt, ihm von vorhinein vergeben. (ihre Hand zurückziehend) Doch seinem Mund muß sie die Hand füglich entziehen. Diese Zärtlichkeit voll Zauber gewähren darf sie nicht den Kuß! ROMEO Den Heil’gen sind doch Lippen auch gegeben ... JULIA Nur um zu beten! ROMEO Hören Sie nicht die Stimme, die Ihnen sagt, das zu beenden? JULIA Ihr Herz ist Liebesbitten fest verschlossen, selbst wenn Sie sie zugestehen! ROMEO So erhört denn meine Wünsche, mein Mund nimmt, was er erfleht. (Er küßt Julias Hand.) JULIA (lächelnd) Nicht konnt’ ich mich verteidigen! So kam die Sünde auf mich! ROMEO Um Euch zu beruhigen, wollt’ Ihr diese Sünde mir zurückgeben? JULIA Nein! ich behalte sie! Laßt sie mir! ROMEO Ihr habt sie genommen! Gebt sie zurück! JULIA Nein! ich behalte sie! Laßt sie mir! usw. ROMEO Ihr habt sie genommen! Gebt sie zurück! usw. Nr. 5 Finale ROMEO Wer kommt? (setzt die Maske wieder auf) JULIA Mein Vetter Tybalt. ROMEO Oh Gott! wer seid Ihr? ... JULIA Die Tochter Capulets. ROMEO (beiseite) Gott! TYBALT (sich nähernd) Verzeiht, Cousine! ... Unsere Freunde verlassen das Fest, wenn Ihr vor ihren Blicken flieht! So kommt jetzt! So kommt jetzt! (leise) Wer ist der Kavalier, der sich so schnell maskierte, da er mich kommen sah? JULIA Ich weiß es nicht! TYBALT (mißtrauisch) Es scheint, er weicht mir aus. ROMEO Gott sei mit Euch, Herr. (geht ab) TYBALT Ha, ich erkenne seine Stimme! ... bei meinem Haß! Er ist’s! Es ist Romeo! JULIA (mit Schrecken) Romeo! TYBALT Bei meiner Ehre, ich werde den Verräter strafen, sein Tod ist gewiß! (geht ab) JULIA (mit Schrecken) Das war Romeo! (nachdenklich und mit starrem Blick) Ach, ich sah zu früh, den ich zu spät nun kenne! Und Haß ist Wiege nun fataler Liebe! Denn das ist sicher! Wenn ich nicht sein darf die Seine, wird der Sarg mein Brautbett sein! (Sie entfernt sich langsam; die Gäste kommen zurück. Tybalt tritt zusammen mit Paris auf. Romeo, Mercutio, Benvolio und ihre maskierten Freunde kommen von der anderen Seite.) TYBALT (Romeo erblickend) Das ist er! Das ist er! PARIS (Tybalt fragend) Was gibt’s denn? TYBALT (zeigt ihm Romeo) Romeo!!! PARIS Romeo! (Tybalt will sich auf die Gruppe stürzen; Capulet gebietet ihm energisch, Ruhe zu wahren.) ROMEO (beiseite) Mein Name bedeutet ihm ein Übel schon! Welch Schmerz! Capulet ihr Vater, und ich liebe sie! MERCUTIO (zu Romeo) Seht nur! Mit wie wütendem Blick Tybalt uns ansieht! Ein Sturm liegt in der Luft! TYBALT Die Wut macht mich beben! CAPULET (zu seinen Gästen) Wie! Ihr geht schon? Verweilet noch! Denn Eurer harrt die Tafel! TYBALT Besonnen nur! besonnen! Für diese tödliche Beleidigung wird Romeo, ich schwör’ es, seine Strafe zu erleiden haben! MERCUTIO Man beobachtet uns, gebt acht! Wir müssen Klugheit zeigen! Wir wollen nicht töricht unheilvollen Abgang machen. CAPULET (zu seinen Gästen) Lasset das Fest beginnen! Laßt uns tanzen und trinken! Ehemals, bei meiner Ehre, tanzten wir ausgelassener! Tanzten wir, usw. CHOR Lasset das Fest beginnen! Laßt uns tanzen und trinken! Vergnügen ist nur dem Augenblick gegeben! Laßt die Nacht uns fröhlich enden! Vergnügen, usw. (Mercutio führt Romeo fort; Benvolio und ihre Freunde folgen.) Der Garten von Julia (Ein Garten. – Zur Linken der Pavillon, in dem Julia wohnt. – Im ersten Stock ein Zimmer mit Balkon. – Im Hintergrund eine Mauer, gegen andere Gärten abgrenzend.) Nr. 6 Zwischenaktmusik und Chor (Stephano, an die Mauer im Hintergrund gestützt, hilft Romeo mittels einer Strickleiter über die Mauer. Dann zieht er sich zurück, die Leiter mit sich nehmend) ROMEO (allein) Oh Nacht! umhülle mich mit deinen dunklen Flügeln! MERCUTIO (seine Stimme von draußen) Romeo! Romeo! ROMEO Das ist Mercutios Stimme! Eilfertig die Wunden bespötteln, die selbst man nie empfangen! CHOR (Mercutio, Benvolio und ihre Freunde) Seltsam und merkwürdig, Romeo hört uns nicht! Der Liebe Freud und Sorgen lieben das Dunkel der Nacht! (Die Stimmen entfernen sich.) Nr. 7 Cavatina ROMEO Die Liebe, die Liebe! Ja, ihre Glut hat mich ganz verwandelt! (Das Fenster Julias wird erleuchtet.) Doch welch’ ein Licht scheint plötzlich aus diesem Fenster? Dort leuchtet ihre Schönheit in der Nacht! Ah! erhebe dich, Sonne! Lass’ die Sterne verblassen die am Arm des Himmels glänzend leuchten! Ah! erhebe dich! Ah! erhebe dich! leuchtend heller Stern! Sie träumt, sie löst ein Band aus ihren Haaren, durch die ihre Hände zärtlich gleiten. Liebe! Liebe! trag’ ihr meine Stimme zu! Sie spricht! Wie schön sie ist! Ah! ich habe nichts vernommen! Doch ihre Augen sprechen für sie, und mein Herz hat längst geantwortet! Ah, erhebe dich, Sonne, lass’ die Sterne verblassen, usw. ... Komm, erscheine! Nr. 8 Szene und Chöre (Das Fenster öffnet sich. Julia erscheint auf dem Balkon und lehnt sich schwermütig an.) JULIA Weh mir! Ihn hassen! Blinder echter Haß! Oh Romeo, warum trägst du diesen Namen? Wirf ihn hinweg, da er uns trennt, oder ich schwöre meinem eigenen Namen ab. ROMEO (sich nähernd) Ist es wahr! Hast du es gesagt? Nimm fort den Zweifel von meinem glücklichen Herzen! JULIA Wer lauscht mir und entdeckt mein Geheimnis unterm Schutz der Nacht? ROMEO Ich wag’ es nicht, mich dir zu erkennen! JULIA Bist du nicht Romeo? ROMEO Nein! ich will es nicht länger sein, wenn der verhaßte Name uns trennt! Dich zu lieben, lass’ mich nur geboren sein mit einem neuen Ich! JULIA Ah! – Du weißt, daß die Nacht verschleiert meine Wangen! Du weißt es! Können deine Augen ihre Röte sehen, sie zeigt klar dir an die Reinheit meines Herzens! Adieu, falsche Scheu ... Liebst du mich? Ich warte, was du sagst, sag’ keine leeren Schwüre! Schwör’ nicht beim wandelbaren Mond, daß wechselnd, so wie er, auch deine Liebe sei! Geliebter Romeo! sag’ offen mir: ich liebe dich! Und ich will dir glauben! Ich will mich anvertrauen dir als meinem Herrn! Schilt nicht mein Herz, dessen Geheimnis du kennst, daß es leichtfertig sei und nicht zu schweigen wußte ... Nur der Nacht hab’ ich mein Geheimnis verraten, und sie selbst ward Verräterin. ROMEO (feurig) Vor Gott, der mich hört, nimm mein Wort! JULIA Hör! Es kommen Leute!... Still!... Geh’ fort! (Gregorio und die Diener tragen Fackeln in der Hand.) GREGORIO, DIE DIENER Niemand! Niemand! Der Bursche verschwand! ... Seinen Schlichen muß der Teufel nachgeholfen haben! Seinen Schlichen muß, usw. Der Schurke, der Verräter wartete auf seinen Herrn! Das neidige Schicksal hielt unseren Streich auf; Und morgen vielleicht verlacht er uns! und morgen vielleicht, usw. Der Schurke! Der Verräter! usw. Niemand! Niemand! Der Bursche verschwand! usw. GERTRUDE (tritt auf die Szene) Wovon sprecht Ihr nur? GREGORIO Von einem Pagen der Montagues! ... Zusammen mit seinem Herrn wagte er, unsere Schwelle zu betreten und den edlen Capulet so zu beleidigen! GERTRUDE Ihr treibt wohl Scherz? GREGORIO Nein! bei meinem Leben! Ein Montague hat es gewagt, mit seinen Freunden zu unserem Fest zu kommen! GERTRUDE Ein Montague? ... GREGORIO Ein Montague. CHOR (tückisch) Hat eure Schönheit den Verräter angelockt? GERTRUDE Mag er nur wiederkommen! Bei meinem Haupt, ich werde ihn zähmen, werd’ ihm das Wiederkommen gründlich verleiden! GREGORIO Das will ich glauben! CHOR (lachend) Ihr seid dafür ja längst bekannt! Gute Nacht, schönste Amme, nehmt hin, Verehrte, unsern Gruß! Der Himmel mag euch segnen und die Montagues verdammen! (Gregorio und die Diener entfernen sich.) GERTRUDE Segnen will ich jenen Stock, der strafend diese Buben trifft! JULIA (erscheint auf der Schwelle des Pavillons) Bist du es, Gertrude? GERTRUDE Ja, schönster Engel. Es ist schon spät; wie, du schläfst noch nicht? JULIA Ich hab’ auf dich gewartet! GERTRUDE Laß uns heimgehen. JULIA Ärgere dich nicht. (Sie wirft einen Blick um sich und kehrt dann in den Pavillon zurück, gefolgt von Gertrude. Romeo erscheint wieder.) Nr. 9 Duett ROMEO O himmlische Nacht! ich fleh’ dich an! Laß meinem Herzen diesen himmlischen Traum! Ich fürchte zu erwachen und glaub’ nicht, daß es wahr ist! JULIA (wieder in der Tür erscheinend, mit halblauter Stimme) Romeo! ROMEO (dreht sich um) Süße Freundin! JULIA (ihn aufhaltend, immer noch auf der Türschwelle) Nur eine Frage ... und dann Adieu! Ich sende morgen einen Boten! (feierlich) Bei deiner Seele, wenn du mich zur Frau willst sag mir den Tag, die Stunde, den Ort, da unser Bund unter Gottes Augen gesegnet wird. Dann, oh mein Herr, sei mein Gesetz! Dir widme ich mein ganzes Leben, entsage allem, nur dir selber nicht! Aber! ... Doch will deine Liebe nichts als ein tolles Abenteuer ... Ah! ich beschwöre dich, dann verlasse mich in dieser trunkenen Stunde, und überlasse mich dem Schmerz, der meine Tage wird erfüllen! ROMEO (vor Julia auf den Knien) Ach! ich hab’ es dir gesagt, ich bete dich an! Verscheuche meine Nacht! Sei Licht des Morgens mir, wohin mein Herz, wohin die Augen wandern! Sei Königin meines Lebens, erfülle meine dürstende Seele mit allem Licht des Himmels! GERTRUDE (draußen) Julia! JULIA Man ruft mich! ROMEO (sich erhebend und ihre Hand ergreifend) Ah! Jetzt schon! JULIA Geh! Ich habe Angst, daß man uns hier zusammen sieht! GERTRUDE (gesprochen) Julia! JULIA Ich komme ... ROMEO Hör mir zu! JULIA Leiser! ROMEO (Julia an sich ziehend, so daß sie auf der Bühne jetzt zu erkennen ist.) ... Nein, nein, man ruft dich nicht! JULIA Leiser! leiser! Sprich leiser! ROMEO Ach! flieh nicht mehr! Laß deine Hand in meiner! JULIA Ach! man kann uns hier überraschen! Laß bitte meine Hand frei! Leb wohl! ROMEO Leb wohl! JULIA Leb wohl! ROMEO, JULIA Leb wohl! So süß ist Trennungsschmerz, daß ich dir sagen wollt „leb wohl“, bis Morgen wär! So süß ist Trennungsschmerz, usw. JULIA Doch nun bitte ich dich, geh! ROMEO Ah! Grausame! JULIA Warum rief ich dich zurück? Oh, Wahnsinn! Denn kaum bist du mir nah, schon vergißt mein Herz alles! Ich wünschte, du seiest fort! Nicht zu weit fort, wie ein gefangener Vogel, den die Hand eines Kindes an einem Seidenfaden hält, und kaum will er zum Himmel aufsteigen, da zieht das Kind ihn voll Freude zu sich; eifersüchtig geliebt, darf er nicht frei sein. ROMEO Ach! Gehe noch nicht! JULIA Wehe! Es muß sein! ROMEO Nein! Gehe noch nicht! JULIA Wehe! Es muß sein! Leb wohl! ROMEO Leb wohl! ROMEO, JULIA Leb wohl! Süß ist der Trennungsschmerz, daß ich dir sagen wollt’ „leb wohl“, bis Morgen wär’. JULIA Leb wohl tausend Mal! (Sie befreit sich aus seinen Armen und läuft zurück ins Haus.) ROMEO (allein) Geh! Ruhe in Frieden! Träume! Daß das Lächeln eines Kindes sich süß auf deinen Mund lege! Flüsternd noch einmal! Ich liebe dich! Deinem Ohr bringe der Nachtwind diesen Kuß! (Entfernt sich.) Erstes Bild Die Zelle von Bruder Lorenzo Nr. 10 Zwischenaktmusik und Szene ROMEO Mein Vater, Gott zum Gruße! BRUDER LORENZO Wie! Was! Kaum ist es Tag, und du bist schon auf! Welche Liebesplage führt heute dich zu mir? ROMEO Ihr habt es erraten, mein Vater! Es ist die Liebe. BRUDER LORENZO Die Liebe! Wie! Was! Die unwürdige Rosalinde? ROMEO Welchen Namen nennt ihr da? Ich kenn’ ihn nicht! Gott ließ mich das Licht des Himmels sehen erinnert man sich dann noch irdischer Schatten? Liebt man Rosalinde, wenn man Julia gesehen hat? BRUDER LORENZO Was? Julia Capulet? (Julia erscheint, gefolgt von Gertrude.) ROMEO Da ist sie! JULIA (sich in seine Arme werfend) Romeo! ROMEO Meine Seele rief nach dir! Ich sehe dich! Mein Mund verstummt! JULIA (zu Bruder Lorenzo) Mein Vater, seht meinen Gatten hier! Ihr kennt das Herz, das ich ihm gebe! Seiner Liebe vertraue ich mich an vor dem Himmel, segne uns vor Gott! BRUDER LORENZO Ja! Mag mir auch blinder Haß drohen, ich gebe euch meinen Segen. Mag eure junge Liebe löschen den ewigen Haß eurer beiden Häuser! ROMEO (zu Gertrude) Geh und halte Wache! (Gertrude geht ab.) BRUDER LORENZO Zeuge eurer Eide, oh wach in Glück und Leide, der ewige Gott! Kniet nieder! (sehr ernst) Kniet nieder! Nr. 11 Trio und Quartett BRUDER LORENZO Gott schuf nach seinem Bild den Mann, aus dessen Leib und Blut das Weib, und verband sie beide durch die Ehe und weihte ihren unlösbaren Bund! Senke gütig deinen Blick auf die elende Kreatur, die sich vor dir neigt! JULIA, ROMEO Herr, wir versprechen, deinem Wort zu gehorchen. BRUDER LORENZO Hör mein glühend Flehen: Daß deiner Magd möge beschieden sein Liebe nur und Frieden! Daß Tugend ihr Reichtum sei, daß sie, entgegen ihrer Schwäche, ihr Herz nur ihren Pflichten weihen möge! JULIA, ROMEO Herr, sei mein Licht, sei meine Hoffnung! BRUDER LORENZO Laß sie in frohem Alter sehen die Kinder gehen deine Wege und ihre Kindeskinder auch! JULIA, ROMEO Herr! schütze uns vor der Versuchung! BRUDER LORENZO Dies reine glückliche Paar, verbunden in ewigem Leben, möge eingehen ins ewige Leben! JULIA, ROMEO Herr! sei unserer Liebe immer gnädig! BRUDER LORENZO (zu Romeo) Romeo! du nimmst Julia zur Frau? ROMEO Ja, mein Vater! BRUDER LORENZO (zu Julia) Du nimmst Romeo zum Mann? JULIA Ja, mein Vater! (Sie wechseln ihre Ringe.) BRUDER LORENZO (indem er Julias Hand in die Romeos legt) Vor Gott, der eure Seelen eint, verbind ich euch! Erhebt euch! (Sie stehen auf. Gertrude kommt zurück.) JULIA, GERTRUDE, ROMEO, BRUDER LORENZO Oh reines Glück! oh namenlose Freude! Selbst der Himmel empfing unseren/ihren Liebesschwur! Gütiger, mildtätiger Gott! nimm den Dank zweier glücklicher Herzen! usw. (Romeo und Julia trennen sich. – Julia geht mit Gertrude, Romeo mit Bruder Lorenzo.) Zweites Bild Eine Straße. – Zur Linken das Haus der Capulets Nr. 12 Lied STEPHANO (allein) Seit gestern such ich meinen Herrn vergebens! (den Balkon des Hauses der Capulets betrachtend) Ist er etwa noch in eurem Haus, meine Herren Capulet (arrogant) Ei, laß doch sehen, ob eurer Knechte Schar beim Klang meiner Stimme sich herauswagt! (Er beginnt, die Gitarre zu zupfen.) Was machst du, weiße Taube, bei den Geiern im Horst? Eines Tages wirst du die Flügel erheben und der Liebe folgen! Die Geier aber wollen den Kampf, sie wetzen die Krallen und sind zum Kampfe stets bereit! Meide diese wilden Vögel, du feines Täubchen, das Freude nur an Küssen hat! Hütet die Schöne nur! Lehren wird es die Zeit! Eure kleine Taube, wird entflattern weit! usw. In der Nacht, von der Liebe angezogen, weit vom grünen Hain, in der Nähe dieses wilden Nestes hat, glaube ich, eine Taube geseufzt, doch die Geier wachen, und ihre feindlichen Weisen schallen laut. Und das Paar, selig selbstvergessen, erzählen ihre Seligkeit den Sternen der Nacht! Hütet die Schöne nur! Lehren wird es die Zeit! usw. Nr. 13 Finale STEPHANO Ah! Ah! da sind sie schon! GREGORIO Zum Teufel! Was für Singsang vor unserem Hause? STEPHANO (beiseite, lachend) Das Lied mißfällt ihnen gründlich! GREGORIO (zu den anderen Dienern) Ist es nicht der, den gestern wir wie einen Hasen jagten? DIENER Er ist’s! Diese Unverschämtheit ist stark! STEPHANO Hütet die Schöne nur ... usw. GREGORIO Ist es gar zum Hohn, mein Freund, daß du uns diese Serenade singst? STEPHANO Ich liebe die Musik! GREGORIO Das dacht ich mir; doch wird man auf dem Rücken dir ob dieses Streichs deine Gitarre jetzt zerschlagen! STEPHANO Dann seht mich dieses Schwert als Laute tragen, es weiß noch manches weitere Lied. GREGORIO Bei Gott! Auf solche Lieder kann man dir Antwort geben! STEPHANO (indem er den Degen zieht) So holt euch die Lektion! GREGORIO (ebenfalls ziehend) Leg aus! DIENER (lachend) Wir wollen ihr Lied jetzt hören! Welche Wut! Potztausend! Mut entbrannt, freies Spiel! Seht nur, wie dies Kind gegen einen Mann sich verteidigt! Feine Klinge, bei meiner Seele, er schlägt sich wie ein Soldat! (Mercutio und Benvolio erscheinen.) MERCUTIO (empört) Mutig einem Kinde drohen! Zum Teufel, es ist eine Schande! das paßt zu den Capulets! (zieht sein Schwert und wirft sich zwischen die Streitenden) Wie der Herr, so der Knecht! (Tybalt erscheint, gefolgt von Paris und einigen Freunden.) TYBALT (frech) Ihr seid eilfertig mit dem Wort, mein Herr! MERCUTIO Mein Schwert ist schneller noch! TYBALT Das will bewiesen sein! MERCUTIO So versucht es doch! (In dem Moment, da Mercutio und Tybalt die Schwerter kreuzen wollen, erscheint Romeo und stellt sich zwischen sie.) ROMEO Haltet ein! MERCUTIO Romeo! TYBALT (rachsüchtig) Den führt sein Dämon her! (zu Mercutio mit ironischer Höflichkeit) Laßt zunächst mich jenen begrüßen! (zu Romeo, hochmütig) Wohlan! Knabe Montague! Nimm die Klinge! Du, der sich zum Hohn in unser Haus stahl, du sollst die Strafe erhalten für diese böse Schmach! Dessen diebischer Mund verbotener Weise wagte, mit Julia zu flüstern. (mit Verachtung) Hör nur mein Wort, das mir der Haß einsagt! Nichts bist du als ein Feigling! (Romeo greift erregt zum Schwert, nach kurzem Zögern steckt er es zurück in die Scheide.) ROMEO (mit Haltung und Würde) Wohlan! ... Du kennst mich schlecht, Tybalt, und deine Beleidigung ist leer! Ich habe allen Grund, den alten Haß zu vergessen. Handle wie ich und laß ihn ruhen! Ich bin kein Feigling! Leb wohl! (Er will sich entfernen.) TYBALT Glaubst du wohl Verzeihung für deine Beleidigung zu erhalten, Verräter? ROMEO Ich habe niemals dich beleidigt, Tybalt; die Zeit des Hasses ist vorüber! MERCUTIO Du läßt dich einen Feigling schelten? Romeo! hab’ richtig ich gehört? Wohlan! wenn dein Arm der Kraft ermangelt dann löse ich deine Ehre ein! ROMEO Mercutio! – laß dich beschwören! MERCUTIO Nein! ich räche die Beleidigung! Erbärmlicher Tybalt! leg aus, verteidige dich! TYBALT Ich bin bereit! ROMEO So höre doch! MERCUTIO Nein! Lasse mich! CHOR (Montagues) Gut! Bei meiner Treu! (Capulets) Ich setze auf ihn! STEPHANO, BENVOLIO Capulets! Capulets! Schmachbefleckte! Fließen mag euer Blut, nicht vor der Hölle schreckte zurück ihr Haß und ihre Wut! ROMEO Blinder Haß, den ein Dämon weckte! Soll immerdar denn deine Glut die Welt erfüllen und ein Schreckensschauspiel bieten? TYBALT, PARIS, GREGORIO Montagues! Montagues! Schmachbefleckte! Fließen mag euer Blut, nicht vor der Hölle schreckte zurück mein/sein Haß und meine/seine Wut! CHOR Capulets! Capulets! Schmachbefleckte! Montagues! Montagues! Schmachbefleckte! Fließen mag euer Blut, nicht vor der Hölle schreckte zurück ihr Haß und ihre Wut! (Tybalt und Mercutio kämpfen.) MERCUTIO Ich bin getroffen! ... ROMEO Getroffen! ... MERCUTIO Zur Hölle mit beiden Häusern! Warum nur kamst du zwischen uns? ROMEO Oh unseliger Ausgang! (zu seinen Freunden) Helft ihm! MERCUTIO (taumelnd) Stützt mich! (Man schleppt Mercutio fort, der erliegt. Romeo schaut ihm einige Augenblicke nach, steigt die Szene hinunter und gibt sich ganz seiner Wut hin und schreit auf.) ROMEO Nun zum Himmel, infame Klugheit! Du aber, lodernde Wut, sei meines Herzens einziges Gesetz! (sein Schwert ziehend) Tybalt! – Niemand ist hier ein Feigling außer dir! (Sie kreuzen die Schwerter.) ROMEO (einen Ausfall gegen Tybalt machend) Da nimm! (Tybalt ist getroffen und fällt; Capulet erscheint und hebt ihn in seine Arme. Man kämpft nicht mehr.) CAPULET Großer Gott! Tybalt! BENVOLIO (zu Romeo) Seine Wunde ist tödlich! Fliehe auf der Stelle jetzt! ROMEO (zu sich selbst) Was habe ich getan? Ich, fliehen! Von ihr verflucht! BENVOLIO Flieh, sonst bist du des Todes! ROMEO (verzweifelt) Wenn sie nur käme, ich rufe sie! TYBALT (zu Capulet mit ersterbender Stimme) Ein Wort noch! Bei eurer Seele ... schwört mir! CAPULET (besinnlich) So mag es geschehen, nimm mein Wort! (Eine Menge Bürger umgibt die Szene.) CHOR Was ist los? Was ist los? Das ist Tybalt! Er stirbt! CAPULET (zu Tybalt) Komm endlich zu dir! STEPHANO, BENVOLIO, ROMEO, PARIS, GREGORIO, CHOR Oh, Tag der Trauer! Oh, Tag der Tränen! Eine blinde Wut läßt unsere Waffen bluten! Und das Unglück schwebt über uns! Oh, Tag der Trauer, usw. (Fanfaren ertönen.) CHOR Der Doge! Der Doge! (Der Doge, gefolgt von seinen Edelleuten, erscheint. Pagen tragen Fackeln. Capulet dreht sich zum Dogen.) CAPULET Gerechtigkeit! ALLE CAPULETS Gerechtigkeit! CAPULET (auf den toten Tybalt zeigend) Das ist mein Neffe Tybalt! erschlagen von Romeo! ROMEO Er hat zuerst Mercutio geschlagen! Ich habe meinen Freund gerächt, ich bin bereit zu sühnen! STEPHANO, ROMEO, BENVOLIO, PARIS, GREGORIO,CAPULET, DIE MONTAGUES, DIE CAPULETS Gerechtigkeit! Gerechtigkeit! DER DOGE Wie! Immer aufs neue Blut! Kann denn nichts dem Haß, der in euerem Herzen wohnt, ein Ende setzen! Kann nichts die Schwerter euch aus der Hand nehmen, daß gar ich selbst zu euren Streitigkeiten eilen muß! (zu Romeo) Nach unserem Gesetz verdient deine Tat die Todesstrafe. Doch hast du nicht angegriffen ... ich verbanne dich! ROMEO O Himmel! DER DOGE (zu beiden Parteien) Wenn ihr weiter unter wortreichem Vorwand den Streit fortsetzt und Unruhe stiftet in der Stadt, wird strenge Buße Folge sein. Drum schwöret feierlich Gehorsam den Gesetzen des Prinzen und des Himmels! ROMEO Ach! Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs, mein Herz bricht voller Schmerz! Ungerechte Strafe, die uns zu spät entwaffnet, das ist der Gipfel dieses Unglückstages! Ich sehe untergehen in Blut und Tränen alle Hoffnungen und Wünsche meines Herzens! DER DOGE Ach! Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs! Ich sehe mein und ihr Blut in Wallung! Zu schwere Strafe, die ihre Waffen abstumpft, du kommst zu spät an diesem Tag des Unglücks! Überfließend in Blut und Tränen leidet die Stadt, auch in meinem Herz! ROMEO Tag des Schreckens, des Aufruhrs, mein Herz bricht voller Schmerz! usw. CAPULET Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs! Mein Herz bricht voller Schmerz! Ungerechte Strafe, die uns zu spät entwaffnet, das ist der Gipfel dieses Unglückstages! Ich sehe untergehen in Blut und Tränen alle Hoffnungen meines Herzens! STEPHANO, DIE MONTAGUES Ach! Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs! Mein Herz bricht voller Schmerz! Ungerechte Strafe, die ihre Waffen abstumpft, du kommst zu spät an diesem Tag des Unglücks Ich sehe untergehen in Blut und Tränen mit dem Gesetz, das Vaterland und Ehre! BENVOLIO, PARIS, DIE CAPULETS Ach! Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs! Mein Herz bricht voller Schmerz! Ungerechte Strafe, die uns zu spät entwaffnet, das ist der Gipfel dieses Unglückstages! Nein! nein! Unsere Herzen in Blut und Tränen! Wir wollen nicht die Ehrenpflicht versäumen! DER DOGE Bis zum Abend verläßt du die Stadt! ROMEO Oh, Verzweiflung! In die Verbannung! Ich sterbe, aber ich will sie wiedersehen! CAPULET, CHOR Den Frieden? Nein! nein! nein! nein! Nimmermehr! Erstes Bild Das Zimmer der Julia (Es ist Nacht. Es brennt eine Fackel.) Nr. 14 Duett (Julia sitzt, Romeo befindet sich ihr zu Füßen.) JULIA Ja! ich habe dir verziehen, Tybalt wollte deinen Tod; wenn er nicht gefallen wär, wäre es dein Tod gewesen! Ich empfinde keinen Schmerz, hege keine Reue! Er haßte dich ... und ich liebe dich! ROMEO Ach! sag das süße Wort noch einmal! JULIA Ich liebe dich, Romeo! Ich liebe dich, meinen Gatten! JULIA, ROMEO Brautnacht! Süße Nacht der Liebe! Das Schicksal hat unaufhörlich uns verbunden. Oh Lust zu leben, oh übermächtiger Zauber! Dein süßer Blick macht mich erbeben, deine Stimme raubt die Sinne mir! Deine glühenden Küsse schließen mir einen ganzen Himmel ein. Die Seele habe ich dir gegeben; dir, immer nur dir. Oh Lust zu leben, oh übermächtiger Zauber, usw . Brautnacht! usw. (Der erste Tagesschimmer erleuchtet die Fensterscheiben. Man hört die Stimme der Lerche erklingen.) JULIA Romeo! was ist dir? ROMEO (sich erhebend) Hör nur, Julia! die Lerche hat uns den Tag angekündigt! JULIA Nein! nein, er ist noch fern, das ist nicht die Lerche, deren Sang dein unruhiges Ohr erreichte, es war die Nachtigall, die verschwiegene Zeugin der Liebe! ROMEO Ach! es ist die Lerche, die Künderin des Morgens! Die Wolken rahmen schon das Licht im Osten; die Lichter der Nacht sind ausgebrannt, der lichte Tag mit frischem Wehn erhebt lächelnd sich! JULIA Nein! nein, das ist nicht der Tag! Dieses Licht ist Widerschein nur der schönen Sterne der Nacht. Bleib! Bleib! ROMEO Ah! Mag Zögern auch den Tod bedeuten! Ich bleibe hier! JULIA Du sprichst wahr: es ist der Tag! Flieh schnell von hier! Du mußt deine Julia jetzt verlassen! ROMEO Nein! nein, das ist nicht der Tag! Das ist nicht die Lerche. Die Nachtigall ist’s, verschwiegene Zeugin der Liebe! JULIA Ach! es ist die Lerche, die Botin des Morgens! Ach geh! mein Leben! ROMEO Ein Kuß nur, und ich will gehen! JULIA Grausames Gesetz! Grausames Gesetz! ROMEO Ach! halten laß noch einmal dich in meinen Armen! Halten laß! halten laß! Und sind wir einst vereint, wird süße Lust sein die Erinnerung an vergangene Qualen. JULIA Du mußt nun gehn! verlassen die Arme, die sehnend dich umfangen, und entbehren diese glühende Zärtlichkeit. JULIA Du mußt nun gehn! Verlassen die Arme die sehnend dich umfangen und dich dieser glühenden Zärtlichkeit entreißen! Ach! Dieses Schicksal, das von dir mich trennt, mehr als den Tod möcht ich es grausam nennen! usw. ROMEO Ich muß nun gehn! verlaß die Arme die sehnend mich umfangen und mich dieser glühenden Zärtlichkeit entreißen! Ach! Dieses Schicksal, das von dir mich trennt, mehr als den Tod möcht ich es grausam nennen! usw. ROMEO Leb wohl, meine Julia, leb wohl! JULIA Leb wohl! ROMEO, JULIA Immer dein! JULIA Leb wohl, mein Leben! leb wohl, mein Leben! Engel des Himmels, euch sei er anvertraut! Nr. 15 Quartett GERTRUDE (in großer Aufregung erscheinend) Julia! (sich beruhigend) Ah! dem Himmel sei Dank, euer Gatte ist fort! Hier kommt euer Vater! JULIA Beim Himmel! Ahnt er etwas? GERTRUDE Nichts! nichts wie ich hoffe! Bruder Lorenzo begleitet ihn! JULIA Gott steh uns bei! (Capulet tritt auf, gefolgt von Bruder Lorenzo.) CAPULET Wie! meine Tochter! Kaum ist die Nacht vorbei, und du bist schon wach, bist schon aufgestanden! Ach! unser Leid, ich will es glauben, ist uns beiden schwer und hielt uns beide gleich dem Schlummer fern! Doch soll dem argen Lärm noch heute eine Hochzeitshymne folgen! Getreu dem letzten Wunsche, den Tybalt sprach, erhalt den Gatten, den er dir zugedacht hat; lächle nur und wenn es unter Tränen ist! JULIA Der Gatte ... wer soll es sein? CAPULET Der Höchste unter uns, Graf Paris! JULIA (beiseite) Oh Gott! BRUDER LORENZO (leise zu Julia) Schweig still! GERTRUDE, BRUDER LORENZO Beruhigt euch doch! CAPULET Der Altar ist bereit, Paris hat mein Wort. Mögt ihr nun vereinigt sein ohne weiteren Aufschub! Tybalts Schatten sei anwesend bei der Feier und endlich versöhnt und getröstet. Die Wünsche eines Toten sind, wie die des Gottes, ein heiliges, höchstes Gesetz, dem wir Tribut zu zollen haben! JULIA Fürchte nichts, Romeo, mein Herz ist ohne Fehl. GERTRUDE Laßt in ihren Gräbern die Toten ruhn in Frieden! BRUDER LORENZO Sie bebt, und mein Herz ist erfüllt von Reue. CAPULET Bruder Lorenzo wird dir deine Pflicht auftragen. Unsere Freunde kommen gleich. Ich gehe, sie zu empfangen. (Er geht ab, gefolgt von Gertrude.) Nr. 16 Szene JULIA (zu Bruder Lorenzo) Mein Vater! Alles drückt mich nieder! Alles ist verloren! Ich habe, um euch zu gehorchen, meine Verzweiflung und Not verborgen. Nur ihr könnt mich jetzt retten, nur ihr könnt mich vor meinem schweren Unglück bewahren! Sagt, mein Vater, wie, oder ich will sterben! BRUDER LORENZO So ist der Tod für dich kein Schrecknis? JULIA Nein! nein! Lieber den Tod als diese meineidige Ehe! BRUDER LORENZO Trinke diesen Saft hier; und durch Herz und Glieder werden dir kalte Schauer ziehen, scheintot wirst du sein. Das Blut wird in deinen Adern stocken, und bald wird dir das Rot aus deinen Wangen fliehen; deine Augen werden starr wie im Tode sein! Umsonst werden die Rufe nach Hilfe erschallen: „Sie ist tot“, wird man unter Tränen sagen. Und die Engel selbst erwidern: „sie entschlief.“ Einen Tag später werden dort dein Geist und dein Körper gleich einer Flamme schließlich – aus dem schweren Traum erwachen. Geschützt durch das Dunkel der Nacht, werden Romeo und ich zu dir kommen, und du kannst in die Arme dessen fliehen, den du liebst. Du zögerst noch? JULIA (indem sie die Flasche ergreift) Nein! nein! Eurer Hand vertrau ich mein Leben an. BRUDER LORENZO Bis morgen dann! JULIA Bis morgen! Nr. 17 Szene und Arie JULIA Gott! Welche Kälte durchrinnt meine Adern. Wenn dieser Trank nicht wirkte! Vergebliche Ängste! Ich werde nicht gegen meinen Willen handeln! Nein! Nein! Dies Gift sei Hüter meiner Treue! Komm! Komm! Liebe, stärke meinen Mut und vertreibe die Furcht aus meinem Herzen! Zaudern hieße dich beleidigen, Beben ist fehlende Treue! Trinke, trinke diesen Trank! Ah! Trinke diesen Trank; o Romeo, ich trinke dir zu! Doch wenn ich morgen in jener düsteren Gruft erwache, bevor er kommt? Großer Gott! Dieser schreckliche Gedanke läßt mein Blut erstarren! Was wird aus mir in jener Finsternis, an jenem Ort des Todes und der Seufzer, den die Jahrhunderte mit Knochen angefüllt haben? Wo Tybalt, noch blutverschmiert von seiner Wunde, mir nahe ist, in der finsteren Nacht schläft; Gott! Meine Hand berührt die seine! (bebend, als sähe sie Tybalts Geist) Wer ist dieser Geist, der dem Tode entsprang? Es ist Tybalt! Er ruft mich! Er will meinen Gatten von mir reißen und erhebt seinen furchtbaren Degen! Nein! Geister! Vergeht! Verschwinde, gräßlicher Traum! Möge die Dämmerung des Glückes aufsteigen über dem Schatten vergangener Qualen! Komm! Liebe, belebe meinen Mut und vertreibe die Angst aus meinem Herzen! Zaudern hieße dich zu beleidigen! Beben wäre mangelnde Treue! Trinke, trinke diesen Trank, ah! trinke diesen Trank. O Romeo, ich trinke dir zu. Ballett Zweites Bild Nr. 18 Hochzeitszug Eine Galerie im Palast. Im Hintergrund die Flügel der Kapelle. (Ein Orgelpräludium ertönt. Die Türen der Kapelle öffnen sich, eine Schar von Kirchendienern und Kindern erscheint.) Nr. 18a Epithalamium JULIA Unerbittliches Gesetz! Unerbittliches Gesetz! Ah! Ich bebe! Ich Unselige! Unerbittliches Gesetz! 0 tödliches Entsetzen! Seine Zärtlichkeit ist mir geraubt! Unerbittliches Gesetz! Tödliches Entsetzen! Nur er ist mein Leben, sein meine Treue, das harte Schicksal hat ihn von mir getrennt! GERTRUDE Unerbittliches Gesetz! Unerbittliches Gesetz! O tödliches Entsetzen! 0 unselige Julia! O unerbittliches Gesetz, tödliches Entsetzen! Die Hoffnung ist dir genommen! Schicke dich in die Härten des Lebens! Dem erbarmungslosen Schicksal kann man nicht entrinnen! PARIS, CAPULET, MANUELA, PEPITA, ANGELO, CHOR O Julia, sei glücklich! Sieh, mein/sein liebendes Herz ergibt sich deiner Macht! 0 Julia, sei glücklich! Sieh, mein/sein liebendes Herz ergibt sich deiner Macht! Wenn der Himmel selbst dich führt, lächle dem Leben, das sich dir bietet! Mein/sein Herz weiht sich dir auf ewig! BRUDER LORENZO O Julia! Dein Herz kann mir vertrauen! O Julia, sei glücklich! Dein liebendes Herz darf mir vertrauen! Wenn der Himmel selbst dich leitet, ah, lächle dem Leben, das sich dir öffnet! Dein Herz kann mir vertrauen! Der Himmel schützt dich und wacht über dich! CHOR Julia, sei glücklich! Sein liebendes Herz weiht sich dir! Sein Herz weiht sich auf immer dir! Chor und Tanz CHOR Erfüllt die Luft mit Jubelgesängen, Hochzeitsliedern! Verbannt die besorgten Blicke an diesem schönen Tag! Erfüllt die Luft, usw. Wir lesen in euren Augen euer Glück. Erfüllt die Luft mit Jubelgesängen, laßt sie zum Himmel aufsteigen! Erfüllt die Luft, usw. Nr. 19 Finale CAPULET Meine Tochter, höre das Gelöbnis des Gatten, der dich liebt! Der Himmel bindet euch jetzt durch ewigen Bund! Er sei mit euch im Augenblick dieser gesegneten Heirat! Das Glück komme zu euch am Fuße dieses Altars! (Paris geht vor und will den Ring auf Julias Finger schieben.) JULIA (indem sie ihre Hand zurückzieht und mit leiser Stimme, wie im Traume, sagt) Der Haß ist die Wiege dieser unglückseligen Hochzeit! Der Sarg mag jetzt mein Brautbett sein! (Sie greift zum Kopf, nimmt den Brautschleier ab, ihre Haare lösen sich und fallen auf ihre Schultern.) CAPULET Julia! Besinne dich! JULIA Ah, stützt mich! Ich wanke! (Man umringt und stützt sie.) Welche Nacht umgibt mich? Welche Stimme ruft nach mir? Ist es der Tod? Ich habe Angst! Mein Vater! Lebt wohl! (Sie fällt um in die Arme derer, die sie umgeben.) CAPULET (verwirrt) Julia! Meine Tochter! Ach! (niedergeschmettert) Tot! GERTRUDE, PARIS, CHOR Tot! CAPULET (verzweifelt) Tot! ALLE Gerechter Gott! Erstes Bild Eine unterirdische Krypta Nr. 20 Zwischenaktmusik Nr. 20a Szene BRUDER LORENZO Nun? Hat Romeo meinen Brief erhalten? BRUDER JOHANNES Sein Page, von den Capulets angegriffen, wurde verwundet und weggeschleppt in das Haus ihres Herrn. So konnte er die Nachricht nicht überbringen. Hier ist der Brief. BRUDER LORENZO O grausamer Zufall! Ein anderer Bote muß ihn diese Nacht überbringen! Geh! Jeder Augenblick Verzögerung bringt uns höchste Gefahr. Zweites Bild Das Grab Nr. 21 Julias Schlaf Nr. 22 Szene und Duett (Ein Zwischenspiel. Nach einiger Zeit hört man, wie die Tür mit einem Eisen gewaltsam geöffnet wird. Die Tür kreischt laut, als sie sich öffnet. Romeo erscheint.) ROMEO Hier ist es! ... (entsetzt) Sei mir gegrüßt, du dunkles, schauervolles Grab! Ein Grab! Nein! nein! Eine Stätte ist es, die schöner als der Sitz der Götter! (Er sieht Julia und wirft sich auf den Sarg.) Ach! da ist sie, dort! Komm, bleiches Licht! Laß mich erschauen sie. (die Fackel ergreifend) O mein geliebtes Weib! Der Tod hat zwar den Odem dir genommen, doch nicht die Schönheit, dir geraubt! Nein! nein! diese Schönheit die ich anbete beherrscht noch immer dein Gesicht, das starr und stumm, und lächelt in die Ewigkeit! (stellt die Lampe auf das Grab) Was zeigt der Tod sie mir so schön und so verklärt, ist es, um mich schnell auch dem Tode preiszugeben? Ja! heißer hab’ ich nie sein Glück begehrt! Und diese Beute soll ihm heute nicht entfliehen. (blickt um sich) Ja! ich sehe dich ohne Furcht an, das Grab, wo ich jetzt nah ihr ruhen werde! (sich über Julia beugend) Arme, umfangt sie noch ein letztes Mal! Lippen, gebt ihr noch den letzten Kuß! (Er umarmt Julia, zieht dann aus seinem Gewand eine kleine Flasche aus Metall und wendet sich zu Julia.) Ich trinke es für dich, meine Julia. (trinkt die Flasche mit einem Zug aus und stürzt dann nieder) JULIA (langsam erwachend) Wo bin ich? ROMEO (seine Augen auf Julia richtend) Gott! Ist es ein Traum? Sie hat gesprochen! (Julias Hand ergreifend) Meine Finger fühlten, daß ihr Puls schlägt? (Julia betrachtet Romeo verwirrt.) Sie schaut mich an und sie erhebt sich! JULIA (seufzend) Romeo! ROMEO Großer, allmächtiger Gott! Sie lebt! Sie lebt! Tatsächlich, Julia lebt! JULIA (die langsam ihrer Sinne wieder Herr wird) Gott! was ist das für eine Stimme, deren Zauber mich gefangen nimmt? ROMEO Ich bin es! Dein Gatte ist’s; zitternd vor Glück umfang ich deine Knie! Der dir das Licht des Lebens bringt zurück, das Licht der Liebe und des Himmels! JULIA (indem sie sich in die Arme Romeos wirft) Ah! du bist es! ROMEO Komm! komm! laß uns fliehen! JULIA Oh, welch Glück! JULIA, ROMEO Komm! laß uns in die Welt ziehen! Komm! laß uns glücklich sein! Laß uns fliehen! Komm! Gott der Güte! Gott der Liebe! Nimm den Dank zweier glücklicher Herzen! ROMEO (wankend) Ach! die Väter haben alle ein Herz aus Stein! JULIA Was sagst du! Romeo? ROMEO Tränen und Bitten, nichts, nichts kann sie erweichen! Vor den Pforten des Himmels! Julia, vor den Pforten des Himmels! und sterben! JULIA Sterben! Du redest im Fieber! Welch finstere Bilder umgeben dich? Mein Geliebter! gewinne deine Fassung wieder! ROMEO Ach! Ich wähnte dich tot! So nahm ich dieses Gift! JULIA Dieses Gift! Großer Gott! ROMEO (indem er Julia in seine Arme nimmt) Tröste dich, meine Seele, der Traum war zu schön! Der Liebe heilige Flamme aber wird auch nach dem Grabe noch bestehen! Sie zersprengt des Sarges Schale und entschwebt, gottgeweiht, auf des Lichtes goldenem Strahle hin zur Unendlichkeit. JULIA (verwirrt) Oh Schmerz! oh Qual! ROMEO (mit immer schwächerer Stimme) Höre, meine Julia! Schon hat die Lerche uns den Tag verkündet! Nein! nein, es ist nicht der Tag, es ist nicht die Lerche! Es ist die Nachtigall, verschwiegene Zeugin der Liebe! (Er gleitet aus Julias Armen und fällt auf die Stufen des Grabes.) JULIA (das Fläschchen aufhebend) Ach! Grausamer Gatte! Von diesem furchtbaren Gift hast du mir meinen Teil nicht gelassen! (Sie greift mit der Hand zum Herzen, entdeckt den Dolch, den sie in ihren Kleidern verborgen hatte, und faßt ihn mit eiliger Bewegung) Gesegneter Dolch! Du bleibst mir. (Ersticht sich.) ROMEO (sich halb erhebend) Gott! was hast du getan? JULIA (in seinen Armen) Der Augenblick ist Glück! (Sie läßt den Dolch fallen.) Oh höchste, unendliche Freude, mit dir zu sterben. Komm! einen Kuß! Ich liebe dich! JULIA, ROMEO (Beide erheben sich noch einmal in einer letzten Anstrengung.) Herr, Herr, verzeihe uns! (Sie sterben.) |