Personen Michele (auch Marcel) — Bariton Luigi (auch Henri) — Tenor Tinca (die "Schleie") — Tenor Talpa (der "Maulwurf") — Bass Giorgetta (auch Georgette) — Sopran Frugola (Frettchen) — Alt ein Liederverkäufer, ein Liebespaar, u. a. Ein Winkel der Seine, wo Micheles Schleppkahn vor Anker liegt. Der Kahn ist mit dem Kai durch einen Landesteg verbunden. Im Hintergrund die Silhouette der Pariser Altstadt und der majestätische Bau der Kirche Notre-Dame, abgehoben vom roten Abendhimmel. Ebenfalls im Hintergrund, rechts, die der Seine entlang errichteten Gebäude, davor hohe, reich belaubte Platanen. Der Kahn hat den Charakter der üblichen Frachtboote, wie sie die Seine befahren. Das Steuer ragt hoch über der Kabine empor. Die Kabine ist sauber und ansehnlich, mit grünen Fenstern, einem Kaminrohr und einem flachen Dach, das wie ein Altan aussieht, auf dem einige Töpfe mit Geranien aufgestellt sind. An einer Leine hängt Wäsche zum Trocknen. Über der Tür zur Kabine ein Käfig mit Kanarienvögeln. Sonnenuntergang. Am Ufer steht ein Pferdekarren, darauf angehäuft Zementsäcke. Die Löscher steigen aus dem Schiffsraum herauf, mit schweren Säcken beladen, die sie zum Karren bringen. Michele, mit erloschener Pfeife, steht regungslos am Steuer und betrachtet die untergehende Sonne. Giorgetta ist sehr beschäftigt: Sie nimmt verschiedene Waschestücke von der Leine, schöpft einen Eimer Wasser aus dem Fluß und begießt damit die Blumen, dann reinigt sie den Vogelkäfig. Man hört eine Schleppdampfersirene und eine Autohupe. GIORGETTA He, Michele! Michele! Hast du’s nicht satt, dich von der sinkenden Sonne blenden zu lassen? Findest du das Schauspiel so großartig? MICHELE O Ja! GIORGETTA Das seh’ ich; aus deiner Pfeife kommt kein weißer Rauch mehr! MICHELE (auf die Löscher weisend) Sind sie fertig da unten? GIORGETTA Soll ich hinuntergehen? MICHELE Nein. Bleib. Ich geh’ selbst. GIORGETTA Sie haben so schwer gearbeitet! Wie sie versprachen, der Kahn wird geleert, und morgen können wir wieder aufladen. LÖSCHER Ho! Hiev! Ho! GIORGETTA Wir müssen sie für ihre Mühe belohnen; was ZU trinken vielleicht! MICHELE Natürlich. Du denkst an alles, du gute Seele! LÖSCHER Ho! Hiev! Ho! Noch eine Runde! Wenn wir uns nicht anstrengen, liegen wir hier fest, und Margot geht mit einem andern aus. MICHELE Bring ihnen was ZU trinken. GIORGETTA Sie sind fast fertig; das wird ihnen Kraft geben. MICHELE Mein kleiner Wein löscht den Durst und erfrischt sie. LÖSCHER Ho! Hiev! Ho! Noch eine Runde! Nicht schwach werden, Schiffer, später kannst du dich ausruhen, und Margot wird sich freuen! MICHELE (nähert sich Giorgetta liebevoll) Und an mich denkst du gar nicht? GIORGETTA (etwas zurückweichend) An dich? Wieso? MICHELE (legt einen Arm um sie) Den Wein hab’ ich aufgegeben, aber wenn meine Pfeife erloschen ist, meine Liebe ist nicht erloschen. LÖSCHER Ho! Hiev! Ho! Noch eine Runde! Bald ist der Kahn geleert, der lange Tag vorüber, und Margot liebt dich heute nacht. MICHELE Gib mir einen Kuß, mein Liebling ... (Küßt sie; Giorgetta reicht ihm die Wange, nicht den Mund. Michele begibt sich zum Schiffsraum und steigt hinunter.) LUIGI (vom Kai zum Kahn kommend) Es ist zum Ersticken, Chefin! GIORGETTA Das dacht’ ich mir. Ich hab’, was ihr braucht. Probiert den Wein! (geht in die Kabine) STOCKFISCH (aus dem Schiffsraum kommend, einen Sack auf dem Rücken) Verdammte Säckel Verfluchte Welt! Beeil dich, Maulwurf! Zelt zum Essen! MAULWURF (steigt aus dem Schiffsraum herauf, ebenfalls beladen) Nicht so schnell! Hetz mich nicht! Ha, dieser Sack bricht mir noch das Kreuz! (schüttelt den Kopf und wischt sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn.) Gott, diese Hitze! He, Luigi, noch eine Runde! LUIGI Hier hast du die Runde! Trinkt, Jungens! Hier, alle schnell hierher! Schnell, macht schon! Im Wein finden wir Kraft zum Weitermachen! (Alle umringen Giorgetta, die Gläser austeilt.) GIORGETTA Wie gewählt er sich ausdrückt! Natürlich, Wein für alle! Hier, Maulwurf! Für Stockfisch! Für euch, nehmt! MAULWURF Wir trinken auf Ihr Wohl! Die Gläser hoch! Trinkt! Prost! Soviel Glück, wie der Wein Freude bringt! GIORGETTA Wenn ihr noch mehr wollt. MAULWURF Da sagt man nie nein! (Giorgetta schenkt Maulwurf nochmals ein.) GIORGETTA (zu den anderen) Gebt eure Gläser her! LUIGI (zeigt auf einen am Kai vorübergehenden Drehorgelspieler) Seht doch den Drehorgelmann! Der kommt zur rechten Zeit. STOCKFISCH In diesem Wein ersäuf’ ich meine traurigen Gedanken. Ich trink’ auf den Chef! Prost! (zu Giorgetta, die noch einmal einschenkt) Danke, danke. Mein einziges Vergnügen liegt hier in diesem Glas. LUIGI (zum Drehorgelmann) He, Professor! Hierher! (zu den anderen) Jetzt hört ihr einen Künstler! GIORGETTA (zu Luigi) Ich versteh’ nur eine Musik; die zum Tanzen reizt! STOCKFISCH (kommt vor) Aber klar! Immer zu Diensten, ich steh’ bereit! GIORGETTA Gut! Ich nehm’ dich beim Wort! STOCKFISCH Ich tanz’ mit der Chefin! (Stockfisch und Giorgetta tanzen; Luigi und Maulwurf halten sich beim Klang der verstimmten Drehorgel die Ohren zu. Stockfisch kann mit Giorgetta nicht den richtigen Schritt halten.) LUIGI Musik und Tanz passen zusammen! (zu Stockfisch) Du siehst aus, als ob du den Boden scheuerst! GIORGETTA Au! Er ist mir auf den Fuß getreten! LUIGI (stößt Stockfisch beiseite und nimmt seinen Platz ein) Laß sie los, ich bin dran. (Luigi tanzt mit Giorgetta; sie überläßt sich hingebungsvoll seiner Umarmung.) MAULWURF Jungens, da ist der Chef! (Michele kommt aus dem Schiffsraum. Die beiden hören auf zu tanzen; Luigi macht dem Drehorgelmann ein Zeichen aufzuhören und gibt ihm ein Geldstück; der Drehorgelmann geht ab. Luigi und die anderen Löscher steigen wieder in den Schiffsraum hinunter, während Michele sich Giorgetta nähert, die sich das Haar ordnet.) GIORGETTA (zu Michele) Na, was meinst du? Können wir nächste Woche abfahren? MICHELE Wir werden sehen. GIORGETTA Bleiben Maulwurf und Stockfisch? MICHELE Luigi bleibt auch. GIORGETTA Gestern wolltest du das nicht. MICHELE Und heute will ich. GIORGETTA Warum? EIN LIEDERVERKÄUFER Wer will das letzte Lied? MICHELE Weil ich nicht will, daß er vor Hunger krepiert. GIORGETTA So einer kommt immer durch. MICHELE Ich weiß, er kommt durch, das stimmt. DER LIEDERVERKÄUFER Wer will es? MICHELE Und deshalb bringt er nie was zu Ende. GIORGETTA Bei dir weiß man nie, wer’s richtig macht oder falsch. DER LIEDERVERKÄUFER Wer will es? MICHELE Wer arbeitet, bleibt auch. (Sirene eines Schleppdampfers in der Ferne.) GIORGETTA ES wird schon Abend. Oh, der rote Septembersonnenuntergang, ein Hauch vom Herbst! Sieht die Sonne nicht aus wie eine große Orange, wenn sie in der Seine untergeht? Sieh doch, da ist Frettchen! DER LIEDERVERKÄUFER Wer will es, mit Noten und Text? GIORGETTA Siehst du sie? Sie sucht ihren Mann und läßt ihn nicht in Ruhe. MICHELE Zu Recht; er trinkt zuviel. GIORGETTA Weißt du nicht, daß sie eifersüchtig ist? (Michele forschend anblickend.) Mein Lieber, du bist nicht gut gelaunt. Was hast du? Was schaust du so? Warum sagst du nichts? DER LIEDERVERKÄUFER Wer will das letzte Lied? (Der Liederverkäufer erscheint auf der Straße jenseits der Seine, gefolgt von einem Mann mit einer umgehängten kleinen Harfe. Einige Midinetten, die aus einem Modehaus kommen, umringen ihn.) MIDINETTEN Wie schön! O Ja! (Der Harfenspieler setzt sich auf einen kleinen tragbaren Schemel und bereitet sich zum Spielen.) MICHELE Hab' ich dir Je Szenen gemacht? GIORGETTA Ich weiß, du schlägst mich nie. DER LIEDERVERKÄUFER O Frühling, O Frühling, such nicht länger die zwei Liebenden ... MICHELE Was? Wäre dir das lieber? GIORGETTA Lieber als dein Schweigen wär mir's manchmal, wenn du mich grün und blau schlügst! DER LIEDERVERKÄUFER ... dort im Abendschatten! (Michele, ohne zu antworten, geht den Kahn entlang und macht sich daran, ein Anlegetau besser festzumachen.) O Frühling, O Frühling! Wer für die Liebe lebte, stirbt auch für die Liebe! Das ist die Geschichte von Mimi! (Die Mädchen kaufen das Lied.) GIORGETTA (die Michele gefolgt ist) Sag mir doch, was du hast. MICHELE Nichts, nichts. DER LIEDERVERKÄUFER Wer wissend den Tod erwartet, zählt die Tage nach Stunden mit den Schlägen seines Herzens ... GIORGETTA Wenn wir in Paris sind, fühl’ ich mich glücklich. MICHELE Natürlich. GIORGETTA Wieso? DER LIEDERVERKÄUFER ... zählt die Tage nach Stunden. Doch der Liebste kehrt nicht wieder, und so hört es auf zu schlagen, das Herz von Mimi. (Die Liederverkäufer geht ab, gefolgt vom Harfenspieler; die Mädchen entfernen sich, lesen die Blätter des gekauften Lieds und wiederholen die letzte Strophe.) MIDINETTEN Zählt die Tage nach Stunden, doch der Liebste kehrt nicht wieder, und so hört es auf zu schlagen, lara, lara, lara, das Herz von Mimi. (Frettchen erscheint auf dem Kai, überquert den Steg und kommt auf den Kahn. Sie trägt auf den Schultern einen Sack, angefüllt mit zusammengesuchtem Plunder.) FRETTCHEN Guten Abend, ihr ewigen Verliebten! GIORGETTA Guten Abend, Frettchen. (Michele begrüßt Frettchen mit einer Handbewegung und geht in die Kabine.) FRETTCHEN Ist mein Mann mit der Arbeit fertig? Heute morgen konnte er sich kaum bewegen vor Rückenschmerzen. Er tat mir wirklich leid. Aber ich hab’ ihn kuriert: eine gute Abreibung, und sein Rücken hat meinen Rum aufgesogen! (Wirft den Sack auf den Boden, wühlt darin herum und zieht mehrere Gegenstände daraus hervor.) Ach, Giorgetta, schau doch: ein nagelneuer Kamm! Wenn du willst, geb’ ich ihn dir; das ist mit das Beste, was ich heute gehamstert habe. GIORGETTA (nimmt den Kamm) Sie haben recht, wenn sie dich Frettchen nennen: Du durchsuchst alle Winkel und hast immer einen vollen Beutel. FRETTCHEN Wenn du wüßtest, was für feine Sachen in diesem Beutel enthalten sind! Schau her, schau her! Für dich ist dieser Federbusch. Spitze und Seide, Lumpen, Fläschchen; lauter tolle Sachen durcheinander! Seltsame Reliquien, die Zeugnisse von tausend Liebschaften! Freuden und Sorgen sammle ich hier, ohne zwischen reich und arm zu unterscheiden. GIORGETTA Und in der Tüte da? FRETTCHEN Rinderherz für den Caporale, meinen Kater mit dem fahlen Pelz und dem einmaligen komischen Blick! GIORGETTA Dein Kater wird ja ganz verwöhnt! FRETTCHEN Er verdient’s auch! Du solltest ihn sehen! Er ist der schönste Kater, mein schönster Liebhaber! Wenn mein Maulwurf nicht da ist, leistet er mir Gesellschaft. Und zusammen spinnen wir, spinnen von unseren Liebschaften, ohne Zank und ohne Eifersucht. Willst du seine Lebensweisheit hören? Schnurr, schnurr, schnurr: Besser Herr in einer Hütte als Diener in einem Palast! Schnurr, schnurr, schnurr, schnurr, schnurr: Besser zwei Stückchen Herz essen als sein eigenes in Liebe verzehren! MAULWURF (kommt aus dem Schiffsraum hervor, gefolgt von Luigi) Ei! Da ist ja meine Alte! Was erzählst du da? FRETTCHEN Ich sprech’ mit Giorgetta über unseren Kater. (Man hört aus der Ferne eine Autohupe.) MICHELE (kommt aus der Kabine) Luigi, morgen laden wir Elsen. Kommst du uns helfen? LUIGI Klar, Chef. (Stockfisch kommt aus dem Schiffsraum, gefolgt von anderen Löschern, die nach dem Kai hin abgehen, nachdem sie sich von Michele verabschiedet haben.) STOCKFISCH Gute Nacht allerseits. MAULWURF (zu Stockfisch) Hast du’s so eilig? FRETTCHEN Gehst du dich wieder besaufen? Na, wenn ich deine Frau wäre! STOCKFISCH Was würdest du tun? FRETTCHEN Ich würd’ dir zusetzen, bis es dir nicht mehr in den Sinn kommt, die Nächte in der Kneipe zu verbringen! Schämst du dich nicht? STOCKFISCH Nein, nein, nein! Der Wein tut gut! Darin ertränkt man alle Gedanken an Revolte! Wenn ich trink’, denk’ ich nicht nach, und wenn ich nachdenk’, lach’ ich nicht. Ha ha ha ha! (Macht sich lachend auf den Weg, während Michele in den Schiffsraum hinuntersteigt.) LUIGI (hält Stockfisch zurück) Da hast du recht, lieber nicht nachdenken, senk den Kopf und beug den Nacken! Für uns hat das Leben keinen Wert mehr, und alle Freuden werden zu Schmerzen. Den Sack auf den Buckel und den Blick zur Erde! Wenn du aufschaust, hüt’ dich vor der Peitsche! Dein Brot verdienst du dir im Schweiß, und die Stunde der Liebe wird geraubt. Geraubt in Elend und Angst, die das reinste Himmelsglück verdunkeln. Alles ist ein Kampf, alles wird uns genommen, der Tag ist schon am frühen Morgen düster. Du hast recht, lieber nicht nachdenken, senk den Kopf und beug den Nacken! STOCKFISCH Nimm dir ein Beispiel an mir: Trink! GIORGETTA Schluß Jetzt! STOCKFISCH Ich sag’ nichts mehr. Bis morgen, Kinder, und maeht’s gut! (Geht den Kai entlang und verschwindet.) MAULWURF (zu Frettchen) Gehen wir nicht auch? Ich bin todmüde. FRETTCHEN Ach, wann werden wir uns ein Häuschen kaufen können? Da ruhen wir uns dann aus. GIORGETTA Das ist wohl deine fixe Idee, das Landleben. FRETTCHEN Ich träume von einem Häuschen mit einem kleinen Garten: vier Wände, nett und sauber, und zwei Pinien für den Schatten. Mein Alter in der Sonne, Caporale zu meinen Füßen, so warten wir auf den Tod, das Heilmittel für alle Übel. GIORGETTA Mein Traum ist ganz anders! Ich bin in der Vorstadt geboren, und nur die Pariser Luft belebt mich, belebt und nährt mich! Wenn Michele nur eines Tages dieses elende Vagabundenleben beenden würde! Da drinnen kann man nicht leben, zwischen Bett und Herd. Du hättest das Zimmer sehen sollen, das ich früher hatte! FRETTCHEN Wo hast du gewohnt? GIORGETTA Weißt du das nicht? LUIGI In Belleville! GIORGETTA Luigi kennt es. LUIGI Ich bin auch da geboren. GIORGETTA Genau wie ich hat er’s im Blut. LUIGI Davon kommt man nicht los. GIORGETTA Das muß man erlebt haben. Belleville ist unsere Heimat, unsere Welt! Wir können auf dem Wasser nicht leben! Wir müssen Pflaster unter den Füßen haben! Da ist ein Haus, da sind unsere Freunde, Festlichkeiten und Kameradschaft. LUIGI Da kennen sich alle: Alle sind eine große Familie! GIORGETTA Am Morgen erwartet dich die Arbeit. Am Abend geht man gemeinsam nach Hause. Schaufenster sind erhellt von Lichtern und feinen Sachen, Kutschen fahren hin und her, die Sonntage sind voller Leben. Zu zweit macht man kleine Ausflüge in den Bois de Boulogne. Tänze im Freien, kleine Liebeleien. Es ist schwer auszudrücken, diese Unruhe, diese merkwürdige Sehnsucht. GIORGETTA, LUIGI Aber wer die Vorstadt verläßt, will zurück, und wer zurückkommt, kann davon nicht los! Da hinten liegt Paris und lockt uns mit tausend hellen Stimmen zu seinem unsterblichen Zauber! FRETTCHEN Jetzt versteh’ ich dich; Hier ist das Leben anders. MAULWURF Gehen wir jetzt essen? (zu Luigi) Was meinst du? LUIGI Ich bleib’ hier, ich muß mit dem Chef reden. MAULWURF Wenn das so ist, bis morgen. FRETTCHEN Gute Nacht, ihr Lieben! (geht Arm in Arm mit Maulwurf ab) FRETTCHEN, MAULWURF Ich träum’ von einem Häuschen mit einem kleinen Garten. Vier Wände, nett und sauber, und zwei Pinien für den Schatten. Mein Alter in der Sonne, Caporale zu meinen Füßen, so erwarten wir den Tod, das Heilmittel für alle Übel. (Gesang in der Ferne.) GIORGETTA O Luigi! Luigi! (Luigi geht auf sie zu, sie hält ihn durch eine Geste zurück.) Paß auf, er kann jeden Moment heraufkommen. Bleib da, weiter weg! LUIGI Warum machst du meine Qual noch schlimmer? Warum rufst du mich überhaupt? GIORGETTA Ich zittre, wenn ich an gestern abend denke, an die Glut deiner Küsse! LUIGI Du weißt, was diese Küsse sagen wollten. GIORGETTA Ja, mein Liebling, Ja, aber sei still. LUIGI Wieso auf einmal diese dumme Angst? GIORGETTA Wenn er uns entdeckt, bringt er uns um! LUIGI Lieber den Tod als das Schicksal, das dich gebunden hält! GIORGETTA Ach, wenn wir doch allein wären, weit weg! LUIGI Und für immer vereint! GIORGETTA Und für immer verliebt! Sag mir, daß du mich nie verläßt! LUIGI (will zu ihr gehen) Nie! GIORGETTA Paß auf! (Michele kommt aus dem Schiffsraum.) MICHELE (zu Luigi) Was? Du bist noch nicht weg? LUIGI Ich hab’ auf Sie gewartet, Chef, weil ich mit Ihnen allein sprechen wollte. Erst will ich mich bedanken, daß Sie mich behalten haben. Dann wollte ich Sie bitten, wenn Sie es einrichten können, mich nach Rouen mitzunehmen und mich da an Land zu lassen. MICHELE Nach Rouen? Bist du verrückt? Da gibt es nichts als Elend, da ging’s dir noch schlimmer. LUIGI Na gut, dann bleib’ ich hier. (Michele geht auf die Kabine zu.) GIORGETTA (zu Michele) WO gehst du hin? MICHELE Die Lichter besorgen. LUIGI Gute Nacht, Chef. MICHELE Gute Nacht. (geht in die Kabine) GIORGETTA Sag mir, warum hast du ihn gebeten, dich in Rouen abzusetzen? LUIGI Weil ich dich nicht mit ihm teilen kann! GIORGETTA Du hast recht, es ist eine Qual, ich leide auch, ich fühl’ sie auch, mehr als du, diese Kette! Du hast recht, es ist eine Qual, eine Folter, eine Strafe! Aber wenn du mich in deine Arme nimmst, wiegt das alles, alles wieder auf. LUIGI Es scheint, als ob wir dem Leben beide etwas stehlen. GIORGETTA Die Lust ist dafür umso größer! LUIGI Das ist die Freude, geraubt in Elend und Angst. GIORGETTA In einer ängstlichen Umarmung. LUIGI Unter erstickten Schreien und endlosen Küssen ... GIORGETTA ... und unterdrückten Worten ... LUIGI ... und endlosen Küssen! GIORGETTA Schwüre und Versprechungen ... LUIGI ... daß wir allein sein werden! GIORGETTA Allein, weit, weit fort! LUIGI Wir beide ganz allein, fern von der Welt! (zusammenfahrend) Kommt er? GIORGETTA Nein, noch nicht. Sag, daß du später wiederkommst! LUIGI Ja, in einer Stunde. GIORGETTA Hör zu: Wie gestern laß ich die Planke hier. Ich nehm’ sie sonst weg. Hast du die Leinenschuhe? LUIGI Ja, Gibst du das gleiche Signal? GIORGETTA Ja, ein brennendes Streichholz. Wie die kleine Flamme in meiner ausgestreckten Hand flackerte! Mir war, als hätt’ ich einen Stern angezündet, die Flamme unserer Liebe, einen Stern, der nie untergeht! LUIGI Ich will deinen Mund, ich will deine Zärtlichkeit! GIORGETTA DU fühlst es also auch, dieses wahnsinnige Begehren! LUIGI Die wahnsinnige Eifersucht! Ich will dich festhalten, als ob du mir gehörst! Ich will es nicht länger dulden, daß ein anderer dich berührt, und um allen anderen deinen göttlichen Körper ZU entreißen, schwör’ ich dir, ich schwöre, würd’ ich sogar das Messer nehmen und dir aus Blutstropfen ein Schmuckstück machen! (Luigi eilt schnell ab, von Giorgetta angetrieben.) GIORGETTA Wie schwer es ist, glücklich zu sein! (Michele kommt mit den brennenden Laternen aus der Kabine.) MICHELE Warum gehst du nicht schlafen? GIORGETTA Und du? MICHELE Nein, noch nicht. GIORGETTA Ich glaube, du hast recht getan, ihn zu behalten. MICHELE Wen? GIORGETTA Luigi. MICHELE Vielleicht war es ein Fehler. Zwei Männer sind genug; soviel Arbeit gibt’s nicht. GIORGETTA Dem Stockfisch könntest du kündigen - der trinkt immer. MICHELE Er besäuft sich, um seine Schmerzen zu betäuben. Seine Frau ist eine Schlampe! Er trinkt, um sie nicht zu töten. (Giorgetta ist verstört und nervös.) Was hast du? GIORGETTA All diese Geschichten interessieren mich gar nicht. MICHELE (nähert sich Giorgetta bewegt) Warum, warum liebst du mich nicht mehr? Warum? GIORGETTA Du irrst dich, ich liebe dich. Du bist gut und ehrlich. Jetzt laß uns schlafen gehen. MICHELE Du schläfst nicht. GIORGETTA Du weißt, warum ich nicht schlafe. Und außerdem erstick’ ich da drinnen. Ich kann nicht, ich kann nicht! MICHELE Jetzt sind die Nächte so kühl, und letztes Jahr, da in dem schwarzen Loch, da waren wir zu dritt, da stand die Wiege unseres Kleinen. GIORGETTA Unser Kleiner! Sei still, sei still! MICHELE Du strecktest die Hand aus und wiegtest ihn sanft, langsam, dann schliefst du in meinem Arm ein. GIORGETTA Ich fleh’ dich an, Michele, sprich nicht weiter! MICHELE Es waren Abende wie dieser, wenn der Wind blies, dann hüllte Ich euch beide In meinen Mantel, wie In einer Umarmung. Ich fühl’ noch an meinen Schultern eure beiden blonden Köpfe, ich fühle eure Lippen nah an meinen Lippen. Ich war so glücklich, ach, so glücklich! Jetzt, da es anders ist, kommen meine grauen Haare mir vor wie ein Hohn auf deine Jugend. GIORGETTA Ach, ich fleh’ dich an, Michele, sprich nicht weiter! Ah, nein! MICHELE Ach Ja, ein Hohn auf deine Jugend! GIORGETTA Nein, beruhige dich, Michele, ich bin müde, ich kann nicht mehr, komm. MICHELE Aber du kannst nicht schlafen! Du weißt, du darfst nicht einschlafen! GIORGETTA Warum sagst du mir das? MICHELE Ich weiß auch nicht. Aber ich weiß, daß du schon lange nicht mehr schläfst. (versucht, Giorgetta an sich zu ziehen) Bleib nah bei mir. Erinnerst du dich nicht an andere Nächte, andere Himmel und andere Monde? Warum verschließt du dein Herz? Erinnerst du dich an die Stunden, die auf diesem Kahn dahinflossen, von den Wellen getragen? GIORGETTA Nicht mehr dran denken! Es ist zu traurig heute. MICHELE Ach, sei wieder so wie früher, sei wieder mein, als du mich noch liebtest, und voller Leidenschaft zu mir kamst und mich küßtest! Als du mich noch liebtest! Bleib nah bei mir! Die Nacht ist schön! GIORGETTA Was willst du! Man wird älter! ich bin nicht mehr dieselbe. Du hast dich auch verändert. Du traust mir nicht, was denkst du? MICHELE ich weiß es selbst nicht. (Glockenschläge einer fernen Kirchturmuhr.) GIORGETTA Gute Nacht, Michele. Ich falle um vor Müdigkeit. MICHELE Dann geh nur, ich komme bald. (Giorgetta geht in die Kabine.) Du Hure! (Er befestigt die Lichter - ein rotes, ein grünes und ein weißes - an den entsprechenden Stellen des Kahns. Die Schatten zweier Liebender gehen auf der Straße vorüber.) TENOR Ein frischer Rosenmund ... SOPRAN ... Küsse wie Morgentau ... TENOR ... O duftende Lippen ... SOPRAN ... O duftender Abend! Da ist der Mond ... TENOR ... der Mond, der uns bewacht ... SOPRAN ... bis morgen, Geliebter! TENOR ... bis morgen, Geliebte! SOPRAN Bis morgen, Geliebter! TENOR Bis morgen, Geliebte! (Eine ferne Trompete bläst in einer Kaserne das Schlafsignal. Langsam und vorsichtig nähert sich Michele der Kabine und horcht.) MICHELE Nichts! ... Alles still! (schleicht zur Kabinenwand und späht ins Innere) Da ist sie. Sie hat sich nicht ausgezogen, sie schläft nicht. Sie wartet. Auf wen? Auf was wartet sie? Auf wen? Auf wen? Vielleicht auf meinen Schlaf. Wer hat sie so verändert? Was für ein verdammter Schatten ist zwischen uns gefallen? Wer hat sie beeinflußt? Maulwurf? - Zu alt. Stockfisch vielleicht? Nein, nein, der denkt nicht, der trinkt. Wer dann? Luigi? Nein, erst heute abend wollte er mich verlassen und bat mich, ihn in Rouen abzusetzen. Aber wer dann? Wer dann? Wer ist es? Könnt’ ich nur das Dunkel zerreißen! Und sehen, und ihn zerdrücken, so, mit meinen Händen! Und ihn anschreien: Du bist es! Du bist es! Und ihn anschreien: Du bist es! Du bist es! Dein Leichengesicht hat über meine Qual gelacht! Du bist es! Du bist es! So! So! So! Teil mit mir diese Kette! Verbind dein Schicksal mit meinem! Gemeinsam hinunter in den tiefsten Abgrund! Teil mit mir diese Kette! Verbind dein Schicksal mit meinem! Ruhe ist nur im Tod! (sinkt erschöpft zusammen. Die Nacht ist tiefschwarz. Er nimmt seine Pfeife aus seiner Tasche und zündet sie an. Nach einigen Augenblicken kommt Luigi, der auf dem Kai auf das Zeichen gewartet hat, über den Steg auf den Kahn. Michele sieht den Schatten, zuckt zusammen und stellt sich auf die Lauer. Er erkennt Luigi, stürzt mit einem Satz vorwärts und packt ihn an der Gurgel.) Hab’ ich dich! LUIGI Heiliger Gott! Ich bin gefangen! MICHELE Schrei nicht! Was suchst du hier? Wolltest du deine Geliebte? LUIGI Das ist nicht wahr! MICHELE Du lügst! Gesteh, gesteh! LUIGI Das ist nicht wahr! MICHELE Wolltest du deine Geliebte? LUIGI (zieht sein Messer) Ha, bei Gott! MICHELE (packt Luigi am Arm und zwingt ihn, das Messer fallen zu lassen) Das Messer weg! Du entkommst mir nicht, du Schuft! Du Zuchthäusler! Du Dreckskerl! Du wolltest doch hinunter nach Rouen, nicht wahr? Tot wirst du hinkommen, im Fluß! LUIGI Du Mörder, du Mörder! MICHELE Gesteh mir, daß du sie liebst! Gesteh, gesteh! LUIGI Laß los, laß los, laß mich! MICHELE Nein, du Schurke, ihr Schurken! Wenn du gestehst, laß ich dich los! LUIGI Ja! MICHELE Sag’s noch einmal, noch einmal! LUIGI Ja, ich lieb’ sie. MICHELE Noch einmal, noch einmal! LUIGI Ich lieb’ sie. MICHELE Noch einmal! LUIGI Ich lieb’ sie. MICHELE Nochmal! LUIGI Ich lieb' sie. Ah! (Luigi bleibt im letzten Todeskampf an Michele angeklammert.) GIORGETTA (in der Kabine) Michele! Michele! (Sie öffnet die Tür.) Ich hab' Angst, Michele. (Als er Giorgettas Stimme hört, verhüllt Michele den an ihn geklammerten Leichnam Luigis mit seinem Mantel und setzt sich nieder. Giorgetta kommt langsam auf Michele zu, ängstlich um sich blickend.) MICHELE Ich hatte recht; DU durftest nicht schlafen. GIORGETTA Es quält mich, daß ich dir wehgetan habe. MICHELE Es ist nichts, deine Nerven. GIORGETTA Ach Ja, das ist es, du hast recht. Sag, daß du mir vergibst. Willst du mich nicht nah bei dir? MICHELE WO, unter meinem Mantel? GIORGETTA Ja, ganz nah, Ja. Du hast mir einmal gesagt: „Wir alle tragen einen Mantel, der verbirgt manchmal Freuden, manchmal Leiden.“ MICHELE Manchmal ein Verbrechen! Komm unter meinen Mantel! Komm! Komm! GIORGETTA (Michele richtet sich furchterregend auf, öffnet seinen Mantel; Luigis Leichnam rollt Giorgetta vor die Füße. Michele packt sie, schleppt sie herbei und preßt sie auf das Gesicht ihres toten Liebhabers nieder.) Ah! Ende der Oper Personen Schwester Angelica — Sopran die Fürstin, ihre Tante — Alt die Äbtissin — Mezzosopran die Schwester Eiferin — Mezzosopran die Lehrmeisterin der Novizinnen — Mezzosopran Schwester Genovieffa — Sopran Schwester Osmina — Sopran Schwester Dolcina — Sopran die Schwester Pflegerin — Mezzosopran Zwei Schwestern Almosensucherinnen — Sopran, Sopran Eine Novizin — Sopran Zwei Laienschwestern — Sopran, Mezzosopran Schwester Lucilla, Schwester Ausgeberin, Schwester Schließerin — stumme Rollen Schwestern, Novizinnen, Laienschwestern, Chor hinter der Bühne von Frauen, Jungen und Männern — Chor Im Hintergrund jenseits des rechten Bogengangs der Friedhof, jenseits des linken Bogengangs der Küchengarten. In der Mitte der Bühne Zypressen, ein Kreuz, Kräuter und Blumen. Im Hintergrund links zwischen Kalmuspflanzen ein Brunnen, dessen aufsteigender Wasserstrahl in einen irdenen Trog niederfällt. Frühlingssonnenuntergang. Ein Sonnenstrahl trifft die Spitze des Wasserstrahls. Die Bühneist leer. Die Schwestern sind in der Kirche und singen. CHOR (hinter der Szene) Gegrüßet seist du, Maria, du bist voll Gnaden, der Herr ist mit dir! (Zwei Laienschwestern, die sich verspätet haben, überqueren die Bühne; sie halten einen Augenblick ein, um einem Vogel - zwitschern in den Zypressen zu lauschen, dann gehen sie in die Kirche.) Du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus! (Schwester Angelica, ebenfalls verspätet, tritt von rechts auf, geht zur Kirche, öffnet die Tür und macht die Bußübung, welche die Laienschwestern nicht gemacht haben: Sie kniet nieder und küßt den Boden, dann schließt sie die Tür hinter sich.) Heilige Maria, bitte für uns Sünder. SCHWESTER ANGELICA (hinter der Szene) Bitte für uns Sünder, Jetzt und in der Stunde unseres Todes! CHOR ... bitte für uns Sünder, Jetzt und in der Stunde unseres Todes! Amen. (Die Nonnen kommen paarweise aus der Kirche. Die Äbtissin bleibt vor dem Kreuz stehen; die Nonnen verneigen sich im Vorübergehen grüßend vor ihr. Die Äbtissin segnet sie und zieht sich zurück, nachdem alle an ihr vorbeigegangen sind. Die Nonnen gehen noch nicht auseinander, sondern bleiben zusammen, indem sie einen Halbkreis aus kleinen Gruppen bilden. Die Schwester Eifrerin tritt in die Mitte.) DIE SCHWESTER EIFRERIN (zu den beiden Laienschwestern) Schwestern in Demut, Ihr habt die Quindene nicht erfüllt, ebenso wie Schwester Angelica, die aber volle Buße tat! Ihr dagegen, Schwestern, sündigtet durch Achtlosigkeit und habt somit einen Tag der Quindene verloren! EINE LAIENSCHWESTER ich klage mich der Schuld an und fordre eine harte Strafe; Je schwerer sie ist, desto mehr werde ich Euch danken, Schwester in Demut. (Sie verharrt in bußfertiger Haltung.) DIE LEHRMEISTERIN DER NOVIZINNEN (zu den Novizinnen, gleichsam erklärend) Wer zu spät zum Gottesdienst kommt, muß sich niederwerfen und den Boden küssen. DIE SCHWESTER EIFRERIN (zu den Laienschwestern) ihr werdet zwanzigmal im Geiste beten für die Bedrängten und Gefangenen und die da stehen in der Todsünde. EINE LAIENSCHWESTER Mit Freude und mit Inbrunst! DIE BEIDEN LAIENSCHWESTERN Herr Jesus Christus, Bräutigam der Liebe, ich will nur dir gefallen, Bräutigam der Liebe, Jetzt und in der Stunde meines Todes! Amen. (Sie ziehen sich zerknirscht nach rechts unter die Bogengänge zurück.) DIE SCHWESTER EIFRERIN (zu Schwester Lucilla, indem sie ihr die Spinnwerkzeuge gibt) Schwester Lucilla, an die Arbeit. Zieht Euch zurück. Und haltet Schweigen. (Schwester Lucilla zieht sich zurück.) DIE LEHRMEISTERIN (zu den Novizinnen) Weil sie heute abend beim Gottesdienst gelacht und andere dazu verleitet hat. DIE SCHWESTER EIFRERIN (zu Schwester Osmina) Ihr, Schwester Osmina, habt in der Kirche in den Ärmeln zwei rote Rosen verborgen gehalten. SCHWESTER OSMINA Das ist nicht wahr! DIE SCHWESTER EIFRERIN Schwester, geht in Eure Zelle! (Schwester Osmina zuckt die Achseln.) Zögert nicht! Die heilige Jungfrau sieht Euch! (Schwester Osmina geht ab; aller Blicke folgen ihr unter den Arkaden nach, bis sie in ihrer Zelle verschwunden ist.) SECHS SCHWESTERN Königin der Jungfrauen, bitte für sie! (Schwester Osmina wirft die Tür ihrer Zelle hinter sich zu.) DIE SCHWESTER EIFRERIN Und jetzt, Schwestern in Freude, da es dem Herrn gefällt, und um freudiger zurückzukehren zur Arbeit um seiner Liebe willen, ruht Euch aus! DIE SCHWESTERN Amen! (Die weißen Gestalten der Schwestern zerstreuen sich im Klosterhof und unter denArkaden. Schwester Angelica hackt den Boden auf und begießt die Kräuter und Blumen.) SCHWESTER GENOVIEFFA O Schwestern, Schwestern, ich will Euch erzählen, daß ein Sonnenstrahl in die Klausur einfiel! Seht, wo er niederfällt, dort durch das grüne Laub! Die Sonne ruht auf dem Kalmus! Damit beginnen die drei Abende des goldenen Brunnens! DIE SCHWESTERN O ja, nun wird sich gleich das Wasser vergolden! EINE SCHWESTER Und noch für zwei Abende mehr! DIE SCHWESTERN Der Mai ist da! Der Mai ist da! Es ist das Lächeln unserer lieben Frau, das in diesem Strahl zu uns kommt. Königin der Milde, Dank, Dank! EINE NOVIZIN Meisterin, ich bitte Euch um Erlaubnis zu reden. DIE LEHRMEISTERIN DER NOVIZINNEN Immer, wenn man loben will, was heilig und schön ist. DIE NOVIZIN Was für eine Gnade der Jungfrau erfreut die Schwestern? DIE LEHRMEISTERIN DER NOVIZINNEN Ein leuchtendes Zeichen der Güte Gottes! Nur für drei Abende im Jahr, nach dem Gottesdienst, gewahrt uns Gott, die Sonne zu sehen, die auf den Brunnen scheint und ihn vergoldet. DIE NOVIZIN Und an den anderen Abenden? DIE LEHRMEISTERIN DER NOVIZINNEN Entweder kommen wir zu früh heraus, und die Sonne steht hoch, oder zu spät, und die Sonne ist untergegangen. DIE SCHWESTERN Ein Jahr ist vergangen! Vergangen ist wieder ein Jahr! Und eine Schwester fehlt. (Eine schmerzliche Stille herrscht im Klosterhof; die Schwestern sind in stummes Gebet versunken und scheinen das Bild der gestorbenen Schwester vor ihrem geistigen Auge heraufzubeschwören.) SCHWESTER GENOVIEFFA O Schwestern in frommer Arbeit, wenn der Wasserstrahl erblüht, wenn der Wasserstrahl sich vergoldet, sollten wir da nicht einen Eimer goldenen Wassers zum Grab der Bianca Rosa tragen? DIE SCHWESTERN Ja, die Schwester, die dort ruht, wird sich das sicher wünschen. SCHWESTER ANGELICA Wünsche sind die Blumen der Lebenden, sie blühen nicht im Reich der Toten, denn die jungfräuliche Mutter wacht und kommt in ihrer Güte freigebig dem Wunsch zuvor; bevor ein Wunsch erblühen kann, hat die Mutter der Mütter ihn erhört. O Schwester, der Tod ist ein schöneres Leben! DIE SCHWESTER EIFRERIN Wir dürfen selbst im Leben keine Wünsche haben. SCHWESTER GENOVIEFFA Wenn sie harmlos und rein sind, warum nicht? Habt Ihr keinen Wunsch? DIE SCHWESTER EIFRERIN Ich nicht! EINE SCHWESTER Ich auch nicht! EINE ANDERE SCHWESTER Ich nicht! EINE NOVIZIN Ich nicht! SCHWESTER GENOVIEFFA Ich schon, ich bekenne es! (Den Blick nach oben wendend.) Gütiger Heiland, du weißt, daß ich früher in der Welt eine Hirtin war. Seit fünf Jahren habe ich kein Lämmlein gesehen; Herr, erzürne ich dich, wenn ich den Wunsch ausspreche, ein kleines Lamm zu sehen, es zu liebkosen, seine kühle Nase zu berühren und es blöken ZU hören? Wenn das strafbar ist, bete ich dir ein Miserere mei. Vergib mir, Herr, der du selbst das Lamm Gottes bist! SCHWESTER DOLCINA Ich habe auch einen Wunsch! DIE SCHWESTERN Schwester, wir kenne Eure Wünsche! Etwas Gutes zu essen! Saftiges Obst! Gefräßigkeit ist eine schwere Sünde! Sie ist gefräßig! Sie ist gefräßig! (Schwester Dolcina ist zutiefst beschämt und sprachlos.) SCHWESTER GENOVIEFFA (die sich zusammen mit einigen anderen Nonnen Schwester Angelica genähert hat) Schwester Angelica, und Ihr? Habt Ihr Wünsche? SCHWESTER ANGELICA (sich zu ihnen wendend) Ich? Nein, Schwester, nein. (Sie wendet sich wieder den Blumen zu. Die Schwestern bilden auf der gegenüberliegenden Seite eine Gruppe und flüstern.) DIE SCHWESTERN Christus verzeihe ihr, sie sprach eine Lüge! Sie sprach eine Lüge! EINE NOVIZIN Warum? DIE SCHWESTERN Wir wissen es, sie hat einen großen Wunsch! Sie möchte Nachricht von ihrer Familie haben. Seit mehr als sieben Jahren, so lange sie im Kloster ist, hat sie keine Neuigkeiten erfahren. Sie scheint ergeben, aber es quält sie sehr. (sich immer mehr von Schwester Angelica entfernend) Draußen in der Welt war sie reich, sagt die Äbtissin. Sie war von Adel! Von Adel! Von Adel! Eine Fürstin! Man hat sie offenbar als Strafe zur Nonne gemacht. Warum wohl? Warum wohl? Wer weiß! Ja, Ja ... (zerstreuen sich) DIE SCHWESTER PFLEGERIN (eilig herbeilaufend) Schwester Angelica, hört! SCHWESTER ANGELICA Schwester Pflegerin, was ist geschehen, sprecht! DIE SCHWESTER PFLEGERIN Schwester Chiara hat dort im Garten die Rosenbüsche beschnitten; plötzlich flogen viele Wespen daraus hervor und stachen sie hier ins Gesicht! Jetzt ist sie in ihrer Zelle und Jammert. Ach, lindert, Schwester, den Schmerz, der sie quält! DIE SCHWESTERN Die Arme! Die Arme! SCHWESTER ANGELICA Wartet, hier habe ich ein Kraut und eine Blume. (sucht zwischen den Kräutern und Blumen) DIE SCHWESTER PFLEGERIN Schwester Angelica hat immer ein gutes Mittel, aus Blumen bereitet; sie weiß ein segensreiches Kraut zu finden, um Schmerzen zu lindern. SCHWESTER ANGELICA (zur Schwester Pflegerin, ihr ein Kraut gebend) Hier, das sind Ringelblumen; Mit dem Saft, der daraus quillt, benetzt Ihr das Geschwulst; (gibt ihr ein anderes Kraut) und aus diesem macht einen Trank. Sagt Schwester Chiara, daß er sehr bitter ist, aber daß er ihr gut tut. Und sagt ihr auch, daß Wespenstiche nur wenig Schmerz verursachen, und daß sie nicht klagen soll, da das Klagen die Qualen verschlimmert. DIE SCHWESTER PFLEGERIN Ich werde es ihr sagen. Dank, Schwester, Dank! SCHWESTER ANGELICA Ich bin hier, um zu dienen. (Aus dem Hintergrund links kommen zwei Schwestern Almosensucherinnen, einen beladenen Esel führend.) SCHWESTERN ALMOSENSUCHERINNEN Gelobt sei Maria! DIE SCHWESTERN In Ewigkeit, Amen! (Die Schwestern umringen den Esel, während die Almosensucherinnen die Almosen abladen und sie der Schwester Ausgeberin übergeben.) DIE SCHWESTERN ALMOSENSUCHERINNEN Ein guter Ertrag heute abend, Schwester Ausgeberin! ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN Ein Schlauch Öl. SCHWESTER DOLCINA Oh, gut! ZWEITE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN Haselnüsse - sechs Ketten. ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN Ein kleiner Korb Walnüsse. SCHWESTER DOLCINA Schmeckt gut mit Salz und Brot! DIE SCHWESTER EIFRERIN (vorwurfsvoll) Schwester! ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN Hier ist Mehl. Und hier ein kleiner Käsebeutel, aus dem noch Milch sickert, lecker wie ein Kuchen; und ein Beutel Linsen, Eier, Butter, das ist alles. DIE SCHWESTERN Ein guter Ertrag heute abend, Schwester Ausgeberin! (Die zweite Almosensucherin führt den Esel weg.) ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN (zu Schwester Dolcina) Für Euch, Schwester Naschmaul! SCHWESTER DOLCINA Ein Reis rote Johannisbeeren! Nehmt davon, Schwestern! DIE SCHWESTERN Danke, danke! EINE SCHWESTER Ach! Wenn ich eine nähme, wäre das ein Martyrium für sie! SCHWESTER DOLCINA Nein, nehmt nur! DIE SCHWESTERN Danke, danke! (Sie bilden eine kleine Gruppe rechts und essen unter verstohlenem Kichern die Johannisbeeren.) ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN Wer ist heute abend ins Sprechzimmer gekommen? DIE SCHWESTERN Niemand, niemand. Warum? ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN Draußen vor dem Tor steht eine prächtige Kutsche. SCHWESTER ANGELICA (zur Schwester Almosensucherin, wie von einer plötzlichen Unruhe ergriffen) Was sagt Ihr da, Schwester? Eine Kutsche draußen? Prächtig? Prächtig? Prächtig? ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN Hochherrschaftlich! Sie wartet sicher auf Jemand, der ins Kloster gekommen ist, und sicher wird bald die Glocke des Sprechzimmers läuten. SCHWESTER ANGELICA Ach, sagt mir doch, Schwester, wie sieht die Kutsche aus? Hat sie ein Wappen, ein Wappen aus Elfenbein? Und innen gepolstert mit türkischblauer Seide, bestickt mit Silber? ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN Ich weiß nicht, Schwester, ich weiß nicht; ich sah nur eine schöne Kutsche! DIE SCHWESTERN (Schwester Angelica neugierig beobachtend) Sie ist blaß geworden. Und Jetzt ganz rot! Die Arme! Sie ist bewegt! Sie ist bewegt! Die Arme! Sie hofft, es sei wer von ihrer Familie! (Eine Glocke läutet. Die Schwestern eilen von allen Seiten herbei.) Jemand kommt ins Sprechzimmer! Ein Besuch kommt! Für wen? Für wen? Für wen? Für wen mag es sein? EINE SCHWESTER Hoffentlich für mich! Hoffentlich meine Base, die mir duftenden Lavendelsamen bringt. EINE ANDERE SCHWESTER Für mich! Hoffentlich meine Mutter, die uns kleine weiße Turteltäubchen bringt. (Schwester Genovieffa tritt zu ihren Gefährtinnen, mit einer mitleidsvollen Geste auf Schwester Angelica weisend.) SCHWESTER ANGELICA (die Augen zum Himmel erhebend) O erwählte Mutter, lies in meinem Herzen! Gib dem Heiland um meinetwillen ein Lächeln! SCHWESTER GENOVIEFFA (zu Schwester Angelica) O Schwester in Liebe, wir beten zum Stern der Sterne, daß der Besuch für Euch sei. SCHWESTER ANGELICA Liebe Schwester, danke, danke! (Die Äbtissin tritt auf.) DIE ÄBTISSIN Schwester Angelica! (Sie macht den Schwestern ein Zeichen, sich zurückzuziehen; diese gehen ab, bemerken dabei, daß der Brunnen in Sonnenlicht sich vergoldet hat, schöpfen einen kleinen Eimer Wasser daraus, begeben sich damit zum Friedhof und verschwinden.) SCHWESTER ANGELICA Mutter, Mutter, redet! Wer ist es? Wer ist es? Mutter, redet! Seit sieben Jahren warte ich, warte ich auf ein Wort, ein Schreiben! Alles habe ich der Jungfrau geopfert in voller Sühne! DIE ÄBTISSIN Opfert ihr noch die Erregung, die Euch verstört. (Schwester Angelica, gebrochen, sinkt langsam in die Knie und sammelt sich.) DIE SCHWESTERN (vom Friedhof) Ewige Ruhe schenke ihr, Herr; und das ewige Licht leuchte ihr. Möge sie in Frieden ruhen. Amen. Amen. SCHWESTER ANGELICA Mutter, nun bin ich ruhig und ergeben. DIE ÄBTISSIN Es kam, um Euch zu sehen, Eure Muhme, die Fürstin. SCHWESTER ANGELICA Ah! DIE ÄBTISSIN Im Sprechzimmer sagt man nur, was Gehorsam und Notwendigkeit verlangen. Jedes Wort hört die fromme Jungfrau. SCHWESTER ANGELICA Die Jungfrau soll mich hören. Amen. (Die Äbtissin begibt sich zur kleinen Tür ins Sprechzimmer. Schwester Angelica erhebt sich und geht auf den Eingang des Sprechzimmers unter dem Bogengang zu. Die kleine Tür wird von innen von der Schwester Schließerin geöffnet, die neben dem Eingang stehen bleibt. Zwischen der Äbtissin und der Schwester Schließerin schreitet eine schwarze Gestalt hervor, von ernster, strenger Haltung und mit natürlichem Gebaren von aristokratischer Würde: die Fürstin, Angelicas Tante. Sie tritt ein und geht langsam vorwärts, auf einen kleinen Ebenholzstock gestützt. Sie bleibt stehen und wirft einen kurzen Blick auf ihre Nichte, kalt und ohne ein Gefühl zu verraten. Schwester Angelica wird beim Anblick ihrer Tante von einer tiefen Erregung befallen, beherrscht sich aber, da im Schatten noch die Äbtissin und die Schwester Schließerin sichtbar sind. Die Bühne öffnet sich zum Sprechzimmer hin, und die kleine Tür schließt sich vor den beiden Nonnen. Schwester Angelica, tief bewegt, fast schwankend, geht auf ihr Tante zu, aber die alte Frau streckt ihre linke Hand aus, wie um nur einen demütigen Handkuß zu erlauben. Schwester Angelica nimmt die Hand, die ihr geboten wird, führt sie an die Lippen und kniet vor der Tante nieder, die sich hinsetzt. Schwester Angelicas Blick ist ständig auf die Augen der Fürstin gerichtet, mit schmerzlichem flehendem Ausdruck; die Alte blickt hartnäckig vor sich hin.) DIE FÜRSTIN MUHME Fürst Gualtiero, Euer Vater, und Fürstin Clara, Eure Mutter, die vor nunmehr zwanzig Jahren aus dem Leben schieden, (Sie unterbricht sich, um sich zu bekreuzigen.) vertrauten mir ihre Kinder und das gesamte Vermögen der Familie an. Ich sollte es, wenn ich es für angebracht hielt, gerecht verteilen. Und das habe ich getan. Hier ist die Urkunde. Ihr könnt sie studieren, sie besprechen, sie unterzeichnen. SCHWESTER ANGELICA Zum erstenmal seit sieben Jahren stehe ich vor Euch. Laßt diesen heiligen Ort auf Euch wirken. Es ist ein Ort der Milde, ein Ort des Mitleids ... DIE FÜRSTIN MUHME ... der Reue. Ich muß Euch den Grund nennen, warum es zu dieser Teilung kam. Eure Schwester Anna Viola wird heiraten. SCHWESTER ANGELICA Heiraten! Heiraten, die kleine Anna Viola? Das Schwesterchen, die Kleine? Ach Ja, es ist sieben Jahre her! Sieben Jahre sind vergangen! Ach! O kleine blonde Schwester, die sich verheiraten wird, o meine kleine Schwester, sei glücklich! Und wer nimmt sie zur Frau? DIE FÜRSTIN MUHME Der um der Liebe willen die Schuld vergab, mit der ihr unser reines Wappen beflecktet! SCHWESTER ANGELICA Schwester meiner Mutter, ihr seid unerbittlich! DIE FÜRSTIN MUHME Was sagt ihr? Was meint ihr? Unerbittlich? Unerbittlich? Eure Mutter ruft ihr gegen mich an? Gegen mich! Eure Mutter ruft ihr gegen mich an? Oft gehe ich abends dort in unsere Kapelle, um mich zu sammeln. im Schweigen dieser Sammlung scheint mein Geist zu entschweben und sich mit dem Eurer Mutter zu treffen zu ätherischem, erhabenem Gespräch. Wie schmerzvoll, wie schmerzvoll ist es, die Toten klagen und weinen zu hören! Wenn die mystische Verzückung vorübergeht, habe ich für Euch nur ein Wort bewahrt: Sühne! Sühne! Opfert Euch nun der Jungfrau nach meinem Urteil. SCHWESTER ANGELICA Alles habe ich der Jungfrau geopfert, Ja, alles! Aber ein Opfer kann ich nicht bringen; Der sanften Mutter der Mütter kann ich niemals den Gedanken an meinen Sohn opfern! Meinen Sohn! Meinen Sohn, meinen eigenen Sohn! Mein Sohn! Das kleine Wesen, das man mir entrissen hat! Mein Sohn, den ich nur ein einziges Mal sah und küßte! Mein Kind, mein fernes Kind! Das ist das Wort, das ich seit sieben Jahren erflehe! Erzählt mir von ihm! Von meinem Sohn! Erzählt mir von ihm! Wie geht es meinem Sohn? Wie sieht sein süßes Gesicht aus? Wie seine Augen? Erzählt mir von ihm! (Die Alte schweigt.) Warum schweigt Ihr? Warum? Warum? Noch einen Augenblick dieses Schweigens und Ihr verdammt Euch selbst auf ewig! Die Jungfrau hört uns, sie wird Euch richten! DIE FÜRSTIN MUHME Vor zwei Jahren befiel ihn eine schwere Krankheit. Alles wurde getan, um Ihn ZU retten ... SCHWESTER ANGELICA Ist er tot? (Die Muhme neigt den Kopf und schweigt.) Ah! (Schwester Angelica fällt zu Boden. Die Muhme erhebt sich, wie um ihr zu helfen, da sie sie in Ohnmacht glaubt, aber als sie Schwester Angelica schluchzen hört, hält sie ein. Sie geht auf ein Heiligenbild an der Wand zu und betet schweigend, beide Hände auf dem Stock gefaltet, den Kopf gesenkt. Im Sprechzimmer herrscht bereits das Halbdunkel der Abenddämmerung. Die Schwester Schließerin tritt mit einer Öllampe ein, die sie auf dem Tisch abstellt. Die Muhme dreht sich um und spricht leise mit der Schwester, die daraufhin hinausgeht und mit der Äbtissin zurückkehrt, ein Tablett mit Tinte und Feder tragend. Schwester Angelica hört die beiden Nonnen eintreten, erhebt sich, dreht sich um und schleppt sich schweigend zum Tisch, wo sie die Urkunde unterschreibt. Die beiden Nonnen gehen hinaus. Die Fürstin Muhme nimmt die Urkunde, geht auf Schwester Angelica zu, die ihr aber bedeutet, sich zurückzuziehen. Die Muhme geht daraufhin auf die Tür zu und klopft mit dem Stock. Die Schwester Schließerin öffnet, tritt ein, nimmt die Lampe und geht voraus, die Fürstin folgt ihr; auf der Schwelle dreht sie sich noch einmal nach ihrer Nichte um, dann geht sie hinaus und verschwindet; die Schwester Schließerin schließt wieder die Tür. Es ist Abend, die Szene verwandelt sich wieder. Auf dem Friedhof sind die Schwestern dabei, die Lichter auf den Gräbern anzuzünden.) Ohne Mutter, Kind, bist du gestorben! Deine Lippen, ohne meine Küsse, erblaßten, wurden kalt, kalt! Du schlossest, Kind, die schönen Augen! Du konntest mich nicht liebkosen und faltetest deine Händchen zum Kreuz! Und du starbst, ohne zu erfahren, wie sehr deine Mutter dich liebte. Nun bist du ein Engel des Himmels, nun kannst du sie sehen, deine Mutter. Du kannst herniedersteigen vom Firmament, und ich fühle dich mich umschweben - Du bist hier, du bist hier, du küßt und liebkost mich! Ach, sag mir, wann ich dich im Himmel sehen darf? Wann darf ich dich küssen? O süßes Ende aller meiner Schmerzen! Wann darf ich mit dir zum Himmel aufsteigen? Wann darf ich sterben? Wann darf ich sterben, wann sterben? Sag es deiner Mutter, du schönes Wesen, mit dem leichten Glitzern eines Sterns! Sprich zu mir, sprich zu mir, mein Liebling, mein Liebling, mein Liebling! (Die Schwestern kommen vom Friedhof zurück, nähern sich Schwester Angelica und umringen sie.) SCHWESTER GENOVIEFFA Schwester, liebe Schwester, die Jungfrau hat das Gebet erhört! DIE SCHWESTERN Jetzt müßt Ihr zufrieden sein, Schwester, die Jungfrau erwies Euch eine Gnade! SCHWESTER ANGELICA Die Gnade stieg hernieder vom Himmel, schon hat sie mich entzündet, sie leuchtet, sie leuchtet! Schon sehe ich das Ziel, Schwestern! DIE SCHWESTERN Amen! SCHWESTER ANGELICA Schwestern, ich bin glücklich, glücklich! Laßt uns singen! Jetzt singen sie im Himmel! Preist die heilige Jungfrau! DIE SCHWESTERN Laßt uns singen! Jetzt singen sie im Himmel! Amen! (Aus dem Hintergrund hört man das Zeichen der Holzklapper. Die Schwestern begeben sich zu ihren Zellen, öffnen die Türen, gehen hinein und schließen sie wieder.) Preist die heilige Jungfrau! Preist die heilige Jungfrau! SCHWESTER ANGELICA Ah, preist sie! DIE SCHWESTERN Amen! SCHWESTER ANGELICA (in ihrer Zelle) Die Gnade stieg hernieder vom Himmel! (Es ist Nacht. Man sieht die Sterne über der Kirche und den Mond über den Zypressen. Schwester Angelica tritt aus ihrer Zelle, eine irdene Schüssel in den Händen. Sie setzt die Schüssel ab, nimmt Steine auf und baut daraus einen kleinen Herd, dann sammelt sie Zweige und macht daraus ein Bündel, das sie unter den Herd legt. Darauf geht sie zum Brunnen und füllt die Schüssel mit Wasser, zündet mit dem Feuerstahl das Herdfeuer an und stellt die Schüssel zum Kochen darüber. Zum Schluß sammelt sie verschiedene Kräuter und Blumen ein.) Schwester Angelica hat immer ein gutes Mittel, aus Blumen bereitet. Ihr freundlichen Blumen, die ihr im kleinen Herzen die Tropfen des Giftes verschlossen haltet! Ah, mit welcher Pflege ich euch bedachte! Nun dankt ihr es mir. Durch euch, meine Blumen, werde ich sterben. (wendet sich den Zellen zu) Lebt wohl, liebe Schwestern, lebt wohl, lebt wohl! Ich verlasse euch für immer. Mein Sohn hat mich gerufen! Im Licht eines Sternes erschien mir sein Lächeln; er sagte: Mutter, komm ins Paradies! Lebt wohl! Lebt wohl! Leb wohl, kleine Kirche! So oft habe ich in dir gebetet. Mild nahmst du meine Gebete und Tränen auf. Herabgesenkt hat sich die selige Gnade! ich sterbe für ihn, und im Himmel sehe ich ihn wieder. Ah! (Sie umfaßt das Kreuz, küßt es, beugt sich nieder, ergreift die Schüssel und trinkt das Gift; dann lehnt sie sich an eine Zypresse und läßt die Schüssel zu Boden fallen. Die Wolken verdecken den Mond, die Bühne verdunkelt sich. Die vollbrachte Tat des Selbstmords bringt Schwester Angelica zur Wirklichkeit zurück.) Ah, ich bin verdammt! ich habe mir selbst den Tod gegeben! ich sterbe in der Todsünde! (wirft sich verzweifelt auf die Knie) O Madonna, Madonna, rette mich, rette mich! Meinem Sohn zuliebe rette mich! CHOR (hinter der Szene, entfernt) Königin der Jungfrauen, sei gegrüßt, Maria! SCHWESTER ANGELICA ich war nicht bei Verstand! CHOR Keusche Mutter, sei gegrüßt, Maria! SCHWESTER ANGELICA Laß mich nicht in Verdammnis sterben! CHOR Königin des Friedens, sei gegrüßt, Maria! SCHWESTER ANGELICA Gib mir ein Zeichen der Gnade, gib mir ein Zeichen der Gnade! Madonna! Madonna! Rette mich! Rette mich! (Das Wunder beginnt. Die Kirche scheint von Licht erfüllt; die Tür öffnet sich langsam, und man sieht das Innere von Engeln angefüllt.) CHOR O Glorreiche unter den Jungfrauen, hoch erhaben unter den Sternen! Die du den Knaben gebarst und ihn an deiner Brust saugtest! SCHWESTER ANGELICA 0 Madonna, rette mich! Eine Mutter bittet, eine Mutter fleht dich an! O Madonna, rette mich! CHOR Was Eva traurig verlor, gabst du durch die Frucht deines Leibes zurück; auf daß die Schwachen ZU den Sternen aufsteigen, öffnest du die Tore des Himmels! Du Glorreiche unter den Jungfrauen, sei gegrüßt, Maria! (Auf der Schwelle erscheint die Königin des Trostes, vor ihr ein kleiner blonder Knabe, ganz in Weiß. Die Jungfrau sendet das Kind zu der Sterbenden.) SCHWESTER ANGELICA Ah! CHOR Du Königin der Jungfrauen! SCHWESTER ANGELICA Ah! CHOR Du getreue Jungfrau, sei gegrüßt, Maria! Du Glorreiche unter den Jungfrauen, sei gegrüßt, Maria! (Der Knabe tut den ersten Schritt.) Du reinste Mutter, sei gegrüßt, Maria! (Die Knabe tut den zweiten Schritt.) Du starker Turm Davids, sei gegrüßt, Maria! (Der Knabe tut den dritten Schritt. Schwester Angelica sinkt sanft zurück und stirbt. Die wundersame Erscheinung leuchtet.) Ende der Oper Personen Gianni Schicchi — Bariton Lauretta, seine Tochter — Sopran Zita, Buosos Cousine — Alt Rinuccio, ihr Neffe — Tenor Gherardo — Tenor Nella — Sopran Gherardino — Knabensopran Betto di Signa — Bass Simone — Bass Marco — Bariton Ciesca — Mezzo-Sopran Meister Spinelloccio — Bass Meister Amantio di Nicolao — Bariton Pinellino — Bass Guccio — Bass Die Handlung spielt in Florenz im Jahr 1299. Das Schlafzimmer des Buoso Donati. Links die Eingangstür, dahinter ein Treppenabsatz und die Treppe; dann ein Fenster mit Scheiben bis zum Fußboden, durch das man auf den mit einem Holzgeländer eingefaßten Balkon gelangt, der an der Fassade des Hauses entlangführt. Im Hintergrund links ein großes Fenster, durch das man den Turm des Palazzo Vecchio von Arnolfo di Cambio sieht. An der rechten Wand führt eine kleine hölzerne Treppe zu einer Galerie hinauf, auf der sich ein Schrein und eine Tür befinden. Unter der Treppe eine weitere kleine Tür. Rechts im Hintergrund das Bett, umgeben von vier Kandelabern mit vier brennenden Kerzen. Vor dem Bett ein Kandelaber mit drei erloschene Kerzen. Durch die halb geschlossenen Bettvorhänge sieht man ein rotes Tuch, das einen menschlichen Körper bedeckt. Buosos Verwandte knien um das Bett herum und beten. Gherardino sitzt links, nahe der Wand auf dem Boden, mit dem Rücken zu den Verwandten, und spielt mit Holzmurmeln. Sonnenlicht und Kerzenlicht; es ist neun Uhr morgens. Buosos Verwandte flüstern Gebete, während Marco, die alte Zita und Ciesca schmerzvolle Klagelaute ausstoßen. ZITA Armer Buoso! SIMONE Armer Vetter! RINUCCIO Armer Onkel! CIESCA, MARCO Oh, Buoso! NELLA, GHERARDO Buoso! BETTO O Schwager, O Schwa- (Gherardino wirft einen Stuhl um; die Verwandten, unter dem Vorwand, Gherardino Ruhe zu gebieten, wenden sich an Betto.) ALLE Pscht! GHERARDO Ich werde tagelang weinen! (zu Gherardino, der ihn am Rock zupft und ihm etwas ins Ohr sagt) Still! NELLA Tage? Monatelang! (zu Gherardino) Still! CIESCA Monate? Jahrelang! ZITA Ich will dich mein ganzes Leben lang beweinen! CIESCA, MARCO Armer Buoso! ZITA (Gherardino wegstoßend) Bringt ihn selbst hinaus, Gherardo, los! (Gherardo erhebt sich, nimmt den Jungen beim Arm und zerrt ihn durch die kleine Tür links hinaus.) ZITA, CIESCA, RINUCCIO, MARCO, SIMONE O Buoso, Buoso, ein Leben lang beweinen wir dein Ableben! CIESCA Wir weinen ... RINUCCIO Wir weinen ... ZITA Buoso! Buoso! CIESCA ... ein Leben lang! (Alle beten wieder weiter, außer Betto und Nella, die sich etwas ins Ohr flüstern.) NELLA Was? Wirklich? BETTO Das sagt man in Signa. RINUCCIO (zu Nella) Was sagt man in Signa? NELLA Man, sagt, daß ... (flüstert Rinuccio ins Ohr) RINUCCIO Was?! BETTO Das sagt man in Signa. CIESCA (zu Betto) Was sagt man in Signa? BETTO Man sagt, daß ... (spricht leise zu Ciesca) CIESCA Nein!? Marco, hörst du, was man in Signa sagt? Man sagt, daß ... (spricht leise in Marcos Ohr) MARCO Wie?! ZITA Darf man endlich erfahren ... BETTO Das sagt man in Signa. ZITA ... was zum Teufel man in Signa sagt? BETTO Es gibt Gerüchte, man munkelt darüber! Gestern abend hieß es beim Bäcker Cisti: „Wenn Buoso krepiert, gibt es Manna für die Mönche, dann sagen sie: Mein Bauch, mach dir ein Fest!" Ein anderer sagte: „Ja, Ja, Ja, in seinem Testament hat er alles einem Kloster hinterlassen." SIMONE Wie?! Wer sagt das? BETTO Das sagt man in Signa. SIMONE Das sagt man in Signa??? DIE ANDEREN Das sagt man in Signa. (Die Verwandten, noch immer auf den Knien, denken nicht mehr ans Beten, sondern sehen sich überrascht an.) GHERARDO O Simone? CIESCA Simone? ZITA Sprich du, du bist der Älteste. MARCO Du bist außerdem Bürgermeister in Fucecchio gewesen. ZITA Was meinst du? MARCO Was meinst du? SIMONE (nach einigem Nachdenken) Wenn das Testament in den Händen eines Notars liegt, wer weiß? Dann wehe uns! Wenn er es aber in diesem Zimmer gelassen hat, wehe den Mönchen, dann fassen wir Hoffnung! DIE ANDEREN Wehe den Mönchen, dann fassen wir Hof fnung! (Alle springen auf.) RINUCCIO (für sich) O Lauretta, Geliebte, hoffen wir auf das Testament des Onkels! (Fieberhaftes Suchen, Betto liebäugelt nach einem silbernen Teller mit einem Stilett und einer Schere, ebenfalls aus Silber. Vorsichtig um sich blickend streckt er eine Hand aus, um die Sachen an sich zu nehmen, wird aber von einem falschen Alarm Simones gestört.) SIMONE Ah! (Alle drehen sich um; Betto spielt den Zerstreuten. Simone betrachtet ein Pergament.) Nein, das ist es nicht. (Alle nehmen die Suche wieder auf; Betto ergreift die Schere und das Stilett, reibt sie an seinem Ärmeltuch und steckt sie in die Tasche. Dann versucht er, auch den Teller an sich zu bringen; er streckt schon die Hand aus, als ein falscher Alarm Zitas alle aufschreckt.) ZITA Ah! (steckt den Kopf in den Schrank) Nein, hier ist es nicht. (Die Suche wird noch eifriger wieder aufgenommen. Die Verwandten, außer sich, wissen nicht mehr, wo sie suchen sollen; sie werfen alles im Zimmer umher, durchwühlen Schubladen, Schränke, Sitztruhen und schauen unter das Bett. Pergamente und Papiere fliegen durch die Luft. Rinuccio, der zum Schrein auf der Galerie über der Treppe hinaufgegangen ist, gelingt es, diesen zu öffnen.) MARCO WO mag es sein? SIMONE, BETTO Nein, hier ist es nicht! RINUCCIO Gerettet! Gerettet! Das Testament des BUOSO Donati. (Alle stürzen mit ausgestreckten Händen herbei, um das Testament an sich zu reißen. Rinuccio hält die Pergamentrolle in der linken Hand und streckt die rechte aus, wie um den Ansturm der Verwandten abzuwehren.) Tante, ich habe es gefunden! Zur Belohnung, sag: Wenn der Onkel, der arme Onkel, mir etwas Gutes hinterlassen hat, wenn wir in Kürze alle reich sind, an einem solchen Festtag wie heute könntest du mir die Einwilligung geben, Lauretta, die Tochter des Schicchi zu heiraten? Mir wäre mein Erbe noch teurer, wenn ich sie am 1. Mai heiraten könnte! BETTO Ja doch! GHERARDO Ja doch! CIESCA, MARCO, SIMONE Ja doch! NELLA, GHERARDO Darüber kann man noch reden! RINUCCIO Wenn ich sie am 1. Mai heiraten könnte! GHERARDO, MARCO Los, schnell her mit dem Testament! CIESCA Du siehst doch, daß wir alle auf Kohlen stehen! RINUCCIO (gibt Zita das Testament) Tante! ZITA Wenn alles so verläuft, wie wir hoffen, heirate wen du willst, sei sie auch eine Hexe! RINUCCIO Ach, der Onkel hatte mich so gern, er wird mir volle Taschen hinterlassen haben! (zu Gherardino, der wieder zurückgekehrt ist.) Lauf ZU Gianni Schicchi, sag ihm, er soll hierherkommen mit Lauretta: Rinuccio di Buoso erwartet ihn. (gibt ihm zwei Geldstücke) Hier sind zwei Popolini für dich; kauf dir was zum Naschen! (Gherardino läuft davon. Zita setzt sich am Tisch nieder; die Verwandten folgen ihr und umgeben sie. Zita sucht die Schere, um die Schnur um die Rolle aufzuschneiden, und findet sie nicht; mißtraurisch blickt sie sich unter den Verwandten um, dann zerreißt sie die Schnur mit der Hand und öffnet die Rolle; dabei findet sie ein zweites Pergament, welches das Testament umhüllt.) ZITA (liest) „An Base Zita und Vetter Simone.“ SIMONE Armer BUOSO! ZITA Armer BUOSO! (In aufwallender Dankbarkeit zündet Simone die drei erloschenen Kerzen des Kandelabers an.) SIMONE Alle Leuchter sollst du haben! Ganz hinunter sollen sie brennen! Ja, für dich, für dich! Armer Buoso! DIE VERWANDTEN Armer Buoso! Ob er mir wohl dies Haus hinterlassen hat? Und die Mühlen von Signa? Und dann den Maulesel? Ob er mir wohl ... ... den Maulesel und die Mühlen von Signa hinterlassen hat? Die Mühlen von Signa! Den Maulesel, die Mühlen - ZITA Ruhe! Es ist eröffnet. (Zita steht in der Mitte, das Testament in der Hand; hinter ihr das Knäuel der Verwandten. Alle Blicke sind auf das Pergament gebannt. Plötzlich verfinstern sich die Mienen und nehmen nach und nach einen tragischen Ausdruck an. Zita läßt sich auf einen Stuhl fallen und das Testament zu Boden gleiten. Simone bläst die drei Kerzen wieder aus, schließt die Bettvorhänge und löscht auch die anderen Kandelaber aus. Die übrigen Verwandten suchen sich jeder einen Stuhl oder eine Sitztruhe und sinken darauf nieder, stumm, mit aufgerissenen, starren Augen.) SIMONE Also ist es wahr! Wir wollen mit ansehen, wie die Mönche sich mästen, den Donati zum Trotz! CIESCA All die Schönen angehäuften Gulden enden in den Kutten der Mönche! MARCO Uns allen den Unterhalt zu nehmen und die Mönche im Überfluß schwelgen lassen! BETTO Ich soll in Signa das Trinken einschränken, und die Mönche trinken den Wein vom Weinberg! ZITA, CIESCA, NELLA Sie werden sich die Gürtel immer weiter schnallen, wir platzen vor Galle und sie vor Futter! RINUCCIO Mein Lebensglück geraubt von der „Stiftung der Santa Reparata“! GHERARDO Öffnet die Vorratskammern der Klöster! Nur schnell, ihr Mönche, fletscht die Zähne! ZITA Hier sind die Erstlingsfrüchte vom Markt! Schnalzt die Zungen! Für euch, ihr armen Mönche: fette Krammetsvögel! SIMONE Feiste Wachteln! NELLA Lerchen! GHERARDO Ortolane! ZITA Feigenfresser! SIMONE Feiste Wachteln! Fette Gänse! ZITA Ortolane! BETTO Und Hühner! CIESCA, NELLA, RINUCCIO, GHERARDO Hühner? ALLE Hähnchen! RINUCCIO Hähnchen mit zarten Stimmen! ZITA, MARCO Und mit roten, vollgestopften Wangen könnt ihr uns auslachen: Hahahaha! SIMONE, BETTO Mit vollgestopften Wangen, glühend vor Gesundheit! CIESCA, NELLA, GHERARDO, dann mit RINUCCIO Lerchen und Hähnchen! Seht doch, ein Donati! ALLE Hahaha! Seht doch! Seht doch, ein Donati! Hahaha! Seht doch! Der dachte, er kriegte das Erbe! Lacht doch, Mönche, lacht, den Donati zum Hohn! Hahaha! ZITA Wer hätte Je geglaubt, wenn Buoso unter die Erde kommt, daß wir echte Tränen weinen! (Langsam sucht sich wieder jeder einen Stuhl, um sich zu setzen.) ZITA, CIESCA, NELLA Und gibt es denn kein Mittel ... SIMONE, BETTO ... es zu ändern? ZITA, MARCO ... es zu umgehen? GHERARDO ... es zu mildern? MARCO O Simone, Simone! ZITA DU bist der Älteste! MARCO DU bist außerdem Bürgermeister in Fucecchio gewesen! (Simone macht eine Geste, die besagt, daß es unmöglich ist, ein Mittel zu finden.) RINUCCIO Es gibt nur einen Menschen, der uns helfen kann, vielleicht uns retten. DIE ANDEREN Wer? RINUCCIO Gianni Schicchi! DIE ANDEREN Oh! ZITA Von Gianni Schicchi und seiner Tochter will ich nichts mehr hören. Hast du das verstanden? GHERARDINO (kommt hereingelaufen) Er kommt gleich. DIE VERWANDTEN Wer? GHERARDINO Gianni Schicchi! ZITA Wer hat ihn gerufen? RINUCCIO Ich habe nach ihm geschickt, weil ich hoffte - DIE VERWANDTEN Das ist gerade der rechte Augenblick, sich mit Gianni Schicchi abzugeben! usw. ZITA Wehe, wenn er kommt! Ich werfe ihn die Treppe hinunter! GHERARDO (zu Gherardino, indem er ihn schlägt) Du sollst nur tun, was dein Vater dir sagt! Da! Da! (drängt ihn in das Zimmer rechts oben bei der Treppe) SIMONE Ein Donati die Tochter eines Bauern heiraten! ZITA Hergelaufen nach Florenz vom Lande! Sich mit neuen Sippen verschwägern! Ich will nicht, daß er herkommt! Ich will nicht! RINUCCIO Ihr habt Unrecht! Er ist listig und schlau, alle Schliche der Rechte und Gesetze sind ihm bekannt. Ein Schalk! Ein Schelm! Will man einen guten neuen Streich? Es ist Gianni Schicchi, der ihn ersinnt. Seine klugen Augen erhellen mit einem Lächeln sein komisches Gesicht, beschattet von seiner großen Nase, die wie eine Turmruine aufragt. Er kommt vom Lande? Na und, was besagt das? Schluß mit diesen armseligen, engherzigen Vorurteilen! Florenz ist wie ein blühender Baum, der in der Piazza dei Signori wächst und sprießt; doch seine Wurzeln saugen neue Kraft aus den reinen, fruchtbaren Tälern. So blüht Florenz, und bis zu den Sternen ragen starke Paläste und schlanke Türme hinauf! Der Arno, bevor er zu seiner Mündung fließt, küßt singend die Piazza Santa Croce, und sein Lied ist so süß und so hell, daß alle kleinen Bäche sich im Chor ihm anschließen! So kommen auch gelehrte Männer der Kunst und Wissenschaft hierher, um Florenz reicher und herrlicher zu machen. Von den Burgen des Val d’Elsa heißt Arnolfo willkommen, der seinen schönen Turm baut, und Giotto aus dem belaubten Mugello, und den Medici, den wackeren Kaufmann! Schluß mit der kleinlichen Zwietracht und dem Gezanke! Hoch die neuen Sippen und Gianni Schicchi! (Es klopft.) Das ist er! (Er öffnet die Tür; Gianni Schicchi tritt ein, gefolgt von Lauretta.) GIANNI SCHICCHI (bleibt auf der Schwelle stehen und betrachtet erstaunt die jammervolle Gruppe der Verwandten) Was für ein Bild des Elends und Jammers! ... RINUCCIO Lauretta! LAURETTA Rino! GIANNI SCHICCHI ... Buoso Donati geht es sicher besser! RINUCCIO Mein Liebling! LAURETTA Warum bist du so blaß? RINUCCIO Ach, der Onkel ... LAURETTA Nun, sprich doch. RINUCCIO Ach Liebste, Liebste, was für ein Kummer! LAURETTA Was für ein Kummer! (Schicchi kommt langsam ins Zimmer und sieht die Kandelaber an den Seiten des Betts.) SCHICCHI (für sich) Ah! Dahin? Warum weinen sie dann? Sie sind wirklich glaubhafte Schauspieler! (laut) Ah, ich verstehe den Schmerz über diesen Verlust. Mein Herz ist ganz bewegt. GHERARDO Ha! Der Verlust ist wirklich groß! SCHICCHI Jaja, so geht es ... Aber was soll man machen? In dieser Welt verliert man und gewinnt; verliert ihr Buoso, ist da die Erbschaft! ZITA Allerdings! Für die Mönche! SCHICCHI Aha! Enterbt? ZITA Enterbt! Ja, ja, enterbt! Und darum sage ich Euch; Nehmt Eure Tochter und verschwindet von hier, ich gebe meinen Neffen keinem Mädchen ohne Mitgift! RINUCCIO O Tante, ich liebe sie, ich liebe sie! LAURETTA Papa, Papa, ich will ihn haben! SCHICCHI Mädchen, wo ist dein Stolz? ZITA Das kümmert mich überhaupt nicht! SCHICCHI Bravo, Alte! Bravo! Für die Mitgift opferst du meine Tochter und deinen Neffen! Bravo, Alte! Bravo! Alter Geizkragen! Gerissene, gierige, knauserige, habsüchtige Vettel! (zieht Lauretta nach links) Los, komm! Komm! Wo ist dein Stolz? Komm, komm! LAURETTA Rinuccio, verlaß mich nicht! Du schwurst es unter dem Mond von Fiesole! Du schwurst es, als du mich küßtest! Nein, verlaß mich nicht! Nein, verlaß mich nicht, Rinuccio, nein! RINUCCIO Meine Lauretta, denk daran: DU schwurst mir Liebe! An diesem Abend schien Fiesole zu erblühen! Denk daran, denk daran, Geliebte, Geliebte! ZITA Er beleidigt mich auch noch! Ohne Mitgift geb ich meinen Neffen nicht her! Rinuccio, komm, laß sie gehen. DU würdest dich selbst ruinieren! Komm, komm! LAURETTA, RINUCCIO Leb wohl, du schöne Hoffnung, dein Strahl ist erloschen; nun können wir doch nicht am 1. Mai heiraten! SCHICCHI Los, komm, Lauretta, komm! Wisch dir die Augen, du würdest in eine Familie von Geizhälsen einheiraten! Wo ist dein Stolz! Los, komm, komm! ZITA Komm endlich, Rinuccio, komm, komm endlich, komm, laß sie gehen. Hinaus, hinaus mit euch! DIE VERWANDTEN Auch noch Streit unter Verliebten! LAURETTA Papa, ich will ihn haben! RINUCCIO O Tante, ich will sie haben! ZITA Aber ich will nicht! SCHICCHI WO ist dein Stolz? DIE VERWANDTEN Das ist nicht die Zeit! Denkt an das Testament! SCHICCHI Alter Geizkragen, habsüchtige, gierige ... DIE VERWANDTEN Denkt an das Testament! ZITA Komm, endlich, komm! SCHICCHI ... knauserige Vettel, fort! LAURETTA, RINUCCIO Mein Liebling! SCHICCHI Fort von hier! Los, komm, komm! ZITA Nein, ich will nicht! Hinaus mit euch! DIE VERWANDTEN Denkt an das Testament! LAURETTA, RINUCCIO Mein Liebling! ZITA Nein! Nein! Nein! SCHICCHI Komm! Komm! Komm! RINUCCIO (Schicchi zurückhaltend) Signor Giovanni, bleibt noch einen Augenblick! (zu Zita) Anstatt zu schelten, gebt ihm das Testament. (zu Schicchi) Versucht, uns ZU retten! Euch fehlt es nie an einer guten Idee, einem Einfall, einem Mittel, einem Ausweg, einer Lösung! SCHICCHI Dieser Sippe zum Nutzen? Niemals! Niemals! Niemals! LAURETTA (vor Schicchi niederkniend) O mein lieber Papa, er gefällt mir, er ist so hübsch! Ich gehe zur Porta Rossa und kaufe dort den Ring! Jawohl, da will ich hingehen, und wenn ich ihn nicht lieben darf, geh ich zum Ponte Vecchio, um mich in den Arno zu stürzen! Ich leide und quäle mich! O Gott, lieber möchte ich sterben! Papa, hab Erbarmen! Papa, hab Erbarmen! SCHICCHI Gebt mir das Testament. (Rinuccio reicht Schicchi das Testament; dieser geht auf und ab, in die Lektüre vertieft. Die Verwandten folgen ihm mit den Augen, dann laufen sie wie unbewußt hinter ihm her. Schicchi bleibt plötzlich stehen.) Nichts zu machen! LAURETTA, RINUCCIO Leb wohl, du schöne Hoffnung, süßes Trugbild; nun können wir doch nicht am 1. Mai heiraten! (Schicchi beginnt wieder auf und ab zu gehen und liest das Testament aufmerksamer.) SCHICCHI (bleibt plötzlich wieder stehen) Nichts zu machen! LAURETTA, RINUCCIO Leb wohl, du schöne Hoffnung, dein Strahl ist erloschen! SCHICCHI Aber ... LAURETTA, RINUCCIO Vielleicht heiraten wir doch am 1. Mai! (Die Verwandten umringen Schicchi, ihn erregt anblickend. Er bleibt in der Mitte stehen und blickt vor sich hin. Sein Gesicht erhält langsam einen frohen, dann triumphierenden Ausdruck.) DIE VERWANDTEN Nun? SCHICCHI Laurettachen, geh auf das Balkönchen, bring dem Vögelchen ein paar Körnerchen! (Rinuccio zurückhaltend, der Lauretta folgen will) Allein. (Nachdem Lauretta abgegangen ist, wendet sich Schicchi an die Verwandten.) Niemand weiß, daß Buoso den Geist aufgegeben hat? DIE VERWANDTEN Niemand. SCHICCHI Gut. Niemand darf es fürs erste erfahren. DIE VERWANDTEN Niemand wird es erfahren. SCHICCHI Und die Diener? ZITA Nachdem es schlimmer wurde, kam keiner von ihnen mehr ins Zimmer. SCHICCHI (zu Marco und Gherardo) Ihr beiden tragt den Toten und die Kandelaber hinüber in das andere Zimmer. Ihr Frauen, macht das Bett! ZITA, CIESCA, NELLA Aber - SCHICCHI Still, gehorcht! (Marco und Gherardo verschwinden hinter den Bettvorhängen und kommen mit einer rot eingehüllten Last wieder zum Vorschein, die sie in das Zimmer rechts tragen. Simone, Betto und Rinuccio tragen die Kandelaber hinaus, und die Frauen machen das Bett. Es klopft; alle halten erschrocken inne.) DIE VERWANDTEN Ah! SCHICCHI Wer kann das sein? Ah! ZITA Maestro Spinelloccio, der Arzt! SCHICCHI Laßt ihn nicht eintreten. Sagt ihm irgend etwas, daß es Buoso besser geht, und daß er ruht. (Der Verwandten drängen sich an die Tür und öffnen sie einen Spalt. Schicchi verbirgt sich hinter den Bettvorhängen. Betto schließt die Fensterläden.) MAESTRO SPINELLOCCIO Ist es erlaubt? DIE VERWANDTEN Guten Morgen, Maestro Spinelloccio! ZITA, MARCO, BETTO Es geht ihm besser! CIESCA, RINUCCIO, GHERARDO Es geht ihm besser! NELLA Es geht ihm besser! SIMONE Es geht ihm besser! MAESTRO SPINELLOCCIO Hat das Benefizium gewirkt? ZITA, SIMONE, BETTO Und wie! CIESCA, NELLA, MARCO Und wie! MAESTRO SPINELLOCCIO Zu welcher Macht hat es die Wissenschaft gebracht! Gut, laßt sehen, laßt sehen. (Spinelloccio will eintreten, die Verwandten halten ihn zurück.) ZITA, MARCO Nein! Er ruht! MAESTRO SPINELLOCCIO Aber ich - CIESCA, SIMONE Er ruht! SCHICCHI (mit verstellter Stimme) Nein, nein, Maestro Spinelloccio! (Als sie die verstellte Stimme Schicchis hören, fahren die Verwandten heftig zusammen, dann erkennen sie Schicchi, der Buosos Stimme nachahmt.) MAESTRO SPINELLOCCIO Oh, Signor Buoso! SCHICCHI Ich muß mich unbedingt ausruhen, könnt Ihr heute abend wiederkommen? Ich schlafe schon fast. MAESTRO SPINELLOCCIO Ja, Signor Buoso! Geht es Euch besser? SCHICCHI Ich bin vom Tode auferstanden. Bis heute abend. MAESTRO SPINELLOCCIO Bis heute abend. (zu den Verwandten) Auch an der Stimme höre ich, daß es ihm besser geht. Ja, mir ist noch nie ein Kranker gestorben! Das rechne ich nicht mir selbst an, das Lob gebührt ganz und gar der Universität von Bologna. DIE VERWANDTEN Bis heute abend, Herr Doktor. MAESTRO SPINELLOCCIO Bis heute abend. (Die Verwandten schließen die Tür und wenden sich an Schicchi, der aus seinem Versteck hervorgekommen ist. Betto öffnet wieder die Fenster, das Licht dringt herein.) SCHICCHI War das die gleiche Stimme? DIE VERWANDTEN Genau dieselbe! SCHICCHI Ah, Viktoria! Viktoria! Begreift ihr nicht? DIE VERWANDTEN Nein! SCHICCHI Ah, was für Dummköpfe! Schickt zum Notar; „Signor Notar, schnell! Kommt zu Buoso Donati! Es hat sich verschlimmert, er will sein Testament machen. Bringt die Pergamente mit Euch; schnell, Signor, sonst ist es zu spät!“ Und der Notar kommt. Er tritt ein; Das Zimmer liegt im Halbdunkel, im Bett erkennt er die Gestalt Buosos, auf dem Haupt die Nachtmütze, über dem Gesicht das Taschentuch, zwischen Nachtmütze und Taschentuch eine Nase, die aussieht wie Buosos, die aber mir gehört, denn an Buosos Stelle bin ich! Ich, der Schicchi, mit neuer Stimme und Gestalt! Ich gebe mich als Buoso Donati aus und mache ordnungsgemäß mein Testament! O Leute, diese verrückte Tollheit, die meiner Phantasie entsprang, ist eine Herausforderung an die Ewigkeit! DIE VERWANDTEN Schicchi! Schicchi! Schicchi! (Ergriffen vor Rührung umringen die Verwandten Schicchi, sie küssen ihm die Hände und das Gewand.) Schicchi! Schicchi! Schicchi! usw. ZITA (zu Rinuccio) Geh, lauf zum Notar! RINUCCIO lch laufe zum Notarl (läuft hinaus) DIE VERWANDTEN Lieber Gherardo! Marco! Zita! Ciesca, usw. SCHICCHI O diese allgemeine Rührung! DIE VERWANDTEN Nella! Ciesca! Schicchi! Schicchi!! Schicchi! Schicchi! Gherardo! Marco! Zita. O Tag der Freude! Wir spielen den Mönchen einen schönen Streich! Schicchi! Schicchi! Schicchi! SCHICCHI O welche allgemeine Rührung! O welche allgemeine Rührung! (Die Verwandten umarmen und küssen sich gegenseitig mit großem Überschwang.) Wie schön ist die Verwandtenliebe! Wie schön ist die Verwandtenliebe! SIMONE O Gianni, Jetzt sollten wir über die Verteilung nachdenken: das Bargeld ... DIE VERWANDTEN ... zu gleichen Teilen! SIMONE Für mich das Landgut in Fucecchio. ZITA Für mich das bei Figline. BETTO Für mich das bei Prato. GHERARDO Für uns die Ländereien bei Empoli. MARCO Für mich die bei Quintole. BETTO Für mich die bei Prato. SIMONE Und die bei Fucecchio. ZITA Dann wären da noch der Maulesel, dies Haus hier und die Mühlen von Signa, MARCO Das sind die besten Sachen, SIMONE Ah, ich verstehe, ich verstehe, Weil ich der Älteste bin und außerdem Bürgermeister von Fucecchio war, wollt ihr sie mir geben, Ich danke euch, ZITA Nein, nein, nein, nein! Einen Augenblick! Wenn du alt bist, dann ist das dein Pech! Dann ist das dein Pech! DIE VERWANDTEN Hört doch, hört doch den Bürgermeister! Er möchte das Beste vom Erbteil! Das Haus, der Maulesel, die Mühlen von Signa gehören mir! Der Maulesel, die Mühlen, das Haus gehören mir! Das Haus, die Mühlen gehören mir! usw. SCHICCHI Wie dauerhaft ist die Verwandtenliebe! Haha! Haha! Haha! Hahahaha! usw. (Man hört das Läuten einer Totenglocke. Die Verwandten halten erschrocken inne.) DIE VERWANDTEN Sie haben es erfahren! Sie haben erfahren, daß BUOSO tot ist! (Gherardo stürzt über die Treppe hinaus.) SCHICCHI Alles ist verdorben! LAURETTA (vom Balkon hereinschauend) Papa, was soll ich tun? Das Vögelchen will keine Körnerchen mehr. SCHICCHI Dann gib ihm ZU trinken! (Lauretta verschwindet wieder auf dem Balkon. Gherardo kommt atemlos zurück.) GHERARDO Der getaufte Mohr des Hauptmanns hatte einen Unfall! DIE VERWANDTEN Er ruhe in Frieden! SIMONE Was das Haus, den Maulesel und die Mühlen betrifft, So schlage ich vor, sie der Gerechtigkeit und Ehrlichkeit Schicchis zu überlassen. DIE VERWANDTEN Überlassen wir die Entscheidung Schicchi! SCHICCHI Wie ihr wollt. Gebt mir die Sachen zur Verkleidung. Schnell, schnell! (Zita, Nella und Ciesca nehmen aus einer Truhe das Tuch, die Nachtmütze und ein Nachthemd Buosos und bringen sie der Reihe nach zu Schicchi, der sie anzieht.) ZITA Hier ist die Nachtmütze! (leise zu Schicchi) Wenn du mir den Maulesel, dieses Haus und die Mühlen bei Signa läßt, gebe ich dir 30 Gulden. SCHICCHI In Ordnung. (Zita entfernt sich und reibt sich die Hände. Simone nähert sich wie unbefangen Schicchi.) SIMONE Wenn du mir das Haus, den Maulesel und die Mühlen läßt, gebe ich dir 100 Gulden. SCHICCHI In Ordnung! BETTO (nähert sich Schicchi vorsichtig) Gianni, wenn du mir dieses Haus, den Maulesel und die Mühlen bei Signa läßt, überhäufe ich dich mit Geld! SCHICCHI In Ordnung! (Nella bespricht sich heimlich mit Gherardo und tritt dann zu Schicchi.) NELLA Hier ist das Tuch! (leise) Wenn du uns den Maulesel, die Mühlen bei Signa und dieses Haus läßt, stopfen wir dir die Taschen mit Gulden voll! SCHICCHI In Ordnung! (Ciesca bespricht sich leise mit Marco, dann nähert sie sich Schicchi.) CIESCA Und hier ist das Hemd. (leise) Wenn du uns den Maulesel, die Mühlen von Signa und dieses Haus läßt, bekommst du 1000 Gulden! SCHICCHI In Ordnung! (Alle Verwandten sind zufrieden und reiben sich die Hände. Gianni Schicchi zieht sich das Hemd über, die drei Frauen umringen ihn bewundernd. Simone steht am Fenster und hält nach dem Notar Ausschau. Gherardo räumt den Tisch ab, an dem dieser sitzen soll, Marco und Betto ziehen die Bettvorhänge zu und bringen das Zimmer in Ordnung.) NELLA Zieh dich aus, mein Kleiner, wir stecken dich ins Bett! Und sei nicht böse, nein, nein, wenn ich dir das Hemd wechsle! Der Kanarienvogel mausert sich, der Fuchs wechselt den Pelz, die Spinne spinnt ein neues Netz, der Hund wechselt das Lager, die Schlange ihre Haut! ZITA Vorzüglich, ausgezeichnet! Wer würde nicht darauf reinfallen? Spielt Gianni den Buoso? Spielt Buoso den Gianni? Das Testament mißfällt? Ein prächtiges Nachthemd, ein schläfriges Gesicht, eine mächtige Nase, eine klägliche Stimme - Ah! CIESCA Mach schnell, mein Kleiner, du mußt Jetzt ins Bett! Wenn der Spaß gelingt, bekommst du was zum Naschen! Das Ei wird zum Küken, die Blüte zur Frucht, die Mönche möchten alles fressen, aber die Mönche werden arm, und Ciesca wird reich! Ah! NELLA Und der liebe Gianni ... ZITA ... wechselt die Kleider ... NELLA ... um uns zu dienen! CIESCA Neu das Gesicht ... ZITA ... der Mund und die Nase ... CIESCA ... um uns zu dienen! NELLA Eine neue Stimme ... ZITA ... ein neues Testament ... ALLE DREI ... um uns zu dienen! SCHICCHI Ich diene euch recht! DIE FRAUEN Ausgezeichnet! SCHICCHI ich stelle euch zufrieden! DIE FRAUEN Vorzüglich! O Gianni, Gianni, unser Retter! CIESCA, NELLA O Gianni Schicchi, unser Retter! ZITA O Schicchi! CIESCA, NELLA O Schicchi! ZITA O Gianni Schicchi, unser Retter! NELLA, GHERARDO So richtig? CIESCA, MARCO, SIMONE, BETTO Perfekt! DIE FRAUEN Zu Bett! DIE MÄNNER ZU Bett! DIE FRAUEN ZU Bett! DIE MÄNNER ZU Bett! (Schicchi gebietet ihnen Halt mit einer feierlichen Geste.) SCHICCHI Zuerst eine Warnung! Meine Herrschaften, Vorsicht! Kennt ihr das Gesetz? „Demjenigen, der anstelle eines anderen diktiert Testamente und Vermächtnisse, droht ebenso wie seinen Mittätern der Verlust einer Hand und die Verbannung.“ Merkt euch das wohl! Wenn wir entdeckt werden: Seht ihr dort Florenz? Leb wohl, Florenz, leb wohl, du klarer Himmel, ich grüße dich mit meinem Armstummel und irre fort wie ein Ghibelline! DIE VERWANDTEN Leb wohl, Florenz, leb wohl, du klarer Himmel, usw. (Es klopft. Gianni schlüpft ins Bett, die Verwandten decken ihn in großer Aufregung zu, ziehen die Vorhänge vor, stellen eine brennende Kerze auf den Tisch für den Notar und öffnen schließlich die Tür. Rinuccio tritt mit dem Notar und den beiden Zeugen Pinellino und Guccio ein.) RINUCCIO Hier Ist der Notar. DER NOTAR, PINELLINO, GUCCIO Signor Buoso, guten Morgen! SCHICCHI Oh, seid Ihr hier? Danke, Signor Amantio! Und Schuster Pinellino, danke! Danke, Färber Guccio, Ihr seid zu gütig, zu gütig, mir als Zeugen zu dienen! PINELLINO Armer Buoso! Ich habe ihn immer beschuht; ihn nun in diesem Zustand zu sehen, macht mich weinen! (Der Notar zieht aus einem Kästchen die Pergamente und Stempel hervor und legt alles auf den Tisch; er setzt sich in den Sessel, während die zwei Zeugen zu beiden Seiten stehenbleiben.) SCHICCHI Das Testament wollte ich eigentlich mit eigener Hand schreiben, aber die Lähmung hindert mich daran. Darum wollte ich einen Notar, solemnis et legalis! DER NOTAR Oh, Signor Buoso, danke! Ihr leidet also an der Paralyse? (Schicchi heuchelt einen Versuch, die Hände zitternd zu erheben.) CIESCA, NELLA Armer Buoso! ZITA, SIMONE Armer Buoso! DER NOTAR Oh, der Arme! Genug! Die Zeugen sahen es, testes viderunt. Wir können beginnen. Aber die Verwandten? SCHICCHI Mögen hierbleiben. DER NOTAR Also fangen wir an. Im Namen Gottes, im Jahre unseres Herrn Jesus Christus eintausendzweihundertneun- undneunzig nach seiner heilbringenden Fleischwerdung, am 1. September, in der 11. Indiktion, schreibe ich, der Notar Amantio di Nicolao, Bürger von Florenz, auf Wunsch des Buoso Donati dieses Testament ... SCHICCHI ... und annulliere, widerrufe und erkläre alle anderen Testamente für ungültig. ZITA, CIESCA, NELLA Welche Voraussicht! MARCO, SIMONE, BETTO Welche Voraussicht! DER NOTAR Zuerst einmal sagt mir, soll die Beerdigung (so spät wie möglich natürlich) aufwendig sein? Prunkvoll? Kostspielig? SCHICCHI Nein, nein, nein, nur ein paar Heller. Man soll nicht mehr als zwei Gulden ausgeben. GHERARDO Oh, diese Bescheidenheit! MARCO Oh, diese Bescheidenheit! CIESCA, NELLA, RINUCCIO Armer Onkel! ZITA Welch Edelmut! BETTO Welch gutes Herz! SIMONE Es macht Ihm Ehre! SCHICCHI Ich hinterlasse den Minoristen und der Stiftung von Santa Reparata ... (Die Verwandten stehen erschrocken auf.) ... fünf Lire. SIMONE, BETTO Bravo! ZITA, MARCO Bravo! ZITA, MARCO, SIMONE, BETTO Man soll immer an die Wohltätigkeit denken. DER NOTAR Scheint Euch das nicht ein bißchen wenig? SCHICCHI Wer stirbt und viel Geld den Brüderschaften und Mönchen hinterläßt, von dem sagt die Nachwelt: „Der hatte sein Geld gestohlen!“ NELLA, RINUCCIO, GHERARDO Welche Klugheit! CIESCA, MARCO, BETTO Welch ein Witz! ZITA, SIMONE Welche Weisheit! DER NOTAR Welche Klarheit des Verstands! SCHICCHI Das Bargeld hinterlasse ich zu gleichen Teilen den Verwandten. CIESCA, NELLA, RINUCCIO Oh, danke, Onkel! ZITA Danke, Vetter! SIMONE, BETTO Danke, Schwager! SCHICCHI Simone das Landgut in Fucecchio. SIMONE Danke! SCHICCHI Zita das Landgut in Figline. ZITA Danke, danke! SCHICCHI Betto die Felder bei Prato. BETTO Danke, Schwager! SCHICCHI Nella und Gherardo die Güter bei Empoli. NELLA, GHERARDO Danke, danke! SCHICCHI Ciesca und Marco die Güter in Quintole. DIE VERWANDTEN Nun sind wir beim Maulesel, beim Haus und den Mühlen! SCHICCHI Ich hinterlasse den Maulesel, der 300 Gulden wert ist, der beste Maulesel der Toskana, meinem ergebenen Freund - Gianni Schicchi. DIE VERWANDTEN Wie? Wie? Was? Was? DER NOTAR Er hinterläßt den Maulesel seinem ergebenen Freund Gianni Schicchi. DIE VERWANDTEN Aber - SIMONE Was soll er denn anfangen, der Gianni Schicchi, mit dem Maulesel? SCHICCHI Beruhige dich, Simone. Ich weiß schon, was Gianni Schicchi will! DIE VERWANDTEN Ah, Schurke, Schurke, Schurke! SCHICCHI Ich hinterlasse das Haus in Florenz meinem lieben, ergebenen, teuren Freund Gianni Schicchi. (Die Verwandten brechen wütend aus.) DIE VERWANDTEN Ah, genug, genug! Zum Henker mit diesem Schurken von Gianni Schicchi! Wir protestieren, wir protestieren! usw. SCHICCHI Leb wohl, Florenz, leb wohl, du blauer Himmel! DIE VERWANDTEN Ah! SCHICCHI Ich grüße dich. DER NOTAR Man respektiere den Willen des Erblassers! SCHICCHI Signor Amantio, ich hinterlasse wem ich will. Ich habe ein Testament ausgedacht, und das mache ich. Wenn sie schreien, bleibe ich ruhig und singe! GUCCIO Ah, was für ein Mann! PINELLINO Was für ein Mann! SCHICCHI Und die Mühlen von Signa ... DIE VERWANDTEN Die Mühlen von Signa? SCHICCHI ... die Mühlen von Signa (Leb wohl, Florenz!) hinterlasse ich meinem lieben (Leb wohl, du blauer Himmel!) und teuren Freund Gianni Schicchi! DIE VERWANDTEN Ah! SCHICCHI (Ich grüße dich mit meinem Armstummel!) La, la, la, la, la, la, la, la! Das ist alles! Zita, aus Eurer Börse gebt den Zeugen 20 Gulden und 100 dem guten Notar. DER NOTAR Signor Buoso, danke! (Der Notar geht auf das Bett zu, aber Schicchi weist ihn mit zitternder Hand zurück.) SCHICCHI Keinen Abschied! Geht, geht! Laßt uns tapfer sein! DER NOTAR (schickt sich zum Gehen) Ah, was für ein Mann, was für ein Mann! PINELLINO, GUCCIO (im Abgehen) Was für ein Mann, welch ein Verlust! DER NOTAR Was für ein Jammer! DER NOTAR, PINELLINO, GUCCIO Was für ein Verlust! GUCCIO (zu den Verwandten) Fassung! PINELLINO Fassung! (Kaum sind der Notar und die Zeugen abgegangen, läuft Rinuccio auf den Balkon hinaus, während die Verwandten sich auf Schicchi stürzen, der aufrecht auf dem Bett steht und sich nach Kräften verteidigt.) ZITA Dieb! DIE VERWANDTEN Dieb! Dieb, Dieb, Schurke, Verräter, Schuft, Gauner, Dieb, Dieb, Schurke, Schuft, Verräter! SCHICCHI Ihr Geizkragen! (Schicchi springt aus dem Bett, schwingt Buosos Stock und teilt Hiebe unter den Verwandten aus.) Hinaus mit euch aus meinem Haus! Dies ist mein Haus! (Die Verwandten rennen hin und her, plündernd und stehlend.) DIE VERWANDTEN Plündert! Plündert! Plündert! GHERARDO, SIMONE, BETTO Plündert! Plündert! ZITA Greift zu! Greift zu! MARCO Das Silber! SCHICCHI Hinaus! Hinaus! Hinaus! DIE VERWANDTEN Das Leinen! Das Silber! SCHICCHI Dies ist mein Haus! DIE VERWANDTEN Das Silber! Das Leinen! SCHICCHI Hinaus! Hinaus! Hinaus! Hinaus! Hinaus! Hinaus! Dies ist mein Haus, dies ist mein Haus! DIE VERWANDTEN Das Silber! Das Leinen! Greift ZU! Greift ZU! Plündert! Plündert! SCHICCHI Hinaus! Hinaus! Hinaus! ZITA, CIESCA, NELLA Ah! SCHICCHI Hinaus! Hinaus! Hinaus! usw. (Die Verwandten, mit vollen Händen, drängen sich an die Tür. Schicchi läuft die Treppe hinunter hinter ihnen her.) DIE VERWANDTEN Dieb, Gauner, Schurke, Verräter! SCHICCHI Hinaus! Hinaus! Hinaus! DIE VERWANDTEN Dieb, Dieb, Schurke, Verräter! SCHICCHI Hinaus! Hinaus! DIE VERWANDTEN Ah! Ah! SCHICCHI Hinaus! Hinaus! DIE VERWANDTEN Ah! Ah! SCHICCHI Ah! Ah! (Rinuccio öffnet von außen langsam das große Fenster; man sieht das im Sonnenlicht gebadete Florenz. Die beiden Liebenden bleiben Arm in Arm auf dem Balkon stehen.) RINUCCIO Meine Lauretta, nun bleiben wir immer hier. Sieh, Florenz ist golden, Fiesole ist herrlich! LAURETTA Dort schwurst du mir Liebe! RINUCCIO Ich bat dich um einen Kuß! LAURETTA Mein erster Kuß! RINUCCIO Bleich und zitternd wandtest du dein Gesicht! LAURETTA, RINUCCIO Das ferne Florenz erschien uns das Paradies! (Schicchi kommt wieder die Treppe herauf, mit Gegenständen beladen, die er auf den Fußboden fallen läßt.) SCHICCHI Die Bande ist fort! (sieht die Liebenden, lächelt und wendet sich an die Zuschauer) Sagt selbst, Ihr Damen und Herren, hätte Buosos Vermögen In bessere Hände kommen können? Für diese Schelmerei hat man mich In die Hölle geworfen. Es sei! Aber mit Erlaubnis des großen Vaters Dante, wenn ihr euch heute abend unterhalten habt, gewährt ihr mir wohl (macht die Geste des Händeklatschens) mildernde Umstände. Ende der Oper |
libretto by Gerd Uekermann |