Floria Tosca, Opernsängerin (Sopran) Mario Cavaradossi, Maler (Tenor) Baron Scarpia, Polizeichef (Bariton) Spoletta, Gendarm (Tenor) Sciarrone, Gendarm (Bass) Cesare Angelotti, politischer Gefangener (Bass) Mesner (Bass) Schließer (Bass) Ein Hirtenknabe (Knabenalt) Die Kirche Sant'Andrea della Valle (Rechts die Kapelle der Attavanti. Links ein Malgerüst mit einem großen, mit einem Tuch verhangenen Gemälde. Malutensilien, ein Korb. Angelotti in zerlumpter, verschmutzter Sträflingskleidung tritt ein, vor Angst zitternd sieht er sich um.) ANGELOTTI Ah! Endlich! In törichter Angst sah ich überall nur Häscher und Schergen. (Er schaut sich wieder um, etwas ruhiger, da er den Ort erkennt. Mit einem Seufzer der Erleichterung erblickt er die Säule mit dem Weihwasserbecken und der Madonna.) Das Becken ... die Säule ... „Zu Füßen der Madonna", schrieb mir die Schwester. (Er geht zur Madonna und sucht am Postament. Mit unterdrücktem Freudenschrei zieht er einen Schlüssel hervor.) Da ist der Schlüssel, und dort ist die Kapelle. (Mit größter Vorsicht steckt er den Schlüssel in das Schloß zur Kapelle Attavanti, öffnet das Gitter, tritt ein, schließt hinter sich wieder ab und verschwindet. Der Mesner kommt von hinten, er hält verschiedene Pinsel und spricht laut, als rede er mit jemanden, vor sich hin.) MESNER Und immer wieder waschen! Jeder Pinsel ist schmutziger als der Kragen einer Range. Herr Maler ... hier, nimm! (Er schaut zum Gerüst hinauf, wo das Gemälde steht, findet es leer und ruft überrascht:) Niemand da! Ich hätte schwören können, daß Herr Cavaradossi zurückgekommen ist. (Er legt die Pinsel hin, steigt das Gerüst hinauf, sieht in den Korb.) Nein, ich habe mich geirrt, der Korb ist unberührt. (Der Angelus wird geläutet. Der Mesner kniet nieder und betet demütig.) Angelus Domini nuntiavit Mariae et concepit de Spiritu Sancto. Ecce ancilla Domini fiat mihi secundum Verbum tuum. et Verbum caro factum est et habitavit in nobis ... (Cavaradossi tritt durch die Seitentür und sieht den knienden Mesner.) CAVARADOSSI Was tust du? MESNER (beim Aufstehen) Ich bete den Angelus. (Cavaradossi steigt auf das Gerüst und nimmt das Tuch vom Gemälde. Es ist eine Maria Magdalena mit großen blauen Augen und langem goldblonden Haar. Der Maler steht schweigend davor und betrachtet es genau. Der Mesner wendet sich zu Cavaradossi, um mit ihm zu sprechen, sieht das Gemälde enthüllt und stößt einen Schrei der Bewunderung aus.) Sankt Andreas! Ihr Bild! CAVARADOSSI Nun, wessen? MESNER Der Unbekannten, die in den letzten Tagen so oft hierher kam, um demütig und fromm zu beten. (Er deutet auf die Madonnenstatue, unter der Angelotti den Schlüssel hervorgezogen hat.) CAVARADOSSI Es stimmt. So vertieft war sie in ihr Gebet, daß ich unbemerkt ihr schönes Gesicht malen konnte. MESNER (zu sich) Weiche, Satan, weiche! CAVARADOSSI Gib mir die Farben! (Der Mesner gehorcht. Cavaradossi malt sehr eifrig und hält mitunter ein, um seine Arbeit zu betrachten. Der Mesner geht und kommt mit einer Waschschüssel zurück, in der er weiter die Pinsel reinigt. Plötzlich hört Cavaradossi zu malen auf, zieht aus seiner Tasche ein Medaillon mit einer Miniatur und läßt seine Augen von dem Medaillon zum Gemälde wandern.) Welche zarte Harmonie dieser Bilder! Braunes Haar hat Floria, die Frau, die ich liebe ... MESNER (zu sich) Über alles macht er sich lustig, nichts ist ihm heilig! ... CAVARADOSSI Und du, unbekannte Schöne ... mit blondem Haar, du hast blaue Augen, Tosca hat schwarze! MESNER (zu sich) Über alles macht er sich lustig, nichts ist ihm heilig! ... CAVARADOSSI Hat doch die Kunst geheimnisvoll beider Schönheit vereint. Doch wenn ich male, Tosca, sind meine Gedanken nur bei dir. MESNER (zu sich) Diesen beiden Frauen, die den Madonnen gleichen wollen, entströmt der Moderhauch der Hölle. Über alles macht er sich lustig, nichts ist ihm heilig ... Gegen diese Voltairianerhunde, die Feinde der gottgegebenen Regierung, gibt es keine Widerrede! Über alles macht er sich lustig, nichts ist ihm heilig ... Frech und ohne Scheu sind sie alle! Möge der Herr uns vor ihnen beschützen. (zu Cavaradossi) Euer Gnaden, darf ich gehen? CAVARADOSSI Tu, was du willst! (Er malt weiter.) MESNER Der Korb ist noch voll ... Wollt Ihr nichts essen? CAVARADOSSI Ich habe keinen Hunger. MESNER (reibt ironisch seine Hände) Oh, das ist bedauerlich! (Er kann seine Freude nicht verbergen und wirft einen begehrlichen Blick auf den Korb, nimmt ihn auf und setzt ihn ein Stück weiter ab.) Hört, wenn Ihr geht, schließt Ihr ab! CAVARADOSSI Geh schon! MESNER Ich gehe. (Er geht nach hinten ab. Cavaradossi arbeitet mit dem Rücken zur Kapelle. Angelotti, der die Kirche verlassen glaubt, erscheint hinter dem Gitter und steckt den Schlüssel ins Schloß.) CAVARADOSSI (dreht sich um, als er den Schlüssel im Schloß hört) Wer ist da drin? (Bei Cavaradossis Bewegung steht Angelotti einen Augenblick starr vor Schreck und macht Anstalten, wieder in die Kapelle zu flüchten, doch stößt er, als er die Augen hebt, einen halb unterdrückten Freudenschrei aus. Er hat Cavaradossi erkannt und streckt ihm wie einem unverhofften Retter die Arme entgegen.) ANGELOTTI Ihr! Cavaradossi! Euch schickt Gott! Erkennt Ihr mich nicht? So sehr also hat mich der Kerker verändert. CAVARADOSSI (sieht Angelotti prüfenden Blickes an und erkennt ihn schließlich. Schnell legt er Palette und Pinsel weg, steigt vom Gerüst herunter zu Angelotti und blickt dabei vorsichtig um sich) Angelotti! Der Konsul der ehemaligen römischen Republik! (Er rennt, um die Tür rechts abzuschließen.) ANGELOTTI Ich bin eben aus der Engelsburg entflohen. CAVARADOSSI Verfügt über mich. TOSCA (von draußen) Mario! (Auf Toscas Ruf hin gibt Cavaradossi Angelotti einen Wink, er möge schweigen.) CAVARADOSSI Versteckt Euch! Sie ist eine eifersüchtige Frau! Einen Augenblick nur, ich schicke sie weg. TOSCA Mario! CAVARADOSSI (ruft gegen die Tür, woher die Stimme kam) Hier bin ich! ANGELOTTI (lehnt sich in einem Schwächeanfall an das Gerüst) Ich bin am Ende meiner Kräfte, kann nicht mehr stehen. CAVARADOSSI (steigt auf das Gerüst, kommt mit dem Korb zurück und schiebt Angelotti mit einer ermutigenden Bewegung zur Kapelle hin) In diesem Korb ist Essen und Wein. ANGELOTTI Danke! CAVARADOSSI Jetzt schnell! (Angelotti geht in die Kapelle.) TOSCA (ruft zornig von draußen) Mario! Mario! Mario! CAVARADOSSI (öffnet das Tor) Hier bin ich ... TOSCA (tritt wütend ein, schiebt schroff Cavaradossi beiseite, der sie umarmen will, und schaut sich argwöhnisch um) Warum ist hier verschlossen? CAVARADOSSI Der Mesner will es so. TOSCA Mit wem sprachst du? CAVARADOSSI Mit dir! TOSCA Geflüstert hast du. Wo ist sie? CAVARADOSSI Wer? TOSCA Sie! ... Jene Frau! Schritte habe ich gehört, das Rascheln von Gewändern. CAVARADOSSI Du träumst! TOSCA Du leugnest es? CAVARADOSSI (will sie küssen) Ich leugne es und liebe dich! TOSCA (mit leisem Vorwurf) Oh! Vor der Madonna! Nein, Mario! Laß mich vorher beten und Blumen bringen. (Sie geht zur Madonna, breitet vor ihr mitgebrachte Blumen aus, kniet und betet, dann steht sie auf und wendet sich zu Cavaradossi, der inzwischen wieder an die Arbeit gegangen ist.) Jetzt hör mich an: Ich singe heute abend, doch die Vorstellung ist kurz. Du erwartest mich am Bühnenausgang, und wir gehen ganz allein zu deiner Villa. CAVARADOSSI (dessen Gedanken noch wandern) Heute abend? TOSCA Es ist Vollmond, und der Blütenduft der Nacht berauscht das Herz. Du bist nicht zufrieden? CAVARADOSSI (zerstreut und nachdenklich) Freilich! TOSCA (betroffen von diesem Ton) Sag es noch einmal! CAVARADOSSI Freilich! TOSCA Das sagst du scheußlich! (setzt sich auf die Stufen neben Cavaradossi) Träumst du nicht von unserem Häuschen, das versteckt im Grünen auf uns wartet? Traute Zuflucht für uns, fern von der Welt, voller Zauber und Geheimnis? In deinen Armen lauschen der Stille der Nacht, in Mondlicht getaucht, wenn geheimnisvolle Stimmen emporsteigen aus dem Gras, aus den Bäumen und Büschen, den ragenden Grabruinen Thymianduft entsteigt, aus dem Dunkel flüsternd huschen winzige Amoretten, mit listigem Rat die Herzen zu erweichen. Blüht, ihr weiten Fluren, erzittert, dunkle Lüfte, im Dämmerlicht des Mondes, ach, ihr tausend Sterne am Himmelszelt, blickt auf Toscas Liebe herab! CAVARADOSSI Mit deinen Schlingen umgarnst du mich ... TOSCA Blickt auf Toscas heiße Liebe herab! CAVARADOSSI Meine Sirene, ich werde kommen! TOSCA Mein Geliebter! CAVARADOSSI (schaut, wo Angelotti hinausgegangen ist) Doch nun laß mich arbeiten. TOSCA Du schickst mich fort? CAVARADOSSI Die Zeit drängt, du weißt es. TOSCA Ich gehe, ich gehe! (Sie schaut nach oben und bemerkt das Bild.) Wer ist jene blonde Dame dort oben? CAVARADOSSI Die Magdalena. Gefällt sie dir? TOSCA Sie ist zu schön! CAVARADOSSI (lachend) Ein schönes Lob. TOSCA (argwöhnisch) Du lachst? Diese schmachtenden Augen habe ich schon gesehen. CAVARADOSSI (unbesorgt) Es gibt viele auf der Welt! TOSCA (versucht sich zu erinnern) Warte ... warte ... Das ist die Attavanti! CAVARADOSSI Richtig! TOSCA (stark eifersüchtig) Du siehst sie? Sie liebt dich? Du liebst sie? CAVARADOSSI Es war nur Zufall ... TOSCA Diese Schritte und das Flüstern ... Ha! ... Sie war eben hier! CAVARADOSSI So laß doch! TOSCA Ah, die Kokotte! Das mir! Das mir! CAVARADOSSI (ernstl) Ich sah sie gestern, aber es war Zufall ... Sie kam zum Beten her ... hat nicht bemerkt, daß ich sie malte ... TOSCA Schwöre! CAVARADOSSI Ich schwöre! TOSCA (immer noch auf das Bild blickend) Wie sie mich anstarrt! CAVARADOSSI Laß doch! TOSCA Sie verhöhnt, verlacht mich! CAVARADOSSI Unsinn! (Er zieht sie an sich und blickt in ihre Augen.) TOSCA (hartnäckig) Ach, diese Augen ... CAVARADOSSI Welche Augen dieser Welt könnten sich mit deinen schwarzen Augen messen? Sie halten mich gefangen, ob sie Liebe leuchten oder zornig flammen ... Welche Augen dieser Welt könnten sich mit deinen schwarzen Augen messen? TOSCA (lehnt verzückt den Kopf an Cavaradossis Schulter) Oh, wie verstehst du dich gut auf die Kunst des Schmeichelns! (Sie beharrt auf ihrer Idee.) Aber male ihre Augen schwarz! CAVARADOSSI Meine eifersüchtige Tosca! TOSCA Ja, ich weiß, ich verursache dir andauernd Leid. CAVARADOSSI Meine eifersüchtige Tosca! TOSCA Ja, ich weiß, daß du mir verzeihst wenn du meinen Schmerz siehst! CAVARADOSSI Geliebte Tosca, alles gefällt mir an dir, dein wilder Zorn und deine Liebe! TOSCA Ja, ich weiß, daß du mir verzeihst wenn du meinen Schmerz siehst! Sprich noch einmal die tröstenden Worte ... Noch einmal! CAVARADOSSI Mein Leben, meine Geliebte, immer wieder sage ich dir: „Floria, ich liebe dich!" Ach, Geliebte, immer wieder sage ich dir: „Ich liebe dich!" TOSCA (macht sich los) Gott! Welche Sünde! Du hast mich ganz zerzaust. CAVARADOSSI Nun geh und lasse mich! TOSCA Du bleibst hier bis zum Abend bei der Arbeit und versprichst mir, sei's Zufall oder nicht, daß keine Frau mit blonden oder schwarzen Locken zum Beten hier erscheint? CAVARADOSSI Ich schwöre es, Geliebte! Geh! TOSCA Wie sehr du mich treibst! CAVARADOSSI (etwas vorwurfsvoll, als er ihre Eifersucht sieht) Schon wieder? TOSCA (wirft sich in seine Arme und hält das Gesicht zum Kusse hin) Nein, verzeih! CAVARADOSSI (scherzend) Vor der Madonna? TOSCA Sie ist so gut! Aber male ihre Augen schwarz! (Ein Kuß und Tosca läuft hinaus. Cavaradossi lauscht den sich entfernenden Schritten, dann öffnet er vorsichtig die Tür und blickt hinaus. Alles ist in Ordnung. Er eilt in die Kapelle. Angelotti erscheint hinter dem Gitter.) CAVARADOSSI (öffnet Angelotti das Gitter. Natürlich hat Angelotti das vorangegangene Gespräch mit angehört) Gut ist meine Tosca, doch sie glaubt, sie müsse alles ihrem Beichtvater sagen, kann kein Geheimnis wahren. Man sollte vorsichtig sein. ANGELOTTI Sind wir allein? CAVARADOSSI Ja, was habt Ihr vor? ANGELOTTI So wie die Dinge stehen, muß ich fliehen oder mich in Rom verborgen halten. Meine Schwester ... CAVARADOSSI Die Attavanti? ANGELOTTI Ja ... hat Frauenkleider dort unter dem Altar versteckt. Kleider, Schleier, Fächer. Sobald es dunkelt, ziehe ich sie an ... CAVARADOSSI Jetzt verstehe ich! Die Vorsicht und fromme Andacht der schönen jungen Dame brachte mich in den Verdacht einer geheimen Liebschaft! Es war die Liebe einer Schwester! ANGELOTTI Sie hat alles gewagt, mich dem verfluchten Scarpia zu entreißen! CAVARADOSSI Scarpia? Jener scheinheilige Wüstling, der hinter andachtsvoller Maske sich der Ausschweifung hingibt und der geilen Begierde gleichzeitig Henker und Beichtvater ist! Koste es mich das Leben, ich helfe Euch! Doch bis zur Nacht zu warten, ist wenig ratsam. Ich fürchte das Licht! CAVARADOSSI Die Kapelle stößt an einen Garten, von dem aus ein Weg durch die Felder zu meinem Landhaus führt. ANGELOTTI Er ist mir bekannt. CAVARADOSSI Hier ist der Schlüssel; vor dem Abend noch bin ich bei Euch; doch nehmt die Frauenkleider mit. ANGELOTTI (holt die Kleider hervor) Soll ich sie anziehen? CAVARADOSSI Jetzt ist es nicht nötig, der Weg ist einsam. ANGELOTTI (will fort) Lebt wohl! CAVARADOSSI (läuft ihm nach) Droht Euch Gefahr, steigt in den Brunnen im Garten. Unten ist Wasser, doch in der Mitte des Schachtes führt ein kleiner Weg in eine dunkle Höhle, ein sicheres Versteck für Euch. (Ein Kanonenschuß; beide schauen einander betroffen an.) Die Kanone des Kastells! CAVARADOSSI Man hat die Flucht entdeckt! Nun läßt Scarpia seine Schergen los! ANGELOTTI Lebt wohl! CAVARADOSSI (mit plötzlicher Entscheidung) Ich gehe mit Euch. Es heißt auf der Hut sein! ANGELOTTI Ich höre jemanden! CAVARADOSSI Sollen sie kommen, wir müssen es wagen! (Sie verlassen eilig die Kirche durch die Kapelle. Der Mesner stürzt herein.) MESNER Welche frohe Nachricht, Euer Gnaden! (Er sieht zum Gerüst hinauf und ist überrascht, den Maler wieder nicht zu finden.) Er ist nicht mehr da! Wie schade! Wer einem Ketzer nachstellt, macht sich von einer Sünde rein! (Von allen Seiten eilen Geistliche, Chorschüler und Kapellsänger herbei und drängen lärmend in die Kirche.) Alle hierher! Schnell! (Andere Schüler kommen langsam, und alle bilden schließlich eine Gruppe.) CHORSCHÜLER (verwirrt) Wohin? MESNER (schiebt einige der Geistlichen vor sich her) In die Sakristei. EINIGE Aber was ist geschehen? MESNER Ihr wißt es nicht? Bonaparte ... der Verbrecher ... Bonapar te ... ANDERE Und? Was geschah? MESNER Wurde aufgetrieben und vertrieben und zum Teufel gejagt! CHOR Wer sagt das? Ist ein Traum, ist Schwachsinn! MESNER Wahr ist die Kunde! Eben traf Nachricht ein! CHOR Laßt uns den Sieg feiern! MESNER Und heute abend ist großer Fackelzug und Galaball im Palazzo Farnese, und eine dafür neu geschriebene Kantate mit Floria Tosca. Und in den Kirchen loben wir Gott! Nun geht euch anziehen, und keinen Lärm mehr! Fort, ab in die Sakristei! CHOR (lachend und fröhlich rufend) Doppelter Lohn ... Te Deum ... Gloria! Hoch lebe der König! Wir feiern den Sieg! usw. (Sie lachen und schreien immer lauter, bis eine spöttische Stimme diesen Lärm stillt. Es ist Scarpia. Hinter ihm erscheint Spoletta mit einigen Schergen.) SCARPIA Ein solcher Höllenlärm in der Kirche! Welche Achtung! MESNER (angstvoll stammelnd) Euer Gnaden, der große Jubel ... SCARPIA Macht euch bereit für das Tedeum! (Bedrückt gehen alle hinaus; auch der Mesner will davonschleichen, aber Scarpia hält ihn plötzlich zurück.) Du bleibst! MESNER (voller Angst) Ich gehe keinen Schritt! SCARPIA (zu Spoletta) Und du geh, sieh in jedem Winkel nach, verfolge jede Spur. SPOLETTA Ich gehe! SCARPIA (zu den anderen Schergen) Achtet auf die Türen aber ohne Aufsehen! (zum Mesner) Nun zu dir ... Sei vorsichtig mit deinen Antworten. Ein Staatsverbrecher ist eben aus der Engelsburg geflohen ... Er ist hierher geflüchtet. MESNER Barmherziger Himmel! SCARPIA Vielleicht ist er noch hier. Wo ist die Kapelle der Attavanti? MESNER Hier ist sie. (Er geht zum Gitter und findet es angelehnt.) Offen! Bei allen Heiligen! Und ein zweiter Schüssel! SCARPIA Ein gutes Zeichen! Treten wir ein! (Sie gehen in die Kapelle und kommen wieder; Scarpia, etwas enttäuscht, hält in der Hand einen Fächer, den er aufgeregt hin und her wedelt.) Es war ein großer Fehler, jener Kanonenschuß! Der Gauner hat das Weite gesucht, doch er hat wertvolle Beute hinterlassen, einen Fächer! Ein Komplize muß ihm geholfen haben. (Er überlegt eine Weile, betrachtet dann aufmerksam den Fächer; plötzlich sieht er darauf ein Wappen.) Die Marchesa Attavanti! Ihr Wappen ... (Er sieht sich aufmerksam um und untersucht jeden Winkel der Kirche. Er betrachtet das Gerüst, die Malutensilien, das Bild ... und erkennt im Gesicht der Heiligen die ihm bekannten Züge der Attavanti.) Ihr Abbild! (zum Mesner) Wer hat das Bild gemalt? MESNER Herr Cavaradossi. SCARPIA Er! (Einer der Schergen bringt den Korb aus der Kapelle, den Cavaradossi Angelotti gegeben hatte.) MESNER Götter! Der Eßkorb! SCARPIA (in seiner Überlegung fortfahrend) Er! Der Geliebte der Tosca! Ein verdächtiger Mann! Ein Staatsfeind! MESNER (der den Korb untersucht hat) Leer! Leer! SCARPIA Was hast du gesagt? (sieht den Schergen mit dem Korb) Was gibt's? MESNER (nimmt den Korb) In der Kapelle wurde dieser Korb gefunden. SCARPIA Du kennst ihn? MESNER Natürlich (zögernd und ängstlich) Es ist der Korb des Malers ... aber ... vielleicht? SCARPIA Spuck aus, was du weißt! MESNER Ich habe ihn hier abgestellt mit feinen Speisen ... das Essen für den Maler. SCARPIA (versucht aufmerksam, mehr zu entdecken) Er hat gegessen! MESNER In der Kapelle? Er hatte keinen Schlüssel. Wollte auch nicht essen, hat selbst gesagt. Deshalb habe ich den Korb beiseite gestellt. Libera me domine! (Er zeigt, wohin er den Korb gestellt hat, und läßt ihn dort.) SCARPIA (für sich) Alles ist klar ... Was der Mesner für sich haben wollte, kam Angelotti dann zustatten. (Erregt tritt Tosca ein.) Tosca? Sie soll mich nicht sehen. (Er versteckt sich hinter der Säule mit dem Weihwasserbecken.) Um einen Eifersüchtigen ins Verderben zu stürzen, nahm Jago ein Taschentuch. Ich habe einen Fächer! TOSCA (läuft zum Gerüst in der Annahme, dort Cavaradossi zu finden, und ist überrascht, weil sie ihn nicht sieht) Mario! Mario! MESNER (der unten am Gerüst steht) Der Maler Cavaradossi? Wer weiß, wo er ist? Verschwunden, fortgeschlichen wie durch Hexerei. (macht sich davon) TOSCA Betrogen? Nein, nein ... Betrügen kann er mich nicht! SCARPIA (tritt hinter der Säule hervor und geht auf Tosca zu, die überrascht ist, ihn hier zu finden. Mit seinem Finger bietet er ihr Weihwasser. Glocken läuten draußen, sie rufen die Gläubigen zur Kirche.) Göttliche Tosca! Meine Hand bietet sich Eurem kleinen Händchen, nicht aus Galanterie, sondern um Euch das geweihte Wasser zu spenden. TOSCA (berührt Scarpias Finger und macht das Zeichen des Kreuzes) Danke, mein Herr! (Langsam füllt sich das Mittelschiff der Kirche mit den Gläubigen - Leute jeder Klasse, reich und arm, Bürger und Bauern, Soldaten und Bettler. Dann ein Kardinal mit dem Klostervorstand, der sich zum Hauptaltar begibt. Das Volk drängt sich zu jenem Altar im Mittelschiff.) SCARPIA Ein leuchtendes Vorbild seid Ihr aus heiligem Eifer schöpft Ihr Eure meisterliche Kunst, die der Glaube gen Himmel sendet! TOSCA (zerstreut und nachdenklich) Allzu gütig! SCARPIA So fromme Frauen sind selten ... Ihr steht auf der Bühne ... (mit Betonung) und kommt in die Kirche zu beten. TOSCA (überrascht) Was wollt Ihr? SCARPIA Und macht es nicht wie gewisse dreiste Weiber, (Er zeigt auf das Bild.) die Gesicht und Kleidung der Magdalena haben und hier der Liebe frönen! TOSCA (auffahrend) Was? Der Liebe? Beweise! SCARPIA (zeigt den Fächer) Ist das vielleicht Malgerät? TOSCA (reißt ihn an sich) Ein Fächer! Wo war er? SCARPIA Da oben auf dem Gerüst. Es kam wohl jemand und störte die Liebenden, und auf der Flucht verlor sie ihre Federn! TOSCA (untersucht den Fächer) Die Krone! Das Wappen! Die Attavanti! Hab' ich es doch geahnt! SCARPIA (für sich) Ich habe mein Ziel erreicht! TOSCA (hält mit Mühe die Tränen zurück und vergißt ganz, wo sie ist und mit wem sie spricht) Ich kam traurig hierher, um ihm zu sagen, daß heute abend der Himmel sich vergeblich verdunkelt, die liebende Tosca ist eine Gefangene ... SCARPIA (für sich) Schon beginnt das Gift zu wirken! TOSCA ... eine Gefangene der königlichen Feste! SCARPIA (für sich) Schon wirkt das Gift! (schmeichelnd zu Tosca) Oh, was bedrückt Euch schöne Frau? Eine einsame Träne rinnt wie ein Tautropfen über die lieblichen Wangen, sie zu benetzen; reizende Frau, was ist Euch? TOSCA Nichts! SCARPIA (bedeutungsvoll) Ich gäbe mein Leben, um diese Träne zu trocknen. TOSCA (ohne auf ihn zu hören) Ich vergehe hier vor Schmerz, und er verlacht mein Leid in den Armen einer anderen! SCARPIA (für sich) Das Gift wirkt! TOSCA (besinnt sich) Wo bin ich? Könnte ich die Verräter finden! Welch ein Verdacht! Sollte das Landhaus ihrer Liebe Zuflucht sein? Verräter! Verräter! (mit größtem Schmerz) Mein Nest mit Schmutz beworfen! (mit plötzlicher Entschlossenheit) Ich werde sie überraschen! (Mit drohender Gebärde wendet sie sich gegen das Bild.) Du hast ihn heute abend nicht! Ich schwöre es! SCARPIA (entrüstet, fast vorwurfsvoll) In der Kirche! TOSCA Gott wird mir verzeihen! (Aufgeregt geht sie hinaus; Scarpia begleitet sie, als wäre er um ihre Sicherheit besorgt. Kaum ist Tosca gegangen, geht er an die Säule zurück und gibt ein Zeichen.) SCARPIA (zu Spoletta, der hinter der Säule hervortritt) Drei Schergen, ein Wagen ... folgt schnell, wohin sie auch geht. Und sieh dich vor! SPOLETTA Verstanden! Und der Bericht? SCARPIA In den Palazzo Farnese! (Spoletta eilt mit den drei Schergen ab.) Geh, Tosca! Dir im Herzen nistet Scarpia ... Geh Tosca, und Scarpia läßt den Falken deiner Eifersucht zum Flug sich erheben. Wieviel Versprechen in deinem Verdacht! Dir im Herzen nistet Scarpia ... Geh, Tosca! (Scarpia verneigt sich und betet, als der Kardinal vorbeigeht.) CHOR Adjutorum nostrum in nomine Domini qui fecit coelum et terram. Sit nomen Domini benedictum et hoc nunc et usque in saeculum. SCARPIA Doppelte Beute soll mir mein Falke bringen, das Haupt des Rebellen ist nicht der große Preis. Ah, wenn sie in meine Arme sinkt, schmachtend vor Liebeslust ... Der eine für den Galgen, sie in meine Arme ... CHOR Te Deum laudamus! Te Dominum confitemur (Der heilige Gesang hinten in der Kirche weckt Scarpia wie aus einem Traum. Er sammelt sich, macht das Zeichen des Kreuzes.) SCARPIA Tosca, du läßt mich Gott vergessen! (Er kniet nieder und betet andächtig.) CHOR, SCARPIA Te aeternum Patrem omnis terra veneratur. Scarpias Zimmer im obersten Stockwerk des Palazzo Farnese (Ein gedeckter Tisch. Ein großes Fenster zum Hof des Palastes. Es ist Nacht. Scarpia sitzt am Tisch und ißt; er hält des öfteren inne, um nachzudenken. Er sieht auf die Uhr, wird unruhig und nachdenklich.) SCARPIA Tosca ist ein guter Falke! Sicher bringen mir bald meine Spürhunde die Beute! Morgen bei Tagesanbruch werden dann Angelotti und der schöne Mario am Galgen hängen! (Er läutet; Sciarrone erscheint.) Ist Tosca im Palast? SCIARRONE Ein Kammerherr ist gegangen, sie zu suchen. SCARPIA (zeigt auf das Fenster) Öffne! Es ist schon spät in der Nacht. (Aus dem unteren Stockwerk, wo die Königin von Neapel, Maria Carolina, ein Fest zu Ehren Melas' gibt, klingt Orchestermusik.) Zu der Kantate fehlt noch die Diva! Und sie kratzen Gavotte. (zu Sciarrone) Du paßt die Tosca am Eingang ab und sagst ihr, daß ich sie sprechen will, nach der Kantate ... Oder besser ... (Er steht auf, um einen Brief zu schreiben.) Du gibst ihr diesen Brief. (Sciarrone geht. Scarpia setzt sich wieder an den Tisch.) Sie kommt bestimmt, aus Liebe zu ihrem Mario! Die Liebe zu ihrem Mario wird sie mir in die Arme treiben. So wird aus großer Liebe noch größeres Leid. Erzwungene Liebe ist schöner als in Liebe schmachten, im bleichen Mondlicht sie zu betrachten, ist nicht mein Geschmack. Gitarre und Blumenhoroskope liegen mir nicht, kann keine verliebten Fischaugen machen oder turteln wie ein Täuberich! Ich begehre. Was ich begehre, muß ich haben, mich daran sättigen und dann wegwerfen auf der Suche nach Neuem. Gott schuf verschiedene Schönheiten und Weine. Ich will voll genießen von der göttlichen Schöpfung! (Er trinkt. Sciarrone tritt ein.) SCIARRONE Spoletta ist gekommen. SCARPIA Er soll kommen. Endlich! (Spoletta tritt ein. Scarpia befragt ihn, ohne die Augen vom Essen zu heben.) Nun, Verehrtester, wie war die Jagd? SPOLETTA (für sich) Heiliger Ignaz, steh mir bei! (zu Scarpia) Die Spur der Dame haben wir verfolgt. Wir kamen zu einem einsamen Landhaus, das hinter Büschen versteckt liegt. Sie ging hinein. Doch schnell kam sie allein wieder heraus. Nun kletterte ich schnell auf die Gartenmauer mit meinen Begleitern und drang ins Haus ein ... SCARPIA Sehr tüchtig, Spoletta! SPOLETTA Flink ... durchsuchten wir ... alles! SCARPIA (bemerkt Spolettas Zögern und erhebt sich, blaß vor Zorn mit gefurchter Stirn) Ah! Und Angelotti? SPOLETTA Er war nicht zu finden. SCARPIA (rasend vor Wut) Ah, du Hund! Du Verräter! Mistkerl, an den Galgen! SPOLETTA Jesus! (sucht Scarpias Zorn zu besänftigen) Da war der Maler ... SCARPIA Cavaradossi? SPOLETTA (nickt und fügt schnell hinzu) Er weiß, wo der andere sich versteckt. Jede Gebärde, jedes Wort verrieten so viel Spott und Ironie, daß ich ihn festnehmen ließ. SCARPIA (atmet erleichtert auf) Um so besser! SPOLETTA (zeigt zum Vorraum) Er ist da. (Scarpia geht hin und her, am Überlegen. Er hält plötzlich an, als er durch das offene Fenster die Chorkantate im Appartement der Königin gesungen hört.) SCARPIA (zu Spoletta) Führt den Herrn herein. (Spoletta geht hinaus, zu Sciarrone) Roberti und der Richter zu mir! (Sciarrone geht ab. Scarpia setzt sich wieder. Spoletta und vier Schergen führen Mario Cavaradossi herein; dann folgen Roberti, der Büttel, und der Richter mit einem Schreiber und Sciarrone.) CAVARADOSSI (würdevoll) Welch ein Gewaltakt! SCARPIA (mit gespielter Höflichkeit) Mein Herr, vielleicht möchtet Ihr Platz nehmen. CAVARADOSSI Ich möchte wissen ... SCARPIA (weist auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches) Setzt Euch. CAVARADOSSI (ablehnend) Ich werde stehen. SCARPIA Gut! Ihr wißt, daß ein Gefangener ... (Man hört Toscas Stimme, die in der Kantate mitwirkt.) CAVARADOSSI Ihre Stimme! SCARPIA (unterbricht sich, als er Toscas Stimme hört, dann:) Ihr wißt, daß ein Gefangener heute aus dem Kastell Sant'Angelo geflohen ist? CAVARADOSSI Ich weiß es nicht. SCARPIA Immerhin wird behauptet, Ihr hättet ihn in Sant'Andrea versteckt, ihm Essen und Kleidung gegeben ... CAVARADOSSI (unerschrocken) Das ist eine Lüge! SCARPIA (fährt unbeirrt fort) ... und ihn dann in Eure Villa vor der Stadt geführt. CAVARADOSSI Das leugne ich! Die Beweise? SCARPIA (schmeichlerisch) Ein treuer Untertan ... CAVARADOSSI Zur Sache. Wer klagt mich an? Eure Schergen fanden nichts in der Villa. SCARPIA Das zeigt, daß er gut versteckt ist. CAVARADOSSI Der Verdacht eines Denunzianten! SPOLETTA (beleidigt) Als wir suchten, lachte er über uns! CAVARADOSSI Ich lache immer noch. SCARPIA (hart) Das hier ist ein Ort der Tränen! Hütet Euch! Genug jetzt! Antwortet! (Er steht auf und schließt ärgerlich das Fenster, um nicht von dem Gesang aus dem unteren Stockwerk gestört zu werden; dann wendet er sich in herrischem Ton an Cavaradossi.) Wo ist Angelotti? CAVARADOSSI Ich weiß es nicht! SCARPIA Ihr leugnet, daß ihr ihm zu essen gabt? CAVARADOSSI Das leugne ich! SCARPIA Und Kleider? CAVARADOSSI Ich leugne es! SCARPIA Und Asyl in dem Landhaus? Und daß er dort verborgen ist? CAVARADOSSI (energisch) Ich leugne es! Ich leugne es! SCARPIA (listig und wieder ruhig) Nun mein Herr, bedenkt: klug ist Eure Sturheit sicher nicht. Wenn Ihr gesteht, bleibt Kummer Euch erspart. Ich rate Euch, sagt mir, wo ist nun Angelotti? CAVARADOSSI Ich weiß es nicht. SCARPIA Hütet Euch! Ein letztes Mal: Wo ist er? CAVARADOSSI Ich weiß es nicht! SPOLETTA (beiseite) Er ist reif für die Folter! (Tosca tritt angstvoll ein.) SCARPIA (für sich) Da ist sie! TOSCA (sieht Cavaradossi, läuft ihn zu umarmen) Mario, du hier? CAVARADOSSI (spricht leise) Was du alles dort gesehen hast, verschweige, oder du wirst mich töten! (Tosca zeigt, daß sie ihn verstanden hat.) SCARPIA (ernsthaft) Mario Cavaradossi, auf den Beweis wartet dort der Richter. (zu Roberti) Erst die einfache Ausführung ... dann nach meinen Befehlen. (Sciarrone öffnet die Tür zur Folterkammer. Der Richter geht hinein, die anderen folgen ihm. Spoletta zieht sich nach der Tür im Hintergrunde zurück. Tosca und Scarpia bleiben allein.) SCARPIA Und nun plaudern wir als gute Freunde. Seht nicht so ängstlich drein. TOSCA (mit gespielter Ruhe) Ich habe keine Angst. SCARPIA Was war mit dem Fächer? (Er tritt auf das Kanapee zu, auf dem Tosca sitzt, beugt sich galant über die Lehne.) TOSCA (mit gespielter Gleichgültigkeit) War blinde Eifersucht. SCARPIA Die Attavanti war also nicht in der Villa? TOSCA Nein, er war allein. SCARPIA Allein! Ihr seid wirklich sicher? TOSCA Nichts entgeht dem Argwohn. Allein! Allein! SCARPIA (nimmt einen Stuhl, trägt ihn zu Tosca hin, setzt sich und blickt sie starr an) Ist das wahr? TOSCA (gereizt) Ganz allein, ja! SCARPIA Welch ein Zorn! Ihr habt wohl Angst, etwas auszuplaudern. (zu Sciarrone) Sciarrone, was sagt der Kavalier? SCIARRONE (eilt herbei) Er leugnet! SCARPIA (mit lauter Stimme gegen die Tür) Also dann weiter! (Sciarrone geht wieder hinein und schließt die Tür.) TOSCA (lachend) Ach, das nützt nichts! SCARPIA (ernst, läuft umher) Wir werden sehen, meine Dame. TOSCA Soll er also lügen Euch zu Gefallen? SCARPIA Das nicht, aber die Wahrheit könnte ihm eine peinliche Stunde abkürzen ... TOSCA (überrascht) Eine peinliche Stunde? Was wollt Ihr sagen? Was geschieht in jenem Zimmer? SCARPIA Mit Gewalt erfüllt sich das Gesetz. TOSCA Oh, Gott! Was geschieht, was geschieht ... SCARPIA Die Hände und Füße hat Euer Freund gebunden, ein Stacheldiadem um die Schläfen läßt bei jedem Leugnen das Blut hervorspritzen! TOSCA (springt auf) Das ist nicht wahr, es ist nicht wahr! Welch ein teuflisches Grinsen! (Sie hört Cavaradossi laut stöhnen.) Ein Stöhnen? Mitleid ... Mitleid ... SCARPIA Es liegt an Euch, ihn zu retten. TOSCA Gut, doch haltet ein, haltet ein! SCARPIA (ruft) Sciarrone, macht ihn los! SCIARRONE (erscheint in der Tür) Ganz? SCARPIA Ganz! (Sciarrone geht in die Folterkammer zurück und schließt die Tür.) Und nun die Wahrheit! TOSCA Ich will ihn sehen! SCARPIA Nein! TOSCA (nähert sich der Tür) Mario! CAVARADOSSIS STIMME Tosca! TOSCA Quälen sie dich noch? CAVARADOSSIS STIMME Nein, nur Mut! Schweige, ich halt' es aus! SCARPIA Nun denn, Tosca, redet! TOSCA (durch Marios Worte ermutigt) Ich weiß nichts! SCARPIA Reicht diese Probe nicht? Roberti, frisch begonnen ... TOSCA (stellt sich zwischen Scarpia und die Tür) Nein! Nicht weiter! SCARPIA Ihr wollt also reden? TOSCA Nein, nein! Ah! ... Ungeheuer ... du quälst ihn, du bringst ihn um! SCARPIA Du quälst ihn noch mehr, weil du schweigst. TOSCA Du lachst, du lachst bei all dem Jammer? SCARPIA (bissig) Auf der Bühne war Tosca nie tragischer! (zu Spoletta) Öffnet die Türen, damit man die Klagen hört! (Spoletta öffnet die Tür und postiert sich auf der Schwelle.) CAVARADOSSIS STIMME Ich bin stärker als ihr! SCARPIA Noch stärker! Noch stärker! ... CAVARADOSSIS STIMME Ich bin stärker als ihr! SCARPIA (zu Tosca) Redet ... TOSCA Was soll ich sagen? SCARPIA Los, auf ... TOSCA Ah, ich weiß nichts! Sollte ich lügen? SCARPIA Sagt, wo ist Angelotti? TOSCA Nein, nein! SCARPIA Redet doch, los, wo hält er sich versteckt? TOSCA Ich kann nicht mehr! Ah! Welches Grauen! Beendet die Qual! ... Das ist zuviel Leiden ... Ich kann nicht mehr ... ich kann nicht mehr! CAVARADOSSIS STIMME Oh Gott! TOSCA (wendet sich flehend an Scarpia, der Spoletta ein Zeichen gibt, Tosca näher heranzulassen; sie geht zum offenen Eingang, und niedergeschmettert vom Anblick der furchtbaren Szene, wendet sie sich in tiefstem Schmerz an Cavaradossi) O Mario, erlaubst du, daß ich rede? CAVARADOSSIS STIMME Nein! TOSCA (flehend) Hör doch, ich kann nicht mehr ... CAVARADOSSIS STIMME Närrin, was weißt du? Was kannst du sagen? SCARPIA (gereizt durch Marios Worte) Bringt ihn zum Schweigen! (Spoletta geht in die Folterkammer und kommt bald wieder heraus, während Tosca, von der furchtbaren Aufregung überwältigt, auf das Kanapee niedersinkt. Schluchzend wendet sie sich an Scarpia, der teilnahmslos und schweigend dasteht. Währenddessen murmelt Spoletta leise Gebete: ...Judex ergo cum sedebit quidquid latet apparebit nil inultum remanebit.) TOSCA Was habe ich Euch in meinem Leben getan? Bin ich es doch, die Ihr so quält, meine Seele ... (Sie bricht in krampfhaftes Weinen aus.) Ihr foltert meine Seele ... SPOLETTA (murmelt weiter seine Gebete) Nil inultum remanebit! (Scarpia nutzt Toscas Schwäche, tritt an die Tür der Folterkammer und gibt ein Zeichen, von neuem zu beginnen. Cavaradossi stößt einen furchtbaren Schrei aus. Tosca fährt auf und sagt mit erstickter Stimme zu Scarpia:) TOSCA Im Brunnen ... im Garten ... SCARPIA Dort ist Angelotti? TOSCA Ja! SCARPIA (laut zur Folterkammer hin) Es reicht, Roberti! SCIARRONE (der die Tür geöffnet hat) Er ist ohnmächtig! TOSCA (zu Scarpia) Mörder! Ich will ihn sehen! SCARPIA Bringt ihn her! (Sciarrone geht wieder in die Folterkammer, und der ohnmächtige Cavaradossi wird von den Häschern hereingetragen und auf das Kanapee gelegt. Tosca läuft zu ihm hin, doch der Anblick des mit Blut besudelten Cavaradossi erschüttert sie so sehr, daß sie sich die Hand vor die Augen schlägt. Dann schämt sie sich ihrer Schwäche, küßt ihn und weint. Sciarrone, Roberti, der Richter und der Schreiber treten nach hinten ab. Scarpia bedeutet, daß Spoletta und die Schergen bleiben sollen.) CAVARADOSSI (kommt zu sich) Floria! TOSCA (ihn mit Küssen überhäufend) Geliebter! CAVARADOSSI Bist du es? TOSCA Hast du leiden müssen, mein Geliebter! Doch der schmutzige Henker wird es bezahlen! CAVARADOSSI Tosca, hast du geredet? TOSCA Nein, Geliebter! CAVARADOSSI Wirklich? TOSCA Nein! SCARPIA (laut zu Spoletta) Im Brunnen ... Im Gar ten ... Hol ihn, Spoletta! (Spoletta geht ab. Cavaradossi hat es gehört. Er erhebt sich drohend auf Tosca zu, aber seine Kraft versagt, und er fällt zurück auf das Kanapee, äußerst vorwurfsvoll, als er ausruft:) CAVARADOSSI Ah! Du hast mich verraten! TOSCA (flehend) Mario! CAVARADOSSI (stößt Tosca zurück) Verfluchte! TOSCA (flehend) Mario! SCIARRONE (rennt angstvoll herein) Euer Gnaden, welche Neuigkeiten! SCARPIA (überrascht) Was besagt die Trauermiene? SCIARRONE Die Nachricht von einer Niederlage! SCARPIA Welche Niederlage? Wie? Wo? SCIARRONE Bei Marengo! SCARPIA (ungeduldig) Hölle und Teufel! SCIARRONE Bonaparte hat gesiegt! SCARPIA Und Melas? SCIARRONE Nein, Melas ist geflüchtet! (Cavaradossi hat mit wachsender Unruhe den Worten Sciarrones gelauscht und findet in seiner Begeisterung die Kraft, sich drohend gegen Scarpia zu erheben.) CAVARADOSSI Viktoria! Viktoria! Der siegreiche Tag erscheint, der die Schufte erzittern läßt! Die Freiheit erhebt sich gegen die Tyrannei! TOSCA (versucht verzweifelt, ihn zu beruhigen) Mario, schweige! Mitleid mit mir! CAVARADOSSI Ob der erlittenen Qualen siehst du mich nun frohlocken ... Dein Herz erbebt, feiger Henkersknecht! (Tosca klammert sich an Cavaradossi und versucht mit verzweifelten Worten, ihn zu beruhigen, während Scarpia mit einem süffisanten Lächeln antwortet.) SCARPIA Bravo, schrei! Zeige mir deine boshafte Gesinnung! Nur weiter, du richtest dich selbst, der Henker wartet auf dich! (zu den Schergen) Schafft ihn fort! (Sciarrone und die Schergen greifen Cavaradossi und ziehen ihn zur Tür. Tosca macht eine überwältigende Anstrengung ihn zu halten, aber sie stoßen sie brutal zur Seite.) TOSCA Mario, mit dir ... SCARPIA Ihr nicht! (Die Tür schließt sich, und Scarpia und Tosca bleiben allein.) TOSCA (seufzend) Rettet ihn! SCARPIA Ich? ... Ihr! (Er tritt an den Tisch, sieht das unterbrochene Abendessen und macht sich ruhig und lächelnd darüber her.) Meine arme Mahlzeit wurde unterbrochen. (Er sieht Tosca niedergeschlagen und regungslos an der Tür.) So niedergeschlagen? Kommt, schöne Dame, setzt Euch hierher. Wenn Ihr wollt, überlegen wir gemeinsam, Tosca, wie wir ihn retten können. (Tosca zuckt zusammen und sieht ihn an. Scarpia lächelt noch immer, setzt sich und bedeutet Tosca, sich ebenfalls zu setzen.) So nehmt doch Platz und laßt uns plaudern. Und inzwischen einen Schluck spanischen Wein. (Er füllt den Becher und reicht ihn Tosca.) Ein Schlückchen zur Stärkung. TOSCA (sieht Scarpia unbewegt an, nähert sich langsam dem Tische und setzt sich entschlossen Scarpia gegenüber, dann fragt sie mit tiefster Verachtung) Wieviel? SCARPIA (gießt sich ungerührt Wein ein) Wieviel? (Er lacht.) TOSCA Der Kaufpreis! SCARPIA Na gut, man sagt mir nach, ich sei käuflich. Doch einer schönen Frau verkaufe ich mich nicht für Geld. Sollte ich den Treueid brechen, so will ich anderen Lohn dafür. Diese Stunde habe ich erwartet. Wohl rührte mich manchmal die Liebe der Götter, doch erst, seit ich dich sah, weiß ich, daß keine dir gleich ist! deine Tränen weckten meine Sehnsucht und dein Blick voller Haß, der mich durchbohrte, hat mich vor Begierde rasend gemacht! Geschmeidig wie ein Leopard hast du den Geliebten umarmt. In dem Moment schwor ich mir, daß du mein wirst! Mein! Ja, ich werde dich haben! ... (Er nähert sich Tosca mit ausgebreiteten Armen. Sie hat seiner schamlosen Tirade bewegungslos zugehört. Jetzt springt sie auf und rettet sich hinter das Kanapee.) TOSCA (läuft zum Fenster) Ah! Lieber stürze ich mich hinab! SCARPIA (kalt) Als Pfand bleibt mir dein Mario! TOSCA Ah! Elender Schuft! Welch übles Geschäft! (Es fällt ihr ein, die Königin aufzusuchen, und sie läuft zur Tür.) SCARPIA (ironisch) Ich brauche keine Gewalt. Geh, du bist frei! Doch die Hoffnung trügt; die Königin wird nur einen Leichnam begnadigen! (Tosca weicht entsetzt zurück, starrt Scarpia an und läßt sich auf das Kanapee fallen; dann wendet sie die Augen von Scarpia mit dem Ausdruck tiefster Verachtung.) Wie du mich haßt! TOSCA Ach, Gott! SCARPIA (sich nähernd) So gerade will ich dich haben! TOSCA (voller Verachtung) Rühre mich nicht an, Ungeheuer, ich hasse dich. Ich hasse dich! Scheusal, Untier! (Sie weicht entsetzt zurück.) SCARPIA Was macht das schon? Flammen des Zorns und Flammen der Liebe! TOSCA Ungeheuer! SCARPIA Mein! (versucht sie zu packen) TOSCA Ungeheuer! (flieht hinter den Tisch) SCARPIA (folgt ihr) Mein ... TOSCA Hilfe! Hilfe! (Entfernter Trommelwirbel kommt langsam näher, entfernt sich dann wieder.) SCARPIA Hörst Du? Es ist die Trommel. Das letzte Geleit geben sie den Hochverrätern. Die Zeit vergeht. (Tosca hat in schrecklicher Angst gelauscht, tritt vom Fenster und läßt sich erschöpft auf dem Kanapee nieder.) Weißt du, welche Arbeit sie dort unten tun? Dort zimmern sie den Galgen. Für deinen Mario bleibt, wie du's gewollt, nur noch eine Stunde. (Er stützt sich auf eine Ecke des Tisches und fixiert Tosca mit kaltem Blick.) TOSCA Ich lebte für die Kunst, für die Liebe, tat nie einem Menschen etwas zuleide . Offen hatte ich die Hände für die Armen, half ihnen in ihrem Unglück. In tiefem Glauben trat ich immer mit meinen Gebeten an den heiligen Altar, in tiefem Glauben schmückte ich ihn immer mit Blumen. Warum, mein Gott, warum, entlohnst du es mir so in dieser Stunde des Schmerzes? Schmuck gab ich der Madonna ans Gewand, schickte meinen Gesang zu den Sternen am Himmel, auf daß sie heller strahlten. Warum, mein Gott, warum entlohnst du es mir so in dieser Stunde des Schmerzes? (Sie kniet vor Scarpia.) TOSCA Sieh, wie ich hier vor dir stehe, bescheiden dich bitte. Nur ein Wort der Gnade erwarte ich von dir ... SCARPIA Du bist zu schön, Tosca, und zu reizvoll. Ich gebe nach. Zu einem geringen Preis. Du verlangst von mir sein Leben, ich von dir nur einen Augenblick. TOSCA (mit tiefster Verachtung) Geh, geh, du widerst mich an! (Es klopft an der Tür.) SCARPIA Wer ist da? SPOLETTA (tritt keuchend ein) Euer Gnaden, Angelotti hat sich selbst, als wir kamen, getötet. SCARPIA Na gut, dann hängt ihn tot an den Galgen. Und der andere Gefangene? SPOLETTA Der Herr Cavaradossi? Es ist alles vorbereitet, Euer Gnaden! TOSCA (für sich) O Gott, steh mir bei! SCARPIA (zu Spoletta) Warte! (zu Tosca) Nun? (Tosca nickt zustimmend mit dem Kopf, weint vor Scham und versteckt ihr Gesicht. Zu Spoletta) Höre ... TOSCA (unterbricht ihn sofort) Aber ich will, daß er sofort frei ist ... SCARPIA (zu Tosca) Wir müssen täuschen; öffentlich begnadigen kann ich ihn nicht. Alle müssen glauben, daß er tot ist. (deutet auf Spoletta) Dieser Mann sorgt dafür. TOSCA Wer bürgt mir? SCARPIA Ich gebe ihm den Befehl in Eurer Gegenwart. (zu Spoletta) Spoletta, schließ die Tür! (Spoletta schließt die Tür und kehrt dann zu Scarpia zurück.) Ich habe den Befehl geändert. Der Gefangene wird erschossen ... (Tosca starrt in panischer Angst.) Paß auf ... (Er sieht Spoletta scharf und bedeutsam an, und Spoletta nickt, daß er verstanden hat.) Wie wir es beim Grafen Palmieri machten. SPOLETTA Eine Erschießung ... SCARPIA (mit besonderer Betonung) ... nur zum Schein! Wie beim Grafen Palmieri! Hast du es richtig verstanden? SPOLETTA Ich habe gut verstanden! SCARPIA Geh! TOSCA Ich will es ihm selbst sagen. SCARPIA Wie du willst! (zu Spoletta) Du läßt sie passieren ... Merke dir, um vier Uhr in der Frühe. SPOLETTA Ja, wie Palmieri. (Spoletta geht ab. Scarpia bleibt bei der Tür stehen und lauscht Spolettas Schritten. In Mimik und Gestik völlig verändert, nähert er sich Tosca mit großer Leidenschaft.) SCARPIA Ich hielt mein Versprechen ... TOSCA (hält ihn zurück) Noch nicht. Ich will einen Geleitbrief, um mit ihm aus dem Land zu fliehen. SCARPIA (galant) Das Weite wollt Ihr suchen? TOSCA Ja, für immer! SCARPIA Euer Wunsch sei Euch erfüllt. (Er geht zum Sekretär, beginnt zu schreiben, hält um Tosca zu fragen.) Und welchen Weg nehmt Ihr? TOSCA Den kürzesten! SCARPIA Civitavecchia? TOSCA Ja! (Während er schreibt, geht Tosca zum Tisch, um mit zitternder Hand das Glas Wein zu nehmen, das Scarpia eingegossen hat; als sie es zu ihren Lippen hebt, sieht sie auf dem Tisch ein spitzes Messer. Sie sieht, daß Scarpia voll in den Brief vertieft ist und sie greift außerordentlich vorsichtig, während sie seine Fragen beantwortet und ihn ununterbrochen beobachtet, nach dem Messer. Sie hat schließlich das Messer fassen können. Sie versteckt es hinter dem Rücken, während sie sich dem Tisch nähert und dabei Scarpia beobachtet. Dieser ist mit dem Schreiben fertig, setzt das Siegel auf den Passierschein und faltet das Blatt. Dann öffnet er die Arme, nähert sich Tosca, um sie an seine Brust zu ziehen.) SCARPIA Tosca, endlich bist du mein! (Seine leidenschaftlichen Worte gehen in einen furchtbaren Schrei über - Tosca hat ihm das Messer in die Brust gestoßen.) Verfluchte! TOSCA Das ist Toscas Kuß! (Scarpia streckt den Arm zu Tosca hin und nähert sich ihr taumelnd und hilfesuchend. Tosca weicht ihm aus, sieht sich aber plötzlich zwischen Scarpia und dem Tisch in die Enge getrieben. Als sie merkt, daß er sie berühren will, stößt sie ihn entsetzt zurück. Scarpia fällt und heult mit im Blute erstickender Stimme.) SCARPIA Hilfe ... ich sterbe! Zu Hilfe! Ich sterbe! TOSCA (sieht zu, wie er sich hilflos auf dem Boden windet und versucht, sich am Kanapee hochzuziehen) Erstickst du nun im Blute? Eine Frau hat dich getötet. Hast du mich nun genug gequält? Hörst du mich noch? Sprich! Sieh mich an! Ich bin Tosca! O Scarpia! SCARPIA (röchelt und fällt dann tot nach hinten) Hilfe! Zu Hilfe! TOSCA (beugt sich über ihn) Erstickst du nun im Blut? Stirb in Verdammnis! Stirb! Stirb! Stirb! (Sie sieht ihn unbeweglich an.) Er ist tot! Nun vergebe ich ihm! Einst zitterte vor ihm ganz Rom! (Ohne den Blick von der Leiche zu wenden, geht Tosca zum Tisch, legt das Messer hin, nimmt eine Flasche Wasser, befeuchtet eine Serviette und wäscht sich die Hände; dann geht sie zum Spiegel und richtet ihr Haar. Nun sucht sie den Passierschein auf dem Schreibtisch, findet ihn nicht, dreht sich um und bemerkt ihn in der Hand des Toten. Mit einem Schauder nimmt sie ihm das Papier ab und versteckt es am Busen. Sie löscht die Kerzen auf dem Tisch und will fortgehen, zögert jedoch, holt dann die Kerze auf dem Sekretär, entzündet die anderen daran und stellt je eine Kerze rechts und links von Scarpia auf. Sie steht auf, schaut erneut im Zimmer umher und erblickt ein Kruzifix, nimmt es von der Wand, verneigt sich andächtig und legt es dem Toten auf die Brust; dann erhebt sie sich und geht vorsichtig hinaus, die Tür hinter sich schließend.) Auf der Plattform der Engelsburg. (Links eine Kasematte, darin eine Lampe, ein dickes Protokollbuch und Schreibmaterialien; eine Bank, ein Sessel. An der einen Wand der Kasematte ein Kruzifix, davor eine Lampe. Rechts die Öffnung für eine kleine Treppe, über die die Plattform zu erreichen ist. Im Hintergrund der Vatikan und Sankt Peter. Es ist noch Nacht. Allmählich zeigt sich diffus graues Licht, das die Morgendämmerung ankündigt. Die Kirchenglocken läuten zur Frühmesse. Man hört die Stimme eines singenden Hirten mit seiner Herde.) (Orchester) STIMME DES HIRTEN Ach, ihr meine Seufzer, ihr bleibt mir treu in all meiner Sehnsucht. Kein Sturm kann euch vertreiben. Daß sie, der mein Sehnen gilt, mich so verachtet, ist mein Tod. (Orchester) (Ein Gefängniswärter steigt mit einer Laterne die Treppe herauf, geht in die Kasematte, entzündet zuerst die Kerzen an der Wand vor dem Kruzifix, dann die Lampe auf dem Tisch, setzt sich und wartet. Später steigt ein Soldatenpikett unter der Führung eines Sergeanten der Wache zur Begleitung von Cavaradossi auf die Plattform. Sie machen halt, der Sergeant führt Cavaradossi in die Kasematte, reicht dem Schließer ein Blatt; dieser prüft es, öffnet das Protokollbuch und fragt, während er schreibt:) (Orchester) SCHLIESSER Mario Cavaradossi? (Cavaradossi nickt. Der Schließer reicht dem Sergeanten die Feder.) Für Sie! (zu Cavaradossi) Euch bleibt eine Stunde. Ein Priester hält sich für Euch bereit. CAVARADOSSI Nein, doch eine letzte Gunst erbitte ich von Euch. SCHLIESSER Wenn ich kann ... CAVARADOSSI Ich lasse einen teuren Menschen zurück. Gestattet, daß ich ihr ein einziges Wort schreibe. (Er zieht einen Ring vom Finger.) Übrig von meinem Reichtum bleibt mir einzig dieser Ring. Wenn Ihr versprecht die letzten Grüße zu bestellen, gehört er Euch. SCHLIESSER (zaudert eine Weile, willigt dann ein und bedeutet Cavaradossi, sich an den Tisch zu setzen. Er selbst setzt sich auf die Bank.) Schreibt! CAVARADOSSI (beginnt zu schreiben, aber nach einigen Zeilen legt er, von Erinnerungen überwältigt, die Feder nieder) Die Sterne leuchteten, die Erde duftete, die Gartentüre knarrte, Schritte kündeten die Königin ... Sie war es, die hereintrat, sich mir in die Arme warf ... O süße Küsse, schmachtendes Liebkosen, während ich bebend enthüllte die in Schleiern verborgenen Reize ihrer Formen. Für immer ist der Liebesrausch dahin, verflogen ist die Stunde ... und ich sterbe in Verzweiflung! Und habe nie zuvor das Leben so geliebt! (Er bricht in Tränen aus. Über die Treppe kommt Spoletta mit dem Sergeanten, gefolgt von Tosca. Spoletta zeigt Tosca, wo sie Cavaradossi findet, dann ruft er den Schließer zu sich; mit ihm und dem Sergeanten steigt er wieder hinab, nicht ohne vorher der im Hintergrund stehenden Schildwache den Befehl gegeben zu haben, den Gefangenen zu überwachen. Tosca sieht Cavaradossi weinen, den Kopf in den Händen. Sie geht zu ihm, hebt seinen Kopf. Cavaradossi springt überrascht auf. Tosca zeigt ihm ein Papier und kann vor Erregung nicht sprechen.) (Orchester) CAVARADOSSI (liest) Ah! Freies Geleit für Tosca ... ... und für den Herrn, der sie begleitet. TOSCA (liest zusammen mit ihm mit schwankender Stimme) ... und für den Herrn, der sie begleitet. (mit einem Freudenruf zu Cavaradossi) Du bist frei! CAVARADOSSI (betrachtet das Blatt, sieht das Signum) Scarpia? Scarpia läßt mich frei? Das ist seine erste Gnade ... TOSCA Und die letzte! CAVARADOSSI Was sagst du? TOSCA Dein Blut wollte er oder meine Liebe. Vergebens flehte ich und weinte. Umsonst, verrückt vor Schrecken, flehte ich zur Madonna und den Heiligen. Das gottlose Scheusal sprach: „Zum Himmel streckt schon der Galgen die dürren Arme!" Man rührte schon die Trommeln ... Es lachte, das gottlose Ungeheuer, lachte, bereit, sich auf die Beute zu stürzen! „Bist du mein?" „Ja." Seiner lüsternen Begierde versprach ich mich. Dort nahe bei ihm leuchtete eine Klinge ... Er schrieb das Blatt, das uns befreit, dann wollte er mich umarmen ... Ich stieß ihm jene Klinge ins Herz. CAVARADOSSI Du, mit deiner Hand hast ihn ermordet? Du Fromme, du Gütige, und das für mich? TOSCA Mit Blut habe ich meine Hände besudelt! CAVARADOSSI (nimmt liebevoll Toscas Hände zwischen die seinen) Ihr zarten und reinen Hände, o ihr Hände geschaffen zu Mitleidswerken, zu liebendem Kosen, zu pflücken die Rosen. Zum Beten gefaltet, also seid ihr im Unglück und, der Liebe erstarkt, zu den Waffen der Gerechtigkeit geworden? Ihr gabet Tod, ihr siegreichen Hände, o süße Hände, zart und rein. TOSCA (macht ihre Hände los) Höre, die Stunde naht. Gold und Schmuck trage ich hier bei mir, ein Wagen wartet ... Doch zuerst ... lache, Geliebter ... wirst du erschossen zum Schein, mit ungeladenen Waffen. Vorgetäuschte Hinrichtung. Beim Schusse falle; die Soldaten gehen, und wir sind gerettet! Dann nach Civitavecchia, aufs Schiff und fort übers Meer! CAVARADOSSI Frei sind wir! TOSCA Frei sind wir! CAVARADOSSI Fort übers Meer! TOSCA Was schmerzt noch auf Erden? Spürst du den Duft der Rosen? Scheint es nicht auch dir, als harrten alle Dinge der Sonne? CAVARADOSSI (mit liebevoller Exaltation) Nur deinetwegen war der Tod bitter für mich, nur von dir erhält mein Leben seinen Glanz, um deine Liebe will ich ewig werben, dir Freude geben in flammender Glut. Den Himmel leuchten und sich färben sehe ich in deinen Augen, und die Schönheit aller Dinge der Welt gewinnt durch dich Stimme und Farben. TOSCA Die Liebe, die dir das Leben gerettet, sei uns Führer, zu Lande und auf dem nächtlichen Meer, und lieblich läßt er uns die Welt erstehen. Bis wir zu den himmlichen Sphären kommen, werden sich, wie auf dem hohen Meer beim Sonnenuntergang, die Wolken zerstreut haben. (Sie sind gerührt und schweigen. Dann erinnert Tosca sich und sieht beklommen herum.) Sie kommen noch nicht ... (Sie wendet sich mit liebender Sorge zu Cavaradossi.) Merke dir ... Beim Schuß mußt du sofort fallen ... CAVARADOSSI (beruhigt sie) Keine Sorge! Ich werde sofort fallen und sehr natürlich. TOSCA (beharrlich) Aber gib acht, daß du dir nicht weh tust! Ich vom Theater wüßte die Bewegung besser. CAVARADOSSI (zieht sie an sich) Sprich noch einmal, wie du vorhin sprachst, so süß ist deiner Stimme Klang! TOSCA (vom Glück überkommen) Endlich vereint ziehen wir in die Ferne, zeigen der Welt unsere Liebe in allen Farben der Palette ... TOSCA und CAVARADOSSI ...und allen Farben des Gesanges! (begeistert) Triumph! In neuer Hoffnung flammt unsere Seele, in den wachsenden Strahlen des Himmels, und in harmonischem Flug steigt die Seele zum Paradies der Liebe. TOSCA Die Augen schließe ich dir mit tausend Küssen, und ich sage dir tausend Namen der Liebe. (In der Zwischenzeit ist ein Kommando Soldaten von der Treppe hereingekommen. Der Offizier versammelt sie hinten. Spoletta, der Sergeant und der Schließer treten ein. Spoletta gibt die notwendigen Befehle. Der Himmel erhellt sich, die Morgendämmerung erscheint; eine Glocke läutet vier Uhr. Der Schließer geht zu Cavaradossi, entfernt seine Kappe und nickt zum Offizier hin.) SCHLIESSER Es ist die Stunde! CAVARADOSSI Ich bin bereit. (Der Schließer nimmt das Register des Verurteilten und geht zur Treppe hinaus.) TOSCA (mit unterdrücktem Lachen zu Cavaradossi) Vergiß nur nicht, beim ersten Schusse: fallen ... CAVARADOSSI (ebenfalls leise lachend) Fallen! TOSCA Stehe nicht auf, bevor ich dich rufe ... CAVARADOSSI Nein, Geliebte! TOSCA Und falle gut ... CAVARADOSSI Wie Tosca im Theater. TOSCA Lache nicht ... CAVARADOSSI So recht? TOSCA So recht. (Cavaradossi folgt dem Offizier, nachdem er Tosca gegrüßt hat; diese steht links in der Kasematte, um zu sehen was auf der Plattform geschieht. Sie sieht den Offizier und den Sergeanten, die Cavaradossi mit dem Gesicht zu ihr an die Mauer stellen; der Sergeant will Cavaradossi eine Augenbinde anlegen, dieser lehnt lächelnd ab. Die schaurigen Vorbereitungen lassen Tosca ungeduldig werden.) TOSCA Wie lange das Warten dauert! Warum zögern sie? Die Sonne geht auf. Warum zögern sie, es ist eine Komödie, ich weiß es, doch diese Angst währt ewig! (Der Offizier und der Sergeant stellen die Soldaten auf und erteilen ihnen die entsprechenden Befehle.) Jetzt heben sie die Waffen! Wie schön doch mein Mario ist! (Der Offizier läßt den Säbel sinken, die Soldaten drücken ab und Cavaradossi fällt.) Da! Stirb jetzt! Das ist ein Künstler! (Der Sergeant geht zu dem Gefallenen hin und betrachtet ihn aufmerksam. Spoletta geht ihm nach, ihn hindern, dem Sterbenden den Gnadenschuß zu geben, und bedeckt Cavaradossi mit einem Mantel. Der Offizier läßt die Soldaten abtreten, der Sergeant zieht den Posten im Hintergrund zurück. Dann steigen alle, unter Spolettas Führung, die Treppe hinab. Tosca ist höchst erregt, sie hat diese Manöver beobachtet, besorgt, Cavaradossi könne sich aus Ungeduld zu früh bewegen oder sprechen. Mit unterdrückter Stimme sagt sie in Richtung auf Cavaradossi:) O Mario, bewege dich nicht ... Sie gehen. Schweig! Sie steigen hinab! (Als sie die Plattform verlassen sieht, geht sie lauschend an die Treppe. Dort bleibt sie ängstlich stehen, da es ihr scheint, als kehrten die Soldaten um. Wieder wendet sie sich leise an Cavaradossi.) Bewege dich noch nicht ... (Sie horcht, alle haben sich entfernt. Nun läuft sie rasch zu Cavaradossi.) Auf, Mario! Gehn wir! Mario! Auf! Schnell! (Sie kniet nieder, nimmt schnell den Mantel fort und springt entsetzt auf.) Mario! Mario! Tot! Tot! (schluchzend wirft sie sich auf Cavaradossis Körper) O Mario, tot? Du? Wie? So endet es! So! usw. (Vom Hof unter der Brustwehr und von der engen Treppe kommen die erregten Stimmen Spolettas, Sciarrones und der Soldaten. Sie kommen näher.) STIMMENGEWIRR Scarpia! Erstochen! SCIARONE Ja, erstochen! STIMMENGEWIRR Die Frau ist Tosca! Daß sie nicht flieht! Bewacht jeden Zugang zu der Treppe! (Spoletta und Sciarrone kommen die Treppe heraufgestürzt.) SCIARRONE Da ist sie! SPOLETTA (läuft auf Tosca zu) Ah, Tosca, sehr teuer wirst du sein Leben bezahlen! (Tosca springt auf und stößt Spoletta heftig zurück.) TOSCA Mit dem meinen! (Bei dem unerwarteten Stoß taumelt Spoletta zurück. Tosca weicht ihm geschickt aus, läuft zur Brüstung und stürzt sich in die Tiefe, mit dem Ruf:) O Scarpia, auf denn zu Gott! (Sciarrone und einige Soldaten rennen verwirrt zur Brustwehr und sehen nach unten. Spoletta steht blaß und erschüttert da.) Ende der Oper |
libretto by Gudrun Meier |