Turandot, Chinesische Prinzessin (Sopran) Altoum, Kaiser von China (Tenor) Timur, entthronter Tatarenkönig (Bass) Kalaf, sein Sohn, Prinz (Tenor) Liù, Sklavin (Sopran) Ping, Kanzler (Bariton) Pang, Marschall (Tenor) Pong, Küchenmeister (Tenor) Ein Mandarin (Bariton) Prinz von Persien (Tenor) Henker (stumme Rolle) Wachen, Gehilfen des Henkers, Knaben, Priester, Mandarine, die acht Weisen, Kammerfrauen, Diener, Soldaten, die Menge etc. (Chor) Die Mauern der Kaiserstadt (Die massigen Zinnen umschließen fast die ganze Szene. Rechts wird der Kreis durchbrochen von einem Laubengang voller Skulpturen und Schnitzereien, die Ungeheuer, Einhörner, Phönixe darstellen, während die Laubenpfeiler auf dem Rücken gewaltiger Schildkröten ruhen. Zu Füßen des Laubenganges ein gewaltiger bronzener Gong. Auf den Zinnen sieht man Pfähle, auf die die Köpfe der Hingerichteten gespießt sind. Links und im Hintergrund drei riesige Tore in der Mauer. Wenn sich der Vorhang hebt, geht die Sonne gerade unter. Das sich in der Ferne verlierende Peking glänzt wie in Gold gehüllt. Der Platz ist voll von malerischem chinesischem Volk, das bewegungslos den Worten eines Mandarins lauscht. Dieser verliest, auf einer hohen Brustwehr stehend und von roten und schwarzen tatarischen Wachen umgeben, einen Erlaß.) MANDARIN Höre, o Volk von Peking! Die Satzung lautet: Turandot, die Reine, eh’licht den Mann von königlichem Blut, der die drei Rätsel löst, die sie ihm aufgibt. Doch wer die Probe sucht und nicht besteht, soll fallen von der Hand des Henkers! DIE MENGE Oh! Oh! MANDARIN Der Prinz von Persien konnte die Rätsel nicht lösen: bei Mondesaufgang wird er durch die Hand des Henkers sterben! DIE MENGE Recht so! Er sterbe! Wir wollen nach dem Henker rufen! Schnell, schnell! Er sterbe, er sterbe! Auf zur Hinrichtung! Wenn du nicht kommst, so wecken wir dich auf! Pu-Tin-Pao! Pu-Tin-Pao! Zum Palaste, zum Palaste! DIE WACHEN (stoßen die Menge zurück. Viele Menschen fallen im Gedränge.) Zurück, ihr Hunde! DIE MENGE Oh, grausam! Haltet ein! DIE WACHEN Zurück ihr Hunde! DIE MENGE O Mutter! Ach, meine Kinder! Ihr Grausamen, haltet ein! Seid menschlich! Tötet uns nicht! LIÙ Ach, mein Herr liegt am Boden! Wer hilft mir, ihn aufzurichten? Mein Herr liegt am Boden! Gnade, Gnade! DER UNBEKANNTE PRINZ (kommt hinzu und erkennt seinen Vater) Vater! Mein Vater! O, Vater, hab’ ich dich wieder! Sieh mich an! Es ist kein Traum! DIE WACHEN Zurück! LIÙ Mein Gebieter! DIE MENGE Warum, o Gott, schlagt ihr uns? DER UNBEKANNTE PRINZ Vater, so höre mich! Vater! Ich bin es! Sei mir gesegnet, Schmerz, um dieser Freude willen, die ein gnädiger Gott uns gab! TIMUR O mein Sohn! Du lebst! DER UNBEKANNTE PRINZ Still, still! Der die Krone dir geraubt, der sucht mich und verfolgt dich! Es gibt keine Zuflucht für uns, Vater, auf der Welt! TIMUR Also fand ich den Sohn, den ich tot gewähnt! DER UNBEKANNTE PRINZ Ich habe dich beweint, Vater, und küsse deine heil’gen Hände! TIMUR Mein Sohn, ich hab’ dich wieder! DIE MENGE Seht die Knechte des Henkers! Er sterbe, er sterbe! TIMUR Die Schlacht verloren, bin ich ein alter König ohne Reich; nur eine Stimme hörte ich mir sagen: „Komm mit mir, ich will dich führen...“ Das war Liù! DER UNBEKANNTE PRINZ Sie sei gesegnet! TIMUR Und als ich brach zusammen, da trocknete mir die Tränen sie und bettelte für mich! DER UNBEKANNTE PRINZ Liù, wer bist du? LIÙ Ich bin niemand... Eine Sklavin, mein Gebieter... DIE MENGE (hinter der Szene) Schleift das Messer! Schleift das Messer! DER UNBEKANNTE PRINZ Und warum hast du solche Not geteilt? LIÙ Weil ihr mir... einst im Schlosse zugelächelt. (Die Henkersknechte treten auf mit den Trägern des großen Steins, an dem das Richtschwert geschliffen wird.) DIE MENGE Schleift das Messer! Schleift! DIE HENKERSKNECHTE Ölt und schleift, daß die Schneide Blut und Funken sprühe! Herrlich ist für uns die Arbeit, wo Prinzessin Turandot regiert! DIE MENGE Wo Prinzessin Turandot regiert! Ihr Freier, kommt nur weiter! DIE HENKERSKNECHTE Mit spitzen Haken und scharfen Messern sind wir jederzeit bereit, euch zu töten! DIE MENGE Wer den Gong ertönen läßt, dem erscheint sie sofort! Weiß wie Jade, kalt wie Stahl: das ist die schöne Turandot! DIE HENKERSKNECHTE Wenn der Gong ertönt, fühlt der Henker Freude! DIE MENGE Vergebens ist die Liebe, lächelt ihr kein Glück! MENGE und KNECHTE Die Rätsel sind drei, der Tod ist einer! Wenn der Gong ertönt, usw. (Als die Knechte dem Henker das geschliffene Schwert reichen, schaut die Menge zum Himmel, der sich langsam verfinstert.) DIE MENGE Warum geht der Mond nicht auf, der bleiche Geselle? Zeige dich am Himmel! Eil dich, geh auf! Du Kopf ohne Glieder! Komm, du trister Geselle! Du Gott des Schweigens! Bleicher Buhle der Toten! Schon erwartet der Friedhof dein Totenlicht! Seht den fernen Schimmer, Eil dich, geh auf! usw. Seht den fernen Schimmer, seht ihn sich mehren in fahlem Licht! Pu-Tin-Pao! Der Mond geht auf! KNABEN Fern auf den östlichen Bergen klaget der Kranich sein Weh: Weiche dem Lenz, Winterfrost, Sonne, schmilz den weißen Schnee! Von der Wüste weit bis hin ans Meer seufzen tausend Herzen schwer: „O Prinzessin, still mein Weh! Dann blüht der Lenz, dann schmilzt der Schnee und alles blüht von neuem! Ah!...“ (Eine Gruppe von Männern führt den jungen persischen Prinzen aufs Schafott. Beim Anblick des verträumten Opfers verwandelt sich der Grimm des Volkes in Mitleid.) DIE MENGE O schöner Knabe! Gnade, Gnade! Wie fest ist sein Schritt! Wie süß ist sein Antlitz! Seine Augen sind trunken von Wonne und Freude! DER UNBEKANNTE PRINZ Gnade, Gnade! DIE MENGE Gnade für ihn! Gnade! Prinzessin, Gnade, Gnade! DER UNBEKANNTE PRINZ Sehen will ich diese Frau und verfluchen die Unbarmherzige! DIE MENGE Prinzessin, Gnade für ihn, Gnade! usw. (Die Menge starrt auf die Kaiserlaube, in der Turandot erscheinen wird. Sie tritt auf, als wäre es eine Vision. Ein Mondstrahl fällt auf sie. Die Menge sinkt nieder. Nur der persische Prinz, der unbekannte Prinz und der Henker bleiben stehen. Turandot macht eine gebieterische und abweisende Geste: das Todesurteil. Der Zug setzt sich in Bewegung.) Prinzessin, Gnade für ihn, Gnade! usw. DER UNBEKANNTE PRINZ (gebannt von der Erscheinung Turandots) O göttliche Schönheit, o Wunder, o Traum! (Der Zug ist verschwunden.) WEISSE PRIESTER Großer Kuang-Tse! Möge des Opfers Seele zu dir schweben! (Auf dem halbdunklen Platz bleiben nur der Prinz, Timur und Liù zurück. Der von Angst erfüllte Vater tritt zum Sohne, ruft ihn an, schüttelt ihn.) TIMUR Mein Sohn, was tust du? DER UNBEKANNTE PRINZ Fühlst du nicht, wie ihr süßer Duft durchdringet Luft und Seele? TIMUR Du bist verloren! DER UNBEKANNTE PRINZ O göttliche Schönheit, o Wunder! Ich leide, Vater, leide! TIMUR Nein! Schmieg dich an mich! Liù, sprich zu ihm! Führ ihn fort von hier! Nimm ihn fest bei der Hand, so daß er dir folge! LIÙ Gebieter, laß uns von hier gehen! TIMUR Nur fern von hier ist Heil! DER UNBEKANNTE PRINZ Hier allein ist das Leben, Vater! TIMUR Nur fern von hier ist Heil! DER UNBEKANNTE PRINZ Ich leide, Vater, leide! TIMUR Das Heil ist nicht hier! DER UNBEKANNTE PRINZ Das Leben, Vater, ist hier! Turandot! Turandot! Turandot! DER PERSISCHE PRINZ (hinter der Szene) Turandot! DIE MENGE Ah! TIMUR Willst du so sterben? DER UNBEKANNTE PRINZ Siegen, Vater, um ihrer Schönheit willen! TIMUR Willst du so enden? DER UNBEKANNTE PRINZ Glorreich siegen um ihrer Schönheit willen! (Er stürzt auf den Gong zu. Aber plötzlich treten drei geheimnisvolle Masken zwischen ihn und den Gong: Ping, Pang und Pong, die drei Minister des Kaisers: Kanzler, Marschall und Küchenmeister. Der unbekannte Prinz weicht zurück.) DIE MINISTER Nimm dich in acht, Verwegener! Was willst du hier bei uns? Geh weiter, weiter, weiter! Das ist viel gescheiter! Mach, daß du fortkommst! Hier wird man dich nur schlagen, dich martern, dich foltern! Hier geht’s dir ans Leben! Geh weg, geh weg! Wir sehn dich schon gebunden und jämmerlich zerschunden! Am Ende bist du lebensmüde? So geh in dein Heimatland und hänge dich da auf! Nur nicht hier! Nur nicht hier! Nur nicht hier! Geh fort von hier! DER UNBEKANNTE PRINZ Gebt mir den Weg frei! PONG Unsere Friedhöfe haben keinen Platz mehr! PANG Fremde Narren brauchen wir nicht! PING An den eigenen haben wir genug! PONG und PANG Lauft fort, sonst wird dein Grabmal schon bereitet! DER UNBEKANNTE PRINZ Gebt mir den Weg frei! PONG und PANG Für eine Prinzessin, pah! PONG Was ist das schon? PANG Eine Frau mit einer Krone im Haar! PONG Mit einem Mantel aus Perlen! PING Doch wenn du sie entkleidest... PONG ... ist es Fleisch! PANG Ist es pures Fleisch! DIE MINISTER Den Stoff kann man nicht essen, ha, ha, ha! DER UNBEKANNTE PRINZ Gebt mir den Weg frei! PING Sei doch vernünftig! Nimm lieber hundert Frauen, denn schließlich hat die schönste Turandot der Welt nichts als ein Gesicht, zwei Arme und zwei Beine! Herrlich, kaiserlich, aber nur zwei Beine! Drum nimm dir hundert Frauen, so hast du was zu schauen, so kannst du hundertfach dich letzen, dich hundertfach ergötzen und voller Inbrunst nippen wohl an zweihundert Lippen! DIE MINISTER Für hundert Betten eins? Ha, ha! DER UNBEKANNTE PRINZ Gebt mir den Weg frei! DIE MINISTER Fort von hier, pack dich! (Eine Gruppe junger Mädchen zeigt sich an der Brüstung der Schloßgalerie; sie strecken die Hände beschwichtigend vor.) DIE KAMMERMÄDCHEN TURANDOTS Was soll der Lärm? Wer spricht da unten? O schweiget, schweiget! Die süße Schlafzeit ist gekommen. Sie schläft, und ihr Duft schwebt durch die Nacht! DIE MINISTER Macht euch fort, Schwatzbasen! (Die Mädchen ziehen sich zurück.) Gebt acht auf den Gong! DER UNBEKANNTE PRINZ Und ihr Duft schwebt durch die Nacht! DIE MINISTER Aufgemerkt, Pong! Aufgemerkt, Ping! Aufgemerkt, Pang! Er hört nicht mehr, ist trunken, in Wahn versunken! TIMUR Er hört nicht auf sie – o Gott! DIE MINISTER Auf! Ein letzter Versuch! Finstere Nacht... tiefer Schacht einer Zisterne... sind heller noch als die Rätsel Turandots! Eisen, Bronze, Mauer, Felsen... ... selbst dein harter Narrenschädel... sind viel weicher, als die Rätsel Turandots! So geh von uns! Nimm Abschied von hier! Zieh über Berge, schwimm durch Ströme! Geh weit fort von den Rätseln Turandots! (Der Prinz kann beinahe nicht mehr Widerstand leisten. Auf der Ringmauer erscheinen und verschwinden die Schatten der für Turandot Gestorbenen. Ihre Stimmen hört man geheimnisvoll, wie von ferne. Sie stoßen langgezogene Töne aus und halten die Hände wie Muscheln vor den Mund, so daß ein schauerliches Geräusch entsteht) DIE STIMMEN DER ERMORDETEN Säume nicht länger! Wenn du sie rufst, wird sie erscheinen, sie, von der wir noch nach dem Tode träumen! Du mußt sie beschwören! Ich liebe sie! Ich liebe sie! DER UNBEKANNTE PRINZ Nein, nein! Ich allein liebe sie! DIE MINISTER Du liebst sie? Was, wen? Turandot? Ha, ha, ha! PONG O dummer Geselle! PANG Turandot existiert nicht! PING Nur das Nichts existiert, in das du dich wirfst!... PONG und PANG Turandot existiert nicht! PING Turandot! Du bist wie jene Narren, die für sie ihr Leben gaben! Der Mensch, Gott, das Ich! Die Völker, Könige.. Pu-Tin-Pao... DIE MINISTER Nur das Tao existiert! DER UNBEKANNTE PRINZ Mir der Sieg! Mir die Liebe! (Er will sich auf den Gong stürzen, als auf der Ringmauer der Henker mit dem Kopf des persischen Prinzen in der Hand erscheint.) DIE MINISTER Narr! So sieht deine Liebe aus! So wird der Mond dich küssen! TIMUR Mein Sohn, so ließest du wirklich zu, daß dein Vater allein durch die Welt sein gebrechliches Greisentum schleife? Zu Hilfe! Vermag es denn niemand, den grausamen Sinn dir zu rühren? LIÙ (nähert sich weinend dem Prinzen.) Hör mich an, o Herr! Ach, ich bitt’ dich: höre! Liù erträgt das nicht! Nach soviel Sehnsucht und endlosem Wandern, im Herzen deinen Namen und auf den Lippen! Wenn sich dein Schicksal morgen wird entscheiden, bringt’s dir den Tod und bittres Leid uns beiden: Weil er den Sohn verliert... und ich... den Schatten eines Lächelns! Liù erträgt das nicht! Oh! Dies Leid! DER UNBEKANNTE PRINZ O weine nicht, Liù! Wenn einst vor langer Zeit ich dir hab’ zugelächelt: um dieses Lächelns willen hör mich an, o Mägdlein. Dein alter, treuer Herr wird vielleicht morgen auf der Welt allein sein. Verlaß ihn niemals, niemals, Liù! LIÙ Bittrer Tod, fern vom Heimatland! TIMUR Bittrer Tod! DER UNBEKANNTE PRINZ Ja, leidensvoll sind der Verbannung Wege. Drum hilf ihm, hilf, liebreiche Liù! Hilf ihm, dies Leid zu ertragen: tu’s dem zuliebe, der nie mehr lächeln wird! TIMUR Ah! Zum letzten Mal! LIÙ Besiege den blöden Zauber! DIE MINISTER Das Leben ist so schön! TIMUR Erbarm dich mein! LIÙ Hab Mitleid mit Liù! Herr, Erbarmen! DIE MINISTER Zerstöre dich nicht selbst! Ergreift ihn, schleppt ihn fort! Ergreift den Rasenden! Du bist außer Sinnen! Das Leben ist schön! TIMUR Erbarm dich mein! Ich kann dich nicht lassen! Ich will dich nicht lassen! Erbarmen! Ich werfe mich zu deinen Füßen! Erbarmen! Laß mich nicht sterben! LIÙ Erbarmen, Herr! Erbarmen für Liù, Herr! DER UNBEKANNTE PRINZ Ich muß um Erbarmen bitten! Niemand kann ich mehr hören! Ich sehe ihr leuchtendes Antlitz! Ich sehe sie! Sie ruft mich! Sie ist es! Gib Verzeihung dem, der nicht mehr lächeln wird! PING Ein letzter Versuch: Laßt uns ihn forttragen! DIE MINISTER Laßt uns ihn forttragen! DER UNBEKANNTE PRINZ Laßt mich! Ich habe zuviel gelitten! Der Ruhm wartet hier auf mich! Menschliche Gewalt kann mich nicht fortreißen von hier! Ich folge meinem Schicksal! Ich fühle in mir ein Fieber, ein Delirium! Meine Sinne quälen mich wild! Meine ganze Seele ist nur ein Schrei: Turandot! Turandot! Turandot! TIMUR Du trittst auf ein armes Herz, das in Liebe für dich verblutet! Noch niemand hat die Rätsel gelöst! Das Schwert hat alle gerichtet! Ich werfe mich zu deinen Füßen! Quäle mich nicht zu Tode! Der Tod! Der Tod! LIÙ Ah, erbarm dich unser! Haben wir nicht Leids genug? Herr, wir sind verloren! Mit dir! Laßt uns fliehen, Herr! Der Tod! Der Tod! Der Tod! DIE MINISTER Das Gesicht, das du siehst, ist Illusion! Das Licht, das glänzt, ist der Tod! Du läufst in dein Verderben! Du spielst um deinen Kopf: Tod! Sieh den Schatten des Henkers! Du läufst in dein Verderben! Das Leben ist kein Rätselspiel! Der Tod! Der Tod! Der Tod! CHOR Wir graben schon dein Grab, der du nach Liebe suchst! Im Schattenreich, o Gott, ist dein Schicksal schon besiegelt! (Turandot anrufend, stürzt sich der unbekannte Prinz zum Gong, schwingt den Hammer und schlägt ihn dreimal gegen die Scheibe.) DIE MINISTER So müssen wir ihn lassen! In keiner Sprache ist mit ihm zu reden, sei es Sanskrit, chinesisch oder mongolisch! Wenn der Gong ertönt, jubelt der Tod! Ah, ah, ah! (Sie gehen höhnisch ab.) Erste Szene Ein großer Zeltpavillon (Die Zeltwand seltsam verziert mit symbolischen und phantastischen, chinesischen Figuren. Die Szene ist ganz im Vordergrund und hat drei Ausgänge: einen mittleren und zwei seitliche. Ping lugt herein durch die mittlere Öffnung. Er dreht sich zuerst nach rechts, dann nach links und ruft seine Gefährten. Diese treten auf; es folgen ihnen drei Diener mit einer roten, einer grünen und einer gelben Laterne, welche sie symmetrisch in die Mitte der Szene stellen, wohin sie gleichfalls einen niedrigen Tisch und drei Schemel bringen. Die Diener ziehen sich sodann in den Hintergrund zurück, wo sie in hockender Stellung verharren.) PING Holla, Pang! Holla, Pong! Wenn der tödliche Gong erklungen wohl über Schloß und Stadt, harren wir auf das Ergebnis: Wenn der Sieg dem Fremden lacht, so gibt es eine Hochzeit; und wenn der Fremde fehlrät, ein Begräbnis. PONG Ich bereite die Hochzeit! PANG Und ich das Begräbnis! PONG Ich festliche rote Laternen! PANG Ich traurige weiße Laternen! PANG und PONG Und Weihrauch und Opfer... PONG Goldmünzen aus Pappe... PANG Tee, Zucker und Muskatnuß! PONG Die feine scharlachrote Sänfte! PANG Den Sarg aus schönem Holz! PONG Und Bonzen zum Festgesang... PANG Und Bonzen zum Leidgesang.. PONG und PANG Und alles, was dazu gehört, wie’s alte Sitte fordert... die jedem eingefleischt! PING O China, o China! In deinen Grundfesten seh’ ich dich erbeben! Es ist vorbei, dein seit Jahrtausenden träges, sorgenfreies Leben! DIE MINISTER Alle Dinge nahmen ihren Lauf nach jahrtausendalter Regel. Da ward Turandot geboren... PING Und seit Jahren schon gibt man bei unseren Festen dasselbe Schauspiel: PONG ... dreimal schlagen sie den Gong... PANG ... dreimal raten sie... PING ... und dann den Kopf ab! PONG ... und dann den Kopf ab! PANG Im Jahre der Maus waren’s sechs. PONG Im Jahre des Hundes waren’s acht. DIE MINISTER Und in diesem Jahr, dem furchtbaren Jahr des Tigers, sind es schon dreizehn, die wir ins Jenseits gehen sahen! Welche Last! Welcher Ekel! Wohin sind wir gekommen? Wir sind Minister eines Henkers! PING Fern in Honan guckt mein Haus hinterm Zaun aus Bambusrohr aus dem blauen Teich heraus. Doch ich Tor bin lang’ schon hier und studier’, und studier’ die heil’gen Schriften... Könnt’ ich doch zurück sogleich, wo am stillen, blauen Teich friedsam liegt mein Bambusreich! PONG So geh zurück! Ich hab’ Wälder nah’ bei Tsiang, schön’re Wälder gibt es nicht, doch ihr Schatten gilt nicht mir. Ich hab’ Wälder, schön’re Wälder gibt es nicht! PANG So geh zurück! Bei Kiù hab’ ich einen Garten, den ließ ich, um hierher zukommen. Werd’ ich ihn jemals wiederseh’n? DIE MINISTER Jetzt sind wir hier, um sinnlos zu studieren die heil’gen Bücher. PONG Könnt’ ich doch zurück nach Tsiang... PING Könnt’ ich doch sogleich zurück... PANG Könnt’ ich doch zurück nach Kiù... PING ... in mein Bambusblütenreich! PONG Tsiang... PANG Kiù... PING Honan... in mein Bambusblütenreich! PONG Könnt’ ich doch zurück nach Tsiang! PANG Könnt’ ich doch zurück nach Kiù! DIE MINISTER Die Welt ist voll von liebestollen Narren! Wir sah’n die Freier kommen! O, die Scharen, die Scharen! Wir sah’n die Freier kommen! Die Welt ist voll von liebestollen Narren! PING Erinnert ihr euch noch des Königssohns aus Samarkand? Der wollte Rätsel raten, doch Turandot schickt’ ihm den Henker! CHOR Ölt und schleift, daß die Schneide Blut und Funken sprühe! PONG Und aus Indien der schöne Sagarika mit den Bimbamglöckchen hinterm Ohr? Liebe suchte er und fand den Henker! PANG Und der aus Birma? PONG Und der Prinz der Kirgisen? DIE MINISTER Kopf ab! Kopf ab! PING Und der Tartar mit dem sechs Ellen langen Bogen! Gehüllt war er in weichen Pelz. CHOR Ölt und schleift, usw. PONG und PANG Hingerichtet! PING Geköpft... CHOR Wo Turandot regiert, gibt es immer Arbeit! DIE MINISTER Töten... und hinrichten... Schlachten.. Liebe, ade! Sippe, ade! Göttliche Rasse, ade! Mit China ist es aus! Aber sollte die Nacht der Kapitulation kommen... PONG Das Federbett will ich ihr aufschütteln! PANG Den Alkoven will ich mit Düften umhüllen! PING Das Brautpaar will ich mit der Laterne führen! DIE MINISTER Dann singen wir frei von Sorgen im Garten alle drei bis zum frühen Morgen... wie jetzt.. .wie jetzt: Nicht länger gibt’s für uns in China Glück, da eine Frau der Liebe sich entzieht! Das kann nur eine, die aus Eis war und jetzt in Liebe glüht! Prinzessin, dein Reich erstreckt vom Tse-Kiang sich bis hin zum Jang-Tse! PING Doch hinter den Vorhängen deiner Kammer, da herrscht ein Gatte über dich! DIE MINISTER Du fühlst schon die Glut deiner Küsse, du bist schon Frau, Sehnsucht erfüllt sich! Im Garten, da wehen Lüfte, da erklingen Glocken aus Gold... Die Blumen flüstern Liebesworte und erglänzen im Tau! Gloria dem entblößten Leib, der das Mysterium erfahren hat! Gloria der Wollust und der Liebe, die gesiegt und unserem China den Frieden wiedergegeben hat! PING Derweil wir träumen, wimmelt’s im Palaste von Laternen, Sklaven und Soldaten! Man hört die große Trommel des grünen Tempels schon! Man hört unzählige Schritte des Volkes von Peking! PONG Man hört die Trompeten! Das ist unser Frieden! PANG Die Festlichkeit hat begonnen! DIE MINISTER Es bleibt uns nichts übrig, als wieder dabei zu sein! Zweite Szene Ein riesiger Platz innerhalb des Palastes (In der Mitte eine große Marmortreppe, die sich nach oben zwischen den perforierten Bögen der Laubengänge verliert. Die Treppe führt über drei große Absätze. Zahlreiche Diener bringen überall rote Laternen an. Die Menge dringt nach und nach auf den Platz. Die Mandarine, in blaugoldenen Festgewändern, treten auf. Die acht Weisen, sehr große und stattliche Männer, schreiten vorüber. Sie sind sehr alt, von fast gleichmäßiger riesenhafter und massiver Gestalt. Sie bewegen sich langsam und gleichzeitig. Jeder hält drei versiegelte Seidenrollen in der Hand. Diese Rollen enthalten die Lösung zu Turandots Rätseln.) DIE MENGE Seht! In abgemess’nen Schritten mit den Lösungen der Rätsel kommt der Weisen Schar. Da sind auch Ping, Pong und Pang. (Aus den Weihrauchwolken erscheinen die weißen und gelben Standarten des Kaisers. Oberhalb der Treppe wird, aufeinem großen Elfenbeinturm sitzend, der Kaiser Altoum sichtbar Er ist ganz weiß, uralt, verehrungswürdig. Er gleicht einem Gott.) Zehntausend Jahre und ewiger Ruhm unserem Kaiser! (Die Menge sinkt nieder, mit dem Gesicht zu Boden, in der Haltung großer Ehrfurcht. Der Platz ist in rotes Licht gehüllt. Der unbekannte Prinz steht am Fuße der Treppe, Timur und Liù links in der Menge.) DER KAISER Ein schlimmer Eid, den ich einst geschworen, zwingt mich aufs neue zu dem Schreckensamte. Und dieses heil’ge Szepter trieft doch schon von Blut! Ich will kein Blut mehr sehen! Jüngling, hinweg! DER UNBEKANNTE PRINZ Sohn des Himmels! Laß mich bestehen diese Probe! DER KAISER Laß mich sterben, ohne daß auch dein junges Leben noch die Seele mir belaste! DER UNBEKANNTE PRINZ Sohn des Himmels, laß mich bestehen diese Probe! DER KAISER Bestehe nicht darauf, daß nicht die Welt noch einmal erbebe vor Grauen! DER UNBEKANNTE PRINZ Sohn des Himmels, laß mich bestehen diese Probe! DER KAISER Wohlan, du todestrunkener Fremdling! Es sei! So möge dein Schicksal sich vollenden! DIE MENGE Zehntausend Jahre unserem Kaiser! DER MANDARIN Volk von Peking, höre! Die Satzung lautet: Turandot die Reine eh’licht den Mann von königlichem Blute, der die drei Rätsel löst, die sie ihm aufgibt. Doch wer die Probe sucht und nicht besteht, soll fallen durch die Hand des Henkers! KNABEN Von der Wüste bis ans Meer hört man nicht tausend Stimmen seufzen: „Prinzessin, komm zu mir! Und alles wird im Glanz erstrahlen!“ (Der Mandarin zieht sich zurück. Turandot kommt nach vorn, bis zum Thron. Schön und kalt, schaut sie den Prinzen mit eisigen Augen an.) TURANDOT In diesem Schloß, vor vielen tausend Jahren, ertönte einst verzweiflungsvoll ein Schrei. Der Schrei, er drang durch lange Ahnenreihen bis her zu mir und füllt nun meine Seele. O Prinzessin Lo-u-ling, meine große, tapf’re Ahnfrau, die du schweigsam wohl und still, doch in reiner Freude herrschtest, immer unbeugsamen Stolz roher Gewalt entgegensetztest, du auferstehst in mir! DIE MENGE Das war, als der Tatarenkönig zog mit sieben Fahnen gegen uns! TURANDOT Doch in der Zeit, wie jeder von euch lernte, war viele Furcht und großer Lärm der Waffen! Das Reich besiegt! Vom Feind bezwungen! Und Lo-u-ling, die Ahne mein, entführet von einem Mann wie du, von einem Fremden! Bis in der grauenvollsten aller Nächte Lo-u-lings Stimme frischer Klang verstummte! DIE MENGE Seit tausend Jahren schläft sie in ihrem Riesengrabe! TURANDOT Ihr Prinzen, die ihr mit langen Karawanen herkommt aus aller Herren Länder und euer Glück hier sucht: Ich sühne jenen Tod, ich sühne jene Untat an euch mit eurem Tode! Keiner wird mein Gemahl! Denn die Missetat des Fremdlings flößte zuviel Grau’n mir ein! Nein, niemand soll mich haben! In mir lebt wieder auf der Stolz der unberührten Frau! O Fremdling! Keiner soll mich je besitzen! Drei sind die Rätsel, einer ist der Tod! DER UNBEKANNTE PRINZ Nein, nein! Drei sind die Rätsel, eines ist das Leben! DIE MENGE So gib dem fremden Prinzen jetzt deine Rätsel auf, o Turandot! (Trompetenstöße. Stille. Turandot verkündet das erste Rätsel.) TURANDOT Wohlan, so höre! „Durch die tiefe Nacht schwebt ein farbig schillerndes Phantom, schwebet auf und nieder über der Menschen endlosem Gewühl! Fassen möcht’ es ein jeder, um durch die Welt mit ihm zu fliegen! Das Phantom ist am Morgen verschwunden, doch wird es aufs neue geboren! Wird jede Nacht geboren, um jeden Tag zu sterben!“ DER UNBEKANNTE PRINZ Ja! von neuem, von neuem, wird geboren und trägt mich zu dir hin, Turandot: die Hoffnung! DIE WEISEN (öffnen die erste Rolle.) Die Hoffnung! TURANDOT Ja! Die Hoffnung, die noch jeden trog! „Lodernd gleich einer Flamme, und doch selbst keine Flamme, manchmal rasend im Fieber, und ungestüm verlangend! In Ruhe sich verzehrend wie die Sehnsucht! Wenn du zugrunde gehest, wird es kalt! Wenn du den Sieg erträumst, glüht es auf! Eine Stimme hat es, der du bebend lauschest, und gleich der Son’ am Abend ist sein Glanz!“ DER KAISER Verlier dich nicht, o Fremdling! DIE MENGE Es geht um dein Leben! Sprich! Fremdling verlier dich nicht! Sprich! LIÙ Es geht um die Liebe! DER UNBEKANNTE PRINZ Ja, Prinzessin! Es schmachtet voller Glut nach dir, in meinen Adern: das Blut! DIE WEISEN (öffnen die zweite Rolle.) Das Blut! DIE MENGE Nun löse auch das dritte Rätsel! TURANDOT (zu den Wachen, auf die Menge weisend) Schlagt mit Geißeln die Frechen! (Sie steigt die Treppe hinab und beugt sich über den Prinzen, der auf die Knie fällt.) „Eis, das sich entzündet und durch dein Feuer noch mehr erstarret! Klar ist’s und doch dunkel! Wenn’s frei dich will, so mehrt es deine Knechtschaft! Wenn es zum Knecht dich nimmt, so wirst du König!“ Armer Fremdling! Die Angst macht dich erbleichen! Diesmal fühlst du dich verloren! Rede, Fremdling! Sag an, an welchem Eise man verbrennt? DER UNBEKANNTE PRINZ (springt auf und ruft) Du Eis, das mir verfallen nach meinem dritten Sieg, an meinem Feuer taust du auf: Turandot! DIE WEISEN (öffnen die dritte Rolle.) Turandot! DIE MENGE Turandot! Gloria dem Sieger! Dein harrt das Leben! Dein harrt die Liebe! Zehntausend Jahre unserem Kaiser! Licht, du König der Welt! TURANDOT O Sohn des Himmels! Hoher Vater! Nein! Wirf deine reine Tochter nicht dem Fremdling in die Arme! DER KAISER Der Eid ist heilig! TURANDOT Doch nicht so heilig wie dein eignes Kind! Du kannst mich nicht geben wie eine Sklavin! Nein! Ich sterbe vor Scham! (zum Prinzen) Was schaust du mich so an? Verlachst gar meinen Stolz! Ich werde nie die Deine! Niemals! DER KAISER Der Eid ist heilig! DIE MENGE Der Eid ist heilig! TURANDOT Nein, sieh mich nicht so an, ich werde nie die Deine. DIE MENGE Du bist besiegt, Prinzessin! Er wagte für dich sein Leben! TURANDOT Nie wird er mich besitzen! DIE MENGE Du bist der Preis seiner Kühnheit! Er wagte für dich sein Leben! Der Eid ist heilig! TURANDOT Willst du mich, Fremdling, mit Gewalt in deine Arme zwingen? DER UNBEKANNTE PRINZ Nein, nein, Prinzessin! Ich will dich in Liebe erglühend! DIE MENGE Kühner Fremdling! O Held! DER UNBEKANNTE PRINZ Drei Rätsel gabest du mir auf! Und drei hab’ ich geraten! Jetzt geb ich dir ein einzig Rätsel auf: Meinen Namen weißt du nicht! Nenn meinen Namen, eh’ der Tag beginnt! Dann will ich morgen sterben! (Turandot beugt zustimmend das Haupt.) DER KAISER Der Himmel füge, daß du beim ersten Sonnenstrahl mein Sohn wirst! DIE MENGE Wir sinken vor dir nieder, Licht, König der ganzen Welt! Für deine Weisheit, für deine Güte geben wir uns dir, glücklich in unserer Erniedrigung! Unsere Liebe steige zu dir empor! Zehntausend Jahre unserem Kaiser! Laß zu dir, dem Erben des Hien-Wang, uns rufen: Zehntausend Jahre unserem großen Kaiser! Alle Fahnen wehen Gloria für dich! Gloria für dich! Erste Szene Der Schloßgarten (Rechts ein Pavillon, zu dem man auf fünf Stufen emporsteigt, dahinter eine reich bestickte Zeltwand. Der Pavillon dient als Eingang zu einem der Palastflügel, wo sich die Gemächer Turandots befinden. Es ist Nacht. Aus der Ferne erklingen die Stimmen der Herolde, die in der Stadt den königlichen Befehl verkünden. Auf den Stufen des Pavillons ruht der Prinz. In der Stille der Nacht horcht er den Heroldsrufen, als lebte er nicht mehr in der wirklichen Welt) HEROLDE Hört wohl, was Turandot befiehlt: „Diese Nacht soll niemand schlafen in Peking!“ FERNE STIMMEN Keiner schlafe! Keiner schlafe! HEROLDE „Bei Todesstrafe sei der Name des Fremdlings offenbart, ehe noch der Tag graut!“ FERNE STIMMEN Bei Todesstrafe! HEROLDE „Diese Nacht soll niemand schlafen in Peking!“ FERNE STIMMEN Keiner schlafe! Keiner schlafe! DER UNBEKANNTE PRINZ Keiner schlafe! Keiner schlafe... Auch du, Prinzessin, in deinen kalten Räumen, blickst schlaflos nach den Sternen, die flimmernd von Lieb’ und Hoffnung träumen! Doch mein Geheimnis wahrt mein Mund, den Namen tu’ ich keinem kund! Nein, nur auf deinen Lippen sag’ ich ihn, sobald die Sonne aufgeht! Der Kuß allein soll dieses Schweigen lösen, durch den du mein wirst! FRAUENSTIMMEN Wenn niemand seinen Namen weiß, dann müssen wir den Tod erleiden! DER UNBEKANNTE PRINZ Die Nacht entweiche! Der letzte Stern erbleiche! Damit der Tag ersteh’ und, mit dem Tag, mein Sieg! (Zwischen Gebüschen schleichen die drei Minister heran an der Spitze von bunten Gestalten, die immer zahlreicher werden.) PING Statt deinen Blick nach den Sternen zu lenken, solltest du auf uns deine Augen senken! PONG In deiner Hand liegt unser Leben! PANG Ja, unser Leben! PING Kennst du den Aufruf? Durch ganz Peking rennt der Tod und klopft an jede Tür: Der Name! DIE MINISTER Der Name! Unser Blut! DER UNBEKANNTE PRINZ Was verlangt ihr von mir? DIE MINISTER Sag, was du willst! Suchest du wirklich die Liebe? Wohlan: so bediene dich! (stößt dem Prinzen eine Gruppe sehr hübscher, halbnackter Mädchen vor die Füße) Sieh nur diese schlanken Mädchen! PONG und PANG Oh, schöne Weiber... PING O berauschende Formen der jungen Leiber! FRAUEN Ah, ah! DER UNBEKANNTE PRINZ Nein, nein! PONG und PANG Suchst du Reichtum? Er werde dir zuteil! (auf einen Wink werden Körbe mit Gold und Kleinodien gebracht) PING Durch tiefstes Dunkel leuchten diese Steine... PONG Blaue Feuer! PING Glänzende Edelsteine! PANG Grünes Flimmern! PONG Bleiche Hyazinthen! PANG Rote, flammende Rubine! PING Tränen sind’s aus Sternen! PONG und PANG Blaue Feuer! Rote Flammen! PING Nimm: alles sei dein! DER UNBEKANNTE PRINZ Nein! Reichtümer will ich nicht! DIE MINISTER Willst du den Ruhm? Wir verhelfen dir zur Flucht... PONG und PANG ... und du wirst den Sternen nachziehen, ferne Märchenreiche zu erobern! ALLE Flieh, flieh von hier! Daß du uns verläßt, ist allein unsere Rettung! DER UNBEKANNTE PRINZ Tag, brich an! Daß der Alpdruck von mir weiche! PING Du weißt noch nicht, wozu die Grausame fähig ist! Du weißt es nicht! DIE MINISTER Du weißt nicht, welche Qualen China erfinden wird, wenn du bleibst und uns deinen Namen nicht nennst! ALLE Die Schlaflose kennt kein Verzeihen! Wir sind alle verloren! Es wird ein furchtbares Gemetzel geben! Scharfe Eisen! Quälendes Rädern! Glühende Zangen! Langer, qualvoller Tod! Verdirb uns nicht! DER UNBEKANNTE PRINZ Vergeblich alles Bitten! Vergeblich alles Drohen! Mag die Welt untergehen: ich will Turandot! DIE MENGE Sie wird nie dein! Nein! Weil du noch vor uns stirbst! Verfluchter! Sag uns deinen Namen! (Eine Gruppe von Häschern schleppt den alten Timur und Liù herbei. Beide bluten.) HÄSCHER Hier ist der Name! Wir haben ihn! DER UNBEKANNTE PRINZ Die beiden kennen meinen Namen nicht! PING Der Alte und das Mädchen, die gestern mit ihm sprachen! DER UNBEKANNTE PRINZ Laßt sie los! PING Sie kennen das Geheimnis! Wo habt ihr sie gefangen? HÄSCHER An der Stadtmauer sahen wir sie gehen! MINISTER und MENGE Prinzessin! Prinzessin! (Turandot erscheint. Alles sinkt zu Boden. Nur Ping tritt äußerst untertänig vor und sagt:) PING Göttergleiche Prinzessin! Des Unbekannten Name steckt hinter diesen Lippen verschlossen. Doch gibt es Eisen, diese Zähne zu brechen und diesen Mündern den Namen zu entreißen! TURANDOT Wie bleich wirst du, Fremdling! DER UNBEKANNTE PRINZ Die eigne Angst nur läßt dir mein Antlitz bleich erscheinen! Den beiden bin ich unbekannt! TURANDOT Wir werden sehen! Du, Alter. sprich! Ich will, daß er spricht! Sein Name! LIÙ Den Namen, den ihr suchet, kenn’ ich allein! DIE MENGE Wir sind gerettet, atmen wieder auf! DER UNBEKANNTE PRINZ Was weißt du, Sklavin, denn! LIÙ Ich weiß den Namen... Welche Wonne, allein den Namen zu wissen und ihn nie zu verraten! DIE MENGE Spannt sie auf die Folter! Sie soll reden oder sterben! DER UNBEKANNTE PRINZ (stellt sich schützend vor Liù) Büßen sollt ihr diese Tränen! Ihre Leiden sollt ihr büßen! TURANDOT Bindet Ihn! LIÙ Gebieter, rede nicht! (Der Prinz wird von den Wachen gefesselt; Liù, von ihren Qualen ermattet, ist auf die Knie gesunken.) PING Sein Name! LIÙ Nein! PING Sein Name! LIÙ Vergib, Gebieter, der Sklavin: sie kann nicht mehr gehorchen! (Ein Häscher dreht ihr das Handgelenk um.) Ah! TIMUR Warum schreist du? DER UNBEKANNTE PRINZ Laßt sie! LIÙ Nein...nein...Ich schrei’ nicht mehr! Niemand tut mir weh! Niemand rührt mich an. (zu den Häschern) Fester... Aber schließt mir den Mund, sodaß er mich nicht hört! Ich halte es nicht länger aus! DIE MENGE Sag seinen Namen! TURANDOT Laßt sie frei! Sprich! (Liù wird entfesselt.) LIÙ Dann lieber den Tod! TURANDOT Wer hat deinem Herzen solchen Heldenmut gegeben? LIÙ Die Liebe, Prinzessin! TURANDOT Die Liebe? LIÙ Diese heimliche Liebe, die ich nie eingestand; sie ist so gewaltig, daß die Folter mir süß, wie ein Geschenk an meinen Herrn, erscheint... Denn durch mein Schweigen schenk’ ich ihm deine Liebe... Dich, Prinzessin, schenk ich ihm, und selbst verlier’ ich alles bis auf den letzten Hoffnungsschimmer... So fesselt mich und foltert mich! Zeigt nur kein Mitgefühl! Quält mich! Alle Qualen sind meine Liebesgabe! TURANDOT Entreißt ihr das Geheimnis! PING So ruft Pu-Tin-Pao! DER UNBEKANNTE PRINZ Nein, du Verfluchter! DIE MENGE Den Henker ruft! PING Er soll sie foltern! DIE MENGE Schnell auf die Folter! Rede! LIÙ Ich kann nicht länger widerstehen! Ich habe Angst vor mir! Laßt mich hindurch! DIE MENGE Rede! Rede’ LIÙ Nun denn, Prinzessin, höre! Du bist von Eis umgürtet, doch solcher Glut wirst du erliegen, und dann wirst lieben ihn auch du! Eh’ noch der Morgen dämmert, schließ müde ich die Augen, damit er nochmals siege... Und ich ihn nimmer wiederseh’! (Sie ergreift plötzlich den Dolch eines Soldaten und stößt ihn sich in die Brust. Sie erblickt den Prinz und sieht ihn voller Zärtlichkeit an. Dann sinkt sie tot vor seinen Füßen zusammen.) DIE MENGE Rede! Rede! Sag uns den Namen! DER UNBEKANNTE PRINZ Ah! Tot ist sie, meine arme, kleine Liù! (Turandot starrt auf die am Boden liegende Liù, dann reißt sie zornig einem Häscher eine Peitsche aus der Hand und schlägt damit dem Soldaten, der sich von Liù das Messer hatte nehmen lassen, ins Gesicht Der unbekannte Prinz wird aus seinen Fesseln befreit Dann erhebt sich der alte Timur wie ein Irrsinniger und geht wankend zu der Toten. Kniet ergriffen nieder und sagt:) TIMUR Liù...Liù...Erhebe dich! Die Stunde ist da, wo alles erwacht! Der Morgen ist da, Liù... Öffne deine Augen, Täubchen! (Eine Regung des Mitleids geht durch die Menge. Auf dem Antlitz Turandots bemerkt man den Ausdruck von Furcht. Ping geht roh zum alten Timur, um ihn fortzuführen. Aber als er nahe bei ihm ist, wird seine Grausamkeit besiegt und die Härte seines Tons gemildert.) PING Erhebe dich, Alter! Sie ist tot! TIMUR Ah! Fürchterliche Untat! Dafür büßen wir alle! Ihre gekränkte Seele wird sich rächen! (Da ergreift eine ungeheure Furcht die Menge: die Furcht, daß jene Tote nun ein Geist geworden sei und sich in einen Vampir verwandelt habe-gemäß chinesischem Aberglauben. Während Kammerfrauen das Antlitz Turandots mit einem Schleier bedecken, ruft die Menge flehend.) DIE MENGE Klagender Schatten, vergilt es nicht an uns! Klagender Schatten, gib uns Vergebung! (Andächtig wird der kleine Körper emporgehoben, während die Menge ergriffen zuschaut. Timur geht zu dem Leichnam und ergreift eine Hand der Toten, neben ihr gehend.) TIMUR Liù... so treu! Liù... so treu! Laß uns von neuem auf die Wand’rung gehen, ich fasse deine Hand, daß du mich führst! Wohin, das weiß ich wohl. Und folgsam wie bisher will den letzten Gang ich tun, um dann für immer neben dir zu ruh’n! PING Heute zum ersten Mal entlockt mir der Tod kein höhnisch Lachen! PONG Allzusehr spür’ ich heute das Herz, das in mir erwachte und mich quält. PANG Dieses tote Mädchen lastet wie ein Stein auf mir! (Während des Trauerzuges spricht die Menge:) DIE MENGE Liù... du Gute... vergib uns! Liù... du Süße... schlafe! Liù... Poesie... vergiß! (Alle haben den Platz verlassen. Nur der Prinz und Turandot bleiben zurück.) DER UNBEKANNTE PRINZ Prinzessin des Todes! Prinzessin von Eis! O steig herab auf die Erde aus deinem freudlosen Himmel! Hebe empor deinen Schleier... Gönn’ deinen grausamen Augen den Anblick des Bluts, das geflossen für dich! (Er stürzt vor und entreißt ihr den Schleier) TURANDOT Fremder Mann, was erkühnst du dich? Ich bin kein Menschenwesen... Ich bin die Tochter des Himmels! Nun hältst du wohl meinen Schleier, doch an meine Seele reichst du nicht! DER UNBEKANNTE PRINZ Deine Seele mag fern sein, doch dein Leib, der ist nah! Und mit brennenden Händen will ich fassen den goldenen Saum des Sternenmantels, der dich einhüllt. Meine bebenden Lippen will ich pressen auf dich. TURANDOT Entweih’ mich nicht! DER UNBEKANNTE PRINZ Ich will dich lebend fühlen! TURANDOT Hinweg! Entweih’ mich nicht! DER UNBEKANNTE PRINZ Deine Kälte ist Lüge! TURANDOT Nie beug’ ich mich dem Mann! DER UNBEKANNTE PRINZ Ich will, daß du mein wirst! TURANDOT Was die Ahnfrau erduldet, soll mir nicht gescheh’n! DER UNBEKANNTE PRINZ Ich will, daß du mein wirst! TURANDOT Rühr’ mich nicht an! Es ist Frevel! DER UNBEKANNTE PRINZ Dein Kuß gibt mir die Ewigkeit! TURANDOT Frevel! (Nach seinem letzten Wort, im Bewußtsein seines guten Rechtes und seiner Leidenschaft, reißt er Turandot in seine Arme und bedeckt sie mit glühenden Küssen. Solchem Ungestüm weicht Turandots Widerstand; sie hat keine Stimme, keine Kraft, keinen Willen mehr. Die Umarmung hat sie verwandelt. In flehendem, fast kindlichem Ton flüstert sie:) Was ist mir geschehen? Ich bin verloren! DER UNBEKANNTE PRINZ Du morgenfrische Blume! Ich atme deinen Duft! Ich fühle dich mit Wonne an meiner Brust erbeben! In Ohnmacht dich vor Lust versinken! Du lilienweiße, in deinem Silbergewande! STIMMEN VON INNEN Ah! Ah! TURANDOT Wie konntest du siegen? DER UNBEKANNTE PRINZ Du weinst? TURANDOT Es tagt! Es tagt! Und Turandot geht unter! STIMMEN VON INNEN Morgen! Licht und Leben! Alles ist rein! Alles ist heilig! Wie süß sind deine Tränen! DER UNBEKANNTE PRINZ Es tagt! Es tagt! Mit der Sonne geht die Liebe auf! TURANDOT Niemand soll mich seh’n... Mein Ruhm ist hin! DER UNBEKANNTE PRINZ Nein! Er beginnt erst! TURANDOT Scham über mich! DER UNBEKANNTE PRINZ O Wunder! Wie Glorienschein krönt dich der Zauber des ersten Kusses, der ersten Tränen. TURANDOT Die ersten Tränen... ach! Ja, die ersten Tränen fühle ich. Fremdling, als du gekommen, empfand ich mit Schauder dieses Lust- und Wehgefühl. Wie viele sah ich für mich sterben! Ich habe sie verachtet, doch dich hab’ ich gefürchtet! Aus deinen Augen strahlte der Glanz der Helden! Aus deinen Augen strahlte die kühnste Sicherheit... Dafür hab’ ich dich geliebt, gequält und zerrissen von zwei verzehrenden Ängsten: Dich zu besiegen oder besiegt zu werden... Und ich bin besiegt... Ah! Nicht siegte über mich die Prüfung so sehr als dieses Feuer, das aus dir strömte! DER UNBEKANNTE PRINZ Sei mein! Mein! TURANDOT Das war’s, was du verlangtest. Jetzt hast du es erreicht. Verlange nicht nach größ’rem Sieg... Verlaß mich, Fremdling, nimm dein Geheimnis mit dir! DER UNBEKANNTE PRINZ Mein Geheimnis? Ich habe es nicht mehr! Sei mein! Die du bebst, sobald ich dich berühre, die du erbleichst, wenn ich dich küsse; du kannst mich verderben, wenn du willst. Meinen Namen und mein Leben geb’ ich dir. Ich bin Calaf, des Timur Sohn! TURANDOT Ich kenne deinen Namen! CALAF Mein Ruhm ist deine Umarmung! TURANDOT Hör’ die Trompeten! CALAF Mein Leben ist dein Kuß! TURANDOT Die Stunde ist da! Die Stunde der Prüfung! CALAF Ich fürcht’ sie nicht! TURANDOT O Calaf, komm vor das Volk mit mir! CALAF Du hast gesiegt! Zweite Szene Die malerische Außenseite des Kaiserpalastes (Ganz in weißem Marmor, auf dem die Morgenröte gleichsam Blumen malt, über einer Treppe, in der Mitte der Bühne, thront der Kaiser, umgeben vom Hof, den Würdenträgern und Weisen. Auf beiden Seiten des Platzes, in weitem Halbkreis, eine zahllose, jubelnde Volksmenge.) DIE MENGE Zehntausend Jahre unserm Kaiser! (Die drei Minister breiten einen goldenen Mantel über den Boden, als Turandot die Treppe emporsteigt. Plötzlich tritt Stille ein.) TURANDOT Mein Herr und Vater! Ich weiß des Fremdlings Namen! Sein Name ist: Gemahl (Calaf stürmt die Treppe empor. Die beiden Liebenden sinken sich in die Arme.) DIE MENGE Gemahl! O Sonne! Leben! Ewigkeit! O Liebe, Licht der Welt! Wir jubeln und singen der Sonne die Unermeßlichkeit uns’res Glücks! Glück dir! Segen dir! ENDE |