Violetta Valery (Sopran) Flora Bervoix, Freundin von Violetta (Mezzosopran) Annina, Dienerin und Vertraute Violettas (Sopran) Alfredo Germont, Geliebter Violettas (Tenor) Giorgio Germont, sein Vater (Bariton) Gastone, Bekannter von Violetta und Alfredo (Tenor) Barone Douphol, Bekannter Violettas, auch ihr Verehrer (Bariton) Marchese d'Obigny, Bekannter Violettas (Bass) Dottore Grenvil, Violettas Arzt (Bass) Giuseppe, Violettas Diener (Tenor) Ein Diener Floras (Bass) Ein Dienstmann (Bass) Freunde Violettas und Floras, Stierkämpfer, Zigeuner, Maskierte u. a. (Chor) VORSPIEL Salon in Violettas Haus. Im Hintergrund eine Tür, die in einen anderen Raum führt; seitlich zwei weitere Türen. Links ein Kamin mit einem Spiegel über dem Kaminsims. In der Mitte des Raumes eine sehr große, reichgedeckte Tafel. (Violetta sitzt auf einem Sofa und unterhält sich mit Dr. Grenvil und anderen Freunden. Einige ihrer Freunde gehen umher und begrüßen verschiedene ankommende Gäste. Unter ihnen befinden sich der Baron und Flora, begleitet vom Marquis.) I. CHOR Warum kommt Ihr so spät zu unserem Feste? II. CHOR Wir spielten bei Flora und vergaßen beim Spiele die Zeit. VIOLETTA (geht und begrüßt sie) Flora! Ihr Freunde! Laßt uns die letzten Stunden durch Frohsinn und Freude vertreiben. Nehmt Euer Glas, stürzt Euch ins Fest. FLORA, MARQUIS Und Ihr amüsiert Euch mit uns? VIOLETTA Ja, ich will's; ich geb mich der Freude hin, denn sie vertreibt jeden Schmerz. ALLE Ja, das Leben bringt Freude und Lust. (Der Graf Gastone de Letorières tritt ein mit Alfredo Germont. Diener sind mit der Tafel beschäftigt.) GASTONE Euch, meine Freundin, stelle ich vor Alfredo Germont, der Euch innig verehrt; nur wenig Freunde kommen ihm gleich. VIOLETTA (Sie reicht Alfredo ihre Hand zum Kuß.) Mein lieber Graf, Dank für die Ehre! MARQUIS Teurer Alfredo... ALFREDO Herr Marquis... (Sie reichen sich die Hände.) GASTONE (zu Alfredo) Sagt ich's nicht: hier amüsiert sich's in Freude und Lust! (In der Zwischenzeit haben die Diener den Tisch fertig vorbereitet.) VIOLETTA Ist alles bereit? (Ein Diener nickt zustimmend.) Meine Freunde, zur Tafel! Heiter sei jedes Herz und fröhlich. ALLE Das ist wahr; die heimlichen Sorgen entfliehen, wenn uns die Tafel winkt. (Sie nehmen an der Tafel Platz. Violetta sitzt zwischen Alfredo und Gastone. Flora sitzt ihr gegenüber zwischen dem Marquis und dem Baron. Die übrigen Gäste nehmen ihre Plätze um die Tafel ein. Ein Augenblick des Schweigens während das Essen serviert wird. Violetta und Gastone flüstern miteinander.) Und dem Genusse öffne sich Euer Herz! GASTONE An Euch muß Alfredo immer denken. VIOLETTA Ihr scherzt wohl? GASTONE Bei Eurer Krankheit neulich fragte er täglich nach Eurem Ergehen. VIOLETTA Was sagt Ihr? Bin ihm doch unbekannt. GASTONE Glaubt meinen Worten. VIOLETTA Ist es wahr? Doch weshalb? Ich begreif es nicht. ALFREDO Ja, nur zu wahr. VIOLETTA Nehmt meinen Dank, mein Herr. Und Euch, Baron, war dies kein Beispiel? BARON Ich kenn' Euch erst ein Jahr. VIOLETTA Bei ihm sind es ein paar Minuten. FLORA (zum Baron) Ihr hättet besser taktvoll geschwiegen. BARON (leise zu Flora) Dieser Jüngling mißfällt mir. FLORA Warum? Ich finde ihn recht sympathisch. GASTONE (zu Alfredo) So schweigsam amüsierst du dich? MARQUIS (zu Violetta) Vielleicht kann Violetta ihn ermuntern! VIOLETTA Darf ich Hebe Euch sein? ALFREDO Unsterblich wie jene wünsche ich Euch. ALLE Trinken wir! Erhebet das Glas! GASTONE O Baron, habt Ihr nicht einen Trinkspruch, der diese frohe Stunde würzen könnte? (Der Baron schüttelt den Kopf.) Alfredo, und du? (Alfredo zunickend) ALLE Ja, ja, ein Trinkspruch. ALFREDO Leider bin ich kein Dichter. GASTONE Ich kenn' dich doch, ein Meister bist du! ALFREDO (zu Violetta) Ist es auch Euer Wunsch? VIOLETTA Ja. ALFREDO (erhebt sich) Ja? Dann mit ganzem Herzen! MARQUIS So hört ihn an... ALLE Ja, wir lauschen seinem Lied. ALFREDO Auf, schlürfet in durstigen Zügen den Kelch, den die Schönheit kredenzt: die flüchtigen Stunden entfliegen. Drum fröhlich die Stirne bekränzt. Empfindet das himmlische Leben, denn Liebe ist höheres Leben. Ist himmlische, selige Lust! (auf Violetta zeigend) Den Kelch, den die Schönheit kredenzt. Der Liebe erschalle ein Hoch! Die Liebe, sie lebe hoch! ALLE Der Liebe erschalle ein Hoch! Die Liebe, sie lebe hoch! VIOLETTA (erhebt sich) Wer fröhlich das Leben genießet, der ist mir willkommen als lieber Gast; denn was nicht dem Frohsinn entsprießet, ist Torheit und drum mir verhaßt. Wir wollen der flüchtigen Wonne, so lange sie blühet uns weihn, sie sei unser Licht, unsere Sonne und strahle dem trauten Verein. Wer fröhlich das Leben genießet, der ist mir willkommen als lieber Gast. ALLE Auf, füllet die Becher! Es schalle der Jubel, die Freude vertreibe die Nacht; des Liedes Begeisterung werde dem Morgen entgegengebracht. VIOLETTA (zu Alfredo) Nur Heiterkeit würzet das Leben! ALFREDO (zu Violetta) Für den, der Liebe nicht kennt. VIOLETTA O kann es wohl Höheres geben? ALFREDO Dem nicht, dem hier es nicht brennt. ALLE Auf, füllet die Becher, es schalle der Jubel. Die Freude vertreibe die Nacht; des Liedes Begeisterung werde dem Morgen entgegengebracht. (Musik dringt aus einem angrenzenden Raum.) Was gibt's dort? VIOLETTA Nun folgt, wenn's Euch beliebt. ALLE Sehr charmant fürwahr! Wir wollen tanzen. VIOLETTA Wohlan, so gehen wir. (Beim Abgang durch die Mitteltür erbleicht Violetta plötzlich.) O Himmel! ALLE Was ist Euch? VIOLETTA Nichts, gar nichts. ALLE Warum bleibt Ihr zurück? VIOLETTA So folgt mir. (Sie geht ein paar Schritte, muß dann aber stehen bleiben und sich setzen.) O Gott! ALLE Da ist es wieder! ALFREDO Seid ihr leidend? ALLE So sagt, was ist Euch? VIOLETTA Ein Zittern ergreift mich. Geht dort hinüber. (Sie zeigt auf einen anderen Raum.) Bald werd' ich Euch folgen. ALLE Nach Eurem Wunsche. (Alle gehen in den anderen Salon hinüber, außer Alfredo.) VIOLETTA (schaut in den Spiegel) O wie blaß bin ich! (sich umdrehend erblickt sie Alfredo.) Ihr hier? ALFREDO Seid ihr vom bösen Schmerz jetzt wieder befreit? VIOLETTA Es geht mir besser. ALFREDO O denkt an Euch selbst, schont doch Euer Leben, das mir so teuer ist. VIOLETTA O, könnt' ich ein neues Leben... ALFREDO Wenn Ihr erst mein wäret, ich würde in treuer Sorge über Euch wachen, behutsam Euch schützen. VIOLETTA Was sagt Ihr? Niemand auf Erden nahm sich meiner an. ALFREDO (leidenschaftlich) Liebt Euch denn kein Mensch auf der Welt? VIOLETTA Niemand? ALFREDO Ich ausgenommen! VIOLETTA Ach, freilich, ich habe Eure große Liebe nur vergessen. ALFREDO Ihr lacht... und die Stimme Eures Herzens? VIOLETTA Mein Herz, wer fragt danach... Was kümmert's Euch? ALFREDO O hörtet Ihr seine Stimme, dann könntet Ihr nicht scherzen. VIOLETTA Und sprecht Ihr auch wahr? ALFREDO Ich belüg' Euch nicht. VIOLETTA Wie lang' ist's her, seit Ihr mich liebt? ALFREDO Seit einem Jahr schon. So hold, so reizend und engelsmild standst du vor meinen Blicken; nie füllte so mich ein Frauenbild mit himmlischer Wonn' und Entzücken. Liebe, ach, Liebe, allmächt'ges Gottesherz, das die ganze Welt beweget, Liebe, die mit Wonne und sel'gem Schmerz jede Brust erreget. VIOLETTA Redet Ihr wahr, so fliehet mich, Freundschaft nur kann ich geben. Denn gegen Liebe sträubet sich mein ganzes heit'res Leben! Offen und frei muß bitten ich, anderen Euch zu weihen, und zu vergessen mich, zu meiden, es wird nicht schwer Euch sein. ALFREDO Liebe, die mit Wonne und sel'gem Schmerz jede Brust erreget. VIOLETTA Und zu vergessen mich, es wird nicht schwer Euch sein. GASTONE (eintretend) Was ist mit Euch? Wo bleibt Ihr? VIOLETTA Wir neckten uns... GASTONE Haha! ganz gut... Bleibt hier. (Er zieht sich zurück.) VIOLETTA Liebe... nichts mehr von ihr. Wollt' Ihr's versprechen? ALFREDO Ich muß gehorchen. Lebt wohl. VIOLETTA (nimmt eine Blume von ihrem Busen) Ihr wollt schon gehen? Nehmt diese Blume! ALFREDO Wozu? VIOLETTA Bringt sie mir wieder. ALFREDO Und wann? VIOLETTA Wenn ihre Blätter welken. ALFREDO O Himmel! Schon morgen... VIOLETTA Nun ja, schon morgen! ALFREDO (überglücklich die Blume annehmend) Ich bin so glücklich! VIOLETTA Sagt's noch einmal, Ihr liebt mich? ALFREDO (im Begriff zu gehen) O unaussprechlich lieb' ich Euch. VIOLETTA Ihr geht? ALFREDO (geht auf sie zu und küßt ihre Hand) Ich scheide. VIOLETTA Addio. ALFREDO Von dir will ich nicht lassen. ALFREDO, VIOLETTA Addio, addio. (Alfredo geht hinaus. Die anderen Gäste, erhitzt vom Tanzen, treten wieder in den Salon ein.) ALLE Schon erstrahlt die Morgenröte. Und die Zeit ruft uns nach Haus. Dank Euch, holdeste der Frauen, für den festlich schönen Schmaus. Voll von Festen ist die Stadt, und im Rausch verfliegt die Zeit; nur durch Ruhe finden wir Kraft zu neuer Fröhlichkeit. (Sie gehen hinaus.) VIOLETTA (allein) 's ist seltsam! Im Herzen tönt stets seine liebe Stimme mir. Ist's ein ünglück, wahrhaft zu lieben? Was fühlst du, o zerrißne Seele? Für niemand erglühtest du - o Freude, die ich nie gekannt, wahrhaft geliebt zu werden. Ich sah den Himmel nicht, als mich der Taumel des Genusses umfangen hatte. Er ist es, dessen wonnig Bild mir wie aus weiten Fernen, mitten im Taumel lauter Lust leuchtete gleich den Sternen. Er, der an meiner Schwelle stand, sich sorgte um mein Leben, der mich fiebern, beben macht, jetzt vor der wahren Liebe. Liebe, ach Liebe, allmächt'ges Gottesherz, das die ganze Welt beweget, Liebe, die mit Wonne und sel'gem Schmerz jede Brust erreget... O Torheit, Torheit! Eitler Wahn! Du armes Mädchen, allein, einsam und verlassen in dieser rauschenden Wüste, die sich Paris nennt, was kann ich hoffen? Was soll ich beginnen? O Freude, die ich nur im Taumel der Lust empfinde. Fröhlichkeit, ja, Fröhlichkeit. Von der Freude Blumenkränzen sei mein Leben heiter durchzogen; auf des Jubels lust'gen Wogen rauschen schnell die Tage dahin. Jeder Morgen soll als Bote neue Feste fröhlich künden. Jeder Abend soll mich finden, wo die Lust man frei genießet! ALFREDO (draußen, unter dem Balkon) Liebe, ach Liebe, allmächtiges Gottesherz!... VIOLETTA Oh... ALFREDO ... das die ganze Welt beweget! VIOLETTA Ach, Liebe... ALFREDO Liebe, die mit Wonn' und sel'gem Schmerz jede Brust erreget, jede Brust erreget mit sel'gem Schmerz. VIOLETTA O Torheit, Torheit! O Freude, Freude. Von der Freude Blumenkränzen sei mein Leben heiter durchzogen; auf des Jubels lust'gen Wogen rauschen schnell die Tage hin. Jeder Morgen soll als Bote neue Feste fröhlich künden, jeder Abend soll mich finden, wo die Lust man frei genießet. ALFREDO Liebe, allmächtiges Gottesherz, das die Welt beweget. VIOLETTA Wo die Lust man frei genießet, dort ergreift es mich, Lust und Freude. Erste Szene Landgut in der Nähe von Paris. Salon. Im Hintergrund befindet sich ein Kamin zum Publikum, auf dem Kaminsims eine Uhr und darüber ein Spiegel. Auf beiden Seiten des Kamins führen Flügeltüren in den Garten. Im ersten Stockwerk zwei weitere sich gegenüber liegende Türen. Stühle, Tische, Bücher, Schreibmaterial. (Alfredo tritt in Jagdkleidung ein.) ALFREDO (Er stellt sein Gewehr ab.) Entfernt von ihr ist kein Glück für mich! Drei Monde schon entschwanden, daß meine Violetta für mich entsagte den Reizen des Lebens, den Huldigungen, die von einem Sklavenschwarme ihrer Schönheit geweihet wurden. Sie mied den Trubel. ünd nun zufrieden an diesem stillen Orte vergaß alles sie für mich. An ihrer Seite fühl ich mich neu erstehen, neu geboren, vergeß in ihrem Glück ich die Vergangenheit. Ach, ihres Auges Zauberblick strahlte mir in die Brust, und rief mein wildes Herz zurück, mein Herz zurück vom Taumel trunkner Lust. Selige Worte zu mir sie sprach: mein Leben weih ich dir! Das tönt mir ewig im Herzen nach und öffnet den Himmel mir. (Annina tritt in Reisekleidung auf.) ALFREDO Annina, woher kommst du? ANNINA Von Paris! ALFREDO Wer schickte dich dorthin? ANNINA Meine gute Herrin. ALFREDO Warum? ANNINA Um all die Sachen zu verkaufen, die uns hier noch blieben. ALFREDO Was muß ich hören? ANNINA Zu teuer wurde uns der Aufwand hier. ALFREDO Und du verschwiegst es? ANNINA Man hat mir Schweigen befohlen. ALFREDO Befohlen? - Sag, wieviel braucht Ihr. ANNINA Tausend Dukaten. ALFREDO Ich eile schnell nach Paris. Doch verrate nichts deiner Herrin. Das ganze wird sogleich geordnet sein. (Alfredo ab. Bald darauf tritt Violetta ein mit verschiedenen Papieren in der Hand. Sie spricht mit Annina.) VIOLETTA Wo ist Alfredo? ANNINA Er eilte eben nach Paris. VIOLETTA Kommt er zurück? ANNINA Noch vor Abend kommt er wieder. Euch sollt ich's nicht verschweigen. VIOLETTA Sehr seltsam. GIUSEPPE (reicht Violetta einen Brief.) Für Euch. VIOLETTA (nimmt ihn) Ich danke. Wenn ein Geschäftsmann nach mir fragen sollte, laßt ihn sofort herein. (Violetta liest den Brief.) Ha, ha! Flora hat mein Versteck entdeckt. Weil sie mich zum Tanz für heute abend lädt! Sie wird vergebens warten! GIüSEPPE Ein Herr wünscht Euch zu sprechen! VIOLETTA Er ist's, auf den ich warte. (Sie bedeutet Annina ihn hereinzubitten. Giorgio Germont erscheint.) GERMONT Sie sind Fräulein Valery? VIOLETTA Die bin ich. GERMONT Sie sehen in mir den Vater Alfredos. VIOLETTA (erstaunt, bietet sie ihm einen Stuhl an.) Ihr! GERMONT Den Vater des Verblendeten, des Armen, den Ihr ruiniert. VIOLETTA (steht entrüstet auf) Mein Herr, Ihr sprecht zu einer Dame, dies ist mein Haus; erlaubt mir, daß ich Euch verlasse, zu Eurem Besten, nicht zu meinem. (im Begriff das Zimmer zu verlassen) GERMONT (Wie wohlerzogen!) ünd doch... VIOLETTA Man hat Euch falsch berichtet. GERMONT Er will Euch seine Güter schenken. VIOLETTA Bis jetzt hat er es nicht gewagt - Ich würde sie nicht nehmen. GERMONT (sich umsehend) Woher bezahlt Ihr Euren Aufwand? VIOLETTA Für alle ist dies noch geheim. Euch will ich's sagen. (Gibt ihm einige Papiere.) GERMONT (einen Blick darauf werfend) Himmel, was entdeck ich? Euern ganzen großen Besitz wollt Ihr jetzt hingeben? Eure Vergangenheit, warum beklagt ihr sie? VIOLETTA Sie ist entschwunden - Ich liebe! Gott hat, durch meine Reue, mir vergeben. GERMONT Eure Ehre ist makellos. VIOLETTA Oh wie wonnig mir Euer Wort ins Herz dringt. GERMONT Darf ich nun von Euch ein großes Opfer fordern? VIOLETTA (erhebt sich) Ach, nein, schweiget - Unmögliches würdet Ihr verlangen. Ich ahn's, ich fühl's, seht, jetzt war ich glücklich. GERMONT Der Vater Alfredos bittet Euch, er fleht um das Heil, um die Zukunft seiner beiden Kinder. VIOLETTA Seiner beiden Kinder? GERMONT Ja. Gott schenkte eine Tochter mir, mein Stolz und meine Liebe. Ein Jüngling weiht in Sehnsucht ihr sein Herz voll süßer Triebe. Doch kehret Alfredo nicht zurück, dann wird er sie verlassen, und all ihr kaum gelebtes Glück wird unerfüllt erblassen. Drum wandle, ach, zu Dornen nicht der Liebe Rosenketten, erkenne deine hohe Pflicht, der Tochter Glück zu retten. VIOLETTA Ah, ich verstehe, nur für kurze Zeit soll Alfredo mich verlassen; auch das wird schwer, wird schmerzlich für mich sein. GERMONT Das ist nicht alles. VIOLETTA Himmel, was verlangt Ihr? Hab' ich nicht genug Euch zugestanden? GERMONT Es genügt nicht - VIOLETTA Wollt Ihr, daß ich auf immer, für alle Ewigkeit ihm soll entsagen? GERMONT Ich verlang' es. VIOLETTA Nein, niemals. Ihr kennet nicht mein Lieben, wie es glühend mich beseelt. Hab keine Freunde, keine Eltern und niemanden, der mit mir lebt. Alfredo hat mir fest geschworen, all das zu sein, was ich verlor. ünd wißt Ihr auch, daß Todesschmerzen meiner Tage Lauf bedrohen? Laßt mir ihn doch, der mich erwähltet! Trennt Alfredo nicht von mir, ach, wenn er mir fern sein sollte, zöge raschen Tod ich vor. GERMONT Ein schweres Opfer fordere ich, doch hört mich nochmals ruhig an. Jugend und reiche Schönheit besitzt Ihr, doch bald... VIOLETTA O sprecht nicht weiter! Wohl versteh' ich's, doch es ist unmöglich. Nur ihn kann ich lieben. GERMONT Ich glaub's Euch, doch wandelbar ist des Menschen Sinn. VIOLETTA O Himmel. GERMONT Wenn einst die Zeit den Traum der Gegenwart zerstöret, zerfließt dein Glück zu eitlem Schaum, das Herz ist wahnbetöret. Dann wird kein Balsam deinem Herzen Trost und Ruhe bringen, denn Gott würd' seinen milden Segen von eurem Bunde kehren. VIOLETTA O Gott, 's ist wahr. GERMONT Entsag' dem leeren Wahne, bekämpfe deine Lust. VIOLETTA 's ist wahr, so wahr. GERMONT Ich zeige dir der Tugend Bahn, die du betreten mußt. Sei du den Meinen Engel fortan von dieser Stund'! Bedenk', aus eines Vaters Mund spricht jetzt der Himmel selbst zu dir. VIOLETTA Weh der Armen, alles ist verloren. Ewige Buße - doch Hoffnung wird mir nie. Wenn Gott auch Gnade mir verleiht, die Menschen werden stets mir Richter sein. GERMONT Sei du den Meinen Engel fortan von dieser Stund'! VIOLETTA (weinend zu Germont) Sagt der Tochter, es wird gelingen, daß ihrem Glücke das Opfer ich bringe. Hab ich den Trost dann mir erworben, daß ich als Opfer für sie bin gestorben. GERMONT Weine, weine, oh armes Mädchen - Ich erkenne das Opfer, um das ich Euch bitte. Tief in der Seele fühl' ich Euch leiden, doch Euer Herz wird Sieger bleiben. VIOLETTA Sagt der Tochter, es wird gelingen, daß ihrem Glücke das Opfer ich bringe. Hab ich den Trost dann mir erworben, daß ich als Opfer für sie bin gestorben. GERMONT O ich erkenne, ich würdige das Opfer, um das ich Euch bitte. Tief in der Seele fühl ich Euer Leiden, doch Euer Herz wird Sieger bleiben. Weine, armes Kind! VIOLETTA Doch wie kann's geschehen? GERMONT Gebt vor, ihn nicht mehr zu lieben. VIOLETTA Er wird's nicht glauben. GERMONT Entfliehet. VIOLETTA Dann wird er folgen. GERMONT Was nun? VIOLETTA Wie eine Tochter laßt mich Trost und Stärke gewinnen. (Sie umarmen sich.) Nach kurzer Zeit kommt er zurück zu Euch. (nach dem Garten hinzeigend) Seid Tröster ihm, dem Armen, und verlaßt ihn nicht. (Violetta setzt sich um zu schreiben.) GERMONT Was werdet Ihr tun? VIOLETTA O dringt nicht weiter in mich. GERMONT Edles Mädchen! Könnt ich dir nur helfen. O edles Mädchen! VIOLETTA (geht zu ihm hin) Ich sterbe! Doch lasset nicht im Zorne ihn fluchend mein gedenken. Er möge der Erinnerung des Mitleids Tränen schenken. GERMONT Nein Edle, du wirst leben, dem Frohsinn sollst du dich ergeben. Und möge der gütige Himmel Euch eines Tages die Tränen vergelten. VIOLETTA Ich kenne das Opfer, daß ich meiner Liebe gebracht. Einst wird der letzte Hauch meiner Brust sein Name nur sein. GERMONT Euch wird des Opfers hoher Wert mit Eurem Schmerz versöhnen. Mit dem, auf das Ihr nun verzichtet, wird Euch die Zukunft krönen. VIOLETTA Ich kenne das Opfer, das ich meiner Liebe gebracht. Einst wird der letzte Hauch meiner Brust sein Name nur sein. GERMONT Die Zukunft wird Euch krönen, mit dem, auf das Ihr nun verzichtet. Die Zukunft wird Euch krönen. Euch wird des Opfers hoher Wert mit Eurem Schmerz versöhnen. Mit dem, auf das Ihr nun verzichtet, wird Euch die Zukunft krönen. VIOLETTA Man kommt! Entfernt Euch! GERMONT Ich bin Euch von Herzen dankbar. VIOLETTA Entfernt Euch! Wir werden uns nie wiedersehen. (Sie umarmen sich.) VIOLETTA, GERMONT Lebt wohl! VIOLETTA Addio! GERMONT Addio! VIOLETTA Ich kenne das Opfer... GERMONT Ja... VIOLETTA Das ich meiner Liebe gebracht - Der letzte Seufzer meiner Brust... Addio! GERMONT Addio! VIOLETTA Der letzte Seufzer meiner Brust... Addio! VIOLETTA, GERMONT Lebt wohl! Addio! (Germont geht zur Gartentür hinaus.) VIOLETTA O Himmel, sei mir gnädig! (Sie setzt sich hin, schreibt und läutet nach dem Diener. Annina tritt ein.) ANNINA Ihr verlangtet nach mir? VIOLETTA Ja, du selbst sollst dieses Blatt überbringen. (Sie liest die Adresse und schaut mit Erstaunen auf.) Sei schweigsam und beeile dich. (Annina ab.) Und nun schreibe ich an ihn. Was sag ich ihm? Den Mut, woher ihn nehmen? (Sie schreibt und versiegelt den Brief.) ALFREDO (tritt ein) Was machst du dort? VIOLETTA (den Brief verbergend) Nichts. ALFREDO Schriebst du? VIOLETTA Ja... Nein... ALFREDO Du bebst! An wen schriebst du? VIOLETTA An dich. ALFREDO Gib mir das Blatt! VIOLETTA Nein, jetzt nicht. ALFREDO Vergib mir, verzeihe meinen Unmut. VIOLETTA Was hast du? ALFREDO Mein Vater ist hier. VIOLETTA Warst du bei ihm? ALFREDO Nein, strenge Worte künden ihn an. Doch ich erwart' ihn! Er wird dich lieben. VIOLETTA Er darf mich hier nicht finden, laßt mich entfliehen - besänftige ihn. Zu seinen Füßen werd' ich mich werfen - Dann kann er uns nie wieder trennen - Wir werden glücklich sein. Du liebst mich doch, Alfredo, nicht wahr? ALFREDO Unendlich! Warum weinst du? VIOLETTA Die Tränen kamen mir. Jetzt bin ich ruhig. Siehst du, ich lächle, ich bin ruhig. Dort unter Blumen werd' ich dir nah sein. Dich liebe ich, Alfredo, aus ganzer Seele. Leb wohl! (Sie geht in den Garten.) ALFREDO In treuer Liebe schlägt nur mir dies Herz. (Er setzt sich, nimmt ein Buch und liest einen Augenblick. Dann steht er auf und geht zur Uhr auf dem Kaminsims.) Es ist spät; werd' ich heute wohl den Vater noch sehen? GIUSEPPE (tritt bestürzt ein) Die Herrin ist eilig abgefahren. Ein wagen wartete, und schnell eilt sie jetzt nach Paris. Vor ihr verließ Annina das Haus. ALFREDO Ich weiß, beruhige Dich. GIüSEPPE (Was sagt er da?) ALFREDO Mir will sie ihr Letztes opfern, deshalb wohl enteilte sie. Doch Annina wollte es nicht eingestehen. KOMMISSIONÄR Seid Ihr Herr Germont? ALFREDO Ich bin's. KOMMISSIONÄR Eine Dame in einem Wagen gab mir, nicht weit von hier, dieses Schreiben. (Er gibt Alfredo den Brief, der ihn mit einem Trinkgeld belohnt.) ALFREDO Von Violetta! Doch warum so verborgen? Vielleicht soll ich ihr schleunigst folgen - Ich zittere! O Himmel! Doch Mut jetzt! (Er öffnet den Brief.) „Mein Alfredo, wenn du diese Zeilen empfängst..." (Erschreit auf:) Ah! (Germont tritt vom Garten herein. Sich umdrehend sieht er seinen Vater und wirft sich in seine Arme.) Ah, mein Vater! GERMONT Mein Sohn! O wie du leidest! Trockne deine Tränen kehr' zum Vater und den Freunden zurück. (Verzweifelt setzt sich Alfredo an den Tisch und stützt den Kopf in die Hände.) Hat dein heimatliches Land keinen Reiz für deinen Sinn? Wer zerriß das schöne Band, das dich zog zur Heimat hin? Schwebt nicht deiner Jugend Bild durch den Traum in stiller Nacht? Hast du niemals dankerfüllt an das Vaterhaus gedacht? O folge mir! Ach du weißt nicht, wie mein Herz voller Qualen, seit du fort. Meine Nahrung war der Schmerz, Trüb' erschien mir jeder Ort! Doch kehrst du jetzt mir zurück an die treue Vaterbrust, dann wird uns allen Glück, neues Leben, neue Lust. Erhöre mich! Kein Wort zu deinem Vater? ALFREDO (Plötzlich sieht er Floras Brief auf dem Tische und ruft aus:) Sie ist dort auf dem Feste. Ich will mich an ihr rächen. GERMONT Was sagst du? Hör' mich an! (Alfredo läuft aus dem Haus gefolgt von seinem Vater.) Zweite Szene Saal in Floras Palais. Reich möbliert und hell erleuchtet. Eine Tür im Hintergrund, weitere auf jeder Seite. Rechts im Vordergrund ein Spieltisch mit Zubehör; links ein herrschaftlicher Tisch mit Blumen und Erfrischungen; in der Nähe ein Sofa und Stühle. (Flora, der Marquis und Dr. Grenvil treten ein. Ebenso andere Gäste, sich unterhaltend.) FLORA Scherze sollen uns die Nacht vertreiben, wir verdanken sie dem Grafen. Auch Violetta und Alfredo sind eingeladen. MARQUIS Wißt Ihr das Neueste schon? Violetta und Germont sind entzwei. DOKTOR, FLORA Sollte es wahr sein? MARQUIS Sie wird mit dem Baron erscheinen. DOKTOR Gestern sah ich sie, sie schien glücklich. (Man hört Gelächter.) FLORA Schweigt! Hört Ihr's? FLORA, DOKTOR, MARQUIS Die Freunde nahen schon. (Gäste, in den Masken von Zigeunern.) ZIGEUNERINNEN Wir sind Zigeunermädchen aus fernem, heißem Land; wir lesen aus der Hand der Zukunft dunkles Wort. Die Sterne, unsre Zeichen, vertrau'n uns alles an. Wir sprechen unsern Bann, husch, sind wir wieder fort. Laßt seh'n die Hand - I. CHOR (lesen Flora aus der Hand) Ihr seid, Signora, von Rivalinnen umgeben. II. CHOR (lesen dem Marquis aus der Hand) Und Ihr, Marquis, seid nicht der Treue höchstes Ideal. FLORA (zum Marquis) Was muß vom Schicksal ich erfahren? Das fordert harte Strafe. MARQUIS Ihr glaubt dem dummen Spaß? Zu Unrecht verklagen sie mich. FLORA Der Fuchs vergißt das Stehlen nicht, viel eher läßt er seine Haut. Marquis, wer Euren Worten glaubt, der ist schon hintergangen. ALLE So deckt mit einem milden Schleier des Vergessens alles Vergangene; das Geschehene laßt in Ruh, und die Zukunft haltet immer wert. (Gastone und andere in der Maske von spanischen Stierkämpfern und Piccadoren erscheinen.) GASTONE, STIERKÄMPFER Von Madrid sind wir gekommen, in Paris das weltberühmte Fest zu feiern, das dem Stiere zu Ehren wird gegeben. Mit der Liebe sind auch wir vertraut; wollt Ihr unser Können erproben? Zu Diensten stehen wir Euch allen. ANDERE Ja, Ihr Helden, erzählt; mit Vergnügen werden wir Euch hören. GASTONE, STIERKÄMPFER Nun, so höret. 's war Piquill ein munt'rer Fechter von Biscaya, vielbekannt; stark sein Arm, sein Mut nicht schlechter, Meister war er überall. Liebt ein andalusisch Mädchen, schön wie Sonne, stolz gesinnt; allbegehrt in ihrem Städtchen. Sprach zu ihm das holde Kind: „Kannst fünf Stiere du erlegen mir in einem einz'gen Tag, komm ich willig dir entgegen, wie es dir gefallen mag." „Wohl, ich bringe dir die Stiere." Und zum Kampfplatz zog er fort; fünf der allerstärksten Tiere fällte seine Lanze dort. ANDERE Bravo, bravo, mut'ger Fechter, solche Tat ziemt Helden nur; sie beweist die Liebe echter als des Wortes leerer Schwur. GASTONE, STIERKÄMPFER Mit des Sieges Lorbeerkrone hoch geschmückt zog er zurück, und empfing von ihr zum Lohne der ersehnten Liebe Glück. ANDERE Leicht ist's so, nach Fechter Weise um die stolzen Herzen frei'n. GASTONE, STIERKÄMPFER Hier sind Herzen weicher; leise zieht die Schmeichelei hier ein. ALLE Laßt uns auch den Kampf beginnen, fröhlich winkt uns die Arena; laßt uns auch als Fechter lieben auf dem glatten Parkett des Spieles. (Die Männer demaskieren sich. Manche gehen umher, während andere sich zum Spiel vorbereiten. Alfredo tritt ein.) ALLE Ihr, Alfredo! ALFREDO Ja, Ihr Freunde. FLORA Und Violetta? ALFREDO Ich weiß es nicht. ALLE Das ist unbefangen! Bravo! Auf, wir gehen jetzt zum Spiele. (Gastone mischt die Karten. Alfredo und die anderen machen ihre Einsätze. Violetta tritt am Arme des Barons ein.) FLORA Ich freue mich, daß du kommst. VIOLETTA Du hattest mich freundlich geladen. FLORA Herzlichen Dank Euch, Baron, daß Ihr mir das Glück vergönnt. BARON Alfredo ist hier! Seht Ihr ihn? VIOLETTA Himmel, es ist wahr, ich seh' ihn! BARON Auch nicht ein einz'ges Wörtchen dürft Ihr an Alfredo richten. Nicht ein Wörtchen, nicht ein einz'ges. VIOLETTA Warum kam ich Unglücksel'ge her! Gnade, Gott, erbarm dich meiner. FLORA (zu Violetta, als sie sie auffordert, sich neben sie zu setzen) Setz dich zu mir und erzähle. Was gibt es Neues? (Dr. Grenvil nähert sich den beiden Damen, die leise miteinander sprechen. Der Marquis verbleibt seitlich mit dem Baron. Gastone gibt die Karten aus, während Alfredo und die anderen ihre Einsätze machen. Weitere Gäste gehen im Raum umher.) ALFREDO Ein Vierer! GASTONE Schon wieder gewonnen. ALFREDO Unglück in der Liebe bringt stets Euch Glück im Spiel. (Er setzt und gewinnt wieder.) ALLE Und immer bleibt er Sieger. ALFREDO Ich werde stets gewinnen und ganz mit Gold beladen zum seligen Vergnügen nach Hause kehren. FLORA Allein? ALFREDO Nein, mit meiner früheren Geliebten, die mir dann entfloh. VIOLETTA O Himmel! GASTONE (zu Alfredo, auf Violetta zeigend) Schont sie doch! BARON (zu Alfredo, kaum seinen Zorn verhehlend) Mein Herr! VIOLETTA (zum Baron) Mäßigt Euch, sonst geh' ich. ALFREDO Baron, Ihr rieft mich? BARON Ihr spielt mit soviel Glück, daß ihr mich zum Spiel verleitet. ALFREDO (ironisch) Gut, der Kampf beginne! VIOLETTA Was hör' ich? Laßt mich sterben. Hab' Mitleid, großer Gott, mit mir! BARON (setzend) Hundert setz' ich auf diese. ALFREDO (setzend) Und ich auf diese hundert. GASTONE Ein As, ein Bube, er hat gewonnen. BARON Ich verdoppele. ALFREDO Ich halte mit. GASTONE (gebend) Ein Vierer, ein Siebener! ALLE Schon wieder gewonnen. ALFREDO Auf meinen Sieg. CHOR Bravo dem Sieger. Das Schicksal ist Alfredo wohlgesonnen. FLORA Die Kosten dieses Spiels hat, fürcht' ich, der Baron allein zu tragen. ALFREDO So fahret fort. EIN DIENER Das Mahl ist zubereitet. FLORA Kommt, gehen wir. CHOR (zur Tafel gehend) Gehen wir. VIOLETTA (Was hör' ich? Laßt mich sterben. Hab' Mitleid, großer Gott, mit mir!) ALFREDO (zum Baron) Wollt Ihr das Spiel jetzt weiterführen? BARON Für jetzt bin ich verhindert; später fordere ich von Euch Revanche! ALFREDO In jedem Spiel, das Ihr wünscht. BARON Ich folge den Freunden; später... ALFREDO Zu Diensten steh' ich immer - BARON So kommt! - (Alle gehen zur Mitteltür hinaus. Für einen Augenblick ist die Bühne leer. Violetta kommt zurück, unglücklich.) VIOLETTA Ich gab ihm ein Zeichen mir zu folgen, wird er kommen? Wird er mich hören? Er kommt gewiß, nur möge nicht sein Haß so furchtbar meine Stimme übertönen. ALFREDO Ihr befahlt mir? Was verlangt Ihr? VIOLETTA Daß Ihr diesen Ort verlaßt, denn Gefahren drohen Euch. ALFREDO Ich verstehe. Das ist herrlich, für so feig' haltet Ihr mich? VIOLETTA Nein, das nicht - ALFREDO Nun, was sonst? VIOLETTA Ich fürchte mich vor dem Baron. ALFREDO Wir hassen uns auf Tod und Leben. Und fällt er einst durch meine Hand, so raubt ein einziger Streich Euch mit dem Geliebten den Beschützer. Das ist es, was Ihr fürchtet? VIOLETTA Doch wenn Ihr unterliegt? Das ist das Unglück, das ich fürchte, das allein mich zittern macht! ALFREDO Mein Tod, was geht er Euch denn an? VIOLETTA Fliehet schnell von hier! ALFREDO Ich gehe, doch zuvor noch schwöre mir, daß du mir folgen wirst, wohin ich immer gehen werde. VIOLETTA Nein, niemals! ALFREDO Nein, niemals? VIOLETTA Geh', Unglücklicher. Vergiß meinen verrufenen Namen. Geh', lasse mich allein, dich auf ewig zu fliehen tat ich einen heil'gen Schwur. ALFREDO Wem schwurst du? Sag wem! VIOLETTA Dem, der's von mir zu fordern hatte. ALFREDO Also, Douphol! VIOLETTA Ja. ALFREDO Und du liebst ihn? VIOLETTA Ihr seht's - ich lieb' ihn - ALFREDO (eilt zornig zur Tür und ruft:) Ihr Freunde, hört mich! (Alle Gäste kommen verstört in den Salon zurück.) ALLE Ihr habt gerufen? Was wünscht Ihr? ALFREDO (zeigt auf Violetta, die gedemütigt an einem Tisch lehnt) Kennt Ihr dieses Mädchen dort? ALLE Wen? Violetta? ALFREDO Noch wißt Ihr nicht, was sie mir antat. VIOLETTA O schweige. ALLE Nein. ALFREDO Alles, was diese Frau besaß, gab sie für meine Liebe hin. Ich Feiger, Blinder, Elender nahm's um mein Herz zu stillen. Noch ist es Zeit genug! Ich werde frei sein von den Banden. Ihr seid Zeugen, daß ich zurückgezahlt, was ich ihr je geschuldet. (Mit zorniger Verachtung schleudert er eine Geldbörse vor Violettas Füße. Violetta fällt in Ohnmacht. Bei seinen letzten Worten tritt sein Vater ein.) ALLE Schändliche Tat, die du begangen! Ein armes Herz hast du so gebrochen. Du frecher Beleid'ger der Frauen, entferne dich, nur Schrecken erregst du! Geh, geh, nur Schrecken erregst du! Du frecher Beleid'ger der Frauen, usw. GERMONT Verachtung trifft den der sich vergißt, den, der im Zorne ein Weib beleidigt. Mein Sohn? Ich kenne dich nicht mehr. Du bist nicht mehr mein Alfredo. ALFREDO O Gott, was tat ich! Wut und Verzweiflung verschmähter Liebe zerrissen das Herz mir. Kann Verzeihung mir wohl noch werden? Nein, niemals! Sie wollt ich fliehen, doch konnt's nicht! Nur meine große Wut trieb mich hierher. Da ich nun fühle, was ich verbrochen, faßt mich der Reue Schmerz. ALLE (zu Violetta) O wie du leidest! Doch faß ein Herz, ein jeder leidet mit dir hier den Schmerz. Einzig von Freunden bist du umgeben. Laß Tränen nicht verbittern dein Leben. GERMONT (zu sich selbst) Ich unter allen allein nur, ich weiß, wie sie ihn liebet, so treu und so heiß. Welch edler Tugend ihr Herz ist fähig, doch das Schicksal heißt mich schweigen. BARON (leise zu Alfredo) Diese Kränkung, die sie erduldet, ihr armes Herz hat dies nicht verschuldet! Wahrlich, ich werde die Arme rächen, für immer brechen den Stolz in Euch. ALFREDO (beiseite) O Himmel, was tat ich? usw. Ach, niemals kann Verzeihung mir werden. VIOLETTA (kommt zu sich) Alfredo, du weißt nicht, wie ich dich liebe! Kennst nicht des Herzens mächt'ge Triebe; wenn du auch fluchest, nicht um Gewinn gab meine Liebe ich dir hin. ALLE (zu Violetta) O wie du leidest! Doch faß ein Herz! ALFREDO O Himmel, was tat ich? VIOLETTA Die Stunde wird einst erscheinen, wo du um mich noch wirst Tränen weinen, wo du erkennen wirst, was ich dir war, dann vor Verzweiflung dich Gott bewahr'. ALFREDO O Himmel, was tat ich? BARON Ich werde die Arme rächen, für immer brechen den Stolz in Euch. GERMONT Welcher Tugend ihr Herz ist fähig, doch das Schicksal heißt mich schweigen. ALLE O wie du leidest! Doch faß ein Herz! usw. (Germont führt seinen Sohn hinaus, der Baron folgt ihm. Flora und der Doktor begleiten Violetta auf ihr Zimmer. Die anderen gehen hinaus.) VORSPIEL Violettas Schlafzimmer. Im Hintergrund ein Bett mit halb geschlossenen Vorhängen; ein Fenster mit Innenläden: neben dem Bett ein niedriger Tisch mit einer Wasserflasche, einem Glas, verschiedener Medizin. Im Vordergrund ein Toilettentisch, in der Nähe ein Sofa, ein weiterer Tisch mit einem Nachtlicht, mehrere Stühle und andere Dinge. Die Tür ist zur Linken, ihr gegenüber ein Kamin, in dem ein niedriges Feuer brennt. (Violetta liegt schlafend im Bett. Annina, die in einem Stuhl am Kamin sitzt, ist eingenickt.) VIOLETTA Annina! ANNINA Was wünscht Ihr? VIOLETTA Hast du geschlummert, Ärmste? ANNINA Ja, vergebt mir. VIOLETTA Einen Tropfen Wasser. (Annina gibt es ihr.) Sag mir, wie spät ist es? ANNINA Sieben Uhr. VIOLETTA Laß ein wenig Licht herein. (Annina öffnet die Läden und schaut auf die Straße hinaus.) ANNINA Soeben kommt Doktor Grenvil. VIOLETTA O, er ist mir ein wahrer Freund. Ich werde ihn empfangen. (Sie erhebt sich, fällt zurück in die Kissen. Schließlich erhebt sie sich gestützt von Annina und geht langsam zum Sofa. Der Doktor tritt rechtzeitig ein, um ihr zu helfen. Annina bringt Kissen und legt sie ihr in den Rücken.) VIOLETTA Wie nett von Euch, so früh an mich zu denken. DOKTOR (fühlt ihren Puls) Nun, wie fühlt Ihr Euch? VIOLETTA Mein Körper leidet, doch mein Geist ist ruhig. Gestern stärkte mich ein frommer Priester. Ach, im Leiden ist Religion Labsal. DOKTOR Und diese Nacht? VIOLETTA Ich hatte einen ruhigen Schlaf. DOKTOR Faßt Mut, die Genesung ist nicht mehr fern von Euch. VIOLETTA Ja, diese fromme Lüge sei dem Arzte verziehen. DOKTOR (Ihre Hand drückend) Später komme ich wieder. VIOLETTA Wir seh'n uns niemals wieder! ANNINA (Leise, als sie den Doktor hinausbegleitet) Wie geht es ihr, mein Herr? DOKTOR Sie hat nur wenige Stunden noch zu leben. ANNINA Faßt Euch ein Herz. VIOLETTA Ist heute ein Festtag? ANNINA Ganz Paris jubelt, 's ist Karneval. VIOLETTA O, unter diesem Jubel werden viele Leidende bittere Tränen vergießen. Welch Summe hast du noch in jenem Kästchen? (zeigend) ANNINA (Öffnet die Schublade und zählt das Geld) Zwanzig Dukaten. VIOLETTA Zehn davon gib sogleich den Armen. ANNINA Nur wenig bleibt Euch noch - VIOLETTA O, für mich genügt es. Dann frage bitte nach meinen Briefen. ANNINA Und Ihr? VIOLETTA Keine Sorge, beeil dich, wenn du kannst. (Annina geht.) VIOLETTA (Zieht einen Brief hervor und liest.) „Das Versprechen habt Ihr gehalten. Das Duell fand statt: Der Baron ward verwundet, doch nicht gefährlich. Alfredo ist auf fremdem Boden; von Eurem Opfer hab' ich selbst ihm erzählt. Er kehrt zu Euch zurück, um Vergebung zu erbitten. Ich werde ihm folgen. Giorgio Germont." Zu spät! Vergebens warte ich, niemals seh' ich ihn wieder. (Sie sieht sich im Spiegel an.) O wie ich mich verändert habe, aber der Doktor sprach mir Hoffnung zu. Mein Leiden erstickt die Hoffnung im Tode. Lebt wohl, ihr Gebilde, die einst mich umfangen, verblüht sind die Rosen der Wangen. O wär' nur der eine, wär Alfredo mir nahe, daß Trost meine sterbende Seele empfange, daß Trost sie empfange. O gnädiger Himmel, sei du mit mir Armen, und schenke dem Herzen Erbarmen. Ach, alles, alles, alles schwand dahin! KARNEVALSCHOR (von draußen) Auf, gebet Raum dem gewaltigen Stiere, dem wir die Hörner bekränzet mit Reben. Platz gebet unserm Herrn, dem mächtigen Tiere! Pauken und Pfeifen, laßt ihn willkommen heißen. Es erschallen lustige Weisen, den gekrönten Herrn zu preisen. Auf jetzt und bringet ihm festliche Gaben, heut' muß allein sich um ihn alles drängen. Lustige Masken, leichtfertige Knaben, preiset ihn jubelnd mit Spiel und Gesängen. Es erschallen lustige Weisen, den Gekrönten zu preisen. Auf, gebet Raum dem gewaltigen Stiere, dem wir die Hörner bekränzet mit Reben. (Annina kehrt hastig zurück.) ANNINA (erregt) Herrin! VIOLETTA Was ist geschehen? ANNINA Nicht wahr, Ihr fühlt Euch stärker? VIOLETTA Ja, warum? ANNINA Versprecht mir, gefaßt zu sein! VIOLETTA Ja, doch was willst du sagen? ANNINA Eine große Freude harret auf Euch binnen kurzem. VIOLETTA Eine Freude! Rede! ANNINA Ja, Herrin - VIOLETTA Alfredo! Du sahst ihn? Er kommt! O Freude! (Annina nickt und geht die Tür öffnen.) Alfredo! (Alfredo tritt ein. Sie liegen sich in den Armen.) Geliebter Alfredo! Welche Freude! ALFREDO Meine Violetta! welche Freude! Wie schuldig bin ich, o Teure! VIOLETTA So bist du mir zurückgegeben. ALFREDO Fühlst du's im Herzen, wie ich liebe, an deiner Seite nur kann ich noch leben. VIOLETTA Lebend hast du mich noch gefunden, doch trag' ich den Keim des Todes in mir. ALFREDO Vergiß, o Engel, deine Leiden, dem Vater verzeih und mir auch. VIOLETTA Was soll ich dir verzeihen? Ich bin die Sünderin, die Verzeihung braucht. ALFREDO, VIOLETTA Nichts mehr auf Erden, mein teurer Engel, soll mich jemals von dir trennen. ALFREDO O laß uns fliehen aus diesen Mauern. O laß in schönere Auen uns ziehn. Dort wird verschwinden dein Trauern, und neues Leben wird dir erblühn! Lichtstrahl und Odem wirst du mir sein, uns ladet freundlich die Zukunft ein! VIOLETTA (wiederholt wie im Traum seine Worte) O laß uns fliehen aus diesen Mauern, o laß in schönere Auen uns ziehn. Dort wird verschwinden dein Trauern, und neues Leben wird mir erblühn! Lichtstrahl und Odem wirst du mir sein, usw. VIOLETTA Und jetzt, mein Alfredo, gehn wir zur heil'gen Stätte, für deine Rückkehr Gott zu danken. (Sie wankt.) ALFREDO Du erbleichst... VIOLETTA Du weißt, es ist nicht schlimm! So große Freude hab' ich lange nicht empfunden, sie muß mein leidend Herz erschüttern. (Sie wirft sich erschöpft in einen Stuhl, ihr Kopf fällt zurück.) ALFREDO (stützt sie erschrocken) Großer Gott! Violetta! VIOLETTA (unter großer Anstrengung) Es ist mein Leiden, nur ein kleine Schwäche, bin wieder bei Kräften. Siehst du, ich lächle. ALFREDO Grausames Schicksal! VIOLETTA Annina, reich mir das Kleid. ALFREDO Was willst du? Oh warte - VIOLETTA Nein, mit dir will ich gehen. (Annina reicht ihr ein Kleid, das sie versucht anzuziehen. Zu schwach dazu, ruft sie aus:) Großer Gott, ich kann nicht! ALFREDO (Himmel, was seh' ich!) (zu Annina) Lauf zum Doktor. VIOLETTA Ach, sage ihm, daß Alfredo meiner Liebe zurückgegeben ist. Und sag ihm, daß ich leben werde. (Annina ab. Dann zu Alfredo:) Wenn auch du mich nicht retten kannst, rettet mich auf der Welt niemand mehr. Mein Gott, so bald soll sterben ich, so jung von hinnen scheiden, da ich dem Ziele so nahe mich jetzt seh' nach so viel Leiden. Der Hoffnung leeres Traumgebild' hielt freudig mich umfangen, mich fasset neues Bangen, ach, mir vergehet all mein Mut. ALFREDO O deine Seufzer und Klagen treffen mich mitten ins Herz! Darf ich denn mit dir weilen und kleinlich hier verzagen? O fasse dich erhebe dich, und laß den Mut nicht sinken; ich seh' die Hoffnung winken, verschließ' ihr nicht dein Herz. Violetta, Gelibete, fasse dich, und überwinde deinen Schmerz, fasse dich! VIOLETTA Alfredo! Mein schreckliches Ende naht zerstöret unsre Liebe! (Violetta sinkt aufs Sofa. Annina, Herr Germont und der Doktor erscheinen.) GERMONT Ah, Violetta! VIOLETTA Ihr, mein Herr? ALFREDO Mein Vater! VIOLETTA Gedenkt Ihr meiner noch? GERMONT Was ich versprochen, halt ich, als Tochter schließ ich dich ans Herz, du edles Mädchen - VIOLETTA Weh, mir, Ihr kommt zu spät. (Sie umarmt ihn.) Doch ich bin Euch dankbar. Dr. Grenvil seht, so sterb' ich, umgeben von allen meinen Lieben. GERMONT Was sagt Ihr da! (O Himmel, es ist wahr!) ALFREDO Siehst du sie, mein Vater? GERMONT Zerreiße mir nicht das Herz, Reue foltert mir schon die Seele! Wie ein Blitzstrahl zerschmettern mich die Worte, O was hab' ich verbrochen, jetzt erkenn' ich, was ich getan. VIOLETTA (Inzwischen hat sie unter großer Mühe ein Geheimfach in ihrem Toilettentisch geöffnet. Sie nimmt ein Medaillon heraus und gibt es Alfredo.) Komm näher und höre, mein geliebter Alfredo. Teurer, nimm dieses Bild von mir aus längst vergangenen Tagen; wie ich es am Herzen getragen, so sei das Bild Erinnerung dir. ALFREDO Du wirst nicht sterben, mein Engel, neues Leben winkt dir schon, es macht mein Herz erbeben, denk ich an den nahen Tod. GERMONT Erhabenes Wesen, das sich dem Opfertode geweiht, und mir die Leiden gern verzeiht, die ich ihrem Herzen zugefügt. VIOLETTA O weiht dir eine Jungfrau rein des Herzens heiße Triebe, laß sie dir Gattin sein; versprich es, mir zuliebe! Gib ihr dies Bild von mir, tu meinen Wunsch ihr kund; an Gottes Thron erfleh ich dann Segen für Euren Bund! GERMONT Solang mein Auge Tränen weint, so fließen sie für dich. Mit Engeln bist du bald vereint, Gott rufet dich zu sich. ALFREDO Es ist der Tod nicht, nein, er ruft dich jetzt noch nicht! O lebe, oder eine Gruft deckt mich mit dir zugleich. VIOLETTA (erhebt sich wie mit neuen Kräften.) Wie seltsam! Die Schmerzenswut, die mich durchwühlt, läßt nach in mir, das Leben kehrt wieder, erfüllt mich mit wunderbarer Kraft! Ja, gewiß, ich werde leben! O Wonne! (Sie fällt besinnungslos zurück.) ENDE |